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ZchönbuM TmMM und Waldenburger Anzeiger — Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 9. Juni 1881 13« Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für d,e nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 llhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt viertel'ühr- Uch 1 Mk. 5V Pf. Alle Pvstanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. *Waldenburg, 8. Juni 1881. Zum Hamburger Zollanschluß. Die Hamburger Zollanschlußfrage hat in der Ham burger Bevölkerung begreiflicherweise eine große Er regung hervorgerufen und das ist ja auch kein Wunder, da alle die vom Auslande zu beziehenden Waaren, die Hamburg jetzt ohne Zoll in Verbrauch nimmt, später den Zoll ebenso tragen müssen wie im ge,ammten Reichsgebiet. Die erregten Gemüther scheinen sich jedoch nach und nach zu beruhigen, seitdem durch eine sorgfältige Vorbereitung der Vorlage von Seiten des Hamburger Senats den Mitgliedern der Bürgerschaft die Möglichkeit ge währt wird, die Frage reiflich und nach allen Richtungen hin zu prüfen. Die „Hamb. N." sprechen sich über die gegenwärtige Stimmung in der Bevöl kerung Hamburgs folgendermaßen aus: „Soviel läßt sich wahrnehmen, daß das Ueberge- wicht der — nicht unberechtigt — hervorgetretenen Gereiztheit allmählig einer kühleren, sachlichen Be- urtheilung Platz macht; und dies ist mit Genug- thuung zu begrüßen. In den öffentlichen Versamm lungen, welche zur Besprechung der Angelegenheit unter Leitung der Führer der Fortschrittspartei ge halten wurden, fand bisher die Meinung gegen den Anschluß bei weitem größere Unterstützung, wo bei der Unwille, daß Hamburg in der Be stimmung über seinen Freihafen ungebührlich vom Reich beeinflußt werde, sich vorzüglich geltend machte. Dagegen scheint in den kaufmännischen Kreisen die Neigung, die vom Reich dargebotene Verständigung anzunehmen, Raum zu gewinnen. Man hörte hier und da mit einem gewissen Nachdruck die Ansicht aussprechen, daß das Gesammtergebniß der Ver handlungen als ein günstiges und annehmbares zu bezeichnen sei. ... Diese Ergebnisse würden werth- voller werde» durch den voraussichtlichen Aufschwung des jetzt darniederliegenden Grundeigenthums in der Anlage von Fabriken und in dem vom Zoll unge hinderten Verkehr der Stadt mit den sie umgeben den Provinzen, durch die Versorgung von Mecklen burg, Holstein und dem benachbarten Hannover, welche unsere Detaillisten wieder erobern würden, nachdem die Zollschranken sie habe verloren gehen lassen. Der freie Transit der Schifffahrt durch die Unterelbe werde durch die Annahme des Vertrages nicht gefährdeter als bisher. Denn der Zollanschluß der Unterelbe sei eine vom Bundesrath beschlossene Sache, und man habe in dieser Hinsicht mit einem t'aU aoeompli zu rechnen. Im Gegentheil werde uns dafür der Friede mit dem Reich nützlich sein." Der irrigen Auffassung, als ob die Hamburger Bürgerschaft durch die Verwerfung des Zollanschluß vertrages der Gefahr einer eventuellen Beeinträch tigung des freien Schiffs- und Handelsverkehrs auf der Unterelbe begegnen könne, tritt auch der „Hamb. Corresp." entgegen. Die Frage ob der Bundesrath auf eigene Hand die,^M gnng der Zollgrenzen von Bergedorf (obe-^ ach Cuxhafen (unterhalb Hamburgs) beschließet könne, sei bereits entschieden. Den Antrag der Fortschrittspartei, diese Frage zu verneinen, habe die Majorität des Reichstags nicht acceptirt, dagegen habe der Bundesrath schon vor Jahresfrist seine ausschließliche Competenz nach drücklich betont, indem er über den Anschluß der Unlerelbe an das Zollgebiet einseitig Beschluß faßte. Den Interessen Hamburgs sei dabei durch die Bestimmung Rechnung getragen worden, daß die in den Freihafen transitirenden Schiffe, so bald sie Zollflagge und Zollleuchte anlegen,' frei passiven dürfen. Dieses Zugeständniß sei aller dings, wie jeder Bundesrathsbeschluß, widerruflich und die Unwiderruflichkeit zu erzwingen sei Hamburg nun einmal nicht in der Lage; es müsse zufrieden sein, daß ihm bei Gelegenheit der jüngsten Ver handlungen die vertrauliche Zusicherung ertheilt worden, die einmal bewilligte Erleichterung nicht wieder rückgängig machen zu wollen. *Waldenburg, 8. Juni 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Präsident des Reichstags, v. Goßler, wird mit dem Kultusminister v. Puttkam er nach der „Nat.-Ztg." ins preußische Ministerium des Innern übertreten. Die Polen haben in Posen eine Versammlung von 800 Personen abgehallen. Es wurde beschlos sen, eine Adresse und eine Deputation an den Papst in Rom zu schicken und die preußische Regierung zu ersuchen, dem Kulturkampf fortan Schranken zu setzen. Die allgemeine deutsche Lehrsrversamm- lung zu Karlsruhe wurde am 7. d. unter sehr zahlreicher Betheiligung des Publikums in der Fest halle mit dem Gesang« des Liedes „Großer Gott, wir loben Dich" eröffnet. Es waren gegen 2000 Lehrer und Lehrerinnen aus allen Theilen Deutsch lands, Oesterreichs und der Schweiz erschienen. Im Auftrage der französischen Regierung ist Schulin- spector Joste aus Paris eingetroffen. In das Prä sidium wurden Schulrath Hoffmann (Hamburg), Director Heinrich (Prag) und Rector Specht (Karls ruhe) gewählt. Die Versammlung wurde von dem Bürgermeister Schnetzler (Karlsruhe) und im Auf trage der badischen Schulbehörden vom Oberschul- inspector Armbruster begrüßt. Gegen 10 Uhr 30 Min. Vormittags erschien Se. k. Hoheit der Groß herzog von Baden und wurde mit einem stürmischen Hoch empfangen. Oesterreich. Die Frage, wie man „hoffähig" wird, beschäf tigt seit langer Zeit die Wiener Rothschild's in ernstester Weise. Obgleich sie sich bereits alle er denkliche Mühe gaben, um das ersehnte Ziel zu er reichen, wollte dies ihnen bisher in Oesterreich selbst nicht gelingen. Sie wollen es nun auf einem „kleinen" Umwege, nämlich über Spanien, ver suchen. Die Mutter der Königin Christine, die Erzherzogin Elisabeth von Oesterreich, begiebt sich demnächst zu längerem Aufenthalte zu ihrer Tochter nach Madrid, und eben dorthin werden sich die her vorragendsten Mitglieder des Wiener Hauses Roth schild begeben, um zu versuchen, von der Erzherzogin Elisabeth empfangen zu werden. „Eingeweihte" ver sichern, dies werde den Rothschild's gelingen. Nun ist es eine alte Regel, daß Derjenige, der, wo immer, von einem Mitglieds des Kaiserhauses em pfangen wird, auch im Hause des Kaisers, bei Hofe, Zutritt erhält — und so wollen die Rothschild's durch einen Empfang bei einer Erzherzogin in Madrid — in Wien hoffähig werden. Eine curiose Neuerung steht dem österreichischen Kronlande Croatien bevor. Die Fraueneman- cipation hat in Croatien einen großen Schritt vor wärts gemacht. Bei den bevorstehenden allgemeinen Gemeinderathswahlen werden die Frauen auf Grund des neuen Wahlgesetzes zum ersten Male als Wäh ler erscheinen. Nach der letzthin veröffentlichten Wahlliste der Landeshauptstadt Agram befinden sich unter 3200 Wählern 805 weibliche Stimmberechtigte. Frankreich. Neueren Nachrichten aus Oran zufolge wurden zwischen Frendah und Geryville nicht 26, sondern 8 von den Insurgenten getödtet. Rußland. Zar Alexander III. hat dem Grafen Loris- Melikoff die höchste Gage, die man als Mit glied des Reichsrathes beziehen kann, bestimmt, nämlich 26,000 Rubel, während gewöhnlich die Reichsraths-Mitglieder blos 12,000 Rubel an Gage erhalten. Diese Entscheidung soll der Kaiser in Folge der Intervention des Grafen Waronzoff- Daschkoff getroffen haben, welcher darauf hinwies, daß Graf Loris-Melikoff nach seinem Rücktritt fast mittellos dastehe. DasKriegsgerichtzuKiew verurtheilte die Haupt anstifter der letzten Judenhetze, und zwar einen zu 20, einen zu 15, einen zu 6 Jahren Zwangs arbeit, 2 zur Verbannung nach Sibirien, 3 erhiel ten Gefängniß mit Milderungsgründen. Das Ur theil wurde dem Generalgouverneur Drentelen zu gestellt. Im Chersonschen Gouvernement hat die Juden verfolgung eine andere Form angenommen. Viele Bauerngemeinden im Kreise von Elisabethgrad ver anstalten Versammlungen, um wegen Ausweisung der Juden aus ihrem Gebiete zu petitioniren. Das selbe wiederholt sich auch im Odeffa'schen Kreise. Es muß bemerkt werden, sagen die „Nuffk. Wed.", daß derartige Petitionen auch schcn früher eingereicht find; ihrer waren es aber nicht viele und haben keinen Erfolg gehabt. Die Juden dürfen sich in St. Petersburg eine Synagoge bauen. Der Kaiser bewilligte nämlich den Bau, nachdem sowohl Zar Nikolaus wie Alexan der II. diese Bitte wiederholt abgeschlagen hatten. Bisher mußten sich die Juden mit einem Mieth- Hause begnügen. Die Judenhetzen beschäftigten jüngst auch die Kreisversammlung der Semstwo von Elisabethgrad; als Ursache wurde Folgendes erkannt: „Der Haß gegen die Juden ist kein religiöser. In solch' grober und schamloser Form geäußert, stellt er einen Pro test vor gegen die jüdische Unterjochung, von welcher das Volk sich bis jetzt auf keine gesetzliche Weise befreien konnte. Die wirkliche Ursache dieses Haffes ist die Ausbeutung der Ruffen durch die Juden, welche von Letzteren im größten Maßstabe betrieben wird, und zwar auf gesetzlich-m und unreinen Wegen, indem sie sich das Vertrauen, die Einfalt und die Schwäche des russischen Landvolkes zunutze machen. Die Zahl der Juden ist bei uns auch zu groß; namentlich derjenigen, welche keine bestimmte Be schäftigung haben. Die Zahl der Juden ist sogar groß in den Magistraten, so daß keine Maßregel durchgehen kann, welche gegen sie gerichtet ist. Bei der Zerrüttung der Finanzen der Ruffen und der Kapitals kraft der Juden, welch' Letztere alle wie Ein Mann ihrem Ziele zusteuern, müssen sie sicher auch letzteres erreichen. Indem sie ihre Kapitalskraft benützten, haben sie den ganzen Handel an sich gerissen und machen nun, was sie wollen. Bei der geringen Entwickelung des Geistes und der Armuth der rus sischen Bauern im Vergleich zu der der Juden, welche schlau das Gesetz zu umgehen wissen, muß der Russe beim Prozessiren jede, auch die gerechteste Sache verlieren. Die Juden haben in letzter Zeit zu viel Rechte erlangt; ihren Traditionen nach aber können sie diese Rechte nicht ehrlich ausnützen, son dern benützen dieselben unehrlich. Wenn sie also noch mehr Rechte erlangen werden, wird es den Russen noch viel schlechter als jetzt gehen." Der Zar ist plötzlich von Gatschina abgereist, und zwar unter Umständen, die einer förmlichen Flucht ähnlich sehen. Als Ursache dieser abenteuer lichen Abreise wird das Dasein eines neuen Ter- roristen-Comitecs angegeben, dessen unheimliche Spuren sich schon in Gatschina zeigten. Der längere