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ZllMlmiM Tageblatt und Waldenburger Anzeiger L^S Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg «»scheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beitrags sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mtttags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis betrügt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Eolporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Mittwoch, den 22. Zum 1881. .1- 141. "Waldenburg. 21. Juni 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Unserem Kaiser wurde vor kurzer Zeit von einem Herrn seines Gefolges eine Schreibfeder vorgelgt und rühmend dabei erwähnt, daß dieselbe beim Schreiben sich stets selbst mit der Tinte versorge. „Ich wünschte eine Feder," sagte der Kaiser, „welche nur Gutes und Wahres, nie eine Unwahrheit schriebe! und dann wünschte ich diese Feder allen Zeitungsschreibern." Die Würde eines Schützenkönigs ist für unse ren Kaiser in. diesem Jahre auch in Hoyerswerda „erzielt" worden, woselbst beim jüngsten Pfingstschießen der Spinnmeister Herr Franz den besten Schuß für den Monarchen abgefeuert hat. Der Vizepräsident des preußischen Staatsministe riums Graf Stolberg-Wernigerode hat auf wiederholtes mit seinen Privatverhältnissen begrün detes Ansuchen vom Kaiser die Entlassung aus seinen Aemtern erhalten. Graf Stolberg hatte be reits im vorigen Sommer um seine Entlassung ge beten, ließ sich jedoch durch den Reichskanzler bewegen, hiervon vorläufig wieder Abstand zu nehmen. Im Beginn dieses Frühjahres wiederholte er anläßlich der Behandlung, welche Graf Eulenburg durch den Reichskanzler erfuhr, sein Gesuch und nur der per sönliche Wunsch des Kaisers und die Bitten des Reichskanzlers und der übrigen Herren Minister veranlaßten ihn, bis zum Schluß des Reichstages in Function zu bleiben. Er erhielt mit dem Abschied das Großkreuz des Hohenzollern'schen Hausordens. Im preußischen Finanzministerium ist man jetzt mit einer Umarbeitung der Einkommen- und Klassensteuer beschäftigt. Einkommen bis zu 600 Mark sollen steuerfrei bleiben. Graf Wilhelm Bismarck ist zum etatsmäßigen Hilfsarbeiter in der Reichskanzlei ernannt worden. Die „Post" schreibt: Der Regierungspräsident Schlieckmann (Gumbinnen) wurde zumUnterstaats- secretär des Cultus, Wolff zum Oberpräsidenten der Provinz Sachsen, Tiedemann zum Regierungs präsident in Trier und Oberregierungsrath Loh mann zum vortragenden Rath in der Reichskanzlei ernannt. Der Abg. Stumm soll demnächst in den Adels stand erhoben werden. Das vom Abg. Dr. Buhl eingebrachte Gesetz über das Verbot der Weinfälschung ist im Reichs tage nicht mehr zur Berathung gelangt; in der Commission war es unter ausdrücklicher Zustimmung des Directors im Reisgesundheitsamt, Or. Struck, einstimmig angenommen worden. Wie man hört, liegt es in der Absicht der Regierung, ein derartiges Gesetz aus eigener Veranlassung in der nächsten Session einzubringen. Herzog August von Sachsen-Koburg-Gotha ist auf seinem Schlöffe Ebenthal in Niederösterreich an einer Lungenentzündung erkrankt, der Kräfte zustand ist besorgnißerregend. Der Herzog ist öster reichischer Generalmajor, Vater des Prinzen Philipp und 63 Jahre alt. Oesterreich. In Böhmen macht sich ebenfalls eine Bewegung gegen die Juden geltend, wenn sie auch in dieser Weise nicht zu rechtfertigen ist. In Raudnitz wur den neuerdings alle Judenhäuser und Firmentafeln mit Theer beschmiert und unkenntlich gemacht und auf die Häuser die Worte geschrieben: „Prügelt die jüdischen Diebe." Der Kaufmann Wilhelm Popper fand früh beim Oeffnen der Fensterladen eine Petarde, deren Pulver verstreut umherlag, so mit ohne Absicht des Thäters gefahrlos blieb. Pop per übergab das Geschoß dem herbeigeholten Gen darmerie-Wachtmeister. „Als ich," giebt Popper an, „um halb 10 Uhr persönlich beim Bezirkshaupt mann erschien, um Schutz anzusuchen, fuhr er mich zuerst barsch an, sagte mir, er könne nicht zu jedem Juden drei Gendarmen stellen, und als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß in erster Reihe die Hetzereien der Blätter daran schuld wären, antwor tete er: „Schauen Sie nach Rußland, ja sogar nach Deutschland, was da mit den Juden geschieht." Ich bat, die Petarden-Affaire strengstens untersuchen zu lassen, worauf er versprach, er wisse schon, was er zu thun habe, und werde das Seinige thun. Am 15., um 1O'/2 Uhr abends, explodirte jedoch auf demselben Platze mit großer Detonation eine zweite Petarde, welche den Fensterrahmen und Fensterladen zerriß, aber glücklicherweise die Mauern nicht zerstörte. Die „Narodni Listy" wurden am 15. d. wegen eines Drohartikels gegen die Juden confiscirt. Die „Narodni Listy" weisen in diesem Artikel auf die antisemitische Bewegung hin und erklären, sie hätten nichts weiter hinzuzufügen, als daß die Tschechen sehr aufmerksam die Entschließung jedes einzelnen Juden bei den bevorstehenden Handels kammerwahlen verfolgen werden. Jeder, der nicht nach der Tschechenliste wählt, müßte augenblicklich als Plünderer und Räuber am allgemeinen Wohl der Nation öffentlich proclamirt und betrachtet werden. Schweiz. Der Ständerath hat den neuen Handelsvertrag mit Deutschland einstimmig genehmigt. Frankreich. Der französische Ministerpräsident Ferry hat am 19. d. in Epinal eine bedeutungsvolle Rede gehalten, in welcher er erklärte, daß die in einigen Wochen stattfindenden Wahlen frei von aller Ein mischung der Regierung vor sich gehen und republi kanische und gemäßigte sein würden. Bei der Wahl werde keine Frage gestellt werden, weder in Bezug auf die Revision der Verfassung überhaupt, noch in Bezug auf eine Theilung der Revision, wie sie die monarchistischen Parteien verlangten, die dem Lande sagen möchten, daß die Verfassung erst vor 4 Jah ren beschlossen worden sei und daß die Republikaner dieselbe schon wieder verändern wollten. Ferry wies sodann auf die Ohnmacht der radikalen Partei und auf die von den gemäßigten Republikanern bereits verwirklichten Reformen hin und constatirte, daß die Republik Steuernachlässe im Betrage von 280 Mil lionen habe eintreten lassen. Das Ministerium re- präsentirte die loyale und unauflösliche Vereinigung der republikanischen Partei, die Monarchisten bildeten in der Kammer eine Minorität von nur 180 Per sonen, im Senate sei ihre Minorität eine noch weit größere. Die wahre Aufgabe bei den nächsten Wahlen sei, die Monarchisten soweit zu verringern, daß eine Coalition derselben mit den Radikalen das republikanische Ministerium nicht stürzen könne. Das Land sei viel weniger erregt, als dies die Pariser Politiker behaupteten, das Land sei befriedigt, indem es hinsehe auf die progressiv vor sich gehenden Re formen und auf den Frieden, der durchaus keine Verminderung des äußeren Ansehens des Landes fei, denn man streiche Frankreich nicht von der Welt karte. Endlich rühmte Ferry den Präsidenten Grevy, der der Weise unter den Weisen sei. Unter seiner Aegide würde das Geschick der Republik geleitet werden, die der Einigung der ganzen Partei und der Festigkeit Grevy's bedürfe und die weder sich, noch vor Allem die Weisheit Grevy's verleugnen werde. (Lebhafter Beifall, Hoch auf Grevy.) Gambetta hat wieder etwas von sich hören lassen. Auf dem Banket der Kunstdrechsler in St. Mandö hielt er eine Rede, in welcher er sagte, daß er keine politische Rede halten, aber doch con- statiren wolle, daß das französische Volt frei und glücklich sei und seit 10 Jahren sich auf gutem Wege befinde. Frankreich habe Stürme durchge macht; aber heute könne es nicht mehr geschehen, daß unerhebliche persönliche Streitigkeiten die Repu blik ins Schwanken bringen könnten. Wenn mühe volle Bestrebungen nicht sofort mit Erfolg gekrönt würden, so nehme man dieselben am folgenden Tage eben mit um so größerem Eifer wieder auf. Man spreche von der großen Zahl seiner Kandidaturen: „Ich kenne für mich nur ein Arrondissement und dies wird man mir nicht ernstlich streitig machen können". In Nantes ist es durch das Verbot der kirchlichen Prozessionen zur Zusammenrottung einer großen Volksmenge gekommen. Die Anhänger der repu blikanischen Partei antworteten mit der Absingung der Marselliaise. Schließlich kam es zum Tumult und zu Verhaftungen. In Marseille ist es anläßlich der jüngsten Vor kommnisse zu blutigen Schlägereien zwischen Franzosen und Italienern gekommen, 5 Per sonen wurden getödtet, 2 tödtlich Verwundete be finden sich im Hospual, 125 Italiener und Fran zosen sind verhaftet. In einigen Stadttheilen ge brauchten die Italiener Revolver. Die Ruhe scheint gegenwärtig wiederhergestellt. Zu diesem Skandal meldet ein Telgramm der „Nat.-Ztg.": Der Präsident des italienischen Clubs Oddo ist, als er das Club lokal verließ, um sich nach dem italienischen Consulat zu begeben, vom Pöbel geschlagen, mit Füßen getreten, dann durch die Straßen geschleppt und endlich der wttthenden Menge durch die Polizei ent rissen worden, als jene ihn gerade ins Meer wer fen wollte. Aehnliche Scenen kamen mehrfach vor. Der italienische Botschafter in Paris erhielt tele graphisch die Ordre, energische Genugthuung zu ver langen. Italien. In verschiedenen Blättern findet sich die Nachricht, daß der König Humbert von Italien dem alten Garibaldi in einem sehr lebenswürtdgen eigenhän digen Schreiben als Anerkennung der Verdienste, die er sich um die Einheit Italiens erworben, aus seiner Privat-Schatulle eine jährliche Rente von 30,000 Francs angeboten hat. Garibaldi soll an geblich das königliche Geschenk dankbar angenom men haben. Bei den am 19. d. in Rom stattgesundenen Gemeindewahlen erlitten die Liberalen eine totale Niederlage. Sämmtliche dreizehn päpstliche Candi daten wurden gewählt. England. Der in Neuyork lebende und die Sache der auf ständischen Iren durch sein Blatt unterstützende Fenier Odonnovau Rossa erklärte öffentlich in einem Meeting, das englische Kriegsschiff „Doterel", das vor einiger Zeit in der Maghellanstraße in die Luft flog, sei durch die Mittel der Fenier zerstört. Die englische Regierung getraue sich nur nicht, dies einzugestehen, damit nicht andere Irländer, welche in der englischen Marine Dienste leisten, zu ähnli chen Thaten ermuntert würden. Ueberdies nannte Rossa den englischen Generalsecretär Forster einen Feigling und Lügner und forderte denselben zu einem Duell auf Leben und Tod auf. Rußland. Der russische Kaiser will die sociale Frage gründlich kennen lernen, er beschäftigt sich deshalb sehr fleißig mit der Lectüre socialistischer Werke. Wahrscheinlich macht es feine unausgesetzte Beschäf tigung mit den Socialisten, daß er sich selbst in Gatschina so unsicher fühlt, daß sein Gefolge und