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Schönburger Tageblatt Sonnabend, de» 22. Mai 1880 Rußland. Bei den Prozeßverhandlungen trug der an geklagte vr. Weimar ostentativ eine Anzahl Orden auf der Brust. Es waren dies die russischen Kriegs orden von Wladimir und St. Annen, sowie die rumänischen und serbischen mit Schwertern und das Ehrenzeichen. Marie Kolenkina wollte auf Befragen des Präsidenten nicht aufstehen und that dies erst nach wiederholter strenger Zurechtweisung. Bei ihrer Verhaftung schoß sie auf die Gendarmen. Deswegen befragt, äußert sie lachend und in frechster Weise: Ich bedauere, „daß ich nicht den richtigen Schuft getroffen". BeimAbführen macht dieKolenkinahöchstunanständige Gesten. Der Angeklagte Witanin bringt die Be hauptung fertig, er habe erst während der Haftnahme überhaupt von der Existenz einer nihilistischen Par tei Kenntniß erhalten und sei vollkommen unschuldig. Diese Kleinigkeiten mögen die Gesellschaft charakteri- siren, welche auf der Anklagebank sitzt. Am 19. d. begann das Zeugenverhör; es wurden 20 Zeugen vernommen. Das Verhör dauerte bis 11 Uhr 20 Minuten abends. Seit etwa einem Jahre ist man in den General- Ein Nachcongreß zum Berliner Congreß soll demnächst wieder in Berlin zusammentreten, und zwar soll dies auf Vorschlag Frankreichs und Eng lands durch die in Berlin beglaubigten Botschafter sämmtlicher Signatarmächte geschehen, um die uner ledigten Punkte des Berliner Vertrages zu regeln. Die neue preußische Orthographie hat bei der königlichen Regierung in Minden nur ein kurzes Dasein gefristet. Während die neue Orthographie in letzter Zeit in der Abtheilung für Schule rc. an gewendet werden mußte, ist vor einige» Tagen sämmtlichen Regierungsbeamten seitens des Präsi diums die Weisung zugegangen, sich fernerhin wieder der altgewohnten Schreibweise zu bedienen. Die kaiserliche Admiralität beabsichtigt die Schiffe der ostasiatischen Stationen, sobald die krieg drohenden Verhältnisse zwischen China und Ruß land einen ernsteren Charakter annehmen, durch Zusammenziehung der übrigen transoceanischen Stationen zu verstärken. Ein Krieg Rußlands mit China würde wahrscheinlich eine Blokade seitens des ersteren Staates aller an der chinesischen Küste be legenen großen Handelsstädte zur Folge haben, wo durch der englische überseeische Handel in erster Linie, der deutsche in zweiter Linie, wie auch der dänische, französische und amerikanische arg geschädigt werden würde; ein Umstand, der zu streitigen An gelegenheiten sofort die Veranlassung bieten dürste. Das Ober-Commando der Schiffe auf der asiatischen Station soll, sobald die beabsichtigte Vermehrung der Schiffe sich zur Nothwendigkeit gestaltet, dem Kapitän zur See Graf von Monts übertragen werden, mit dem, nebenbei bemerkt, die Versöhnung seitens des Chefs der Admiralität, General von Stosch, bereits erfolgt ist. In Dortmund hat eine Katholikenversamm lung stattgefunden, welcher 3000 Männer beige wohnt haben. An den Kardinal Nina ward folgendes Telegramm abgesandt: „3000 katholische Männer aus den Provinzen Westfalen und Rheinland, welche hier zur Vertheidigung der Rechte der Kirche ver sammelt sind, geben dem h. Vater das Versprechen der Treue, der Ehrfurcht und des Gehorsams, und bitten um den apostolischen Segen." Ferner be schloß die Versammlung auf den Vorschlag des Herrn Klein, eine Eingabe an den Cultusminister zu rich ten, in welcher die Bitte ausgesprochen wird, die Ertheilung des Religionsunterrichtes in den Schulen und die Auswahl der Lehrbücher den kirchlichen Organen zu überlassen. Graf Landsberg wurde mit der Besorgung dieser Eingabe betraut. Oesterreich. In Prag kamen am Abend des Dienstag 35 Berliner Techniker mit den Professoren Winkler und Goering, auf einer wissenschaftlichen Excursions- tour begriffen, an und wurden vom Rector, mehre ren Professoren und zahlreichen Hörern des deut schen Polytechnikums von Prag empfangen und in das Hotel geleitet. Vor dem Hotel rotteten sich etwa zweihundert Tschechen, junge Leute, zusammen und schrien xor-SAt. Die Berliner, nichts ahnend, glaub ten anfangs an eine Ovation, überzeugten sich aber später von dem wahren Character des Geschreies der Wenzeslaus-Söhne. Frankreich. Der Streik in Reims ist beinahe vollständig bergelegt und dauert nur noch in Roubaix fort. England. Das englische Parlament ist mit einer Thron rede eröffnet worden, jedoch nicht durch die Königin in Person. Die Thronrede bezeichnet die Bezieh ungen zu den Fremdmächten als herzliche und hofft, die Regierung werde im Einvernehmen mit den Mächten die baldige Ausführung des Berliner Ver trages betreffs effektiver Einführung der Reformen und gleichmäßiger Gesetze in der Türkei erreichen können. Auch die territorialen Fragen seien noch nicht gemäß der Bestimmung des Berliner Ver trages geregelt, eine solche Ausführung des Ver trages aber wesentlich. Um neue Verwickelungen zu verhüten, glaube die Königin, einen außer ordentlichen Botschafter an den Sultan absenden zu sollen. Betreffs Afghanistans sagt die Thronrede: „Die Regierung ist bemüht, für die Pacification des Landes und für die Einrichtungen, welche ge eignet sind, die Unabhängigkeit des afghanischen Volkes zu sichern, freundschaftliche Beziehungen mit Indien herzustellen. Die Thronrede empfiehlt die Conföderation der südafrikanischen Colonien und die Aufrechterhaltung der Suprematie in Transoaal- land. Die Ausnahmegesetze für Irland würden nicht wieder erneuert, obschon die Regierung ent schlossen sei, das Leben und Eigenthum zu sichern und die Ordnung zu erhalten. Unter den ange kündigten Vorlagen befindet sich das Jagdgesetz und die Vorlage über eine dem Wahlrechte der engli schen Wahlflecken entsprechende ähnliche Gestaltung des Wahlrechts der irischen Wahlflecken. Wie schnell die neue englische Regierung die Sympathien im Volke wieder verliert, das zei gen recht deutlich zwei in jüngster Zeit vorgekom mene Ergänzungswahlen. Der in Oxford gewählte liberale Harcourt ist zum Kabinetsmitgliede ernannt worden, weshalb sein Mandat sich erledigte. Die Oxforder wählten ihn aber nicht wieder, sondern einen Conservativen. Der im schottischen Wahl flecken Wigton gewählte Liberale Jnclaren hatte wegen seiner Ernennung zum Lord-Advocaten das Mandat niedergelegt; seine Wähler wählten aber anstatt seiner den Conservativen Mr. Stewart. Das sind schlechte Aussichten für das gegenwärtige Regi ment. *Waldenburg, 2t. Mai 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die deutsche Kronprinzessin ist nach achtmona tiger Abwesenheit am 20. d. früh in ihre Heimat zurückgekehrt. In Wildpark, einer Station bei Potsdam, wurde sie vom Kronprinzen und anderen hohen Persönlichkeiten begrüßt. Nach dem Früh stück im Neuen Palais, wohin sich die hohe Gesell schaft theils zu Wagen, theils zu Pferde, theils zu Fuß, wie der Kronprinz und Andere, begeben hatte, begab sich die Kronprinzessin nach Berlin zur Begrüßung des kaiserlichen Schwiegervaters. Die Kronprinzessin Victoria überraschte den Kaiser mit einem Bouquet von außergewöhnlich großen und schönen Marguerites und italienischen Gräsern, so wie mit einem Kunstgegenstand, der ebenso wie die Blumen in speciellem Gewahrsam der hohen Frau die Reise aus dem Süden nach Berlin gemacht hatte. Bei den Unterredungen, welche Se. Majestät der König von Sachsen mit dem Kronprinzen resp. dem Reichskanzler geflogen, soll es sich außer der schwebenden Verfassungsfrage und Hamburgischen Angelegenheit, vornehmlich um die Frage der durch das neue Militärgesetz veränderten Garnisonsver hältnisse der Reichslande Elsaß-Lothringen gehandelt haben. Es scheint, daß die deutschen Königreiche nicht gewillt sind, ohne Weiteres für eine Zurück ziehung der nicht preußischen Regimenter aus Elsaß- Lothringen einzutreten, und soll dieserhalb auch eine Zusammenkunft der Gesandten dieser Staaten statt gefunden haben. Das preußische Abgeordnetenhaus ist am 20. d. in Berlin eröffnet worden. Zunächst wurde der Entwurf über die Organisation der allgemeinen Lan desverwaltung berathen. Ein eingebrachter Gesetz entwurf, betreffend die Abänderung der kirchen politischen Gesetze, besagt im Wesentlichen: Das Slaatsministerium ist ermächtigt, mit Königlicher Genehmigung von gewissen einzeln angeführten Er fordernissen des Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen zu dispensiren, auch aus ländischen Geistlichen die Vornahme von Amtshand lungen zu gestatten. Die Berufung an die Staats behörden gegen die Entscheidungen der Kirchenbe hörden steht nur dem Oberpräsidenten zu. Gegen Kirchendiener, welche die SlaUsgesetze schwer ver letzen, ist auf Amtsunfähigkeit zu erkennen, womit der, Verlust des Amtseinkommens verbunden ist. Einem durch Gerichtsurtheil entlassenen Bischof kann vom Könige die staatliche Anerkennung als Bischof der früheren Diöcese wiederertheilt werden. In den erledigten katholischen Bisthümern kann die Ausübung bischöflicher Rechte Dem, welcher den kirchlichen Auftrag darthut, auch ohne vorge schriebene Eidesverpflichtung durch Staatsministerial- beschluß widerruflich nachgelassen werden. Eine Verfolgung wegen Zuwiderhandlungen gegen die Maigesetze findet nur auf Antrag des Oberpräsiden ten statt. Die Minister des Innern und des Cul- tus sind ermächtigt, die Errichtung neuer Nieder lassungen von in Preußen bereits bestehenden Ge- nossenschaften für die Krankenpflege zu genehmigen, auch widerruflich zu gestatten, daß bestehende weib- Uche Genossenschaften für Krankenpflege auch die der Mmrweisung nicht schulpflichtiger Kin- er als Nebenthätigkeit übernehmen. Die noch rückständige Einkommensteuer ist zu Vermeidung der Einleitung des Mahnverfahrens gegen die säumigen Steuerpflichtigen nunmebr sofort zu bezahlen. Stadtsteuer-Einnahme Waldenburg, am 20. Mal 1880. . Und Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr- Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage V lich 1 Mk. 50 Pf. nach Sonn- und Festtagen. TM/U » Alle Postanstalten, die Expedition und die WlUoeNlMlMr NNMlM. " des vorhergehenden Tages. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg.