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Bahnhofsplatz halten und in das brausende Leben der Stadt flüchtig hineinhorchen? Aus der großen Gepäck- und Schalterhalle trat er auf den sonnenhellen, von schattenden Bahnhochbauten um schlossenen Vorplatz hinaus. Gepäckträger und Droschken, Fahren und Kommen und oben das Donnern der Züge, Knd drüben das Geklingel der elektrischen Straßenbahn. — ks zog ihn gemächlich, doch unwiderstehlich zu dem Strome des Straßenlebens hinüber, das dort in die großen Schlagadern flutete zum Herzen der Stadt. Nun stand er unter dem Dämmerschatten der großen Bahnüberführung, über ihm rumpelten und krachten Züter- und Schnellzug in stürmischem Kreuzen. Und chauend und immer schauend schritt er in der breiten straße hinauf zu der großen Straßenkreuzung, wo die rrsten Hotels sich aufreckten, wo es hineinging tief in die Kaugolden verschleierten Geheimnisse der lieben alten und soch an allen Ecken gewaltig modernisierten Musenstadt. Und plötzlich — ein heftiges stilles Lachen schüttelte ihn einen Augenblick im erstaunten Erwachen — er stand kuf der Plattform des Straßenbahnwagens und sauste, Hütten durch Getöse und Lärmen, an das Messinggestänge gelehnt, unaufhaltsam in die Stadt hinunter. Wohin? Als die goldene Spätnachmittagssonne das grüne Busch- und Baumwerk des Universitätsplatzes über leuchtete, trat er aus dem großen Flur des ehrwürdigen Universitätsgebäudes auf die Freitreppe hinaus und stand zwischen den wuchtig hingelagerten Löwen. Es war hier einsam um die Stunde. Gleißend und blitzend schofsen die Strahlen der sinkenden Sonne über Dächer und Türme. Und fern hinter ihnen stand am Himmel ein glänzendes Wolkcngebirge. Geistergestalten von funkelnder Schönheit und Kraft stiegen an ihren Gipfeln hinüber zu den Götterstühlen der Walhalla. Unruhiges Warten auf Grüße vergangenen Lebens, das doch längst verschüttet und begraben war, durchzuckte seine Seele. Und ans unsichtbarem, leise durchraufchtem Mondscheinpark wehte es mit geheimem Singen und Klingen herüber: / Du stiegst zur Universität, ' Der Himmel stand in Glut. > - ' , / Du hast zu ihr hinausgcspäht, / Dein Antlitz heiß wie Blut. ' Du hast mich selber oft geseh'n h Und eiltest fremd vorbei, Als ob ein Zauber mir gescheh'n Und ich verwandelt sei ' Der Geisterstimme lauschend, stieg er die Stufen hin unter, vom rotgoldenen Himmelsglanz umleuchtet, — und stutzte plötzlich. Es war nicht Sphären-, nicht Mondschein klang; hinter dem dichten, mächtig emporgewucherten Buschwerk stieg es lebendig herauf, Schallen und Singen vom Knciptisch her, aus geöffneten Fenstern, zum klin genden Pianino starker melodischer Vurschensang: Und siehst du mich auch meilenweit, Im Herzen bist du hier, Und selbst aus dunkler Ewigkeit Grüßt hell dein Stern zu mir — Askania! — Seine liebe Askania! — Fremd und un bekannt hatte er nur einmal rasch vorübergehen und im Duft des Abendgoldes wieder verschwinden und unters tauchen wollen, um fürder seine eigenen, einsamen Wege zu gehen. Nun rief sie ihn mit der vollen stürmischen Kraft ihrer! Jugendlust mit seinem eigenen Liede, das noch immer in ihrer Kneipenrunde fortlebte, während er im Philister tum seiner fernen geist- und arbeitsspannenden Zeitungs-j würde verschollen war wie ein weltensuchender Ozeanfahrer auf entlegenen Jnselmeeren. Nun eilte er mit raschen Schritten, von heftiger Freudej und Sehnsucht getrieben, in den Gebüschwegen die Stufen! hinunter zu dem teuren, von tausend Erinnerungen um-^ flatterten Askanenhaus. Und das grün-weiß-schwarze Banner hob sich ihm im sachten Sommerwinde mit weichem Rauschen entgegen: Bist du endlich da? O, stürme zurück in die Arme der Jugend I Du bist ihr eigen, du wirst mit dem Sonnen feuer im Herzen nimmer dich ihr entreißen, und Mnn du einst als müdes Altes Haus in die Schollen sinkst, wirst du jung über deinem eigenen Grabe wandeln und nach deiner Liebe und deinen Sternen schauen! Er war just in der Askanen fommerliche Stiftungs feier hineingetreten und, begeistert empfangen und freudig von den jungen Semestern geehrt, in den Rausch des Festes so unwiderstehlich verstrickt, daß er den Nachtzug nach München vergaß und ihn fahren ließ, wohin es ihm be liebte, und noch in später Mitternacht mit schallendem Schläger, begeisternder Rede, und selbst bis in alle Tiefen seines Herzens ergriffen, die stürmische Fidelitas des Askanenkommerses leitete wie einst nn höchsten Glanze seiner jungen Semester. Ein Dampferausflug auf der Saale! Die Sonne hielt sich mißgünstig hinter grauen Schleiern verborgen; hier und da lugte sie spitzbübisch durch: Seid ihr noch da? Zuweilen spritzten die Wolken feinen Sprühregen über den rauschenden Dampfer und die grauen, schäumenden Wogen des Flusses. Aber auf dem feuchten, wolkenüborschatteten Deck lachte die Lust, spielte das Glück, spann sich Neckerei, er hoben sich Lieder und verklangen, Lachen und Gläserklingen über dem unruhig wogenden Wasser. Die Askania hatte einen Kranz von jungen Damen mit ihren Angehörigen zur Saaleburgenfahrt geladen. Das Schiff trug den Klang von silberhell aufblitzender Jugendharmonie im Saaletal hinab und führte sie der über dem gleichnamigen Uferstädtchen ragenden walken- grauen Burg Wettin, der tausendjährigen Stammburg deutscher Fürsten, entgegen. Doch ein seltsamer, schrill fortzitternder Mißklang durchschnitt die Festfreude. Es war im Gedränge des Einsteigens der Gäste am Landungsplatz unter den Geladenen auch der Privat dozent Dr. Georg Waldhausen an Bord gekommen. In der Askania war es Tradition, daß Söhne des Harzes in ihr aktiv wurden. Darum wurde der überraschende Fest besuch des lieben Alten Harzherrn Wolfram Brocken schmied um so freudiger empfangen. Darum hatten die Chargierten schon wiederholt den Privatdozenten Dr. Waldhausen zu besonderen Gelegenheiten geladen, seine Vorliebe für reichlichen starken Alkohol dabei kennen gelernt, doch erst bei seinem letzten Besuch erfahren, daß auch seine Gattin dem Bergland der grünen Tannen und der Silbererze entsprossen sei. Darum stand auch Frau Elga Waldhausen diesmal auf der Liste der Gäste; aber niemand konnte wissen, daß sie davon nichts erfuhr. Unter den vielerlei geladenen Familien an Bord konnte nicht jede Weiblichkeit jedem der Askanen persönlich bekannt sein. Sie hielten es für eine honorige Selbstverständlich keit, daß in diese geschlossene Festgesellschaft an Bord nur hineingeführt wurde, was hineingehörte. Nun fiel es bald auf, daß unter den Gesprächsgruppen der Privatdozent Dr. Waldhausen sich stets in Begleitung einer auffallend schönen, trotz Puder und Schminke sehr anmutenden jungen Dame hielt, die niemand kannte. Es war nicht bemerkt worden, ob sie mit ihm oder mit wem sonst an Bord gelangt sei. Irgendwo aber flog es wie ein Funken auf, es sei die Schauspielerin Susanne Strohbach vom Stadttheater, die von niemand eingeladen war. Ebenso geschwind wurde verbreitet, daß Waldhausens Beziehungen zur Strohbach nicht erst von heute stammten. Susanne Strohbach, die Tochter einer Waschfrau in der Altstadt, aus trüben, ärmlichen Verhältnissen durch ihr glänzendes Talent und ihre Schönheit schon früh in die Höhe getragen, war reich an abenteuerlichen Romanen: ein bunt schillernder Paradiesvogel, der überall, wo er vor überfliegt, neugierige Augen mit sich zieht; eine Wasserrose, die sich auf blitzendem Wasser leuchtend in der Sonne wiegt und ihre Wurzeln tief in unterirdischen Grundschlamm senkt. Hier erregte ihr Erscheinen einen stillen Zorn über die Unverschämtheit des Privatdozenten. Es wurde geheimer Nat gehalten und für gut befunden, von der Sache kein Aufhebens zu machen, die Hausherrenhöflichkeit aufs äußerste zu beschränken, nach der Landung das Paar nn- merklich aus der Gesellschaft hinauszumanövrieren, im übrigen den Privatdozenten Dr. Waldhausen für die Zu kunft von der Liste der Ehrengäste zu entfernen und ibm-