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Flugblätter in der Judensrage (zum Theil verfaßt von den Gegnern der Antisemiten, zum Theil von Letzteren selbst) auf offener Straße vertheilt worden. Dem Vernehmen nach hat die Polizei Veranlassung genommen, sich um die Sache zu bekümmern, da auf den Flugblättern beider Parteien der Name des Druckers nicht angegeben und damit eine Con- tvaventivn gegen die Bestimmungen des Preßgesetzes begangen worden ist. — Leipzig hat nach der neuesten Zählung mit seinen 22 Vorstadt- und Außendörfern 257,945 Einwohner. Am meisten Einwohner hat nach Leip zig das Dorf Reudnitz, nämlich 14,434, dann kommt Lindenau mit 12,217, Volkmarsdorf mit 11,045 und Gohlis mit 9878 Einwohnern. — Der bewußtlos aufgefundene Landbriefträger Kögel in Connewitz hat nunmehr über den anfäng lich so räthselhaft und vieldeutig erschienenen Vor fall Folgendes erzählt. Als er am 8. d. Abends auf dem Rückwege gewesen, habe sich zwischen Mark kleeberg un^ Dölitz ein Mann zu ihm gesellt, der ihm einen Schluck Branntwein angeboten habe. Der Branntwein habe eigenthümlich geschmeckt und der Mann habe noch gesagt, er solle nur mehr trinken, dann würoe er schon den richtigen Geschmack be kommen. Von da ab kann sich Kögel auf nichts mehr besinnen und weiß nicht, wie er in den so lang andauernden Zustand der Bewußtlosigkeit und in den Hof des Postamtes gekommen. Es fehlte ihm bekanntlich Geld — ca. 190 Mk. — dasselbe hat sich aber in seiner Wohnung vorgefunden; er hatte das Geld zu Hause gelassen. Kögel wird als ein solider junger Mann geschildert. — In Meerane ist am 17. d. Herr Stadtrath Beutler daselbst zum Bürgermeister gewählt worden. — Am 10. d. M., wahrscheinlich in Folge einer nachbarlichen Jagd, drang ganz unverhofft, den Weg durchs Fenster nehmend, ein junger Rehbock gewalt sam in das Wohnzimmer der Gutsbesitzerin Neck- Heim bei Borna ein und versetzte die im Zimmer anwesenden Frauen und Kinder in nicht geringen Schrecken, von welchem dieselben sich nur erst erho len konnten, als sie aus de» milden Augen des schönen Thieres nicht verbrecherische Absichten, son dern Hilfe flehende Bitten erkannten. Das Wun derbare an der Sache ist, daß das geängstigte Thier genau die Grenze einer kleinen Fensterscheibe inne gehalten und weder Fenstersteg noch die am Fenster stehende Lampe beschädigt hat. Durch die Güte des Jagdpachters ist das hübsche Thier den Kame raden im Hähnichener Garten zugesellt worden und verhält sich jetzt sehr ruhig. — In der Nähe von Mittweida am linken Ufer der Zschopau soll demnächst ein neues Bergwerk eröffnet werden — an einer Stelle auf Krumbacher Revier wo bereits früher verhältnißmäßig beträcht liche Mengen Silber gewonnen wurden. Seit 1831 sind die betreffenden Schächte infolge unzweckmäßiger Verwaltung außer Betrieb gesetzt worden Eine Anzahl Männer von Mittweida und auswärts ha ben sich vereinigt, um bei hinreichenden Mitteln zunächst die „Bald-Glück-Fundgrube" wieder auf zunehmen. — Zur Warnung und Beherzigung möge folgen der Vorgang dienen. Am 1. März vorigen Jahres wurde im Thurm ein Fortbildungsschüler, der sich gegen seinen Lehrer renitent erwiesen, von diesem mit 1 Stunde Carcer bestraft. Als der vom Schul- direclor mit der Abführung beauftragte Schuldiener an dem vom Stadtrathe bestimmten Carcer ankam, befand sich hier zufälliger Weise ein Bürger, der zugleich Stadtverordneter und Schulausschußmitglied ist" Dieser fühlte sich im Bewußtsein seiner Würde veranlaßt, dem Schuldiener die Strafverfügung des Schuldirectors aus der Hand zu nehmen, zu lesen und hierauf den Schüler ohne Weiteres nach Hause zu schicken. Die Mitschüler des Befreiten, mit wel chen dieser auf seinem Heimweg zusammentras, stimmten ob des über den Lehrer errungenen Sie ges auf der Straße ein lautes Jubelgeschrei an. Dem betreffenden Bürger, der, über seine Hand lungsweise zur Rede gesetzt, sich noch mit seinem Recht brüstete, sollte aber die Sache nicht so gut bekommen. Der Vorgang wurde dem königl. Mi nisterium des Cultus und öffentlichen Unterrichts angezeigt und von diesem der Staatsanwaltschast übergeben. Von dem Amtsgericht zu Ehrenfrieders dorf wurde nun jener Bürger, nachdem er schon als Schulvorstandsmitglied suspendirt worden, zu 7 Tagen Gefängniß und zur Tragung der ziemlich "^deutenden Kosten verurtheilt. Der Verurtheilte i"ßte hierbei nicht Beruhigung und wendete sich, auch in der zweiten Instanz das Urtheil be- Aigt wurde, an das Oberlandesgericht in Dresden, ^eses bestätigte am 15. Decbr. vorigen Jahres Neue das erste Erkenntniß unv legte ihm Mrdem die Tragung der bedeutend herangewachse nen Kosten des ganzen Verfahrens auf. Jetzt will sich der Betreffende an die Gnade des Königs wenden. — In den neuen Arbeiterhäusern der Oelsnitzer Bergbau-Gesellschaft wurde am 16. d. vormittags 9 Uhr der Bergarbeiter Stefan Biolatzky, 33 Jahre alt, aus Kattowitz in Oberschlesien seit 2 Monaten dort in Arbeit, todt aufgefunden. Er halte am 15. zum Lohntag 7 M. 90 Pf. Baarschast erhalten und davon hatte er nur noch 16 Pfennige bei sich. Das übrige Geld, also 7 M. 74 Nf. soll er, wie der dortige „Volksbole" berichiet, am Abend und die Nacht darauf in Schnaps vertrunken haben. — Der iandwirthschastliche Kreisversin für das Erzgebirge hat zwei Haushälterinnen in Schwarzen berg für treue 39- resp. 20jährige Dienstleistung in einer und derselben Familie goldene Kreuze mit pas sender Inschrift überreicht. — Aus Olbernhau schreibt man, daß sich die Holzspielwaaren-Fabrikation, die gegenwärtig im dortigen Spielwaaren-Judustrie-Bezirk etwa 16,000 Hände beschäftigt, langsam wieder hebt. Der Ver dienst der Arbeiter ist indessen immer noch ein sehr gerinaer. Der Wochenlohn differirt zwischen 6 und 10 Mk. — Die „Dorfzeitung" schreibt: Auch dem weni ger aufmerksamen Beobachter kann es nicht entgehen, daß sich der Wohlstand des Thüringer Waldes in rapidem Rückgänge befindet. Arbeitgeber und Arbeiter bewegen sich seit langem in unnatürlichen Verhältnisse»; ersterer muß zu dem traurigen Mit tel des Lohndrückens seine Zuflucht nehmen, um den Bestand seines Geschäftes zu ermöglichen, und die böse Rückwirkung äußert sich sichtlich in den Arbei- terkreisen durch sinkende Moralität, Verfallen in Wucherhände und schließlich Verarmung. Vermischtes. Gegen Kinderbettelei. Man schreibt der „Soc.- s Corr.": Ein von mir seit Jahren angewendetes ! Mittel gegen die Hausbettelei hat sich namentlich auch gegenüber Kindern als recht probat erwiesen. Kindern und auch Erwachsenen, welche bei mir um Almosen ansprachen, legte ich gewöhnlich die Frage vor: „ob sie Hunger hätten?"; dieselbe wurde regel mäßig mit „Ja" beantwortet. Hierauf ließ ich sie eintreten und veranlaßte sie, in meiner Gegenwart das ihnen gereichte Brod (meistens trocken) zu ver zehren. Sehr viele Male hatte ich die Genugthuung zu bemerke», wie enttäuscht sie sich zwangen, das Brod aufzuessen, und gewöhnlich schon nach kurzer Zeit erklärten, ganz satt zu sein, um nur wieder sortzukomme», da sie ihren Zweck, Geld zu erhalten, nicht erreichten. Möchten Alle es ebenso machen unv kein Geld geben, so würde sehr bald die Zahl dieser Bettler sich ganz erheblich vermindern; die gewissenlosen Eltern aber, welche durch erwerbsmäßige Kinderbeitelei ihrer Faulheit fröhnen, würden das Geschäft als nicht mehr rentabel aufgeben. Die Transvaalrepublik und sein deutscher Prä sident. In schlesischen Zeitungen wird einem Brief des Präsidenten der Boernrepublik in Transvaal, Martin Wes sel Prätorius Erwähnung gethan, aus dem ersichtlich ist, daß dis Familie des Präsidenten aus Naumburg am Bober stammt. Der Brief, welcher aus Pläwria stammt, gisbt interessante Aufschlüsse über die Verhältnisse im Transvaal lande. Dem Briefe sind die folgenden Thatsachsn entnom men: „Das Land ist fruchtbar und das Klima gesund. Die hochgejegeneren Striche eignen sich zur Vieh-, besonders Schafzucht; die tiefgelegeneren und durch hohe Bergzüge vor rauhen Winden geschützten Striche eignen sich zum Anbau aller Arten von Feldfrüchten, ferner zu Plantagen von Zuckerrohr, Kaffee und Baum volle, besonders für Tabak. D:e Fruchtbäume wachsen und tragen schnell; außer den Pfirsichen und den in Europa vorkommenden Obstsorten ge deihen alle Arten von Südfrüchten. Die Berge sind reich an Metallen, als Eisen, Kupfer, Blei, selbst Go>d und Sil ber sind vorhanden, aber noch fehlen die nöthigen Anstalten, Geräthschaften und besonders des Bergbaues kundige Män ner, um die in der Tiefe ruhenden Schätze an das Tages licht zu befördern. Mit der Zeit, so hoffe ich, wird jedoch diesem Mangel abgeholfen werden und besonderes Vergnü gen würde es mir gewähren, Deutsche hier zu sehen, dis im Bergfach erfahren sind. Ich bin dieserhalb bekanntlich schon vor Jahren mit Preußen in Verbindung getreten und habe ein Schreiben an König Wilhelm abgehen lassen. Auch habe ich dieserhalb in Berlin einen Consul als Repräsentanten unserer Republik piacirt wie früher in London Ein See hafen steht für uns in Aussicht und so hoffe ich daselbst auch die deutsche Flagge als eine uns befreundete sich ent falten zu sehen. Die wichtigsten Products des Landes, die als Handelsartikel sich zum Export eignen, sind Elfenbein, Straußfedern, Wolle, Felle, Tabak rc., später jedoch werden die Metalle das Ueberwiegende der Ausfuhr ausmachen. Für gute, unbescholtene Colonisten haben wir noch viel Platz, und mein Wunsch wäre, daß sich recht viele Deutsche hier ansiedelten. Die vielen hier ansässigen Deutschen kommen alle sehr gut fort. Am fühlbarsten und drückendste» ist der Mangel an guten Aerzten und an Lehrkräften für alle Zweige sowohl der elementaren als der höheren Wissenschaf ten. Musik fehlt ganz, und das Land wird erst leben und Geist bekommen, wenn beides, Wissenschaft und Kunst mehr vertreten sein werden. Hier könnte Deutschland uns Hilfe bringen!" Eine vortreffliche Einrichtung der englischen Post, die von dem Professor und jetzigen Generalpostmei ster Fawcett eingeführten Postsparcassen sind bereits in Ita lien und Belgien mit großem Erfolge eingeführt worden. Endlich scheint sich auch der deutsche Generalpostmeister vr. Stephan für diese Neuerung zu interessiren. Das Wesen der Postsparcassen besteht einfach darin, laß die Post kleine Sparbeträge annimmt, diese aber nicht nur bei der betref fenden Expedition fortgesetzt, beziehungsweise wiedererhoben werden können, sondern bei einer beliebig anderen. Die Hauptvortheile dabei für das Publikum sind: außerordent liche Vielfältigkeit der Gelegenheit zum Verkehre mit der Lasse, tägliche und lange Expeditionszeit und die Möglich keit, an jedem anderen Orte, zu welchem sein Geschäft oder ein sonstiger Umstand den Sparer führt, die Einlagen zu erheben. Die Einlagen werden ohne vorherige Kündigung zurückgezahlt und in England mit 3V- pCt. verzinst.' Man sieht in England darauf, daß die Sparbeträge nicht zu ab tretbaren Umlaufsmitteln verwendet werden. In England hält man sehr darauf, die Sparcassenbücher in den Händen des ersten Sparers zu erhalten: sie sind auf den Namen und nicht auf den Inhaber geschrieben. In Deutschland beabsichtigt man von 10 Pfennigen an bei den einznrichten- den Postsparcassen Beträge anzunehmen. Die Verwaltung der angesammelten Capitalien soll der Reichsbank (?) über tragen werden. Die neue Einrichtung wird, enenso wie sie es in England gethan, starke Concurrenz den Sparcassen machen, das Bankgeschäft aber gar nicht berühren. Allerlei. In der Provinz Pernambuco in Brasilien hat jüngst Joaquim Marreiro und Juanita, wohnhaft zu Cabaceiras, das 80jährige Ehejubiläum ge feiert. Er ist 103, sie 97 Jahre alt. Von den 23 dieser Ehe entsprossenen Kindern leben »och 14. Die Familie besteht gegenwärtig aus 233 Mitglie dern. 126 Enkel und 97 Urenkel wohnten der Feier bei. Um den Grad der Härle und der Dauer dieses Eheknotens zu bezeichnen, der bisher nur die Bezeichnung „silbern," „golden," „diamanten" und „eisern" unterscheidet, könnte man vielleicht „conden- sirls Gußstahl-Hochzeit" sagen. — Der Hauptgewinn der Kölner Dombau-Lotterle von 75,000 Mk. fiel auf die Nummer 298,217 und zwar in die Collecle von M. Fränkel in Berlin. Der glückliche Gewinner, der bisher, wie das „B. Fr.-Bl." mil theilt, mit den entsetzlichsten Nahrungssorgen zu kämpfen hatte, wohnt in Magdeburg. Bemerkens- werth ist noch, daß das Gewimiloos bereits von einem früheren Käufer gezogen war, diesem gefiel jedoch die Nummer nicht und er bat um Umtausch der selben. Heute wird ec wohl diesen Tausch ver wünschen. — In der Bingley-Hall zu B'rmingham, wo feit einiger Zeit ein Theil der Sanger'schen Menagerie ausgestellt ist, hat sich am 12. d. mor gens ein entsetzlicher Unglücksfall ereignet. Der Gehilfe des Thierbändigers halte kaum den Löwen käfig betreten, als einer der Löwen auf ihn stürzte, ihn zu Boden warf und in Stücke zerrissen hätte, wenn nicht der Löwenbändiger zwei Schüsse gegen das wüthende Thier abgegeben hätte. Der Unglück liche trug furchtbare Wunden am Arm und der Brust davon und mußte nach dem Hospital ge schafft werden, wo an seinem Aufkommen gezweifelt wird. — Ein Goldarbeiter in Palermo, der für seine goldenen Tabaksdosen Reklame machen wollte, warf eine solche, während die Königin Margaretha durch die Stadt fuhr, in den königliche» Wagen, hatte aber das Unglück, damit den Ministerpräsiden ten Cairoli an den Kopf zu treffen, der so ein „kleines Andenken an Palermo" erhielt. — Prin zessin Stephanie erhielt vom Kaiser und von der Kaiserin von Oesterreich kostbare Neujahrsgeschenke; große Freude hatte die Prinzessin besonders über das Geschenk des Kaisers: ein Diadem mit rosa- rothen Perlen von wunderbarer Pracht. Das Hochzeitsgeschcnk der belgischen Thronfolgerin, der Gräfin von Flandern, für Prinzessin Stephanie besteht in einem reich mit Brillanten besetzten, von Dell' Acqua gemalten Fächer. — Der Wirth Heinrich Ewers in Hörde, welcher am heftigsten an der Trichinose erkrankt war, ist am 11. d. unter den größten Schmerzen verstorben. Leider werden ihm wohl noch einige andere schwer Er krankte folgen. — Das Gefängniß zu Plötzensee schwingt sich zu einem der Lieblingsorte der Ber liner empor, denn es erfreut sich gegenwärtig einer außerordentlichen Frequenz. Nicht weniger als 1600 Gefangene, darunter 130 Knaben und jugend liche Verbrecher unter 18 Jahren, zählt man; dazu kommen noch 300 Gefangene in der Filiale Rummels burg. — In Spanien find Ueberschwemmungen eingelreten, infolge dessen mehrere Eisenbahnzüge in Madrid nicht eingetroffen sind. — Das zu früh zeitige Schließen der Ofenklappe hat in 2 Städten der Mark traurige Unfälle berbeigeführt. Im „Hotel zur Stadt Berlin" in Freienwalde a. O. erstickte aus der genannten Ursache ein Dienstmädchen, während ein anderes Mädchen, das mit ersterem das Zimmer getheilt, schwer krank darniederliegt. Aehnliches ereignete sich zu Prenzlau. Don wurde die aus 3 Personen bestehende Familie des Arbeiters Schröder durch Kohlendunst betäubt vorgefunden. Während es gelang, den Mann und die erwachsene Tochter ins Leben zurückzurufen, erwiesen sich die ärztlichen Bemühungen bei der Ehefrau als frucht