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chöichliM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 24. Februar 18«». Bekanntmachung, die Ersatzwahl für den Reichstag betr. Von dem Königlichen Ministerium des Innern ist durch Verordnung vom 21. vorigen Monats für die im XVII- Reichstagswahlkreise des Königreichs Sachsen in Folge der von dem zeitherigen Reichstagsabgeordneten dieses Wahl kreises erklärten Niederlegung seines Mandats vorzunehmenden Ersatzwahl Dienstag, der 2. März 188«, als Wahltag festgesetzt worden. Für die Stadt Waldenburg, welche einschließlich der dazu gehörigen exem ten Grundstücke einen einzigen Wahlbezirk bildet, ist der Stadtrath August Limmer als Wahlvorsteher, und der Stadtrath Bernhard Opitz zu dessen Stellvertreter ernannt, ferner zum Wahllocal der hiesige Rathhaussaal bestimmt worden. Dies wird den hiesigen Wahlberechtigten mit dem Hinzufügen bekannt ge macht, daß die Wahlhandlung am obgedachten Tage um 10 Uhr Vormittags beginnt und um 6 Uhr Nachmittags geschlossen wird, sowie daß zur Theilnahme an der Wahl nur diejenigen zugelassen sind, welche in der Wählerliste Auf nahme gefunden haben. Waldenburg, am 14. Februar 1880. Der Stadtrath. Cunrady, B. "Waldenburg, 23. Februar 1880. Die russischen Zustände. Bei den neuerlichen revolutionären Vorgängen im östlichsten Reiche Europas lenkt sich die politische Wißbegierde des Zeituugslesers immer wieder auf diese hin, stellt sie Vermuthungen über die Ursachen solcher Ausbrüche auf, berechnet nach wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Umständen, was darauf noch folgen werde und versucht sich in guten und schlech ten Nathschläg^n, wie dieser revolutionären Strömung wirksam entgegengearbeitet werden könne. Man wird der Meinung beipflichlen müssen, daß strengere Polizeimaßregeln gar nicyt mehr angewandt werden können und daß diese selbst das Uebel nicht an der Wurzel zu fassen vermögen, sie haben sich bisher als wirkungslos erwiesen. Das russische Reich ist bis zu Alexander II. Zei ten in bedenklicher Weise regiert worden, alle Kräfte und Leidenschaften, welche unter einer scheinbaren Decke der Ruhe fort und fort gährten, wurden nie dergehalten. Nun ist es eine stets wiederkehrende Erscheinung in der Geschichte, daß es die relativ besten Fürsten zu sein pflegen, unter deren Herr schaft die großen Revolutionen zum Ausbruch kom men, und vollkommen Recht hat der klassische Ge schichtsschreiber der französischen Revolution, wenn er behauptet, der gefährlichste Zeitpunkt für ein schlecht regiertes Land ist jedesmal der, wo ein wohl meinender Fürst mit Reformen in größerem Maß stabe beginne. Kaiser Alexander suchte Institutionen ins Leben zu rufen, welche nur unter der Voraussetzung heil sam wirken können, daß die Träger derselben vor her mit dem rechten Geiste und der rechten Bildung erfüllt werden sind. So wurde dem russischen Volke die Freiheit der Rechtsprechung in den Geschworenen gerichten gegeben, welche bei dem großen Mangel an Rechtsgefühl zu den absonderlichsten Rechtssprüchen führte. So wurde die Aufhebung der Leibeigen schaft ausgesprochen, welche die bevorrechtete Klasse zu den erbittertsten Feinden der Regierung machte. Nebenbei wurde der eigentliche Krebsschaden Ruß lands unberührt gelassen, welcher das ganze Volk gegen die Regierung aufbringen mußte. Wir mei nen die tiefe, scheinbar unheilbare Corrup- tion des russischen Beamtenthums. Hier war zunächst der Hebel anzusetzen, um nach Reinigung dieses Augiasstalls zu weiteren Reformen zu schreiten. Durch Verleihung einer Verfassung nach moder nem Muster sind die inneren Uebelstände nicht zu heilen, und wir fürchten sehr, daß die jetzige Re gierung überhaupt keinen Weg mehr finden wird, aus ihrer jetzigen verzweifelten Lage herauszukommen. Rußland treibt seinem unabänderlichen Schicksale, dem der Revolution von vielleicht fürchterlicher Aus dehnung, entgegen. Ob diese Thatsache nicht auch ein Grund, und zwar einer der gewichtigsten Gründe, der deutschen Militärvorlage ist? "Waldenburg, 23. Februar 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Bundesrath hat den Gesetzentwurf wegen Verlängerung des Socialistengesetzes auf 5 Jahre und den Gesetzentwurf über Erhebung der Brau steuer angenommen. Gelegentlich eines Vortrages des Berliner Polizei präsidenten Madai sprach Kaiser Wilhelm seine Verwunderung darüber aus, daß die von Madai bereits im December vorigen Jahres nach Peters burg gerichteten Andeutungen und Warnungen über beabsichtigte nihilistische Attentate unbeachtet geblie ben seien. Der Reichskanzler hat mit Energie den Plan der Einführung des Tabakmonopols wieder aufge nommen. Man hält es nicht für ausgeschlossen, daß schon in dieser Session der Reichskanzler mit dem Tabakmonopol vor den Bundesrath und Reichstag tre ten werde. FürstBismarck wiederholt es alltäglich, daß den Finanzen des Reichs nur auf diesem Wege auf geholfen werden könne. In dieser Session ist es Herr v. Bennigsen, und nicht Herr Windthorst, der öfter zu Gaste im Palais in der Wilhelmstraße erscheint. So ist zu registriren, daß Herr v. Bennigsen in den letzten Tagen abermals mehrfache Conferenzen mit dem Reichskanzler gehabt und dort im intimsten Kreise dinirt hat. Herr v. Bennigsen, der im Sommer vorigen Jahres von der politischen und parlamen tarischen Arena zurücktreten wollte, ist jetzt der be lebende Geist, der immer thätige Unterhändler im Parlamente. Seiner Thätigkeit ist im Abgeordneten hause die rasche Abwickelung der Berathungen über das Verwaltungs-Organisationsgesetz zuzuschreiben, wofür ihm der Dank des Ministers des Innern zu Theil wurde, und im Reichstage wird es ihm vor nehmlich obliegen, das Militärgesetz zu Stande zu bringen. Daß der Reichstag die Militärgesetzvorlage annimmt, ist wahrscheinlich. Es werden Abänderungs anträge zum Militärgesetz von einem Theile der Nationalliberalen gestellt werden, insbesondere auf eine kürzere Fixirung der Präsenzstärke oes Heeres u. s. w. Jedoch nicht nur der Reichskanzler, sondern auch der Feldmarschall Graf Moltke bestehen auf der unveränderten Annahme des Militärgesetzes. Gras Moltke soll erklärt haben, daß das vorgelegte Militärgesetz die Mindestforderungen der Armeeleitung enthält, und hiermit stimmt zusammen ein soeben von Herrn v. Treitschke in den „Preußischen Jahr büchern" veröffentlichter Artikel über die politische Lage, in welchem mitgethe'lt wird, daß die Militär verwaltung viel weiter gehende Forderungen, als die im vorliegenden Militärgesetz enthaltenen gestellt, der Reichskanzler aber dieselben auf dasjenige Maß zurückgeführt habe, welches in der Militärgesetz- Novelle zum Ausdruck kommt. Hierfür ist dem Reichskanzler eine Majorität im Reichstage gesichert. In Altona haben Haussuchungen bei Socia- listen stattgesunden und die Verhaftung von Letz teren zur Folge gehabt. Unter den Verhafteten be findet sich auch der frühere Reichstagsabgeordnete Otto Reimer. Es soll sich um Verbreitung verbo tener socialdemokratischer Druckschriften handeln. England. Die Noth in Irland nimmt stets zu. Während die Leute dort vor Hunger sterben, kommen im Par lamente die Vorschläge der Regierung, öffentliche Bauten rc. vorzunehmen nicht vorwärts, weil die irischen Mitglieder alle sich in langen Reden ergehen, und jeder vorgeschlagenen Maßregel, Dutzende von Amendements anhangen. Zu gleicher Zeit mehren sich die Angriffe auf Leib und Gut dort in Besorg niß erregender Anzahl. In der That Mord und Todschlag sind an der Tageordnung. Rußland. In dem zu Paris erscheinenden „Voltaire" ent wirft „ein Russe" ein trostloses Bild von den Schrecken, die den Czar verfolgen und von den Vorsichten, die zur Sicherung seiner Person aufgeboten werden müssen. Einige Zeit hindurch hat der Czar aller Neuffen ein förmliches Panzerkleid getragen, wohl sehr zart und schmiegsam, aber die Last war doch zu groß, als daß der Kaiser sie auf die Dauer hätte ertragen können. Seine Uniformen sind speciell präparirt, und man sagt, daß sie eine eigenartige Waschung durchmachen, die sie kugelfest gestaltet. Es märe interessant zu erfahren, welcher Art diese wunverwirkende Waschung ist. (?) Die Wagen und Schlitten, die der Monarch benützt, sind mit Eisen ausgepanzert, das Geheimniß in Be treff seiner Person wird so sehr gewahrt, daß selbst die vertrauenswürdigsten Polizeimänner eine halbe Stunde, bevor der Czar das Palais verläßt, noch nicht wissen, in welche Richtung er sich begeben wird. Der Koch wird bei seiner Arbeit von zwei Beamten überwacht; vor der Küchenthür stehen 2 Soldaten als Schildwache. Das Fleisch wird vorgekostet. Selbst in Cigarren, die der Czar leidenschaftlich gern raucht, muß er sich Beschränkungen auferlegen. So lebt der größte Autokrat der Welt, der wohl dann und wann den Geringsten seiner Unterthanen um sein Schicksal beneiden muß und zu beneiden alle Ur- i fache hat. i Die Panik in Petersburg soll so groß sein, daß verschiedene begüterte Familien die Stadt ver laffen und sich ins Ausland begeben wollten. In Folge dessen soll General Drentelen, Chef der Gen darmerie, die Ertheilung von Reisepässen nach dem Auslande vorläufig sistirt und sämmtliche Grenz ämter avisirt haben, diejenigen Personen, welche russische Pässe besitzen und über die Grenze ins Ausland reisen, einer gründlichen Visitation zu unter ziehen. In allen Kasernen sind Truppenabtheilungen consignirt und auf dem Platze vor dem Winterpa lais und auf dem Newski-Prospekt sind je 12 Ge schütze aufgefahren. Die Gemahlin eines hochstehen den Beamten des Winterpalastes sollte verhaftet und