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ächöiünmm Tagthlati Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 1. Juni .L 124. 1»«1. "Waldenburg, 31. Mai 1881. Das Liftenscrutinium in Frankreich. Gambetta ist der Mann des Tages in Frank reich. Seine Neben, die er in Cahors gehalten hat, bilden den Hauptstoff der französischen Blätter. Allerdings weiß er die Franzosen mit schönen Re densarten zu kirren, wenn die letzteren auch bei einem Appell an den Verstand wenig Stich zu halten vermögen. Denn es klingt doch wirklich komisch, wenn Gambetta, der geborene Dictator, davon spricht, daß die Nation sich nie „den Händen eines einzigen Mannes" ausliefern und daß Frank reichs Degen nie mehr einem „Abenteurer" dienen solle, während Gambetta vielleicht binnen Kurzem vermöge des Listenscrutiniums die gesammte franzö sische Nation in Händen hat? Zwar will sich der Senat wegen des Listenscrutiniums einigermaßen aus die Hinterbeine stellen, aber Gambetta wird den Widerstand schon zu brechen wissen, wie ihm dies ja auch in der Deputirtenkammer so wohl gelungen ist. Was ist nun eigentlich das Liftenscrutinium und welche Vortheile gewährt dasselbe Gambetta? Bis her wurden die französischen Deputirten in ähnlicher Weise wie bei uns gewählt, jedes Arrondissement wählte nämlich für sich. Nach Einführung der Listenwahl aber werden sämmtliche Deputirte eines Departements von dem ganzen Departement gewählt. Jeder Bürger hat also nicht mehr einen einzelnen, sondern eine ganze Liste von im Durchschnitt 5 bis 6, aber in Paris hinauf bis zu etwa 30 Deputir ten zu wählen. Dem Wähler wird damit die Wahl keineswegs erleichtert, denn für die einzelnen noch so gewissenhaften Wähler ist es geradezu unmöglich, sich über die persönlichen Charaktere und die politi schen Anschauungen von einer ganzen Reihe von Männern zu vergewissern, denen er das Wohl und Wehe des Landes anvertrauen soll. Uebrigens werden sich auch die Parteigenossen eines ganzen Departements von einer halben, einer Million, in Paris gar von zwei Millionen Seelen nur schwer über ihre zahlreichen Candidaten einigen. Es ist klar, daß die politischen Parteiführer nun mehr allein die Candidaten vorschlagen werden, wie dies auch bei uns seitens der socialdemokratischen und der Fortschrittspartei geschieht, während die Partei-Anhänger blind gehorchen. Auch die Candi daten werden von den Parteiführern abhängiger. Denn während der nach jetzigem Modus Gewählte zwar im Allgemeinen auch der Partei angehört, ist er doch unabhängig von ihr, trennt sich bei dieser oder jener Frage von der Partei oder folgt nicht wenigstens blind dem Führer, sondern verlangt Gründe, will überzeugt sein und denkt daran, seinen Wählern Rechenschaft zu geben. Das wird in Zu kunft anders werden; denn der Gewählte hat nicht mehr den Wählern, sondern dem Central-Wahlcomitö seine Wahl zu danken. Der Deputirte muß der Partei blind gehorchen, will er bei wiederkeyrender Wahl nicht unmöglich gemacht werden. So gewinnt Gambetta, der einzige bisher unbe stritten anerkannte Parteiführer, zunächst eine viel geschlossenere und zuverlässigere Gefolgschaft als bisher. Alle seine jüngeren, enthusiastischen Freunde kann er von jetzt an mit Leichtigkeit in die Kammer bringen. Auch ein anderes Mittel steht ihm noch zu Gebote, der ungeheure Einfluß, den in Frank reich die Regierung auf die Wahlen ausübt. Der ganze mächtige Beamten-Apparat steht ihr, da die Beamten nicht wie bei uns auf Dauer angestellt sind, sondern beliebig abgesetzt werden können, be dingungslos zur Verfügung. Die Aussicht der ein mal am Ruder befindlichen Partei, momentan also Gambetta's, sich am Ruder zu erhalten, wird durch das neue Gesetz erheblich verstärkt. Die ganze Manipulation ist, bei Licht betrachtet, nichts anderes als eine principielle Verfälschung der öffentlichen Meinung zu Gunsten des momentan in der Volksgunst stehenden Staatsmannes, gerade so, wie sie Napoleon III. die ganze Zeit seiner Regierung hindurch betrieben hat. "Waldenburg, 31. Mai 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hielt am 30. Mai vormittags auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin die große Früh jahrsparade ab. Derselben wohnte u. A. der säch sische Kriegsminister v. Fabrice bei, welcher am Sonnabend Abend aus Dresden in Berlin ange kommen war. Fürst Bismarck hat die Aufmerksamkeit der Regierungen auf die Häufigkeit der Weltausstel lungen gelenkt, welche den Zweck derselben beein trächtigen. Bismarck ist der Ansicht, daß die Mächte sich über eine Zwischenzeit verständigen sollten, in welcher die Ausstellungen sich in nützlicher Weise wiederholen könnten. Der Bundesrath hat die Handelsverträge mit Oesterreich und der Schweiz genehmigt. Dem letz teren ist eine Verabredung wegen gegenseitigen Schutzes der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Kunstwerken beigegeben. Die Reichspartei will bei der zweiten Lesung des Unfallversicherungs-Gesetzes die Wiederaufnahme des Staatszuschusses beantragen. Frankreich. Gambetta hat in Cahors eine dritte Rede gehalten. Bei der am 29. Mai vorgenommenen Vertheilung der Preise für die landwirthschaftliche Ausstellung sagte Gambetta, die Landwirlhschaft treibende Bevölkerung sei stets die Hauptsorge Der jenigen, welche die moderne Demokratie auf uner schütterliche Grundlagen begründen wollen. Kein Regime habe die Versprechen so gehalten wie das gegenwärtige. Gambetta erklärte sodann, daß er nicht gegen eine Herabsetzung der Grund- und Bodensteuer sei, aber er glaube, daß man diejenigen entlasten müsse, welche ein wirkliches Bedürfniß hierfür hätten, aber keine anderen. Man müsse vor Allem die Dotation für die Vicinalwege erhöhen und die Dotation zur Unterstiltzung der verschuldeten Communen. An Stelle Emil de Girardin's wurde am 29. Mai im 9. Pariser Arrondissement der Candidat der Republikaner, Anatole Laforge, mit 9198 Stimmen gewählt. Der Monarchist Harvö erhielt 4250, der Candidat der Radicalen, Dubois, 2079 Stimmen. Gambetta's Reise nach Cahors giebt dem sarkastischen Pariser „Figaro" natürlich Anlaß zu allerhand kleinen Bosheiten. Er cilirt u. A. die Schilderung einer Reise des Kaisers Napoleon aus einem alten „Moniteur" von 1865: „Von allen Seiten des Kreises strömten die Landleute herbei, um Sr. Majestät die Versicherungen ihrer unwan delbaren Treue gegen den Thron zu überbringen." Man brauche blos statt „Se. Majestät" „Gambetta" zu setzen, dann stimme Alles. An dieser glänzenden Wiederaufnahme der kaiserlichen Reisen fehle nur noch der alte Gardist, der sich in seiner verschossenen Uniform durch die Menge drängt und schluchzend ruft: „Ich muß ihn fehen, d?n Neffen meines Kaisers!" Diese Figur fehle dies Mal, denn Gam betta hatte eben keinen Onkel, welcher die Schlacht von Austerlitz gewonnen hat. Im Uebrigen seien die officiellen Anreden da, gerade wie damals. In einem kleinen Bahnhofe überreicht der Maire eine Bittschrift. „Ich werde sie prüfen!" sagt Gambetta. Ludwig der XIV. würde geantwortet haben: „Wir werden sie prüfen!" Das ist der ganze Unterschied. Unter den von dem Senatsbureau in die Com mission für Vorberathung des Antrags auf Wieder einführung der Listenwahl Gewählten ist nur Einer für den Antrag. Trotzdem versicherte der Senat, er würde, da die Frage speziell die Kammer- wahlen angehe, den Antrag nicht im Prinzip ab lehnen, aber die transitorischen Bestimmungen unter drücken, wonach dis Zahl der Deputirten um etwa 118 zu vermehren wäre. In dem Bureau stimm ten für den Antrag 18, dagegen 77, 86 enthielten sich der Abstimmung. Jules Simon erklärte, er werde den Antrag bekämpfen. Dänemark. Im Folkething fand am 30. Mai die erste Lesung des Budgets statt. Holstein-Leoneborg (Linke) erklärte, nach dem Resultat der Neuwahlen sei ein weiteres Entgegenkommen des Folkelhings unmöglich. Der Conseilpräses erwiderte, wenn der Folkething seine bisherige Stellung festhalte, werde der Lands thing wahrscheinlich auch die seinige festhallen. Die Consequenz hiervon brauche er nicht weiter auszu führen. In den Abgeordnetenkreisen sieht man diese Aeußerung als die Ankündigung einer aber maligen Auflösung des Folkethings an. Griechenland. Griechenland ist bereit zur Occupation. Wäh rend die bisherige türkische Besatzung von Larissa bereits nach Salonichi abmarschirt ist und die an der alten thessalisch-griechischen Grenze aufgestellt gewesenen türkischen Truppen sich nach Norden zurückziehen, sind die griechischen Truppen längs der ganzen Grenze und auf der Insel Euöa derartig postirt, daß der Einmarsch in das zu occupirende Gebiet jeden Tag erfolgen kann. Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Occupation, wie es in der Con vention stipulirt ist, in etwa 14 Tagen ihren An fang nehmen wird. Türkei. Im Prozesse wegen Ermordung Abdul Aziz's sind angeklagt: Mehemed Ruschdi Pascha, früher Großvezier, Midhat Pascha, Hairullah Efendi, früher Scheich-ul-Jslam, Nuri und Mahmud Pascha, beide Schwäger des Sultans Abdul Hamid, Fahri Bey, Exkämmerer des Sultans Abdul Aziz, Major Ali Bey, Major Hedschib Bey, Oberst Bey, der Ringkämpfer Mustapha Tschausch und die beiden Waldhüter Mustapha Dschezairli und Mehemed. Aus dem Muldenthale. "Waldenburg, 31. Mai. Der morgen beginnende Jahrmarkt scheint sich zu einem recht lebhaften ent wickeln zu wollen, da sich Marktfieranten ziemlich zahlreich angemeldet haben. Hoffentlich hält auch das jetzige schöne Wetter an, damit der Jahrmarkts besuch ebenfalls ein recht zahlreicher namentlich vom Lande werden kann. *— Gestern Abend trafen einige Ulanen mit mehreren Pferden aus Rochlitz hier ein, um im Hotel zum deutschen Hause Nast zu machen. Heute früh sind die Pferde nach Zwickau zum Gebrauch für den Stab Sr. königl. Hoheit des Prinzen Georg von Sachsen, Höchstwelcher morgen das neugebildete Regiment in Zwickau inspiciren wird, weitergeführt worden.