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Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 2. Februar 1881. *Waldenburg, 1. Februar 1881. Das Arbeiterversicherungs-Gesetz. I. Die große Majorität des preußischen Volkswirth- schaftsraths hat sich dem Entwurf des Gesetzes über die Reichsunfallversicherung oder das Arbeiterver sicherungsgesetz angeschlossen. Der Entwurf schließt sich in seinen Grundgedanken eng an den Entwurf des Herrn Commerzienrath Baare an, zu welchem die Industrie bereits Stellung genommen hat, ent hält aber in einzelnen Bestimmungen doch so wesent liche Abweichungen von demselben, und zwar Ab weichungen zu Ungunsten der Arbeitgeber, daß letz teren eine wiederholte eindringliche Prüfung der Sache nur empfohlen werden kann. Die Regierung geht mit Herrn Baare von der Unzulänglichkeit des bestehenden Haflpflichtgesetzes aus und bekennt sich auch zu der Ansicht, daß eine Verschärfung der Haftpflicht des Arbeitgebers in der Richtung des jetzigen Haflpflichtgesetzes weder den überlieferten und geltenden Rechtsbegriffen enlsprechen, noch auch den hervorgetretenen Mißständen in wirk samer Weise abhelfen würde. Damit ist die Ver- urtheilung des bestehenden Haflpflichtgesetzes in optima korma ausgesprochen, die Beseitigung dessel ben erscheint somit als ein unabweisbares Ersor- derniß gesunder Wirlhschaftspolitik und es bleibt nur noch die Frage zu erledigen, was an die Stelle des Haflpflichtgesetzes gesetzt werden soll, um den Arbeiter in wünschenswerther Weise gegen die wirth- schaftlichen Folgen der Unfälle im Gewerbebetriebe zu sichern. Die Regierung ist auch in der Beant wortung letzterer Frage Herrn Baare gefolgt, indem sie nach seinem Vorgänge die Einführung der obli- galorischen Unfallversicherung für alle Fabrik- und ähnlichen Gewerbebetriebe in Vorschlag gebracht hat. Wenn man diese dem Gesetzentwurf zu Grunde liegende Idee der obligatorischen Unfallversicherung näher in's Auge faßt, so scheint die,elbe in der mo dernen Productionsweise und der immer weiter grei fenden Verwendung der Dampfkraft zur Erzeugung und Verarbeitung von Gütern allerdings wohl be gründet zu sein; denn da sich nicht leugnen läßt, daß die mit dieser Art des Gewerbebetriebes zusam menhängenden Gefahren zu einem großen Theile unvermeidliche und durch keine menschliche Fürsorge zu beseitigen sind, so ist es ohne Zweifel gerechtfer tigter, in der Institution der obligatorischen Unfall versicherung gleichsam die Gesammtheit der Industrie für die Schädigung der Arbeiter durch Unfälle haf ten zu lassen, als diese Haftpflicht dem einzelnen Arbeitgeber aufzubürden. Die Verschärfung der Haftpflicht des einzelnen Arbeitgebers bezw. die Aus dehnung derselben auf Unfälle würde juristisch und vernunftgemäß ebenso undenkbar sein, wie etwa eine Verpflichtung des Schiffers, für den Tod seiner Leute in Folge Seesturms oder derartiger Naturer eignisse aufzukommen. Gebieten es höhere sociale Rücksichten, daß der Arbeiter gegen die mit seiner Berufsausübung zusammenhängenden Gefahren in ihren wirthschaftlichen Folgen geschützt werde, so ist es ganz folgerichtig, dem gesammten Gewerbe diese Last aufzuerlegen und nicht minder folgerichtig, auch den Staat selbst zu Beiträgen heranzuziehen, da dte ganze Volkswirthschaft des Landes auf dieser moder nen Productionsweise sich aufbaut. Wird somit der obligatorischen Unfallversicherung im Sinne des Gesetzentwurfs unbedingt die Berech tigung nicht abzusprechen sein, so ist es doch nicht gleich gültig, in welcher Weise die Idee praktisch zur Ver wirklichung gebracht wird, und die Lasten der Un fallversicherung unter die Betheiligten: Arbeiter, Arbeitgeber und Staat vertheilt werden sollen. Hier müssen wir nun zwei Punkte hervorheben, hinsicht lich deren der Regierungsentwurf hinter dem Baare'- schen zurücksteht, darin bestehend, daß nach dem Re gierungsentwurf der Arbeitgeber wesentlich höher belastet erscheint, als nach dem Baare'schen, während gleichzeitig die Mehrzahl der Arbeiter von jeder Beitragspflicht befreit wird, und daß weiter in dem Negierungsentwurf das Schuldmoment für den Arbeiter gänzlich beseitigt ist, so daß die Versicher ung ohne Rücksicht auf weiteres Verschulden des Arbeiters bewirkt wird. Beide Punkte bieten der Kritik starke Blößen dar und wir glauben, daß eine Amendirung der diesbezüglichen Bestimmungen des Regierungsentwurfs nicht zu umgehen sein wird. Der Entwurf des Commercienrath Baare hatte eine Beitragspflicht des Arbeitgebers, der Arbeiter und der Communen oder sonstiger öffentlicher Gemein schaften in Aussicht genommen dergestalt, daß der Ar beitgeber dieHälfte, derArbeitereinViertelunddie Com mune das letzte Viertel dec Versicherungsprämie tragen sollten. Diese Vertheilung konnte als eine sehr passende und gerechte gelten, da sie das Interesse der einzelnen Parteien an der Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle ziemlich richtig zum Ausdruck bringt und auch die praktische Consequenz haben dürfte, Arbeitgeber wie Abeiter zur möglichsten Verhütung von Unfällen anzuspornen. Die Regierung scheint von anderen, jedoch nicht glücklicheren Erwägungen ausgegangen zu sein; denn indem sie den Arbeiter mit einem Jahres verdienst bis zu Mk. 750 von jeder Beitragspflicht befreit und ihn außerdem für eigenes Verschulden, soweit die Versicherungsleistung in Frage kommt, unverantwortlich läßt, nimmt sie demselben jeden Sporn, Unfälle nach Möglichkeit zu verhüten und belastet außerdem Vie Arbeitgeber in so viel höherem Maße, daß es in manchen Fällen fraglich sein dürfte, ob dieselben den Anforderungen des Gesetzes ohne ernst liche Beschwerden zu genügen im Stande sein werden. *Waldenburg, 1. Februar 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Gesetzentwurf gegen die Trunksucht hat folgenden H 1: Mit Geldstrafe bis zu 100 Mark oder mit Haft bis zu 2 Wochen wird bestraft, wer in einem nicht unverschuldeten Zustande ärgerniß erregender Trunkenheit an öffentlichen Orten be troffen wird. Ist der Beschuldigte in den letzten drei Jahren wegen dieser Uebertretung mehrmals rechtskräftig verurtheilt worden, oder ist derselbe dem Trünke gewohnheitsgemäß ergeben, so ist auf Haft zu erkennen. Die der Militärgerichtsbarkeit unterworfenen Militärpersonen sind mit Arrest bis zur gesetzlich zulässigen Dauer im Disciplinarwege zu bestrafen." Die „Dr. N." nennen das Gesetz „ein seltsames Wagstüä," da den Deutschen die Lust zum Trink.n so im Blute liege wie dem Juden das Schachern. Kein anderes Volk enthalte in seiner Literatur einen Ausspruch wie den: „Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann!" Für die Eröffnung des Reichstages ist, nach einer Aeußerung des Fürsten Bismarck, der 15. Februar in Aussicht genommen. Die Motive des Innungs-Gesetzes sprechen sich gegen Zwängsinnungen aus, weil dieselben dem Grundgedanken der jetzigen Gewerbegesetzgebung widersprechen. Auffällig wird bemerkt, daß in der letzten Sitzung despreußischen Abgeordnetenhauses der Finanzminister Bitter auf die Bemerkung Richter's, der Unterstaats sekretär Mayr arbeite im Auftrage des Reichskanzlers an der Vorlage des Tabaksmonopols, nichts erwiderte. Im Reichstage soll der Reichskanzler sofort darüber interpellirt werden. Im preußischen Abgeordnetenhause wurden am 31. Januar die Etatberathungen fortgesetzt. Der Verein deutscher Studenten in Berlin hielt in voriger Woche seine erste Versammlung ab. 8tuä. xM. Lohan wies darauf hin, daß der „Ver ein deutscher Studenten" auf seine Fahnen schreibt „Nationale Gesinnung" und daß sein Ideal sei „Vaterland und Nation." An den Reichskanzler war folgende Depesche gesandt worden: Ew. Durch laucht sendet der Verein deutscher Studenten an seinem Stiftungsfeste ehrfurchtsvollen Gruß. Sein Ziel ist nationale Gesinnung und Einigkeit unter den deutschen Studirenden zu fördern, sein erstes Gebot treue Hingabe an Kaiser und Reich." Bald darauf lief folgende Antwort ein: „Ich danke dem Verein deutscher Studenten für seinen freundlichen Gruß und für die Zusage seiner Mitarbeit an Förderung der nationalen Einigkeit in Treue für Kaiser und Vaterland, v. Bismarck." Herr Dr. Förster, der bekanntlich wegen der Pferdebahnwagen-Affaire mit dem jüdischen Schnaps fabrikanten Kantorowicz vom Provinzial - Schul collegium zu 90 Mark Geldstrafe verurtheilt worden ist, will sich mit einer Berufung an die zuständige höhere Instanz wenden; diese ist das Cultus- ministerium. Der Ausschuß der Studirenden der Berliner Universität hat sich an das preußische Ministerium des Innern mit dem Ersuchen gewandt, am Abend der Hochzeit des Prinzen Wilhelm einen Fackelzug veranstalten zu dürfen. Außerdem wird sich die Studentenschaft am Spalierbilden betheiligen und abends sich zu einem solennen Commers vereinigen, von dem jedoch der Seniorenconvent und der Ver ein deutscher Studirenden sich fern halten werden. Letztere bekundeten bekanntlich beim Festcommers zur Erinnerungsfeier der Wiederaufrichtung des deutschen Reichs unentwegt ihre nationale Gesinnung. Auf seiner jüngsten parlamentarischen Soiree soll sich der Reichskanzler sehr wenig schmeichelhaft über die deutschen Bierbrauer ausgesprochen haben. Nach einer Mittheilung der Magdeburgischen Zeitung bemerkte Fürst Bismarck nämlich u. A.: das baierische Bier bleibe doch weitaus das beste, das könne man in ganz Deutschland nicht so Herstellen. Am Wasser werde das aber schwerlich liegen, sondern wohl an der scharfen und wohlthätigen Staatscon- trole und den Steuerverhältniffen, wie sie in Baiern herrschten. Wie man aus Straßburg meldet, hätte Unler staatssekretär Dr. Mayr einigen Mitgliedern des eben versammelten Landesausschusses von Elsaß- Lothringen im Vertrauen versichert, das Tabaks monopol werde voraussichtlich schon im nächste^ Jahre in Deutschland eingeführt werden. Die Auswanderung nach Amerika wird in diesem Jahre allen Anzeichen nach noch erheblich steigen. Die Anmeldungen laufen so stark ein, daß die großen Dampfergesellschaften kaum im Stande sein werden, alle Europamüden zu befördern. Das Bedauerlichste ist, daß mit dem Auswandernden auch ein gut Stück Nationalwohlstand mit über's Wasser geht; denn die den Proviantmeistern der Dampfer zur Aufbewahrung während der Ueber- fahrt anvertrauten Summen betragen oft eine sehr beträchtliche Summe, bis 15 ja 20,000 Mk. Man berechnet auf Grund der im Castle Garden in New- Aork statifindenden Geldumwechselungen, daß jeder Einwanderer 500 Mk., mit ins Land bringt. Das