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Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. IO. Freitag, den 18. Februar 1881. "Waldenburg, 17. Februar 1881. Noch einmal die freie oder Zwangs- Innung. Zu den übelsten Erbschaften, welche wir aus der hinter uns liegenden Periode überkommen haben, gehört die Gewöhnung an bestimmte Schlagworte, Phrasen oder Begriffsbezeichnungen, welche einem früheren Standpunkte der betreffenden Frage ent sprochen haben mögen, jetzt aber mindestens ungenau und verwirrend, zum Theil auch geradezu sinnlos geworden sind. Zu ihnen gehört auch der vermeint liche Gegensatz zwischen „obligatorischer" und „fa- cultativer" Innung; ein Gegensatz, welcher sich auf die irrige Annahme stützt, auch die heutigen fach gewerblichen Korporationen könnten in dem Sinne, in dem das Wort „Innung" heute gebraucht zu werden pflegt, als Innungen angesehen werden, und es sei also zu wählen zwischen Vereinigung, die wesentlich die Tendenz dieser heutigen sogenannten Innungen („fakultative Innungen") hätten und Vereinigungen auf ganz anderer, obligatorischer Basis. Aber mit dieser Auffassung ist die ganze für das gewerbliche Leben der Zukunft so hochwich tige Frage in ein schiefes Licht gerückt. Die heutigen fachgewerblichen Vereine können eigentlich nur höf lichkeitshalber — oder, wenn man lieber will, des besseren Klanges wegen — „Innungen" genannt werden, da „Innung" nach dem herkömmlichen Sinne sowie nach der Etymologie des Wortes etwas Geschloffenes und Gefestigtes, von Tagesströmungen Unabhängiges, nach Außen sowie den eigenen Mit gliedern gegenüber Widerstandsfähiges bedeutet. Alle diese Kriterien gehen der heutigen sogenannten In nung ab. Daß aber das Handwerk die ihm eigen- thümliche Stellung in unserem wirthschaftlichen und socialen Leben nicht ohne solche feste Verbänoe ein zunehmen vermag und daß daher das Princip der heutigen Gewerbe Gesetzgebung, demzufolge die In nung ihren öffentlich-rechtlichen Charakter gänzlich verloren hat, verlassen und ein anderes an dessen Stelle gesetzt werden muß, ist jetzt von den Parteien bis weit nach links hin anerkannt worden; selbst viele Fortschrittler gestehen ja zu, daß den Innun gen einige über das bisherige Maß ihrer Berechti gung hinausgehende gewerberechtliche Befugnisse ein geräumt werden könnten. Damit ist aber dasjenige Princip, welches allein als das der „facultativen Innung" bezeichnet werden könnte, ein für allemal fallen gelassen und ist somit der Eingangs angeführte -angebliche Gegensatz gegenstandslos geworden. Es handelt sich jetzt nur noch um die Frage, ob die zu schaffenden neuen Verbände mit einem direclen Bei- lrittszwange ausgerüstet werden sollen oder nicht. Fakultative Innungen aber wird man Verbünde, denen das Lehrlings- und Gestllenwesen auch der nicht zur Innung gehörigen Gewerbsgenossen unter stellt ist, die ein Jnnungsgericht besitzen, die ihre Beiträge execuiorisch als öffentliche Steuern einzie hen, die von den Negierungen als Repräsentanten des Gewerbes anerkannt werden rc., unmöglich mehr nennen können, auch wenn kein Beilritts zwang besteht. Wir unsererseits nehmen nun keinen Anstand, uns gegen den Beitrittszwang auszusprechen, nicht, weil wir die mindeste Scheu vor einer im Interesse der Gesammtheil zu verfügenden Zwangspflicht em pfinden und auch nicht, weil die Schulze-Delitzschen Genossenschaften dem Jnnungswesen den Boden ent zogen haben sollen (welches letztere unseres Erachtens so wenig richtig ist, daß im Gegenlheil das Genossen schaftswesen erst innerhalb der Innung und durch dieselbe seine volle Ausbildung erhalten und erst die rechte Anwendbarkeit auf die Verhältnisse des kleineren Handwerkers finden wird). Am wenigsten können, wie uns scheint, die Ergebnisse früherer Zustände und Bewegungen für die heutige Jnnungsbewegung maßgebend gemacht werden, denn die Bedeutung der letzteren liegt gerade darin, daß sie mit großer In tensität aus dem Handwerkerstande selbst emporge drungen ist und sich allen Widerstandes und Todt- schweigens unerachtet durchgekämpst hat, so daß heute mit gutem Gewissen auf das Vorhandensein eines Geistes unter den Handwerkern gerechnet werden kann, welcher zum Träger eines neuen, kräftigen, zeitgemäßen Jnnungswesen befähigt ist. Die Gründe, aus denen wir uns gegen den Beitritlszwang aus- sprechen müssen, sind vielmehr rein sachlicher Natur. Fürs Erste ist das ganze gegenwärtige Gesetz seiner Statur nach nur ein UebergangSgesetz, da die defini tiven Formen des künftigen gewerblichen Lebens doch nicht von der Gesetzgebung vorgeschrieben, son dern nur von den Handwerken selbst praktisch ge schaffen werden können; unter solchen Umständen kann es aber unmöglich zweckmäßig sein, einerseits die ganze Jnnungsbewegung von Gesetzes wegen in eine bestimmte Richtung zu zwingen, andererseits die Innungen mit theils widerwilligen, theils un- geigneten Elementen zu überlasten. Für's Zweite steht die ganze gegenwärtige Jn nungsbewegung, so großartig sie auch als spontane Bewegung ist, doch der Masse des Gewerbestandes gegenüber noch so i.r der Kindheit, das ganze deutsche Länder, ganze Provinzen rc nicht nur etwa nur keine Innungen haben, sondern sogar noch gar Nichts (oder gar nichts mehr) von denselben wissen; aus diesem heutigen Zustand nun sofort in den Zustand eines allgemeinen Beitriltszwanges hinüberzuspringen, scheint uns denn doch ein mehr wie gewagtes Ex periment. Für's Dritte sind wir zwar keineswegs der Mei nung, daß die von dem normalen Handwerkswesen abweichenden, der Eingliederung in dasselbe ihrer Natur nach widerstrebenden und dabei doch wesent lich handwerksmäßigen Betriebe so zahlreich und so wichtig seien, das das ganze Gewerbe sich nach ihnen richten müsse, wohl aber halten wir diese Betriebe für zahlreich und wichtig genug, um ihnen eine ge wisse Rechnung zu tragen. Für's Vierte möchten wir den Innungen das freie Recht der Aufnahme und des Ausschluffes nicht oer- kümmmert sehen, welches sich indessen mit dem Bei- trittszwange schlechterdings nicht verträgt. Für's Fünfte und Letzte endlich halten wir diese extreme Maßregel in keiner Weise für erforderlich, das wir überzeugt sind, daß die den Innungen zu v-r- leihenden Rechlsbefugmsse auch ohne den Beitritls zwang alle achtbaren und wünschenswerlhen Elemente sehr bald zum Beitritte treiben werden; wo aber ge waltsame Maßregeln und Sprünge nicht durch zwingende Rücksichten geboten sind, da ist stets eine ruhige Entwicklung von innen heraus vorzu ziehen. "Waldenburg, 17. Februar 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Das Programm für die Vermählungsfeierlich keilen des Prinzen Wilhelm ist von dem Kaiser in den Grenzen möglichster Einfachheit festgehalien und darüber auch mit dem kronprinzlichen Paar das Einverständniß hergestellt worden. So Hai der Kai ser wie früher die Reiterquadrille, sitzt auch das angebotene Tournier der Gardehusaren nicht ange nommen. Geleitet war der Entschluß des Kaisers außer von Rücksichten der Ersparniß für die Bethei ligten, von dem Gedanken, gegenüber den Anerbie tungen der Stadt Berlin, die über den Umfang und Glanz hinausgehen, die dem Einzug und den Ver mählungsfeierlichkeiten des kronprinzlichen Paares seiner Zeit gegeben wurden, die Festlichkeiten thun- lichst in dem damals gezogenen Rahmen sestzuhalten. Bei der am 16. d. mit der Reichstagssitzuug vor genommenen Präsidentenwahl erhielt v. Arnim 147, v. Seydewitz-Nothenburg 91 Stimmen, 31 Stimmzettel waren unbeschrieben, v. Arnim, der nicht anwesend war, ist somit gewählt. Bei der Wahl des ersten Vicepräsidenlen erhielt Frhr. v. Franckenstein 149, Or. Stephani 101, v. Benda 4 Stimmen, v. Franckenstein nahm die Wahl an. Der zweite Vicepräsident wurde mit 172 von 256 Stimmen gewählt und erklärte gleichfalls die An nahme der Wahl. Einer Zusammenstellung der Werthe der Ein- und Ausfuhr der wichtigsten Industrie-Artikel im deutschen Zollgebiet in den Jahren 1878 und 1880, welche die „Norddeutsche" veröffentlicht, ist zu ent nehmen, daß im ersten Jahre des Schutzzollsystems in den aufgezählten Fabrikaten für 174,6 Millonen weniger aus dem Auslande eingeführl und für 341,8 Millionen mehr ausgesührt wurde als im Freihandelsjahre 1878. Das deutsche Volk hat im Jahre 1880 demnach nur bei den genannten In dustrie-Erzeugnissen seinen Nationalreichthum um rund 516 Millionen mehr vermehrt als in 1878. Die gesammte Handelsbilanz in allen Artikeln stellt sich für Deutschland noch weit günstiger. England. Die Königin hat den Empfang der holländischen Deputation, welche eine Bittschrift zu Gunsten der Wiederherstellung der Unaohängigkeit des Trans vaallandes überreichen wollte, abgelehnt; die Bitt schrift wurde dem Siaatssekretär des Auswärtigen, Lord Granville, zugestellt. Wie die „Daily News" erfahren, hat der Be fehlshaber der englischen Truppen in Natal, Colley, am Montag Abend der Regierung übermittelt, ob mit den Boeren nicht Frieden geschlossen werden möchte. Der Ministerrach hat die Anfrage discutirt und eine Antwort abgeferligt. Der durch seine jüngsten Feldzüge in Afghanistan bekannte britische General Roberts hielt am 15. d. im Mansionhouse in London eine Rede, in welcher er erklärte, daß das neue britische Militärsystem mit seiner „Mischung der Regimenter nebst kurzer Dienstzeit" vollständig den Corpsgeist, die Disciplin und die Ausdauer der englischen Armee vernichte. Das englische Heer erfordere im Gegensätze zu den kontinentalen Armeen, woselbst die Reserven die größte Rolle spielen, den höchumöglichen und voll ständigen Präsenzstand der Regimenter, welche oft Hals über Kopf in Asien und Afrika gegen vielfach überlegene Feinde zu kämpfen hätten. Nach dem jetzigen neuen System werden blutjunge Burschen in ihnen ganz fremde Regimenter ausgenommen. Das Resultat davon ist, daß ein solches Regiment in schlechtestem Zustand auf dem Kriegsschauplatz ankomml; die jungen Mannschaften füllen die Hospi- läter und sind dienstunfähig, denn ihnen fehle, wie gesagt, die Disciplin, der Corpsgeist und die Aus dauer. Diese „Knaben-Regimenler" brachen aus nahmslos im letzten Afghaneu-Kriege zusammen. Nur mit seinen drei Veieranen-Rsgimentern konnte er, Roberts, den Marsch nach Candahar wagen. Es sei notorisch, daß die englischen Soldaten erst nach drei Jahren in Indien eigentlich dienstfähig u erden. Daraus ergebe sich jetzt die traurige That- sache, daß bei einem jährlichen Nachschübe von 5