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Beilage zu Nr. 288 MllbUM TWbllltt Ml» WllldtNllMgtr ÄNfligtt Dienstag, den 17. November 193, Eine schwere Belastungsprobe für den Völkerbund. Der MandschureikoMt in Paris. Seit den Wirren im östlichen Mittelmeer, der Be setzung Korfus durch die Italiener, den griechisch-türkischen Auseinandersetzungen hat es für den Völkerbund keine schwerere Prüfung gegeben als die Ratstagung, die am Montag in Paris beginnen wird. Es handelt sich nicht um eine theoretische Debatte, es handelt sich um den Beweis, ob der Völkerbund in der Lage ist, kriegerische Konflikte zu verhindern, auch dann, w^nn sie nicht von irgendeinem ab hängigen kleinen Staat zweiter oder dritter Größenord nung, sondern von einer Großmacht ausgeht. Die Zusam menstöße in der Mandschurei hatten den Völkerbund schon während der Septembertagung und während der besonde ren Ratstagung im Oktober stark in Anspruch genommen. Die Entwicklung, die inzwischen eingetreten ist, schiebt alle programmatischen Beratungen des Völkerbundes weit in den Hintergrund. Man weiß in den Völkerbundskreisen, daß die Organisation als solche in ihrer Existenz bedroht sein würde, wenn sich die Unmöglichkeit ergeben sollte, in Ostasien schlichtend einzugreifen. Die Autorität des Völker bundes, seine Geltung in der öffentlichen Meinung, die nach der jahrelangen Verzögerung der Abrüstungsverhandlun gen, nach den monatelangen zwecklosen Auseinandersetzun gen über einen internationalen Wirtschaftsfrieden ohnehin stark gesunken war, würde die schwerste Erschütterung er fahren. Die Schwierigkeiten, die sich einer solchen Lösung des Konflikts entgegenstellen, kennt man zwar im Völker bunde selbst, aber nicht in der öffentlichen Meinung der am Völkerbund beteiligten Staaten. Die Verhältnisse in der Mandschurei sind überaus kom pliziert. Japan, das seinen Vormarsch zunächst wegen eini ger Zwischenfälle aufnahm, hat die Gesamtheiten seiner Rechtsverhältnisse in der Mandschurei zur Debatte gestellt. Es stützt sich auf einen Vertrag von 1915, der damals, mäh rend die ganze Welt von dem Krieg in Anspruch genom men war, den Chinesen aufgenötigt wurde und der eine Verlängerung der japanischen Konzessionen in der Mand schurei um 99 Jahre enthielt. Diese Rechte stützen sich be sonders darauf, daß Japan die südmandschurische Eisenbahn ö^daut, daß es das Recht erhalten hat, 20 000 Soldaten zur Sicherung dieser Bahnlinie in der Mandschurei zu unter halten. Die Bahnlinie ist nun seit langem einem chinesischen Boykott ausgesetzt, und Japan verlangt deshalb in den Forderungen, die es als Vorbedingung für seine Räumung aufstellt, u. a. auch die Verpflichtung Chinas, Parallelbau ten zur südmandschurischen Bahnlinie zu unterlassen. Er will weiter Sicherheiten für den Zinsendienst der Eisen bahnanleihe haben und schließlich noch ein Sonderrecht zum Bau einer zweiten Bahnlinie nach Korea. Die Chinesen be streiten die japanischen Rechte aus jenem Vertrag von 1918 grundsätzlich, und sie wehren sich deshalb auch gegen die neuen japanischen Forderungen. Man kann aber zur Bei legung des Konflikts nicht etwa den sonst üblichen Weg eines Schiedsgerichts wählen, denn da dieser Vertrag von 1915 nun einmal existiert, mußte ein solches Schiedsgericht gegen China entscheiden. Damit wäre praktisch nichts ge wonnen, denn die Chinesen würden sich trotzdem der Er füllung des Vertrages wenigstens so wie Japan ihn aus legt, widersetzen, und die kriegerischen Konflikte wären also nicht beseitigt. Völkerrechtliche Mittel, erzwungene Ver träge zu beseitigen, gibt es aber, besonders in Ostasien, nicht. Die weitere Schwierigkeit liegt in den Verhandlungsmetho den der zwei ostasiatischen Partner, die den Europäern im Völkerbund fremd sind, und die zu einer Verzögerung der ganzen Verhandlungen unvermeidlich führen müssen. Man wird zur Beilegung des Konflikts nur durch Anwendung eines vorsichtigen Verfahrens kommen, denn jede radikale Entscheidung würde von einem der Beteiligten als Bedro hung seiner Rechte ausgelegt werden. Es leben eine Million japanischer Staatsangehöriger in China, und Japan wird sie nicht durch Zurückziehung seiner Truppen im Stich lassen wollen, gleichviel ob an dem akuten Ausbruch des Konflikts die japanischen Militärs die Schuld tragen oder nicht. Für China ist das reiche mandschurische Gebiet aber ebenfalls zum Auswanderungsgebiet für mehrere Millionen Chinesen aus anderen Provinzen geworden. Es wird also viel diplo matisches Geschick dazu gehören, diese Interessengegensätze auszugleichen und dabei auch das dritte vom europäischen Standpunkt aus gewiß nicht weniger wichtige Interesse zu beachten, daß nämlich die Autorität des Völkerbundes als Friedensstifter nicht leide. Kompliziert wird die Lage noch dadurch, daß Japan, Rußland der Unterstützung des Generals Ma, des Vertei digers der Nonmbrücke, beschuldigt. Die Japaner behaup ten, sie Hütten Beweise dafür, daß russische Kavallerie aus leiten der Chinesen gefochten habe, daß ferner gefundene Kriegsmunition und Maschinengewehre russischen Ursprungs seien. Selbstverständlich erklärt die Sowjet-Regierung diese „Beweise" als Fälschungen, immerhin stellen die Vorgänge eine schwere Belastung der Beziehungen zwischen den bei den Ländern dar. * Kritik am Völkerbund. Japan über Chinas Unfähigkeit. Tokio, 15. November. In der japanischen Presse wird betont, daß die War nungen des Völkerbundsrats praktisch zwecklos seien, weil sie die tatsächlichen Verhältnisse der Lage in der Mand schurei nicht berücksichtigten. Eine Neuorientierung über die Lage in der Mandschurei sei die einzige Möglichkeit, das Ansehen des Völkerbundes zu retten. Die Absicht des Völkerbundsrates, eine neutrale Kommission zur Untersu chung zw^s Beschleunigung der Räumung einzusetzen, und die Unterbreitung des Vertrages von 1915 an ein Schieds gericht vorzuschlagen, komme für Japan überhaupt nicht in Frag«. Cs sei schon lanae kein Zweifel daran, daß der Aus bruch und die seitherige'Ausdehnung des Konfliktes allein durch die Unfähigkeit Chinas verschuldet sei. Vier Punkte. Die Verhandlungen, die der Oberbefehlshaber der ja panischen Truppen in der Mandschurei auf Anweisung des Kriegsministeriums mit dem chinesischen General Mat- schangschen einleiten soll, beziehen sich auf die vier folgenden Punkte: 1. Matschangschen soll die um Tsitsikar und Angantschi stehenden Truppen auf ihre ursprüngliche Stellung zurück- ziehen und in Tsitsikar nur die übliche Besatzung lassen 2. keine Truppenableilung darf südlich der Ostchinesischen Bahn verbleiben. 3. Die Eisenbahn Taonan—Angankschi wird von dem Ordinary Railway-Board verwaltet werden Das chinesische Militär darf sich nicht in die Verwaltung einmischen. 4. Alle Bedingungen müssen bis zum 25. No vember erfüllt werden. provokatorische Tätigkeit. Die Telegraphen-Agentur der Sowjetunion berichtet, daß die Moskauer Blätter eine Meldung aus Peking ver öffentlichen, wonach dort Nachrichten von einer ständigen provokatorischen Tätigkeit japanischer Militärs in der Mandschurei einträfen. Auf der Station Mandschuria sei von den chinesischen Behörden der Weißgardist Aschakoff aus Lharbin verhaftet worden, dessen Aussagen Beweise dafür gegeben hätten, daß provokatorische Maßnahmen gegen die Sowjetunion vorbereitet würden. Botschafter Dawes in Paris. Der in Paris angekommene amerikanische Botschafter in London, Dawes, der die Verhandlungen des Völker bundsrates zur Beilegung des japanisch-chinesischen Streites verfolgen wird, erklärte bei seiner Ankunft u. a., er sei nach Paris gekommen, um individuell mit den Mitgliedern des Völkerbundsrates über eine Frage zu sprechen, die allen gemeinsam sei. Amerika sei nicht Mitglied des Völ kerbundes, und die Methoden, die die Vereinigten Staaten verfolgten, wenn eine sowohl den Völkerbund wie Amerika angehende Frage auftauche, seien verschieden gewesen. In dem vorliegenden Fall seien keine Anzeichen dafür vorhan den, daß die amerikanische Regierung es für nötig erachte, daß er an den Sitzungen des Rates teilnehme. -i- Der geplagte Völkerbund Genf, 16. November. Beim Generalsekretariat liefen von der japanischen und der chinesischen Regierung neue Noten ein, worin Japan die Unterstellung zurückweist, daß es Loslösungsbestrebungen in der Mandschurei begünstige, und behauptet, daß China anti japanische Strömungen unterstütze. Die chinesische Note da gegen behauptet, daß Japan an China Drohungen in ultima tiver Form gerichtet habe. China fordert Einsetzung einer neutralen Kommission, die darauf Hinzuwerken hätte, daß Japan diese Drohungen nicht verwirkliche. Aus Tokio wird berichtet, daß nach dort eingelausenen chinesischen Meldungen General Matschanaschen sich entschlos sen habe, die japanischen Forderungen als den Interessen Chinas widersprechend abzulehnen. Lr beabsichtige, Mon- tagsrüh zum allgemeinen Angriff gegen die japanischen Streitkräfte vorzugehen. Dem japanischen Botschafter in Moskau hat der Volks kommissar für Aeußeres. Litwinow, eine Erklärung zu gehen lassen, in der an die japanische Versicherung erin nert wird, daß die Interessen der Sowjetunion durch die Er eignisse in der Mandschurei keinerlei Schädigungen erfahren werden.. Rußland müsse wieder daran erinnern, weil Infor- mationen vorhanden seien, daß das japanische Kommando die Ueberschreitung der Ostchina-Bahn im Bezirk Tsitsikar und eine Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs vorbereite, was der Sowjetunion materiellen Schaden zufüge. Die Sowjet regierung rechnet damit, daß die japanischen Versicherungen nicht verletzt werden. China wirv Kaiserreich. Kaiser-Proklamation für heule erwartet. — Rußland protestiert gegen Japan. London, 16. November. Die englische Nachrichtenagentur Reuter gibt Meldungen aus Peking wieder, wonach die bereits angekündigte Wie dererrichtung eines chinesischen Kaiserreiches noch im Laufe des heutigen Montags in Mukden erfolgen soll. Unterstützt werde die Kaiserproklamation durch Japan. So soll auch ein japanischer Offizier den jungen Exkaiser regelrecht aus Tientsin an Bord eines japanischen Zerstörers entführt und nach Dairen gebracht haben, von wo dann Exkaiser hsuan Tung schleunigst nach Mukden weitergefahren zu sein scheint, von japanischer Seite wird allerdings dieser Darstellung widersprochen. An der Nonni-Brücke ist der Kampf auch während des Wochenendes weitergegangen, nachdem der chinesische Ge neral Ma das ihm, überreichte Ultimatum der Japaner ab gelehnt hatte. Die Feldbefestigungen der Truppen des Ge nerals Ma erstrecken sich über 5 Kilometer und sind mit 30 Feldgeschützen, zahlreichen Minenwerfern und Maschi nengewehren ausgestattet Aus beiden Flügeln stehen starke Kavallerie-Abteilungen. Die Japaner haben aus dem Sü den Verstärkungen herangeschafft und bereiten offenbar den sturm auf Tsitsikar vor. Sollte Tsitsikar von den Javanern beseht werden, dann würde damit der Konflikt die allergrößten Ausmaße an nehmen, denn mit der Einnahme Tsitsikars durch die Ja paner würde Ruhland direkt beteiligt werden, weil dann dieser wichtige Punkt der ostsibirischen Eisenbahn, die ge meinsam von den Chinesen und Russen verwaltet wird. Irr die Hände der Japaner gelangen würde. * Der Leiter der russischen Außenpolitik, Litwinow, über gab dem japanischen Botschafter eine Erklärung zur Weiter leitung nach Tokio. Darin heißt es, mit dem Gefühl äußersten Bedauerns stelle die Sowjetregierung fest, daß japanische Militärkreise Erfindungen über die Un terstützung dieses oder jenes chinesischen Generals durch Rußland verbreiten. „Die Sowjetunion — so fährt die Erklärung dann ort — macht die japanische Negierung auf diese gewissenlose- owjetfeindliche Kampagne aufmerksam, die gewisse Militär reise der Mandschurei systematisch durchführen und die die Beziehungen zwischen Japan und der Sowjetunion kompli zieren. Die Regierung der Sowjetunion hält es im Zusam menhang damit für zeitgemäß, an die Versicherungen des japanischen Botschafters zu erinnern, daß die Interessen der Sowjetunion durch die Ereignisse in der Mandschurei kei nerlei Schädigung erfahren werden. Sie muß um so mehr daran erinnern, weil Informa tionen vorhanden sind, daß das japanische Kommando die Ueberschreitung der Oskchinabahn im Bezirk Tsitsikar und eine Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs vorbereitet, was der Sowjetunion materiellen Schaden zusügt. Die Sowjet- regierung rechnet damit, daß die Versicherungen, die die japanische Regierung abgegeben hat, in Kraft bleiben und nicht verletzt werden." Stand der öffentlichen Verschuldung. ' Gesamkschuld rund 24,1 Milliarden Mark. Berlin, 15. November. Wie aus einer Uebersichl des Statistischen Reichsamks hervorgeht, ergibt sich für Reich, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände am 31. März 1931 eine Verschuldung von rd. 24,1 Milliarden RM, unter Ausschluß der gegen seitigen Schuldbeziehungen zwischen den Körperschaften, die sich auf etwa 1,4 Milliarden RM belaufen. Die Summe der auf den Kreditmärkten aufgenomme nen Schulden hat sich seit der erstmaligen Erfassung im Jahre 1928 um rd. 9^ Milliarden RM erhöht, bleibt je doch auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß außer den Gebietskörperschaften die rechtlich selbständigen öffent lichen Betriebe erhebliche Schulden aufweisen, immer noch hinter dem Betrag von rd. 32 Milliarden RM im letzten Vorkriegsjahr zurück. Dagegen hat die Zinsbelastung aus den Schulden die Vorkriegshöhe langst überschritten. Wenn man mit einer Durchschnittsverzinsung von nur 7 Prozent rechnet, ergibt sich gegenwärtig eine Jahreslast (ohne Til gungsquoten) von rd 1,7 Milliarden RM gegenüber rd. 1,3 Milliarden RM im Jahre 1914 (Durchschnittszins etwa 4 Prozent). Die jährliche Zinsenlast ist also trotz niedrigerer Verschuldung um rd. 400 Millionen RM gewachsen. Im Gefamtrahmen der Verschuldung der deutschen Wirtschaft, die auf etwa 90 Milliarden RM zu veranschla gen ist, nimmt die Verschuldung der Gebietskörperschaften mit rd. 27 v. H. eine bedeutende Stellung ein. Das Anwachsen der öffentlichen Schulden hat sich seit 1928 von Jahr zu Jahr verringert (Reinzugänge in den drei Jahren 3,6, 3,2 und 2,8 Milliarden RM). Der nach der Währungsstabilisierung angestaute Kreditbedarf wurde allmählich befriedigt, und es sind einzelne öffentliche Auf gaben mit hohen Kapitalerfordernissen (z. B. Wohnungsbau) bis zu einem gewissen Grade gelöst worden. Bon der Gesamtzunahme der Jahre 1928 bis 1931 in Höhe von 9,48 Milliarden RM entfallen nicht weniger als 2,14 Milliarden RM auf die Kriegs- (Polen) Schäden- schuldbuchforderungen und die Reparationsanleihe des Rei ches (Poung-Anleihe zu zwei Dritteln), die zwar eine Zins- und Tilgungslast, aber keinen verwendbaren Kapitalzufluh brachten. Die gesamte Kreditmarktverschuldung (24,1 Milliarden RM) verteilt sich am 31. März 1931 mit 11,34 Milliarden NM oder 47,1 o. H. auf das Reich, mit 9,93 Milliarden RM oder 41,3 v. H. auf die Gemeinden (Gemeindeverbände), mit 2,17 Milliarden RM oder 9 v. H. aus die Länder (ohne die Hansestädte) und mit dem ge ringen Rest von 0,64 Milliarden RM oder 2,6 v. H aus die Hansestädte. Daß gegenwärtig beinahe die Hälfte aller öffentlichen Schulden auf das Reich entfällt, ist immer noch eine Aus wirkung des Krieges und der Kriegsfolgen, während die hohe Quote der Gemeinden maßgeblich durch den echten Jnvestitutionsbedarf der letzten Jahre bedingt ist. Dem absoluten Betrag nach ist das Reich am höchsten verschuldet. Seine gesamten Verpflichtungen übersteigen die Kommunal schuld noch um etwa 100 Millionen RM, während sie in den vergangenen Jahren meist hinter ihr zurückblieben. Der Kopfbetrag der Verschuldung ist mit 406 RM am höch sten bei den Hansestädten. Er liegt noch um etwa 100 RM. über dem Betrag für die zum Vergleich am besten geeig neten Großstädte (303 RM), jedoch hat sich hier seit 1928, wo die Zahlen relativ noch weiter auseinander lagen (266 RM für Hansestüdte, 168 RM für Großstädte), eine gewiße Annäherung ergeben. Die Schulden der Großstädte zeigen die stärkste Steige rung seit 1928 (rd. 97 o. h.). Sie geben innerhalb der Gemeinden so sehr den Ausschlag, daß sich für die Kommunalverschuldung überhaupt die höchste Steigerungszahl errechnet (72 v. H. des Standes voir 1928 gegenüber 59 v. H. beim Reich und 48 v. H- bei den Ländern).