Volltext Seite (XML)
SchönlmM TagMatt und Colporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Waldenburger Anzeiger Annahme von Inseraten für d-e nächster- scheinende Nummer bis Mittags - y . des vorhergehenden Tages. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. "Waldenburg, 8. Juni 1880. Die Botschafterconferenz in Berlin- Am 16. Juni soll also in Berlin abermals em Congreß abgehalten werden. Diesmal handelt es sich lediglich um die griechische Grenzreguliruug, m welcher zwischen der Türkei und Griechenland keine Einigung zu erzielen war. Die Conferenz wird keine leichte Aufgabe haben, da neuerdings in der Stellung der Machte zu die sem Grenzstreite eine Wandlung eingetreten zu sein scheint. In der orientalischen Politik Frankreichs qiebt sich bereits seit einiger Zeit die Neigung kund, kur frühere,, westmächtlichen Allianz zurückzukehren und die Politik Englands zu unterstützen Diese Umwandlung dürfte namentlich dem Einflüsse des Königs von Griechenland zuzuschreiben sein, der sich bei seiner jüngsten Anwesenheit in Paris als über aus gewandter Diplomat erwiesen. Diese Schwenkung Frankreichs wird auf die Conferenz in erster Linie eine neue Constellation der Mächte zur Folge haben. Es ist nicht zu verkennen, daß dw Spitze der neuen anglo-französischen Politik sich gegen Oesterreich-Ungarn richtet, und zwar ist die Ursache hierzu weniger in der griechischen Frage als vielmehr in der oesammten Wandlung der eng lischen Orientalpolitik zu suchen. König Georg von Griechenland hat vor seiner Abreise von Paris nach London einem Correspon- spondenten des Grovy'schen „Paix" erklärt, er zweifle nicht an den guten Dispositionen Gladstone's, auf dessen Sympathien Griechenland rechnen könne. Es gebe allerdings noch einen delicaten Punkt: das sei die Stadt Janina, eine wichtige Position, welche die Türken behalten möchten; aber mit dem Beistände der Schutzmächte und namentlich Frankreichs hoffe er, Griechenlands Sache zu gewinnen. Zudem sei die Bevölkerung der Stadt griechisch und hänge dem griechischen Glauben an. Man habe zwar gesagt, Janina wäre eine albanesische Stadt; das sei aber eine Jrrthum. Auf der ganzen Küste spreche die ungebildete Bevölkerung albanesisch; selbst in der Nähe von Athen sprechen viele Bauern albanesisch. Aber das Albanesische ist keine Schriftsprache, und übrigens bekennen sich die Albanesen zum griechischen Glauben und schicken selbst ihre Kinder in die hel lenischen Gemeindeschulen, wo Griechisch gelehrt wird. Der König schloß: „Kurz, ich habe das gute Recht für mich und wiederhole, daß mir mit dem Beistände der Schutzmächte und namentlich Frankreichs der Erfolg nicht ausbleiben kann. Auf alle Fälle bitte ich Sie,an meine herzlichsten Sympathienzuglauben." Auf der Berliner Conferenz dürfte übrigens der Gedanke vorwiegen, durch keinerlei gewaltsame Maßregel in das Schicksal der Balkanhalbinsel ein zugreifen. Man läßt den Zersetzungsprozeß vor sich gehen, ein Glied nach dem andern stückweise abfallen. So vermeidet man Katastrophen und er reicht doch das unvermeidliche Ziel. Wäre es am Anfang des vorigen Jahrhunderts möglich gewesen, Neapel, Sicilien, Sardinien, Mailand und Belgien friedlich von der spanischen Krone zu trennen und als selbstständige Staatswesen zu constituiien oder unter die Großmächte zu vertheilen, so hätte es kemen spanischen Erbfolgekrieg gegeben, Europa wäre nicht durch ein halbes Menschenalter von der Straße von Gibraltar bis in die tiroler Berge, von den Ufern der Schelde bis zum Cap Passaro' ein großes Kriegstheater gewesen, damit der Streit aus getragen werde, ob ein Habsburger in Madrid herrschen solle, oder ein Sprößling von Bourbon. ^8 Streites um die türkische Herrschaft i u die Welt nicht zu einem großen Kriegsschauplatz gemacht werden und darum werden radicale Vor schläge in Berlin auch wenig willige Ohren finden. "Waldenburg, 8. Juni 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die Commissionsberathunzen über das „neue Maigesetz" werden mit regem Eifer betrieben. Wir haben bisher darauf verzichtet, die einzelnen Abänderungsanträge, wie sie hauptsächlich von den Klerikalen und Conservativen gestellt werden, in ihrem Wortlaute wiederzugeben, weil sie in der vor liegenden Form kaum verständlich sind. Die Be- rathungen nehmen keinen ungünstigeren Verlauf, als den vorhergesehenen. Zunächst stellt sich heraus, daß das Centrum weit entfernt ist, sich lediglich negativ zu verhalten. „Um Schlimmeres zu verhüten", er klärte sich Windthorst für einzelne Bestimmungen; er führt also denselben Grund an, den er gelegent lich der früheren Compromisse zwischen Regierung und Nationalliberalen so heftig tadelte. „Um Schlimmeres zu verhüten", nimmt er mit seinen Freunden wohl noch Weiteres an, und so mag schließ lich ein Gesetz bleiben, das die Curie, „um Schlim meres zu verhüten", anzunehmen empfiehlt, und somit wegen der bereits in Aussicht genommenen großen Exommunication, Gnade für Recht ergehen läßt. Die einzig mögliche Combination, um ein Gesetz wie das vorliegende zu Stande zu bringen, ist und bleibt eine klerikal-conservative. Die Liberalen sind durch den Gang der Ereignisse bereits vollkommen in die reine Negative gedrängt, die von Anfang an als das einzig mögliche bezeichnet werden mußte. Beim Beginn der Sitzung der Kirchengesetz commission am 7. d. erklärte der Cultusminister der „Germania" zufolge, seine Erklärungen in der Commission seien, abgesehen diejenigen über Artikel 4, nicht absolut zu fassen; da die Stellung der Commission, noch weniger diejenige des Plenums sich absehen lasse, müsse er vor der zweiten Lesung sich bescheiden, die Commissionsbeschlüsse vorläufig ack rstoronäuin zu nehmen. Im Verlaufe der Sitzung erklärte ferner der Cultusminister auf eine Anfrage Windthorst's, daß die Nina'sche Depesche vom 23. März, wodurch die Curie die in dem päpstlichen Brief an den früheren Erzbischof von Köln gemachten Concessionen interpretict habe, früher ergangen sei, als die Curie den Staats ministerialbeschluß vom 17. März kannte. Schließ lich wurden alle Amendements zu Artikel 9 mit großer Majorität abgelehnt, ebenso die Regierungs vorlage gegen 5 Stimmen (Conservative). In politischen Kreisen wird eine große Bedeutung einem Artikel der Kölnischen Zeitung, betitelt „Fürst Bismarck's Urtheil über die Lage," beigelegt, welcher ein Gespräch des Reichskanzlers mit einem hochgestellten Diplomaten über die kirchenpolitische Vorlage wiedergiebt, worin der Reichskanzler sich entschieden dagegen ausspricht, daß er gegen das Zustandekommen des kirchenpolitischen Gesetzes gleich gültig sei und ausführt, daß er die Vertretung der Vorlage im Landtage aus Gesundheitsrücksichten nicht übernehmen könne und auch sich nicht der Ge fahr aussetzen wolle, daß er mit Aufwendung seiner letzten Kräfte öffentlich in den Wind rede. Er werde sich in Zukunft auf die Arbeiten beschränken, welche die auswärtigen Beziehungen des Reiches mit sich brächten. Im Bureau des Reichstages ist jetzt auch das Sprechregister der letzten Session fertig gestellt. Aus demselben ergiebt sich, daß am häufigsten das Wort nahmen: Richter (Hagen) 118-, Windthorst 81-, Lasker 57-, v. Kardorff 39mal. Die Abgeord neten Frhr. v. Maltzahn-Gültz und Rickert finden sich noch an 68 bez. 62 Stellen in Folge über nommener Berichterstattung. Von Bundesraths- Mitgliedern hat Staatssekretär Hofmann am häufig sten (21 Mal) gesprochen. Fürst Bismarck nahm, gleichwie der Abgeordnete Graf Moltke, nur einmal das Wort. Oesterreich. Dem böhmischen Landtage wird ein Gesetzvor schlag, betreffend die Aenderung der Landtags wahlordnung, zugehen. Derselbe soll den Zweck haben, den Czechen die Majorität im Landtage, in welchem bis jetzt die deutschen Abgeordneten die Mehrheit haben, zu überliefern. Der gegenwärtige Landtag wird freilich ein solches Gesetz nicht an nehmen. Niederlande. DasOverbeck'sche Colonisationsproject hat in Holland große Bestürzung hervorgerufen. Nur das Handelsblatt von Amsterdam hat in einem längeren Artikel ganz vorurtheilslos und sachgemäß das that- sächliche Verhältniß dargelegt. Es geht daraus her vor, daß die Niederlande weder ein historisches noch ein Gewohnheitsrecht auf den Alleinbesitz von ganz Borneo nachweisen können, daß die meisten Sultane dort vollständig unabhängig und souverän sind und deshals auch das Recht haben, mit beliebigen Staa ten Handels- und Niederlassungsverträge zu schließen, ja sich sogar zu Gunsten derselben ihrer Souveräni tätsrechte zu entäußern, wie dies auch wirklich ein Sultan gethan hat, der die spanische Oberhoheit freiwillig anerkennt. Der Abg. de Casembroot meinte zwar, die Regierung in Batavia hätte ein Kriegsschiff nach Borneo schicken, den Baron v. Overbeck umAufklärungen fragen und im Weigerungs fälle mit Kugeln weiter verhandeln sollen, allein man fand solche säbelrasselnde Drohungen einfach lächerlich. Rußland. In Petersburg wurde die Leiche der Kaiserin im feierlichen Zuge vom Sterbezimmer in die im Palais gelegene Kirche getragen. Der Sarg wurde von Mitgliedern der kaiserlichen Familie getragen und zwar am Kopfende vom Kaiser und den Groß fürsten Thronfolger, rechts von dem Großfürsten Wladimir Konstantin und dem Prinzen Peter von Oldenburg, links von den Großfürsten Alexei, Sergei und Paul. Unmittelbar hinter dem Sarge folgten die Gemahlin des Großfürsten Thronfolgers und die übrigen Großfürstinnen. Nachdem der Sarg auf dem mit Purpursammt bedeckten, reich mit Gold verzierten Katafalk aufgestellt worden war, hielt der Metropolit die kirchliche Leichenfeier. Nach Beendigung der Lithurgie fand die ergreifende Ceremonie des Abschiednehmens von der Ent schlafenen statt. Alle, wie sie nach der Reihe an den Sarg traten, waren sehr erregt; der Kaiser war tiefernst und bleich, der Thronfolger hielt mit Mühe die Thränen zurück. Hierauf zog sich die kaiserliche Familie in feierlichem Zuge zurück. Die Anwesenden wurden nun zum Handkusse bei der Verewigten zugelassen. Bei der Ueberführung der Leiche der Kaiserin in die Peter Paul-Kathedrale waren 5000 Theilnehmer und eine große Menschen masse zugegen. Der Kaiser folgte zu Pferde un mittelbar hinter dem Leichenwagen; ihm schlossen sich die Mitglieder des kaiserl. Hauses, fremde Fürsten und die Staatswürdenträger an. Der Kronprinz des deutschen Reichs ist am 6. d. abends 6 Uhr in Petersburg eingetroffen. Derselbe wurde am Bahnhof von sämmtlichen Groß fürsten und in Zarskoe-Selo vom Kaiser empfangen.