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ZchönbnM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnemsntspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. —— Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 46. Freitag, den 25. Februar 1881. ^Waldenburg, 24. Februar 1881. Lügen haben kurze Beine. Das hat man wieder einmal so recht bei Ge legenheit des Neustettiner Synagogenbrandes bemer ken können. Unter dem Vorwande, für die gedrückten und verfolgten Juden Partei zu ergreifen, hat sich die fortschrittliche und semitische Presse nicht entblödet, in gehässigster Weise die gesammte ehrenwerthe Be völkerung einer friedlichen Provinzialstadt der Brand stiftung zu verdächtigen und zu verunglimpfen. Die wenige Tage zuvor in Neustettin gehaltene anti semitische Nede wurde als die Veranlassung der Brandstiftung bezeichnet, ja das „Berl. Tagebl." wußte, daß das Innere der Synagoge, trotzdem sie gänzlich ausgebrannt und Niemand während des Brandes sich hinein wagen konnte, mit einer Flüssig keit, jedenfalls Petroleum, fügt es hinzu, übergossen gewesen wäre. Auch in anderer Beziehung ergehen sich diese Blätter in maßlosen Schimpfereien. Die Aeußerung des vr. Henrici in einer am 14. d. in Ratzebuhr bei Neustellin gehaltenen Rede: „O Gott vom Himmel schau darein!" nennt das „Berliner Tagebl." eine unerhört freche Beschimpfung des Namens Gottes. Hören wir, was ein anderes philosemitisches Blatt, die „Neue Stetliner Zeitung," zu obigem Er- eigniß schreibt: „Es war vorauszusehen, daß die systematische Aufhetzung des gebildeten und unge bildeten Pöbels, wie sie der Brandredner Henrici in unserer Provinz soeben zu allgemeinster Empörung zu beginnen gewagt hat, solche Früchte zeitigen würde. Wer die Berichte über die skandalösen Vorgänge in Neustetiin gelesen, wer Aeußerungen wie die Henricische von den „Dynamitpaironen für Israel" sich gemerkt hat, der wird kaum überrascht sein, daß unter dem Pöbel mehr als einer der Worte überdrüssig geworden und nun endlich hat Thatensehen wollen! Die Flammen dieser brennenden Synagoge werfen ein grelles Licht in den boden losen Abgrund von Rohheit und Aberw'tz, dem die Leiter der Anlisemitenbewegung und das ganze Ge lichter, welches hinter ihnen herzieht, zutaumeln, sie werfen ein grelles Licht auf die dringende Gefahr, die ein weiteres Dulden dieses ganzen widerwärtigen Unfuges ohne Zweifel nach sich ziehen wird. An das königl. Oberpräsidium bez. an die königl. Ne gierung zu Cöslin aber müssen wir das dringende Ansuchen stellen, einen Commissar nach Neustettin zu entsenden und die Vorgänge der letzten Tage einer strengen Untersuchung zu unterwerfen, nament lich ob die Polizeiverwaltung von Neustettin iyrer Pflicht, Friedensstörungen in der Bevölkerung vor zubeugen, nachgekommen ist, bez. ob dieselbe in der Lage ist, die jüdischen Bewohner Neustettins gegen die Insulten einer skandalsüchtigen Menge zu be schützen. Ueber die Vorgänge in und nach der antisemitischen Sonntagsversammlung daselbst werden uns die unglaublichsten Dinge mitgetheilt. Ver schiedene Zuschriften aus Neustettin constatiren gleich mäßig, daß die Zustände daselbst für die jüdischen Einwohner nahezu unerträglich sind und daß, wenn dies so fortgehe, man sich auf die schlimmsten Ex- cesse gefaßt machen müsse. Solchen Klagen gegen über darf die Regierung nicht länger unthätig zu sehen!" Also schon wieder die Polizei soll helfen. Und alledem steht noch gegenüber, daß die bisherige Untersuchung nicht den geringsten Beweis für die Annahme ergeben hat, die Entstehung des Brandes sei mit der Rede des vr. Henrici in Zu sammenhang zu bringen, ja es gilt nach den bis herigen Ergebnissen der Untersuchung als feststehend, daß das Feuer gar nicht angelegt ist. Der Ar tikel der „'Neuen St. Ztg." ist in eilfertiger Ge schäftigkeit leider auch in einen großen Theil unserer Provinzialpresse übergegangen, weshalb es wohl an gebracht ist, nachdrücklich zu bemerken, daß gerade dieser „gebildete und ungebildete Pöbel" das Feuer auf feinen Herd beschränken half, während die jüdische Bevölkerung größtenlheils Maulaffen feilhielt. Es muß als ein Act der frivolsten Gewissenlosig keit gelten, vor Beibringung irgend eines Beweises einen Verdacht gegen die christlichen Mitbürger oder einen belangreichen Theil desselben in der Weise auszusprechen, ja fast zur Thatsache zu gestalten, wie dies von Seiten der „Neuen St. Zeitung" ge schehen ist. Was würden wohl die jüdischen Blät ter sagen, wenn heute Jemand behauptete, die alte baufällige Neu-Sieltiner Synagoge sei von jüdischer Hand niedergebrannt worden, um hinterher die christliche Einwohnerschaft der Schandthat beschuldi gen zu können? Die Judenfrage, die in dem Verhalten der Juden selbst ihren Ursprung hat, nicht in der „schamlosen" Agitation, wie uns dis semitischen Blätter gern glau ben machen möchten, wird durch solches Vorgehen nur noch acuter, und nur von dem loyalen und ehrlichen Verhalten der Juden wird es abhängen, daß die antisemitische Bewegung in ruhiger Weise verläuft. *Waldenburg, 24. Februar 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die „Prov.-Corresp." bringt einen Festartikel zur Vermählung des Prinzen Wilhelm, welcher den Vermählungstag als einen Tag wahrer Freude und Hoffnung für Preußen und Deutschland feiert und also schließt: Im festlichen Gepränge, welches die Hauptstadt des Reichs entfaltet, in den Ange binden, welche die preußischen Städte und Körper schaften dem hohen Paare überreichen, bekundet sich die Treue, welche das preußische Volk ihm aus vollem Herzen für alle Zukunft entgegenbringt. Treue um Treue, dessen ist das Volk sicher von den Hohenzollern. Sei getreu bis in den Tod, ist der Wahlspruch der Prinzessin. In dieser Vereinigung möge das Glück des prinzlichen Paares sür immer und alle Zeiten fest begründet sein. Ueber die Lage der Ministerkrisis vernimmt die „Nat.- Zig." übereinstimmend mit anderweitigen Mittheilungen, daß bis zum 22. d. abends keine definitiven Entscheidungen getroffen worden seien. Graf zu Eulenburg hält sein DemissionSgesuch auf recht und wird höchst wahrscheinlich dasselbe nicht zurücknehmen. Graf zu Eulenburg hatte beim Kaiser am 22. eine Audienz, welcher ihn dazu durch Wil- mowsky berufen ließ. Der Kronprinz that in dieser Angelegenheit nicht einen einzigen Schritt, er steht derselben vollständig abseits. Der preußische Landtag ist am 23. d. durch den Vicepräsidenten des Ministeriums, Graf zu Stol berg, geschlossen worden. Herzog von Ratibor brachte ein dreimaliges Hoch auf den König aus. Die „Voss. Ztg." schreibt: „Fürst Bismarck ha! sich so schnell wieder von seiner Erkältung, die ihn an das Haus gefesselt, erholt, daß er andern Tags Nachmittag 4 Uhr bereits wieder zu dem Kaiser ins Palais fahren konnte. Nach der ein stündigen Unterredung mit dem greisen Mo narchen sah der Fürst aber sehr erregt aus, ließ auch sein Gefährt in den Hof einfahren und fuhr von dort aus in nicht sehr heiterer Stimmung in sein Palais zurück. Man darf wohl nicht fehlgrei- fen, wenn man annimmt, daß der greise Kaiser ven Kanzler nicht in der herzlichen Weise empfangen hat, wie er es sonst zu thun pflegt. Das Unwohl sein des Fürsten war überhaupt mehr auf eine nervöse Gereiztheit als auf eine Erkältung zurück zuführen. Entgegen der in einem Theil der französischen Presse sich beständig wiederholenden Behauptung, daß sich Elsaß-Lothringen unter der deutschen Verwaltung stetig entvölkere, hat die am 1. De- ccmber v. I. vorgenommene Volkszählung ein er hebliches Anwachsen der Bevölkernngsziffer er geben. Leider ist der Bevölkerungsstand des heu tigen Elsaß-Lothringens aus der Zeit vor dem Kriege noch nicht mit Sicherheit zu ermitteln gewe sen, da die Landestheile, aus denen das Reichsland besteht, nicht den früheren französischen Departements entsprechen. Die am 1. December 1871 zum ersten Male von der deutschen Verwaltung vorgenommene Zählung ergab eine Bevölkerungsziffer von 1,549,738 Personen. Diese Ziffer sank, nachdem inzwischen der Optionsierminabgelaufen war, beider Zählung vom 1. December 1875 auf 1,531,805 Personen herab; es stellte sich also eine Abnahme um 17,934 Seelen oder um 1,17 pCt. heraus. Bei der Zäh lung vom 1. December 1880 belief sich der Be- völkerungsstaud auf 1,571,971 Personen, weist also eine Zunahme um 40,167 Personen oder 2,62 pCt. auf. Von dieser Zunahme kommt die größte Ziffer auf Straßburg (ff- 10,159); sodann solgen Metz (ff-7215), Mühlhausen (ff- 5304) und Kolmar (ff- 2103). In Procenten ausgedrückt, hat Metz um 15,8, Straßburg um 10,8, Mühlhausen um 9,1 und Kolmar um 8,8 pCt. zugenommen. An nähernd dürfte damit das Land dieselbe Bevölkerungs ziffer erreicht haben, wie vor 1870. Frankreich. In der französischen Deputirtenkammer verlangte am 22. d. der Bonapartist Lenglv eine Untersuchung der Angelegenheit betreffs der 30,000 Gewehre, welche Griechenland versprochen worden seien. Lengls beantragte die Dringlichkeit für seinen Antrag. Der Ministerpräsident Ferry sprach sich für die Dring lichkeit aus und beantragte sofortige Berathung. La Rochefoucauld-Bisaccia unterstützte den Antrag auf Dringlichkeit der Berathung und erklärte, es seien mit Patronen angefüllte Waggons nach HLvre ge sandt worden, er frage an, ob die Regierung dies gewußt habe. Der Antrag auf Dringlichkeit wurde einstimmig angenommen. Lenglo begründete sei nen Antrag auf Vornahme einer Untersuchung, in dem er die Nothwendigkeit betonte, die öffentliche Meinung über diese Angelegenheit vollständig auf zuklären; die Republik dürfe — wie die Frau Cä sars — keiner Verdächtigung ausgesetzt werden. Der Antrag auf Vornahme einer Untersuchung wurde schließlich mit 303 gegen 139 Stimmen ab gelehnt. In parlamentarischen Kreisen verlautet, der Her zog v. Broglie werde am Donnerstag im Senate die Negierung wegen der 30,000 Gewehre und der Sendung von Waggons mit Patronen nach Havre inlerpelliren. Der „Temps" reproducirt die Worte Gam- betta's: „ich werde diese Zurückhaltung beobachten bis zu dem Tage, da es meinem Lande gefallen wird, mir eine andere Rolle zuzuweisen," und betrachtet diese Worte als eine Erklärung Gam- betta's, daß er sich nicht weigern werde, die Leitung des Cabinets zu übernehmen, sobald das Vertrauen des Parlaments und des Präsidenten Grövy ihn dazu berufen werde.