Volltext Seite (XML)
öffentlich ausliegen muß. Wird von den Betheilig ten während der hierfür festgesetzten Frist kein Widerspruch erhoben, so erhält die Aufstellung ihre Gültigkeit. — Das 10. Verzeichniß der beim Reichstage ein gegangenen Petitionen zählt unter Anderen 177 Pe titionen mit ca. 2300 Unterschriften auf, die um Abänderung des Titels III der Gewerbeordnung, den Hausirhandel betr., bitten. Ueberreicht werden diese Petitionen vom Vorstand der Berliner Seiler vereinigung. Von sächsischen Orten sind folgende bei diesen Petitionen betheiligt: Dresden, Eschdorf, Freiberg, Großenhain, Glauchau, Klingenthal, Lau- sigk, Leipzig, Leisnig, Lengenfeld, Löbau, Markran städt, Meißen, Olbernhau, Ostritz, Pegau, Schandau, Schellenberg, Treuen und Voigtstedt. Aus dem Petitionsverzeichniß seien endlich noch genannt: die Eingabe des Gesammtvorstandes des Verbandes selbstständiger deutscher und österreichischer Buchbinder zu Dresden und Gießen, um Regelung der Gefängniß- und Zuchthausarbeit und als Curiosum die Petition eines Schulmeisters in Knoblauch, um gesetzliche Bestimmungen zur Unterdrückung von Zeitungen, welche wissentlich falsche Nachrichten verbreiten. — Von den sächsischen Reichstagsabgeordneten haben für die alljährliche Berufung des Reichstags im October gestimmt die Nationalliberalen Holtzmann, Landmann, Dr. Rentzsch und vr. Stephani, die Fortschrittler Eysoldt und Streit und die Socialisten Auer, Kayser, Liebknecht und Vahlteich, dagegen die Deutschconservativen Ackermann und Ör. Frege, die Freiconservativen Dietze, Günther, Reich, Schmiedel und vr. v. Schwarze und der Liberale Vopel. — Von der Kreishauptmannschaft zu Leipzig sind auf Grund tz 1 und 6 des Reichs-Ges. vom 21. October 1878 die Gesangvereine „Liederkranz" und „Erinnerung" in Stötteritz und „Lyra" in Gohlis verboten worden. — Aus Chemnitz wird der „Social-Corr." be richtet: Im Allgemeinen gehen die Geschäfte in Chemnitz und Umgegend ziemlich erfreulich, nur daß die Klagen über elende Preise fast auf allen Ge bieten der Industrie sich nicht mindern wollen. Die Strumpffabrikation hat im Verlaufe des letzten Jahres in ganz enormer Weise an Ausdehnung gewonnen, so daß eine beträchtliche Ueberproduction unausbleiblich scheint. Die von der Mode immer mehr abhängig werdenden Anforderungen an die Strumpfwaaren machen das Geschäft auch immer schwieriger. Die Gorlfabrikation scheint sich noch weiter ausbreiten zu sollen. Der Stadtrath zu Mittweida macht jetzt noch Anstrengungen, dieselbe im Orte einzuführen, und doch hat es seine Be denken, den Erwerb einer so zahlreichen Bevölkerung auf Anfertigung einer Waare begründen zu sehen, die nur zu bald von der Mode über Bord geworfen werden wird und deren Herstellung mit um so größerer verderblicherAugenanstrengung vorzugsweise bei den jüngeren weiblichen Arbeitern verbunden ist, je mehr die Preise bei der zunehmenden Production herabgedrückt werden. — Vor einigen Tagen kam in Chemnitz ein Ge schäftsmann in trunkenem Zustande nach Hause, und als er am andern Morgen erwachte, bemerkte er mit großem Schrecken, daß er ohne Nock, Mütze, Weste, Stiefeletten und Cylinderuhr mit ziemlich starker goldener Kette und daran befindlichem Medaillon im Werthe von über 150 Mk. nach Hause gekommen war. Der Mann kann sich nicht besinnen, wo er sich der Sachen entledigt hat. (Brand.) — In Freiberg hat sich vor mehreren Monaten ein Slenographenverein „Gabelsberger" gebildet, der bereits über 60 Mitglieder zählt. — In Nossen traf am 17. d. ein Transport Gefangener von Zwickau ein. Die Nossener Straf anstalt erfuhr dadurch einen Zuwachs von 54 Mann. — In Frauenstein stürzte in der Nacht zum Freitag ein Theil der dortigen interessanten Ruine (die Kapelle genannt) ein. — In dem amtshauptmannschaftlichen Bezirke Oelsnitz i. V. giebt es jetzt immer noch eine Anzahl Weber, welche beschäftigungslos sind. Da nun die Bergbaugesellschafl in Oelsnitz bei Lichtenstein 200 junge Arbeiter tm Alter bis zu 25 Jahren sucht, so macht Herr Amlshauplmann v. Kalusch diejenigen Weber und Strumpfwirker, welche in das Bergbau sach übergehen wollen, darauf aufmerksam, daß die Direclion des genannten Werkes bereit ist, den von Oelsnitz i. V. aus nach der Lichtensteiner Gegend verziehenden Leuten jede mögliche Förderung ange- öeihen zu lassen. Die älteren Weber werden na- stirlich nicht fähig sein, in den Kohlengruben zu arbeiten, doch wird die bessere Löhnung in dieser Manche jedenfalls viele junge Männer veranlassen, dieser Aufforderung Folge zu leisten. . — In einer Restauration in Niederplanitz wurde ^ne, von einem Lehrer daselbst geleitete spiritistische Versammlung durch die Gendarmerie aufgehoben, die betreffenden Schriftstücke conftscirt und die Na men der Theilnehmer festgestellt. Auch in der Um gegend sind neuerdings ähnliche Versammlungen wiederholt abgehallen worden. — Am Sonntag fand in Glashütte die Ein weihung des neuen Uhrmacherschulgebäudes statt, zu welcher Feier sich Kunstgenossen aus allen Gauen Deutschlands eingefunden hatten. — Am Montag wurde in dem festlich geschmück ten Schirgiswalde eine Fahnenweihe begangen. Der dortige katholische Gesellenverein weihte mit Festzug und sonstigen Feierlichkeiten seine neue Fahne. Zu dieser Festlichkeit, die mit einem Souper im Erbgericht von Schirgiswalde endete, war auch Se. Hochehrwürden Herr Bischhof Bernert von Bautzen, mehrere Domherren und von Dresden Herr Hof prediger Wahl erschienen. — In Gößnitz traten am 15. d. die Delegirten des Ostthüiinger Schuhmacherverbandes zu einer Vorversammlung zusammen, bei welcher die In nungen von Altenburg, Gößnitz, Schmölln, Kahla, Eisenberg, Gera und Zeitz mit zusammen 14 Delegir ten vertreten waren. — Wie verschieden ein ehrliches 20-Markstück beurtheilt werden kann, das beweist das nachstehend mitgelheilte in Gera pajsirte spaßhafte Vorkommniß. Ein in der Umgegend der Stadt wohnhafter Beamter erhielt an einem der jüngstvergangenen „Ersten" seinen Gehalt in 20-Markstücken ausgezahlt. Bei einem Einkäufe, den die Magd zu besorgen hat, giebt diese eines der 20-Markstücke in Zahlung. Der Geschäftsmann verweigert jedoch bei näherer Besich tigung die Annahme desselben mit der Motivirung, es sei „falsch". Der diensthabende Geist bringt es der Herrschaft zurück und wird nun an die Kassen stelle geschickt, von welcher der Hausherr es erhalten. „Eine schöne Empfehlung vom Herrn Rath und der Herr Kassirer hätten ein falsches 20-Markstück mit- geschickl." Der Kassirer, ein gewiegter alter Beam ter, weiß, daß dies nicht der Fall ist. „So", sagt er, „na, dann geben Sie her." Und damit wirft er das Goldstück klirrend in die Kasse. „Hier, mein Fräulein haben Sie ein anderes" sagt er dann und händigt der Köchin dasselbe 20-Markstück wieder ein, das diese soeben als angeblich falsch ihm zurückge bracht. Zu Hause angekommen, wird sie sofort wieder in den Laden gesandt, dessen Inhaber das fragliche Geldstück als falsch bezeichnet hatte, um die Rechnung zu begleichen und erhält zu diesem Zwecke das an der Kasse anstatt des falschen erhaltene „an dere" 20-Markstück, das, wie wir wissen, dasselbe ist- „Ja, sehen Sie, mein liebes Fräulein", sagt der Ladeninhaber, „das ist freilich ein anderes 20-Mackstück, das ist nun richtig, hören Sie?" — Ja Gotha wurde am letzten Sonnabend die Leiche eines anderthalbjährigen Kindes aus Paris verbrannt. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 19. Mai. Die Anleihe für die elsaß-lothringischen Reichsbahnen und das Aichungsgesetz werden definitiv genehmigt, letzteres mit einem Er suchen an die Regierung um Ermittelungen, ob und inwieweit auch festgeschlossene Flaschen, in denen Getränke zum Verkauf gelangen, der Aichung unter liegen können. Graf Bismarck legt den Commissionsbericht über das Jnnungsgesetz vor. Baumbach tritt der Vorlage entgegen, daß nur Vertreter verwandter und gleicher Gewerbe zu Innungen zusammen treten dürfen und zieht gegen ß 101 s zu Felde, welcher die Thätigkeit der Innungen auf dem Gebiete des Lehr lingswesens präcisirt. Richter-Hagen anerkennt, daß es wünschenswerth sein kann, wenn Arbeiter Legitimationen führen; aber es sei etwas anderes, wenn privilegirte Coalitionen solche vor schreiben. Es handle sich bei diesem Gesetz nur um privilegirte Coalitionen der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern. Den Arbeiter-Genossenschaften werden auch keine staatlichen Vorrechte zu Theil. Ackermann: Der Zweck dieses Gesetzes ist Kräftigung des Jnnungswesens; die jetzige Gewerbeordnung hat dafür nichts gethan. Es muß den Gewerbtreibenden allerorten Gelegenheit geboten werden, sich zu Innungen zu vereinigen, weshalb gestattet sein muß, daß auch Gewsrbtreibende ver schiedener Gewerbe sich zusammenthun können, weil es an kleinen Orten an der genügenden Zahl gleichartiger Gewerb treibenden fehle. Or. Böttcher setzt voraus, daß Innungen ungleichartiger Gewerbe die Vorrechte bezüglich des Lehrlingswesens nicht auf in ihr nicht vertretene Gewerbe ausdehnen dürfen. Der Geheime Regierungsrath Lohmann erklärte hierauf, daß eine Innung auf andere Gewerbe als das, für welches sie gebildet ist, keinen Einfluß haben könne. Lasker erklärt das Gesetz als eins große Reaction gegen die Gewerbefreiheit. Günther-Sachsen weist auf die Verhältnisse der kleinen Städte hin, wo Meister gleichartiger Gewerbe in zu kleiner Zahl vertreten sind, um eine Innung bilden zu können. Verlange man, daß nur gleichartige Gewerbe zu Innungen zusammentreten können, dann seien in den kleinen Städten Innungen überhaupt unmöglich. (Links: das schadet nichts!) Ja, dann stimmen Sie gegen das Gesetz, aber bringen Sie nicht Bestimmungen hinein, die es undurchführbar machen. Löwe-Berlin (300 Worte in der Minute): Die Rechte wolle blos Innungen, während es der Linken darauf an komme, Verbände zu haben, die heilsam wirkten und das Gewerbe förderten. v. Kleist-Retzow: Von Reaction, von zwangsweiser Einführung der Arbeitsbücher sei keine Rede. Richter-Hagen: Die ganze praktische Wirksamkeit des Gesetzes werden kleinliche Polizei-Chicanen sein. Man schaffe nichts als bureaukratische Willkür über den Handwerker. Sie haben jetzt nicht den Muth, obligatorische Innungen zu schaffen, weil wir vor den Wahlen stehen (Hoho!). Stumm nennt Richter's Ausführung lächerlich und wird deshalb zur Ordnung gerufen. v. Helldorf constatirt, daß die Conseroativen nach wie vor obligatorische Arbeitsbücher für nothwendig halten. Der Hamburger Socialdemokrat Hartmann will auch, daß sich blos die, welche gleiche und verwandte Gewerbe betreiben, zu Innungen verbinden dürfen. Wo nur wenig solche Gewsrbtreibende beständen, seien auch keine Zünfte nöthig. Auf eine Provocation Richters erklärte der Führer der Conseroativen v. Helldorf noch, daß er die Agitation für obligatorische Innungen im Lande bedauere, weil sie uner füllbare Hoffnungen erwecke. Die Fassung, wonach überhaupt Diejenigen, welche ein Gewerbe selbstständig betreiben, zu einer In nung zusammentreten können, wird angenommen. Der Betrieb gleicher oder verwandter Gewerbe ist also nicht erforderlich. vr. Böttcher beantragt, daß von Aufnahmesuchenden, die bereits vor einer anderen Innung die Aufnahmeprüfung bestanden, eine solche nicht nochmals verlangt werde. Es soll damit der Zurückweisung aus Concurrenzrücksichten vor gebeugt werden. Lüders, Hartmann, Richter, vr. Delbrück, Löwe-Berlin, Lasker und Auer befürworteten den Antrag unter Hinweis darauf, daß auch Staatsbeamte in späteren Jahren nicht in der Lage wären, ihre Staatsprüfung abzulegen, sowie daß die Prüfungen mit großen Geldkosten für den zu Prüfenden verknüpft seien. Die Fassung der Vorlage stelle einen schweren Eingriff in die Freizügigkeit dar. Ackermann erblickt in dem Büttcher'schen Anträge einen Eingriff in die Autonomie der Innungen. Die einzelnen Gewerbe seien in verschiedenen Orten verschiedenartig ent wickelt, die Ansprüche könnten deshalb auch nicht ganz gleich mäßige sein. Moufang. Concurrenzrücksichten bei der Prüfung würden zu einflußlos sein, weil die Nichtaufnahme nicht die An- sässigmachung und Concurrenz verhindere. v. Kleist: Es handle sich blos um eine Uebergangsbe- stimmung, weil es noch keine geprüften Meister gebe. Freiherr v. Gertling spricht gleichfalls für die Fassung der Vorlage. Der Antrag Böttcher wird darauf gegen die Stim men der Deutschconservativen und des größten Centrumtheils angenommen. Eine längere Dis- cussion erregen noch die Bestimmung über die Theilnahme der Gesellen an Begründung und Ver waltung aller Einrichtungen, zu denen sie beitragen, und der von der Commission beantragte Zusatz, wo nach durch Jnnungsbeschluß von der Ausübung des Stimmrechts oder eines Ehrenrechts in ihr Die ausgeschlossen werden können, welche, ohne die Ehren rechte verloren zu haben, ehrenrührige Handlungen begangen haben. Dieser Zusatz wird von Auer, Lasker, Schenk, v. Stauffenberg, Richter, Löwe und Windlhorst bekämpft, während Ackermann, Vv. v. Schwarze und Graf Bismarck dafür eintreten. Schließlich wird derselbe abgelehnt und die Sitzung auf den 20. d. vertagt. Vermischtes. Eine neue jüdische Secte. Der „Elisabetgradsky Westnik" bringt die äußerst interessante Nachricht, daß unter der jüdischen Bevölkerung in Elisabethgrad sich eine jüdische Secte gebildet hat, welche einigermaßen an die „Stundisten" erinnert. Die Mitglieder dieser Secte, 40 Familien, verwerfen alle Gebräuche, die im Gesetze Mosis vorgeschrieben sind, wie auch den Talmud. Sie erkennen nur die Gesetze der Moral an, welche in den heiligen Büchern des Alten Testa ments enthalten sind. „Ein Bruder" schreibt in der genannten Zeitung, daß er der Welt die Hauptprincipien dieser neuen Lehre zeigen wolle, damit „alle nach Wahrheit Dürstenden und dieselbe Suchenden erkennen mögen, wo diese heilige Wahrheit herrscht, wo Licht, Liebe und Recht ist und umge- kehri, wo die tiefstegeistigeFinsterniß,Unwissenheit,Frömmelei und Heuchelei herrscht." Der Brief lautet: „Wir haben ohne Erlaubniß des geistlichen Sinklits, der Pharisäer urd Schrfft- gelehrten, von der Heiligen Bibel den ticken talmudischen Staub abgestreift und haben nur auf die Heilige Schrift allein unsere moralische und religiöse Weltanschauung gegrün det. Mögen unsere Gesinnungsgenossen uns deshalb tadeln, daß wir uns aus den Worten der Heiligen Schrift folgende Begriffe zusammengestellt haben: Alle müssen Brüder sein; es ist nothwendig, dem Nächsten zu helfen und fleißig und ehrlich zu sein; man muß kurz, einfach und in verständlicher Sprache beten; man muß sich mit der eigenen Ausbildung und der geistigen Fortentwickelung beschäftigen, man muß öfter Gespräche von Gott und seiner Schöpfung führen, welche beide am besten aus den Naturwissenschaften erkannt werden (was wir auch thun); man darf nicht mit dem Gelds wuchern, nicht mit Spirituosen handeln, nicht den Factor spielen, nicht lügen, nicht schwören, nicht nachtragend sein, nicht Böses reden, nicht die Hand wider den Nächsten auf heben, nicht abergläubisch sein, nicht Karten spielen u. dgl. m." Der Schreiber nennt dis Secte „Die geistiabiblischs Bruder schaft" und fährt fort: „Wir erklären und begreifen die Bibel geistig, dieses zwingt uns zu denken, daß man Gott nicht mit Talles, Gewändern, Würfeln und dem Wickeln weißer Stoffe um den Kopf dienen soll, sondern mit warmem,