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ursprünglich verstockt, später, daß er einen großen Coup ausführen wollte, um einerseits den Nihilisten und Socialisten zu beweisen, daß der Tod des Kai sers in ihrer Position zur Gesellschaft Nichts ändere und anderseits, um der Regierung zu beweisen, daß Polizeimaßregeln und Willkür-Ukase auf den Nihilis mus wirkungslos bleiben. Befragt, wie man so viele Energie einem so verwerflichen Zwecke widmen könne, antwortete Ryssakoff: „Ich wollte den weißen wie den rohen Terrorismus gleichzeitig treffen. Ich war zwar Mitarbeiter, aber nicht Mitberather der übrigen Angeklagten. Ich hatte andere Zwecke vor Augen, als diese. Ich bin Socialist, jene sind Ter roristen. Ich bekenne, daß die Partei seit einiger ! Zeit zerfallen ist und daß das letzte Attentat ihr letzter Pfeil im Köcher war." Scheljabow und die Perowska sind vollkommen geständig. Durch Ter rorismus und Kaisermord beabsichtigten sie allgemei eine Glückwünsche zur Erhebung Rumäniens zum Königreich ausdrücken lasten. Griechenland. Griechenland sucht immer noch eine bedrohliche Haltung einzunehmen. Die Concentrirung von Truppen an der Grenze dauert fort. Türkei. Die Botschafter in Konstantinopel scheinen ihre Aufgabe, in dem griechisch-türkischen Grenzstreite eine Vermittelung anzubahnen, für erfüllt zu betrachten. Sie haben ein Protokoll unterzeichnet, worin sie anerkennen, daß die von der Pforte vor geschlagene Grenzlinie das aufrichtige Friedensver langen bekunden; die Abtretung von Epirus sei fast unmöglich. Die Botschafter rächen den Negierun gen, die Annahme dieser Linie Griechenland anzu empfehlen. nen Schrecken hervorzurufen und, den Schrecken be- , nützend, die Regierung zu stürzen und die so- cialistische Commune zu organisiren. Sie be haupten, mit Genf und London nur lose Verbin dungen, nur einen Austausch von Meinungen zu haben. Das ausgeführte Attentat kannten angeblich vorher schon alle Nihilisten, blos der Tag der Aus führung war Geheimniß. Es dürfte interessant sein, zu erfahren, daß man in Ptersburg über die Ankunft des deutschen Kronprinzen, des Prinzen von Wales u. s. w. geflissentlich falsche Nachrichten verbreitet hatte; selbst die Polizei wußte nicht bestimmt, wer ange kommen sei. Es war in den betreffenden Stadtbe zirken einfach befohlen worden, von so und so viel Uhr ab in den und den Straßen zu erscheinen, Ordnung zu halten, abzusperren u. s. w. Im Kasan'schen Stadttheil, zu dem der Wosuessensky- Prospect gehört, durch den die Gäste vom Warschauer Bahnhof aus fahren müssen, war die Polizei Mann für Mann am Abend, als Prinz Arnulf von Baiern ankam, steif und fest überzeugt, der deutsche Kron prinz und der Prinz von Wales wären angekommsn. Das Testament des Kaisers soll bereits er öffnet sein. Er vermacht in demselben, wie man sagt, seiner zweiten Gemahlin, deren ganze Auf fassung ihrer Stellung in der für sie in jeder Be ziehung so schweren Zeit eine durchaus würdige ist — sie tritt jetzt mit derselben bescheidenen Zurück haltung auf, wie in ihrer Glanzzeit — ein Ver mögen von 15 Millionen Rubel, Man glaubt übrigens, daß die Fürstin, welche von allen Seiten, angefangen vom jetzigen Kaiser und den übrigen Familienmitgliedern, nur Beweise der Achtung em pfängt, künftighin ihren Aufenthalt im Auslande nehmen wird. Rumänien. Der König von Belgien hat dem König von Rumänien durch den belgischen Ministerresidenten Aus dem Muldeuthale. * Waldenburg, 31. März. Ihre Durchlaucht die Frau Prinzessin Ernst von Schönburg-Waldenburg ist von einer Prinzessin glücklich entbunden worden. Glauchau, 30. März. Se. Erlaucht Graf Cle mens von Schönburg-Glauchau ist heute nach Berlin gereist. *Waldenburg, 31. März. Gestern Abend hielt die hiesige Feuerlösch-Eommission auf hiesigem Markt platz eins Probe mit Petroleumfackeln aus der Fa brik des Herrn Lieb in Biebrach ab. Zur Probe gelangten eine Patent-Platzfackel, mit welcher eine zweite Probe gemacht werden soll, da die Erzielung eines besseren Lichtes wahrscheinlich ist, eine große Handfackel, mit der man sehr zufrieden war, und eine kleinere Handfackel, die den Ansprüchen weniger genügte. Der Preis der großen Platzfackel beträgt ohne den Schirm, den Reservedocht und das Ge stell 15 Mk. 50 P., die große Handfackel kostet 7 Mk., die kleinere 1 Mk. 50 Pf. *— Nunmehr ist auch die Liste der ausgeloosten sogenannten landschaftlichen Obligationen, der Staals- schulden-Cassenscheine, sowie der sächsisch-schlesischen Eisenbahn-Actien erschienen und kann dieselbe gleich falls in unserer Expedition eingesehen werden. Mit Genehmigung des Herrn Superintenden ten Weidauer findet in diesem Jahre die Prüfung der Consirmanden nicht wie gewöhnlich am Sonntage Judica, sondern erst am Freitag vor Palmarum während des Abendgottesdienstes statt. — Kürzlich verstarb in Königsfeld bei Rochlitz der in letzter Zeit erblindete 86jährige Veteran, Hausauszügler Gottlob Rudolph, nach vierwöchent lichem Krankenlager, welcher die Feldzüge 1813—15 mitgemacht har. Der Militärverein zu Rochlitz, dessen Mitglied er war, gab ihm bei der Beerdigung am Dienstag die Begleitung (mit Fahne) zur letzten Ruhestätte wie auch die ihm gebührenden Ehren salven. Aus dem Sachsenlande. — Von der durch das königl. Finanzministerium herausgegebenen, im topographischen Bureau des königl- Generalstabes bearbeiteten topographischen Karte des Königreichs Sachsen ist soeben die VII. Liefe rung, die Sectionen Pirna, Königstein, Berggieß hübe, Rosenthal, Liebschwitz (Gera), Rückersdorf (Ronneburg), Meerane, Langenbernsdorf, Reibolds- grün (Zeulenroda), Elsterberg, Reichenbach und Pausa enthaltend, in beiderlei Ausführung, mit ge kuschten Böschungen und als reine Aequidistanten- tarle, erschienen. Der Preis einer einzelnen Sec- tion nebst zugehörigem Höhenheft beträgt 2 M. für die Ausgabe mit getuschten Böschungen und 1 M- 50 Pf. in der einfacheren Ausführung. Die Karte ist nicht nur durch die Commissionsbuchhandlung von Wilhelm Engelmann in Leipzig, sondern auch durch jede andere Buchhandlung zu beziehen insbe sondere durch die in Dresden, Leipzig, Döbeln, Freiberg, Plauen, Annaberg, Zwickau, Glauchau, Bautzen, Berlin und Altenburg errichteten Lager, woselbst überall Uebersichtsblätter und Prospecte über die bis jetzt erschienenen und demnächst zur Veröffentlichung gelangenden Sectionen der topo graphischen Karte ebenso, wie die einzelnen Blätter selbst zur Ansicht bereit stehen. — Die durch Bewilligung der nöthigen Geldmit tel vom Reichstage gebilligte Umgestaltung des Post wesens auf dem platten Lande wird schon in näch ster Zeit vor sich gehen. Das Landbriefträger-Per sonal wird zunächst um 2000 Köpfe verstärkt, also von 12,000 auf 14,000 vermehrt; weitere Verstär- s kungen bleiben vorbehalten. Gegen 300 Landbrief- ; träger werden mit Fuhrwerk ausgerüstet. Die Ein richtung von 437 neuen Postagenturen schließt sich an. Dadurch wird die Zahl der Reichspostanstalten auf 8017 gesteigert. Als Filialen bestehender Post anstalten sollen 1000 Posthilfsstellen in allen Thei len des Reiches eingerichtet werden. Die Zahl der Landbriefkasten wird auf 30,000 vermehrt. — Im Aushebungsbezirke der Kgl. Amtshaupt- manuschaft Dresden-Neustadt sind bei dem nunmehr beendeten Musterungsgeschäft in Summa 1177 Mann zur Gestellung gelangt; 407 waren tauglich, 472 wurden zurückgestelll, 96 ausgemustert, 40 zur Er satzreserve zweiter und 109 zu der erster Klaffe, sowie 53 zur übungspflichtigen Ersatzreserve designirt. — Das königliche Schwurgericht zu Dresden hat am Dienstag den ehemaligen Staatsschulden-Cassirer Schönfeld wegen Unterschlagung sächsischer Staats gelder zu 5 Jahren 6 Monaten Gefängniß und die Mitangeklagten Nitzschner und Häntzschel zu 2 Jah ren 6 Monaten, beziehentlich I Jahr 4 Monaten Gefängniß verurtheilt. — Zur Aufnahme in das Königl. Seminar zu Schneeberg halten sich in diesem Jahre 25 junge Leute gemeldet, von denen 22 an der Aufnahme- Feuilleton. Flitterwochen. Erzählung von Julius Wiesenthal. Nachdruck verboten. Der Monat April hatte sein launenhaftes Regi ment bis zu den letzten Tagen der ihm zugemes- senen Zeit mit voller Willkür ausgeübt. Kaum aber war sein Nachfolger, der Mai, in die Herr schaft eingetreten, so ward das rauhe, unberechen bare System über Bord geworfen, und eine milde, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Periode brach herein. Auch der große, parkgleiche Garten der Frau Commerzienrath Sommer aus der Residenz, mitten in dem bescheidenen Dorfe die einzig bemer- kenswerthe Besitzung und ganz dazu angethan, nach den trüben Wintertagen des Stadlaufenthalts Er holung zu gewähren, hatte schleunigst der Mai-Herr schaft gehuldigt und prangte in den frischen, er quickenden Farben des zum Erwachen gelangenden Frühlingslebens. Damit aber Menschenhände hinter dieser von der Natur vollzogenen Dekoration nicht ganz in Unthätigkeit zurück blieben, waren mehrere dienstbare Geister in aller Frühe beschäftigt, ihre Ar beitskraft der Pflege des Gartens zu widmen, die Wege und Gänge mit frischem Sand zu beschütten. Aus diesem Grunde schien es heute bedeutend früher lebendig in der sonst stillen Besitzung geworden zu sein, wenn nicht etwa der am vergangenen Abend angekommene Reisewagen nebst Insassen mit Schuld an dem ungewöhnlich frühen Beginn des Tages trug. Die fleißigen Hände hatten ihre Arbeit gethan undden Schauplatz ihrer Thätigkeit bereits wieder verlaffen, nur der Gärtnerbursche Wilhelm machte sich noch mit der Pflege des ihm anverlrauten Rayons zuschaf fen. Durch die nach dem Dorfe mündende Gar- tenihür trat jetzt ein anscheinend schüchterner junger Mann ein. Sein Gang verrieth Unsicherheit, wenn nicht Aengstlichkeit. Wilhelm, der den Herankom menden bemerkte, murmelte mit bedenklicher Miene „wenn Der nur kein böses Gewissen hat" vor sich hin. Inzwischen war der Eindringling bei so früher Morgenstunde in des Gärtnerburschen Be reich angelangt, so daß dieser ihn erkannte und ansprach: „Herr! Ich habe Ihren Brief noch gestern Abend besorgt!" Der Angeredete war ziemlich erschreckt, er hatte Wilhelm nicht bemerkt. „Du bist es? Was sagte das Fräulein?" inqui- rirte er seinen Boten vom vergangenen Abend. „Sie wolfle den Brief erst nicht annehmen. Als sie ihn aber gelesen, meinte sie, ich solle schweigen und an meine Arbeit gehen. Das ist ein stolzer Be such. Da sehe ich sie gerade auf uns zukommen — wünsche gute Verrichtung!" Mit diesem frommen Wunsch verschwand der Gärlnerbursche. War es ein Jnstinct von Discretion, bei der bevorstehenden Unterredung kein hinderlicher Zeuge sein zu wollen, war es ein überflüssig hoher Grad von Respect vor der jungen Danie, welche jetzt aus der von der Villa noch dem Garten führen den Allee auf den Fremden zugeschritten kam? — wer mit offenen Augen sehen wollten konnte unmög lich verkennen, daß ihr Wesen, ihr Auftreten von Sicherheit und Selbstbewußlsein zeugte. Somit war sie es auch, welche das Wort ergriff: „Nur um Ihre Unbesonnenheit zu tadeln, komme ich!" Der Getadelte alhmete trotz des Vorwurfs auf. „Sie sind's, Ottilie? Ich athme auf." Mit dieser freudigen Begrüßung war die Dame übrigens nicht besänftigt. „Es könnte ebenso eine andere Person sein — und ich wäre durch Ihre Gegenwart compromittirt." „Das fürchtete ich auch, zumal ich außer Stande bin, Jemanden zu erkennen. Auf der Reise hier her zerbrach meine Brille — und ich bin in der größten Verlegenheit," bekannte der Verlegene ziem lich kleinlaut. „Das ist wieder eines Ihrer Meisterstücke!" warf die Unerbittliche vor. „Und welche Verlegenheit bereiten Sie mir! Kaum gestern Abend zu Besuch bei der Frau Commerzienrath Sommer angelangt, überbringt mir der beschränkte Gärtnerbursche Ihren Brief, welcher mich zu einem Rendezvous heute in aller Frühe bestellt. Nur umJhr möglichesZusammentreffen mit anderen Personen zu vermeiden, folge ich Ihrer Einladung, und nun, da ich einmal da bin, will ich Ihnen kurz und bündig sagen —" „Haben Sie denn kein Verständniß für meine Liebe?" unterbrach der Zurechtgewiesene die Straf- Epistel. „Ich bin es überdrüssig, mich vor meiner Mut ter mit Heimlichkeiten zu umgeben!" fuhr die Zür nende fort. „Trotzdem ich Ihnen zu mehreren Malen versicherte, daß meine Mutter über sogenannte Standesvorurtheile erhaben sei, wagten Sie nicht, ihr Ihre Wünsche betreffs meiner vorzutragen. Und daß Sie uns vollends nachreisen, auf das Land nachreisen, wo jede fremde Persönlichkeit doppelt auffallen muß —" „Als ich erfuhr, Sie seien abgereist, wurde mir so seltsam zu Muihe!" versuchte sich der Angeklagte zu rechtfertigen. „Ich gab der Vermuthung Raum, Sie könnten mir auf irgend eine Weise entzogen werden." „Das ist so Ihre Art," meinte die einmal im Zuge befindliche Dame. „Zweifel und wieder Zweifel an meiner Treue — und doch haben Sie nicht den Muth —" (Fortsetzung folgt.)