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fügungen des Stadthauplmanns zu beobachten, welche eine Ansammlung des Volkes in den Straßen und auf den Plätzen vor den Kirchen verbieten. Auch in Grodno sind ähnliche Gerüchte verbreitet. Seiten der Behörden wurden dort ebenfalls Maß regeln getreffen. (Was nur das Volk gegen die harmlosen (!) Juden immer hat.) Einer St. Petersburger Meldung des „Mosk. Tel." zufolge soll die russische Regierung ihren Lon doner Botschafter, den Fürsten Lobanow Rostowskij, beauftragt haben, die Auslieferung des Staats verbrechers Hartmann zu verlangen, der sich in England ohne Wissen der britischen Regierung auf halten soll. Wie in Petersburger Kreisen verlautet, wird am 29. d. M., als am Geburtstage des Kaisers, der längst erwartete Reform-Ukas erscheinen. (Dar auf darf man wvhl neugierig sein.) Ueber die in Petersburg stattgefundene Hin richtung der Kaisermörder läßt sich die „Köln. Ztg." folgende Einzelnhsiten von ihrem Correspon- denten berichten: „Ich bin im Orient Augenzeuge von Dutzenden von Hinrichtungen gewesen, allein eine solche „Schinderei", wie sie der russische „Schin der" — denn „Henker" ist der Mann nicht, trotz der langjährigen Ausübung seines Gewerbes — Frolow aus Moskau, selbst ein begnadigter Ver brecher, heute vollführt hat, habe ich nie erlebt." .... Und weiter heißt es: „Der Henker ergreift Kibaltitsch und der Prolog zum Hängen oder zu der nun fol genden „Würgerei" beginnt. Kibaltitsch ist im Nu mit dem Leinwandüberwurf bedeckt, nichts außer den Stiefeln ist noch zu sehen, der Körper steht formlos in dem Drillichsack. So geht es allen fünf Verurtheilten, in wenigen Minuten sind sie einge kleidet, die langen Aermsl werden ihnen fest auf auf den Rücken zusammengebunden, das übrige in ihrem Auge entzogen. Der Perowskaja streicht der Henker Frolow noch das Haar am Nacken hinauf unter die Kappe. Zwei Scharfrichtergesellen heben Kibaltitsch auf die Treppe; der Henker, der den Rock abgeworfen hat und nun im rothen Hemde dastsht, legt ihm den Strick um den Hals, die Treppe wird, nachdem der Strick stramm angezogen und befestigt ist, weggenommen, und um 9 Uhr 3 Minuten hängt Kibaltitsch, der nihilistische Techniker, zwischen Himmel und Erde. Die Knechte machten sich eifrig an den zweiten, es ist Michailow. Um 9 Uhr 7 Minuten zieht man die Bank unter seinen Füßen weg. Michailow fällt in die Luft — und der Strick reißt, Michailow fällt auf die Dielen des Schaffols nieder, die Henker springen zu und stellen ihn auf die Beine. Er steht wieder aufrecht. Frolow legt ihm sofort eine neue Schlinge um, ver gißt aber in der Aufregung, sie oben durch die Oese zu ziehen und muß sie ihm wieder abnehmen. Schnell wird die 9stufige weiße Leiter angelegt, ein Knecht steigt hinauf, schlingt den Strick durch die Oese, Frolow wirft Michailow die Schlinge über den Kopf, zieht sie fest zusammen, zu fest wohl. Die Treppe, auf welche Michailow, der ziemlich groß und schwer, gehoben, wird zum zweiten Mals weggenom men, zum zweiten Male macht der arme Sünder Feuilleton. Colomba. Corsisches Lebensbild von Prosper Meremse, deutsch von Itudolpy Wüldener. (Fortsetzung.) „Er ist ein herrlicher Junge," setzte der Capitain Mattei hinzu, „Soldat, Officier der Gardejäger zu Fuß und würde gewiß schon lange Oberst sein, wenn der Andere noch Kaiser wäre." „Da er Soldat ist," sagte der Oberst und wollte hinzusetzen: „so habe ich Nichts dagegen, daß er mit uns fährt," aber Miß Lydia rief in englischer Sprache: „Ein Jnsanterie-Officier?" Da ihr Vater Caval- lerie-Officier gewesen, so verachtete sie gründlich jede andere Waffe. „Vielleicht ein Mensch ohne Bildung, der die Seekrankheit bekommen und uns das ganze Vergnügen der Ueberfahrt verderben wird." Der Capitain verstand kein Wort englisch, aber er errieth an dem Aufwerfen ihres hübschen Mun des, was Miß Lydia sagen wollte und begann eine Litanei von Lobeserhebungen seines Vetters, welche er mit der Versicherung schloß, derselbe sei ein vor trefflicher junger Mann aus einer Corporalfamilie und würde den Herrn Oberst gewiß nicht belästigen, denn er, der Capitain, nehme es auf sich, ihn so unterzubringen, wo man seine Gegenwart gar nicht bemerken würde. Der Oberst und Miß Nevil fanden es sonder bar, daß es in Corsica Familien gebe, in denen sich den Sprung ins Jenseits, und zum zweiten Male reißt der Strick. Das Publikum schreit, die Officiere sind außer sich, die Polizei ist wüthend. Michailow liegt am Boden, die Henkersknechte reißen ihn empor, Hr. Frolow nimmt die nächste Schlinge, die eigent lich für Sophie Perowskaja bestimmt war; nochmals, zum dritten Male, wird der Strick dem Unglück lichen um den Hals gelegt und die Treppe wegge nommen, aber der Strick beginnt sich aufzurollen und die Henker müssen den zum dritten Mal Ge hängten halten und ihn emporheben, damit der Strick nicht wieder reißt. Die Zuschauer schreien laut, die Erbitterung unter allen Anwesenden gegen den ungeschickten Henker ist außerordentlich; Frolow springt die Leiter hinauf, der vierte Strick wird dem anderen schadhaften zugefügt und endlich — endlich — 9 Uhr 12 Minuten ist auch Michailow gerichtet. Sophie Perowskaja holt während dessen einmal, wie unter der Kapuze zu bemerken ist, tief Athem; dann nähern sich die Henker auch ihr. Frolow legt ihr die Schlinge um, man hebt sie auf die Treppe, darauf zieht der Henker die Schlinge so fest zu, ehe die Bank weggezogen wird, daß die Perowskaja, die mit der Bank viel zu weit seitwärts von der Oese, durch welche der Strick geht, gestellt worden ist, das Gleichgewicht verliert und nach hinten übersinkt, die Füße noch auf der Treppe. Sie versucht sich von der Treppe abzustoßen, was ihr nicht gelingen will, und bleibt infolge dessen einige Secunden in dieser entsetzlichen Lage. Zum Glück nehmen nun die Gehilfen Frolows die Bank weg, und da diesmal der Strick nicht reißt, so ist die Hinrichtung des Mädchens bald zu Ende. Eine Minute später wurde Scheljabow dem eigentlich für Michailow bestimmten Platze zugeführt. Ehe er gehängt wurde, bewegte er fortwährend die unteren Glieder der gebundenen Arme, wahrscheinlich, um den Blutumlauf herzustellen. Sein Strick reißt nicht, aber der Henker schürzt ihm den Knoten vorn am Kehlkopf, eine furchtbare Grausamkeit, die das Ende verzögert. Darauf aufmerksam gemacht, ruft Hr. Frolow in rohem Tone: „oll oto uitKello^vo!" (Ach, das thut nichts!) Schließlich aber müssen die Knechte Scheljabow, nachdem^ dieser schon mehrere Secunden gehangen, dennoch emporheben und die Schlinge wird von dem Henker umgedreht, so daß die Schleife nach hinten in den Nacken, wie es sich gehört, zu liegen kommt. Als Fünfter folgt Ryssa- kow. Als der Moskauer Henker ihm die Treppe wegziehen will, macht er das so ungeschickt, daß Ryffakow's Beine, die sich natürlich ausstreckten, auf die mittelste Stufe herunterfallen und Ryssakow, wie vor ihm die Perowskaja, nur noch weit schlim mer, mit dem Kopfe fast wagerecht hinaus und mit den Beinen auf der zweiten Stufe liegt. Die Knechte zerren an der Treppe, allein der Körper oes halb Erwürgten folgt derselben, da die Beine nicht loslassen, erst dann, als ein Knecht sie zurück schiebt. Jetzt kommt auch Ryssakow, der übrigens, als er auf die Treppe gestellt wurde, eine Anwand lung von Ohnmacht bekam, endlich zur Ruhe, und bald darauf ist das in Wahrheit schaurige und ab scheuliche Drama beendet." Griechenland. Die dem Ministerpräsidenten Kommunvuros am 20. d. übergebene Note der Mächte nimmt Act von der Annahme der vorgeschlagenen Grenz linie seitens der griechischen Regierung und verheißt, die Mächte würden sich für baldige Ue- bergabe des Griechenland zugesprochenen Gebiets interessiren. Afrika. Informationen aus Tunis zufolge haben sämmt- liche dortige Vertreter der Mächte von ihren Regie» rungen die Instruction erhalten, dem Bey oen dringenden Rath zu ertheilen, sich um jeden Preis mit Frankreich zu verständigen. Die Nachricht von der beabsichtigten Unterwerfung der Krumirs hat sich noch nicht bestätigt, ist ober auch noch nicht glaubwürdig dementirt worden. Telegramme aus Algerien fahren fort, die Tribus als fanatisirt dar zustellen und melden sogar, der heilige Krieg werde auf allen Märkten in Tunesien gepredigt. Amerika. Die Salzseestadt ist in großer Aufregung wegen der Gewaltmaßregeln, welche Präsident Garfield in der Mormonen-Frage in Vorschlag bringt. Vom Hause des Propheten, das von Weibern gleich einem Bienenstöcke durchschwärmt wird, bis zu dem ärmsten Mitgliede der Secte, dem schon eine einzige Frau das Leben sauer genug macht, greift Jedermann zu den Waffen, um „das Tabernakel" zu schützen. Der Entschluß der Regierung der Vereinigten Staa ten, mit all' dem Unsinn aufzuräumen, steht jedoch fest. Curiositäten-Liebhaber werden vielleicht das Verschwinden der Stadt am „weißen Flusse", deren Häuser im Uebermaße mit dem Symbol des Glau bens ihrer Bewohner, nämlich großen gemalten Augen, geschmückt sind, beklagen; gedenkt man jedoch all' der Gräuel, die hier schon stattgefunden und das Entsetzen der gebildeten Welt erregt haben, so wird man anderer Meinung sein. Die Truppen der Vereinigten Staaten versichern übrigens, daß sie von den jungen und hübschen Mormoninnen weit weniger scheel betrachtet werden als von den alten und häßlichen Anhängerinnen der gleichen Secte. Aus dem Muldeuthale. "Waldenburg, 21. April. Zu Königs Geburts tag am 23. d. ist der Schalter der hiesigen Post anstalt wie an den Sonntagen, nämlich von vor mittags 7 — 9 und 11—12 Uhr, nachmittags von ö—7 Uhr geöffnet. *— Recht schlimm hätte es jüngst einem hiesigen Garhonnisten ergehen können. Derselbe wohnt mit einem Anderen zusammen. Obgleich er nun gewöhnt ist, bis 10 Uhr stets zu Hause zu sein,, versieht er doch einmal die Trompete und kommt später. Sein Mit-Garhvn, der ausnahmsweise vor ihm zu Hause gekommen ist, verschließt die Thür und macht auf das Klopfen seines Schlafgesellen^ den er längst im Bett vermachet, natürlich nicht auf. Letzterem bleibt schließlich nichts übrig, als mittels einer Leiter durchs Fenster in die Wohnung zu steigen. Allein damit wäre er beinahe schief gefahren, die Corporalswürde auf diese Weise vom Vater auf den Sohn fortpflanze; aber da sie mitleidig dachten, daß es sich nur um einen Jnfanterie-Corporal handle, so schlossen, so schlossen sie, es werde ein armer Teufel sein, den der Capitain gleichsam aus Barm herzigkeit mitnehmen wolle. Wenn es ein Officier gewesen wäre, so hätte man mit ihm sprechen, mit ihm zusammenleben müssen, aber mit einem Cor pora! brauchte man sich nicht zu geniren, — er ist ein bedeutungsloses Wesen, es sei denn, daß er mit seiner Mannschaft, das Bajonnet aufgepflanzt, er scheint, um Einen dahin zu führen, wohin man nicht gern geht. „Wird Ihr Vetter siekrank?" fragte Miß Nevil trocken. „Niemals, mein Fräulein. Er ist ein Felsenherz auf dem Meere, wie auf dem Lande." „Dann gut! Sie kennen ihn mit nehmen," sagte sie. „Sie können ihn mit nehmen," wiederholte der Oberst und setzte den Spaziergang mit seiner Toch ter fort. Gegen fünf Uhr Abends kam der Capitain Mat tei, um sie an Bord der Goelette abzuholen. Im Hafen, bei der Schaluppe des Capitains, fanden sie einen großen jungen Mann in blauen, bis an das Kinn zugeknöpftem Rocke, mit sonnverbranntem Gesichte, schwarzen, schöngeschnittenen, lebhaften Augen und offener, geistreicher Miene. An der Art, wie er die Schultern zurücknahm, und dem ziemlich gedrehten Schnurrbarte, erkannte man leicht den Soldaten, denn damals strotzten die Straßen noch nicht von pflastertretenden Schnurrbärten und die Nationalgarde hatte noch nicht jede Familie mit der Haltung und den Gewohnheiten der Wachlstube vertraut gemacht. Der junge Mann nahm seine Mütze, ab, als er den Obersten erblickte, und dankte ihm ohne Verlegen heit in guten Ausdrücken für den Dienst, den er ihm erzeige. „Freut mich, Ihnen zu nützen, mein Junge," er widerte der Oberst, indem er herablassend mit dem Kopfe nickte. Dann bestieg er die Schaluppe. „Er macht wenig Umstände, Euer Engländer," sagte der junge Mann leise auf italienisch zu dem Capitain. Dieser legte seinen Zeigefinger unter das linke Auge und zog die beiden Mundwinkel herab, wo durch er, wie Jeder weiß, der die Zeichensprache versteht, andeuten wollte, der Engländer verstehe italienisch und sei ein bizarrer Mensch. Der junge Mann lächelte leicht, berührte als Antwort auf das Zeichen Mattei's seine Stirn, als wollte er sagen, alle Engländer hätten einen Sparren im Kopfe, setzte sich sodann neben dem Capitain nieder und betrachtete sehr aufmerksam, doch nicht unbescheiden, seine hübsche Reisegefährtin. „Sie haben eine gute Haltung, diese französischen Soldaten," sagte der Oberst auf englisch zu seiner Tochter, „darum macht man auch leicht Officiere aus ihnen." Alsdann wandte er sich zu dem jungen Manne und fragte französisch: „In welchem Regiments haben Sie gedient?" (Fortsetzung folgt.)