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den Absender wüßte. Die Regierung bietet 300 Pfund Sterl, (ca. 6000 Mk.) für die Entdeckung des Verbrechers, welcher das Manfionshaus hatte in die Luft sprengen wollen. Russland. Ein bei dem letzten Petersburger Attentate Verwundeter, der Sekonde-Lieutenant Mitrofan Dimitrejewic Krachetkin vom 139. Infanterie-Re giments, 27 Jahre alt, stand in dem Augenblicke, als der Zar nach der Explosion des ersten Spreng geschosses sich nach den Verwundeten erkundigte, zwei Schritte vom Kaiser entfernt. Da erfolgte plötzlich eine furchtbare Explosion, er fühlte, daß er in die Luft geschleudert wurde, und halte dabei die gewissermaßen angenehme Empfindung, als ob er sterbend in den Himmel fliege. Als er wieder zum Bewußtsein kam, lag ec auf der Erde, sein Kopf und Gesicht waren mit Blut bedeckt. Er sprang auf die Füße, sah. wie man den Kaiser aufhob, hatte jedoch dabei die merkwürdige Hailuci nation, daß das nicht der Kaiser, sondern der ver storbene Großfürst Michael Pawlomic wäre. Drei Stunden später untersuchte ihn Or. Wreden und constatirte als Folge der erhaltenen Kopfcontusion: Verletzung des oberen Theiles der linken Ohrmuschel durch einen kleinen Splitter der Sprengbombe und Zerreißung des linken Trommelfelles in vier Lappen. Die Hörkraft des linken Ohres war total vernichtet, während die des rechten Ohres nur geschwächt war. Ueber die Verhaftung des angeblich gefährlichsten aller Nihilisten, Andreas Jeljabow, bringen die „Nowosti" folgende Einzelnheilen: Ein gewisser „Mylord" war am 24. v. M. aus dem Auslande nach Petersburg abgereist, was die Polizei erfahren hatte. In Petersburg quartirte sich Mylord unter dem Namen „Trigonja" im Hause eines gewissen Lichatschew, grade Anitschemkow (Palast des Thron folgers) gegenüber, ein. Dis Behörde beauftragte zwei Geheimpolizisten, den angeblichen Trigonja auf Schritt und Tritt zu überwachen. Die Agenten Malkewitsch und Gulkewitsch nahmen sofort im sel bigen Logirhause ein Zimmer, und nun wurde jeder Schritt des Verdächtigen überwacht. Trigonja wandle alle mögliche Vorsicht an, bei seinen Ausgängen machte er Umwege, besuchte allerlei Gasthäuser und langte zuweilen erst nach zwei bis drei Stunden an dem Punkte an, wohin er wollte. Er wurde um so beharrlicher überwacht, als bekannt geworden, daß er einer der Leiter des Executivcomile sei und mit Sprenggeschossen gut umzugehen wisse. Trigonja war hoch und stark gewachsen, trug einen schwarzen Bart, war von dunkler Gesichtsfarbe, hatte eine stark gebogene Nase, ging stets fein ge kleidet. Mehre Geheimpolizisten überwachten Tri gonja mit größter Sorgfalt und verbrachten oft ganze Nächte vor Häusern, in denen er sich befand, wobei sie häufig die Kleidung wechselten, um nicht seinen Argwohn zu erregen. Auf diese Weise ge- Feuilleton. Irene. Erzählung von A. Wels. (Fortsetzung.) „Toch der Herr Doctor weiß es ja, denn er be gleitet den Herrn Marquis, wie ich gehört habe, ein klein Stück Weges!" Seltsam! — Warum hatte Kern mir das ver schwiegen! Er wolle, hatte er mir gesagt, ihn am Abend auf meinen Besuch für den nächsten Tag vorbereiten, und er wußte, daß er noch vor Abend ab reise! . . . Warum das? Ich weiß nicht, was in mir vorging — ein un bestimmter Argwohn ergriff mich plötzlich! — Ich nahm Hut und Schirm — ich wollte Klarheit haben, beschloß, dem Marquis augenblicklich die Visite zu machen, die, wie ich mir vorstellte, Kern verhindern wollte. Nur wenige Minuten dauerte der Weg bis zu dem palastartigen Hause des Marquis. Der Wirth hatte mir recht berichtet; ich sah im Vorhause die deutlichsten Vorbereitungen zu einer Abreise, und der Diener, den ich nach dem Herrn Marquis fragte, wies mich in die Veranda des Gartens, wo dieser, wie er sagte, sich mit dem fremden Doktor befände. Ich schritt über den Hof dem Garten zu und — mit einem Male, ohne die geringste äußere Veran lassung — verfiel mein Geist wieder in jenes phan tastische Träumen, dem ich so lange Jahre unter worfen gewesen war. Wider stand Irene mir zur Seite — ich fühlte, wie ihre Hand sich auf meine Schultern legte — ich hob den Kopf empor und sah ihr geliebtes Ant litz — und seltsam ... es hatte jenen herben Schmerzensausdruck verloren, der es wie ein Nim bus von Wehmuth umgeben; — ja . . . ein seliges lang es ihnen, die Häuser und Wohnungen kennen zu lernen, in denen Trigonja verkehrte. Es stellte sich dabei heraus, daß er das Haus Nr. 18 in der ersten Rotte Jsmailowkij Polk oft besuchte. Weiter wurde festgestellt, daß die Conditorei Issakow auf der Ecks der Kleinen Sadowaja den Reootutionären als Zusammenkunftsort diente. Dieses Local be suchten sie in späten Nachtstunden und besprachen ihre Pläne. Am 11. d. M. erfolgte endlich der Befehl, Trigonja zu verhaften. Am Abend dieses Tages, als bei Trigonja sich grade ein gewisser „Peter Iwanow" (der auf Nr. 18 Jsmailowskij Polk wohnte) befand, zogen die Polizisten Wanden- Bergen, Taich, Malkewitsch und Gulkewitsch sich in ein Zimmer zurück und befahlen der Magd, Trigonja unter irgend einem Vorwande herauszurufen. Kaum hatte der Verbrecher den Corridor betreten, als er sofort gefaßt und in ein besonderes Zimmer geführt wurde. Der Verhaftete folgte schweigend, ohne seine Ruhe zu verlieren und ohne Widerstand zu leisten. Böses ahnend, verließ auch „Peter Iwanow", ein junger Mann von sympathischer Erscheinung mit schwarzem Barte, das Zimmer, in welchem er mit Trigonja geweilt hatte, und suchte die Ausgangsthür zu gewinnen, wurde aber sofort verhaftet. Die auf den 30. März anberaumte Eröffnung des Prozesses Ryssakoff ist um einige Tage verschoben worden, da die Polizei noch eine wich tige Verbrecherin entdeckte; dieselbe soll eine Mit schuldige des Hartmann'schen Attentats, eine Freun din des am 11. März verhafteten Jeljaboff, sowie dis Leiterin Ryssakoff's gewesen sein. Ihre Aus sagen veranlaßten dazu die Anklageacten zu ver vollständigen, was übrigens nicht mehr als drei Tage beanspruchen dürfte. Es sind über 70 Zeugen vorgeladen worden. Ryssakoff sagte beim Verhör aus, eine Woche vor dem Attentate habe er einen Kameraden ge troffen, der ihm befahl, Sonntag auf den Zaren zu schießen; er habe gewußt, daß Andere ihm zur Hülfe bestimmt seien. Die bevorstehende Vorbei fahrt des Kaisers habe er aus den Polizeimaßregeln errathen. Kurz vor dem Attentat habe ihm ein junges Märchen ein in Leinwand eingeschlagenes Päckchen, welches die Bombe enthielt, gebracht. Kaiser Alexander III. soll, wie ein kurländischer Offizier schreibt, sein Taschentuch in das Blut seines sterbenden Vaters getaucht und dabei gesagt haben: „Für immer werde ich dies als Reliquie aufheben und es soll stets daran erinnern, was ich mir in dieser furchtbaren Stunde zugeschworen habe." Türkei. Der „Agence Russe" zufolge bot die Pforte ledig lich die in dem Rundschreiben vom 3. October be zeichnete Grenzlinie an, außerdem noch die Ab tretung Kretas. Die Botschafter halten erklärt, daß diese Zugeständnisse sie noch nicht befriedigten. Amerika. Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten hat wieder stark begonnen. In der letzten Woche sind in Newyork 5522 Einwanderer eingetroffen — alle in deutschen Schiffen. Aus dem Muldenthale. * Waldenburg, 25. März. In der heute statt gefundenen Schöffenqerichtssitzungwurde der Klempner- lehrlmg Friedrich Max Schönfeld aus Remse wegen Diebstahls zu 3 Wochen Gefängmß, Louise Bertha verehel. Uhlig hier wegen Beleidigung und ver leumderischer Beleidigung zu 45 Mk. Geldstrafe und wegen Erregung ruhestörenden Lärms zu 3 Tagen Haft, Fuhrwerksbesitzer Heinrich Böttcher hier wegen Beleidigung zu 20 Mk. Geldstrafe verurtheilt, von der Anklage wegen verleumderischer Beleidigung jedoch freigesprochen. Außerdem wurde Franz Ru dolf Seidel aus Auerbach, Bäcker und Theaterzettel träger, wegen Diebstahls mit 1 Woche Gefängniß bestraft. Sämmtliche Verurtheilts haben außerdem die entstandenen Kosten zu tragen. Als Schöffen i fungirten Herr Kaufmann Bossecker von hier und Herr Gutsbesitze: Bauch aus Hinteruhlmannsdorf. — Am 22. d. ward auf der Pöhlauerstraße bei Zwickau Ker Knecht Heinrich Schuffenhauer aus Bermsgrün bei Schwarzenberg von dem von ihm geführten Geschirr überfahren; der Unglückliche starb am nächsten Morgen, er hinterläßt eine Frau und 6 Kinder. — In neuester Zeit ist auch in Cainsdorf bei Zwickau der Typhus ausgebrochen. Bis jetzt sind 6 Erkrankungsfälle vorgekommen, von denen einer tödtlichen Verlaus gehabt hat. Aus dem SachssnLmwe. — Der königl. sächs. Gesandte und Bundesbe- vollmächtige Wirkl. Geh. Rath v. Nostiz-Wallwitz in Berlin hat sich zur Herstellung seiner Gesundheit nach Südtyrol begeben. Die Geschäfte führt in zwischen Geh. Legationsrath v. Watzdorf. — Der Generaladjutant Sr. Maj. des Königs, Generallieutenant v. Carlowitz, welcher in außer ordentlicher Mission in St. Petersburg weilt, ist am vergangenen Montage von Sr. Majestät dem Kaiser von Rußland behufs Ueberreichung des Kon dolenzschreibens Sr. Majestät des Königs von Sachsen in besonderer Audienz empfangen worden. — Bezüglich des neuen Gesangbuches, über dessen Erscheinen und Art im ganzen Lande viel gefragt, aber wenig gehört wird, hat das Landes-Consistorium eine Publication auf besondere Anfrage erlassen, deren Inhalt in Kürze folgender ist: Der Entwurf des neuen Landes-Gesangbuches ist zwar druckreif, die definitive Fertigstellung desselben aber, weil eine sorgfältige Erwägung der zu erwartenden Urtheile Lächeln . . ., „Edgar, mein Edgar" hörte ich lis- pelen — „wir haben das Geschick besiegt — jetzt bist Du mein ... ich Dein!" Ich taumelte vorwärts — ich war im Garten — ich hörte die Stimme Kern's — es war mir, als wenn Irene mich fast mit Gewalt vorwärts zöge. — Jetzt war ich in der Veranda . . . Der Marquis und der Doctor gehen eifrig mit einander plaudernd auf und ab — jetzt wenden sie sich um — erblicken mich und . . . Kern bleibt wie angewurzelt stehen . . . sein Arm erhebt sich, um auf mich zu weisen — er ist bleich, wie ich ihn noch nie gesehen ... Ich gehe vorwärts — noch einige Schritte trennen mich von Beiden ich wende meinen Kopf dem Marquis zu — erschrecke . . . starre ihn an ... er streckt mir die Hand entgegen . . . Da . . . da plötzlich fühlte ich Nacht sich vor meine Sinne legen — mein Herz hört auf zu schlagen — meine Arme strecken sich wie zur Abwehr aus . . . ich weiche zurück, soweit ich kann — und als mein Fuß die Mauer berührt — da hält mein wirrer Geist sich für verloren. . . . Ein greller Schrei, ich stürze zu Boden! . . . .... Ich hatte ein Gespenst gesehen...!! — Es ist Abend — ein lauer, ruhiger Abend des Oktobers, eines Monats, der in unserm Deutschland uns oft so herrliche Tage bereitet. Die Fensterim Parterrezimmer der Villa des Baron von Hallern sind weit geöffnet — und die Sonne wirft ihren letzten rosigen Abschiedsgruß auf das gelbliche Laub der Bäume, die ihre Zweige fast bis an die Fenster Hinstrecken. Ja . . . ein Abschiedsgruß! — Denn in einem hohen Lehnstuhl sitzt ein bleicher, hagerer Mann, der sich noch einmal hat an's offene Fenster rollen lassen, der Abschied von der Sonne nehmen will . . . und vom Leben! Der Baron ist sterbend — er fühlt es — er weiß, daß er vielleicht den nächsten Tag nicht mehr erleben wird, und noch einmal hat er all' die Seinen um sich versammelt, — um ihnen seine letzten Gedanken mitzutheilen. Zu seiner Rechten steht seine Tochter . . . bleich wie ein Schmerzensbild wirft sie auf den sterben den Vater einen so wehmüthig zärtlichen Blick, daß man begreift, wie unendlich sie den Mann geliebt, der jetzt von ihr scheidet. Zur anderen Seite steht das Weib des sterben den Mannes — mit gebeugtem Haupte — mit trockenem Auge, mit fieberhaft gerötheten Wangen. — Ein Bund, den, wie sie glaubt, Gott geschlossen, soll in wenigen Stunden von Gott zerrissen werden; . . . ein erschrecklich feierlicher Augenblick, vor dem sie erzittert. Der Staatsanwalt sitzt ihnen fast gegenüber; — auch er ist tief gebeugt und der Schweiß perlt auf seiner bleichen Stirn, die jetzt von fast gänzlich weißen Haaren umrahmt ist. Hegemann, der wüste Geselle, der immer noch dasselbe Aussehen wie vor drei Jahren hat, steht zur Seite des Staatsanwaltes — seine Stirn ist gefurcht — von Zeit zu Zeit beugt er den Kopf; — doch dann rüttelt er sich selbst wieder auf — und wirft einen Blick auf Irene. Der Sterbende streckt sich mit Mühe — er er hebt das Haupt, welches auf seine Brust gesunken war, legt seine abgemagerte Hand auf die seines Weibes, und seine Stimme ertönt — zuerst schwach und gebrochen, — nach und nach jedoch scheint ein letzter Hauch von Kraft über ihn zu kommen, und seine Worte werden klarer und deutlicher. (Fortsetzung folgt.)