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Rußland. Die neueren Nachrichten über das Befinden d er Kaiserin lauten sehr betrübend. Bekanntlich sieht die hohe Frau einem freudigen Ereigniß ent gegen, umsomehr versuchen die Aerzte, sowie die nächste Umgebung jegliche neue Erregung fern zu halten. Wenn das auch in Gatschina bis zu ge wissen Grenzen gelang, war doch der Eindruck der vorhergegangenen letzten furchtbaren Ereignisse ein derartig nachhaltiger, daß die Kaiserin fortgesetzt in größter nervöser Aufregung sich befindet und daß die Aerzte ernste Besorgniß zu hegen beginnen. Vor einigen Tagen schon wurde ein Petersburger Specialist nach Gatschina berufen, dem später noch ein zwei ter folgte. Der immerhin bedenkliche Zustand der Kaiserin soll auch furchtbar niederschlagend auf den Kaiser wirken, welcher bekanntlich in zärtlichster Liebe seiner Gemahlin zugethan ist. Alle Versuche, die unglückliche Frau von den umfassenden Maß regeln zu überzeugen, welche zur Sicherheit ihres Gemahls getroffen sind, scheitern, seitdem ihre Bitte um Gnade für einen Theil der Verurtheilten un erfüllt blieb. Die Kaiserin wußte von den vorher eingelaufenen Drohbriefen, so daß nunmehr die stete Angst vor einer blutigen Rache der Revolutions partei sie nicht mehr zur Ruhe kommen läßt. Der Czar will demnächst zu längerem Aufent halte in Warschau eintreffen; das Residenzschloß soll bereits zu diesem Zwecke restaurirt sein. DerGolosmeldetausJelisawetgrad: „VieleJuden flohen von hier nach Odessa! Nachdem es dem Militär gelungen, die Bauern der um Jelisawet- grad liegenden Dörfer aus der Stadt herauszu treiben, begannen die Bauern in ihren Heimaths- dörfern die jüdischen Schänken zu demoliren. Der General Kossytsch, der Commandeur der 7. Cavallerie- Division, sandte am 18./30. morgens per Extra zug mehrere Abtheilungen in die im Umkreise von 30 Werst gelegenen Dörfer und nach Snanenka eine Eskadron Dragoner. Dort, wie in Jelisawet- grad und dessen Umgebung, ist die Ordnung wieder hergestellt." Aus Olwiopel meldet ein Telegramm des Golos, daß am 17./29. abends im Flecken Golta, welcher von Olwiopel nur durch einen Fluß getrennt ist, eine Judenhetze stattfand, hervor gerufen durch eine Prügelei zwischen Kindern. Be trunkene Bauern begannen dann in der Nacht die Häuser der Juden zu demoliren. Die Bewohner von Olwiopel, der Bürgermeister an der Spitze, eilten nach Golta hinüber, bändigten die Ruhestörer und arretirten dieselben. Die Ruhe war dadurch wieder hergestellt. Ein Jude wurde getödtet und mehrere Personen sind schwer verletzt. Aus dem Muldenthale. * Waldenburg, 2. Mai. Se. Durchlaucht der Fürst ist, von Dresden kommend, vorgestern Abend wohlbehalten auf Schloß Waldenburg wieder einge troffen. *— Das Sr. Durchlaucht dem Prinzen Ernst von Schönburg-Waldenburg jüngst geborene Töchter lein hat in der heiligen Taufe die Namen: Marie Agnes Ottilie Benedicta erhalten. Neben ihrer königl. Hoheit der Frau Großherzogin von Mecklenburg- Schwerin waren Taufpathen der jungen Prinzessin: Ihre Durchlaucht die Frau Prinzessin Hugo von Schönburg-Waldenburg, Ihre Erlaucht die Frau Gräfin Stolberg-Wernigerode, Großmutter des Hohen Täuflings, Ihre Erlaucht Gräfin Agnes von Stolberg- Wernigerode, Se. Durchlaucht Erbprinz Victor von Schönburg-Waldenburg, Se. Durchlaucht Prinz Solms-Braunfels und Landgerichtsdirector Flügel in Dresden. *— Am vergangenen Sonnabend konnte man auf den umliegenden Höhen das sogenannte Besen schleudern beobachten. Besonders auf dem Rothen berge bemerkte man einen ganzen Zug Besenschleu derec und bot die lange Reihe brennender Besen einen interessanten Anblick. — In Penig war am 29. April Se. Exc. Herr Justizminister v. Abeken anwesend, um die Ein richtung und Leitung des dortigen Amtsgerichts in Augenschein zu nehmen. — Am 30. April feierte der Schlosser-Obermeister Schmieder in Penig sein 40jähriges Bürgerjubiläum und wurde demselben durch eine Deputation des Stadtraths und der Stadtverordneten ein Diplom überreicht. Aus dem SachsenLande. — Nach einer Zusammenstellung über die bei den Sparkassen im Königreich Sachsen im Monat März d. I. erfolgten Ein- und Rückzahlungen sind in 176 Kassen.in 61,113 Posten 6,537,224,«° M. ein- und in 54,658 Posten 7,276,551,3» M. zurückgezahlt worden. Die einzelnen Kreishauptmannschaften partizipiren an diesen Summen in nachstehender Weise: Kreishaupt mannschaft Dresden: 18,641 Einzahlungen mit 1,627,250,61 M. und 19,414 Auszahlungen mit 1,959,110,»? M.; Leipzig: 18,225 Einzahlungen mit 1,948,575,08 M. und 16,875 Auszahlungen mit 2,352,263,43 M.; Zwickau: 18,731 Einzahlun gen mit 2,287,887,82 M. und 13,292 Auszahlun gen mit 2,355,808,36 M.; Bautzen: 5,516 Einzah lungen mit 653,510,55 M. und 5,077 Auszahlun gen mit 709,368,97 M. In den drei Monaten Ja nuar, Februar und März d. I. sind eingezahlt wor den 25,185,558 M., d. i. 1,194,409,2« M. weni ger, und ausgezahlt 23,683,426,27 M-, das ist 2,456,348,71 M. mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 1880. — Nach dem achten Verzeichniß der beim Reichs tage eingegangenen Petitionen liegen aus dem König reich Sachsen nachstehend verzeichnete Anträge vor: Die Handelskammer zu Leipzig bittet um Aufhebung der Straßburger Tabakmanufaktur, der Verein ge gen Unwesen im Handel und Gewerbe zu Dresden petirt um Erlaß eines Gesetzes, wodurch den Bau forderungen das Vorzugsrecht vor allen Hypotheken eingeräumt werde, der Glauchauer Wirthsverein zu Glauchau, Heinrich Volland und Genossen zu Dres den und die Gastwirthe und Brauer zu Seifhenners dorf sprechen sich gegen die Erhöhung der vorge schlagenen Brausteuer aus, N. Falcke zu Hohenstein- Ernstthal bittet um Abänderung des Aktiengesetzes unter Ueberreichung einer Ankündigung der neuen Vereinsbank in Berlin, Börsengeschäfte betreffend, Robert Pitschel zu Leipzig bittet, auf Grund eines Vertrags mit dem Reichsoberhandelsgericht zu Leip zig, um Nachzahlung von Gehalt und Gewährung einer Pension, Carl Edler v. Querfurth zu Schön heide bei Eibenstock reichte einen den Eingangszoll auf schmiedbaren Eisenguß und das amtliche Waaren- verzeichniß zum Zolltarif betreffenden Antrag ein, Eduard Frohmeyer, Wollfabrikant zu Crimmitschau, erklärt seinen Anschluß an die Petition der Wiesener Wollfabrik, betreffend die Wiedereinführung eines Ausfuhrzolls aus Lumpen, Wilhelm Demmler, Musterzeichner und Genossen zu Zittau, bitten, unter Ablehnung des Gesetzentwurfs, betreffend die Unfall versicherung der Arbeiter, das Hastpflichtgesetz auf alle dem Kleingewerbe nicht angehörenden Betriebe auszudehnen, der Gewerbeverein zu Kamenz und der Gewerbeverein zu Zittau reichen Anträge ein, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter. — Als Mitglieder der Synode haben die in evauZMois beauftragten Staatsminister ernannt: Hofprediger vr. Rüling und Sup. vr. Franz in Dresden, Consistorialrath vr. Luthardt und Professor vr. Fricke in Leipzig, ?a,8t. prim. Würkert in Löbau, Oberbürgermeister Stübel und Hauptmann Graf Otto Vitzthum v. Eckstädt in Dresden, Kammerherr v. Zehmen auf Stauchitz, Kammerherr v. Erdmanns dorf auf Schönfeld, Bürgermeister Löhr in Bautzen; die juristische Facultät der Landesuniversität hat Professor Friedberg deputirt. — Nach einer neueren Mittheilung der K. K. Oesterreichischen Postverwaltung ist bei Postpäckereien mit Tabak oder Cigarren, welche nach Oesterreich- Ungarn bestimmt sind, oder im Transit durch Oester reich-Ungarn befördert werden sollen, die Beifügung einer Einfuhr- bez. Durchfuhrbewilligung in Zukunft nicht mehr erforderlich. — Die Königl. Commission für die Staats prüfungen der Techniker veröffentlicht im „Dresdner Journal" den Termin (Ende Juni), bis zu welchem schriftliche Gesuche um Zulassung zur Prüfung ein gereicht werden müssen, sowie die näheren Bedin gungen, welche diesen Gesuchen beizufügen sind. — Dem officiellen Centralorgan für sämmtliche Militär-Kriegervereine im Königreiche Sachsen „Kamerad" wird von guter Hand mitgetheilt, daß der „Deutsche Kriegerbund" auf dem deutschen Kriegercongreß in Frankfurt a. M. vertreten sein wird; es stehe somit zu hoffen, daß der zehnjährige Gedenktag des Friedensschlusses in Frankfurt a. M. die Vereinigung im deutschen Kriegervereinswesen und damit das Kaiserprotectorat bringen werde. — Anscheinend officiös wird aus Dresden mitge theilt, das man dort an competenter Stelle nicht daran denke, den Belagerungszustand über Leipzig zu verhängen. Wenn in Berlin davon gesprochen werde, so müsse der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein. — Am Donnerstag Abend geriethen in Leipzig unfern der Thomasmühle ein Markthelfer und ein Unteroffizier in Streit. Letzterer zog blank und Feuilleton. Colomba. Corsisches Lebensbild von Prosper Meremse, deutsch von Nudokph Wütbcner. (Fortsetzung.) „Ist der Herr ein Sohn des Obersten della Rebbia?" fragte der Präfect ein wenig verwirrt. „Ja, mein Herr," erwiderte Orso. „Ich hatte die Ehre, Ihren Herrn Vater zu kennen " Die Gemeinplätze der Unterhaltung waren bald erschöpft. Gegen feinen Willen gähnte der Oberst öfters, Orso wollte, als Liberaler, mit einem Satel liten der Gewalt nicht sprechen und somit mußte Miß Lydia des Gespräch allein im Gange erhalten. Der Präfect seinerseits ließ es auch nicht ausgehen, denn es machte ihm augenscheinlich großes Ver gnügen, einmal von Paris und der Welt mit einer Dame zu sprechen, die alle Notabilitäten der euro päischen Gesellschaft kannte. Von Zeit zu Zeit, aber immer sprechend, beobachtete er Orso mit sonder barer Neugierde. „Lernten Sie den Herrn della Rebbia auf dem Festlande kennen?" fragte er Miß Lydia. Etwas verwirrt antwortete Miß Lydia, sie habe die Bekanntschaft des Herrn auf dem Schiffe ge macht, das sie nach Corsica gebracht. „Er ist ein sehr schöner junger Mann," sagte halblaut der Präfect, und noch leiser setzte er hin zu: „hat er Ihnen vielleicht gesagt, in welcher Ab sicht er nach Corsica zurückgekehrl?" Miß Lydia nahm ihr majestätisches Wesen an: „Ich habe ihn nicht darum gefragt," sagte sie, „fragen Sie ihn selbst." Der Präfect verstummte; aber einen Augenblick nachher, als er Orso einige Worte in englischer Sprache zu dem Obersten sagen hörte, fiel er ein: „Ohne Zweifel Sie sind viel gereist, mein Herr? Sie werden Corsica ganz vergessen haben . . und seine Sitten." „Gewiß, ich war sehr jung, als ich die Insel verließ." „Sie sind noch immer in Dienst?" „Ich stehe auf Halbsold, mein Herr." „Sie waren so lange in der französischen Armee, daß Sie nothwendig ganz Franzose geworden sind!" Die letztern Worte sprach er mit besonderem Nachdrucke. Es ist keine allzugroße Schmeichelei, wenn man die Corsen daran erinnert, daß sie der großen Nation angehören. Sie wollen ein Volk für sich sein, und rechtfertigen diesen Anspruch so gut, daß man sie gewähren lassen muß. Orso antwortete deshalb gereizt: „Sind Sie der Meinung, Herr Präfect, daß ein Corse, um ein Mann von Ehre zu sein, in der französischen Armee gedient haben muß?" „Gewiß nicht," sagte der Präfect, „das ist keines wegs meine Meinung; ich spreche nur von gewissen Gebräuchen dieses Landes, von dem manche anders sind, als ein Beamter sie wünscht!" Er betonte das Wort Gebräuche sehr stark und nahm dazu den ernstesten Ausdruck an, dessen sein Ge sicht fähig war. Bald nachher erhob er sich und ging, nachdem ihm Miß Lydia das Versprechen gegeben hatte, seine Frau im Präfecturgebäude zu besuchen. Als er fort war, sagte Miß Lydia: „Ich mußte also nach Corsica kommen, um einen Präfecten kennen zu lernen. Der da erscheint mir ziemlich liebenswürdig." „Was mich betrifft," sagte Orso, „so kann ich nicht dasselbe sagen; ich finde ihn sehr sonderbar mit seinem emphatischen und mysteriösen Wesen." Der Oberst war sanft eingeschlafen. Miß Lydia warf einen Blick nach ihm und sagte leise: „Und ich, ich finde, daß er nicht so geheimnißvoll ist, als Sie behaupten, denn ich glaube ihn verstanden zu haben." „Sie sind unstreitig sehr scharfsinnig, Miß Nevil, und wenn Sie in dem, was er gesagt hat, etwas Ge- scheidtes gefunden haben, so legten Sie selbst es erst hinein." „Das ist eine Phrase des Marquis von Mas- carille, Herr della Rebbia, glaube ich; aber . . - soll ich Ihnen einen Beweis von meinem Scharf sinn geben? Ich bin halb und halb eine Zauberin und weiß, was die Leute denken, sobald ich sie zwei mal gesehen habe." „Mein Gott! Sie erschrecken mich. Wenn Sie meine Gedanken zu lesen verstehen, so weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen oder betrüben muß." „Herr della Rebbia," fuhr Miß Lydia erröthend fort, „wir kennen einander erst seit einigen Tagen; aber auf dem Meere und in barbarischen Ländern — Sie verzeihen, wie ich hoffe — befreundet man sich weit schneller, als in der großen Welt." (Fortsetzung folgt.)