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Nr. 244. — 8. Jahrgang. Der jeden Wochentag Abend (mit Datum des folgenden TaacS) zur Versendung gelangende „Sächsische LandcS-Anzcigcr" mit täglich einem Extra-Beiblatt: 1. Kleine Botschaft L. Sächsischer Erzähler S. Sächsische Gcrichtszeitung 4. Sächsisches Allerlei b. Jllustrirtes Unterhaltungsblatt 6. Sonntagsblatt 7. Lustiges Bilderbuch lostet bei den Ausgabestellen monatlich 70 Psg., bei den Post-Anstalten 75 Pfg. (Post-Zcitungs-Prcisliste Nr. 5035.) Sächsischer Uttpartettsche tägliche Zeitung für Sachsen und Thüringen Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Bnchdruckerei, Chemnitz, Theaterstratze Nr. 8. Fcrnsprech-Anschluß Nr. 136. — Telegramm-Adresse: Landes-Anzeiger, Chemnitz Donnerstag, 18. Oktober 1888. Bon den Hanptblätter» des „Sächsischen Landes-AnzeigerS" erscheint (ohne dessen tägliche Extra-Beiblätter) eine billigere Sonder-Ausgabe unter dem Titel: Chemnitzer General-Anzeiger für monatlich nur 50 Pfg. mit Zntragen; außerhalb Chemnitz monatl. 57 Pf. m. Ztr. (Zeitungs-Preisliste 0. Nachtr. Nr. 1350».) FürAbonncnten erscheint je eininal imJahr. Eommer-Eiseiibahlisahrlilanheft für Sachsen. Winter-Llselibahilfahrpianhest für Sach en- Jllustr. «ölender de« Sächsischen Sandboten. Jllustrirtes Jahrcsbnch des Landes-AnzeigerSr r»n-eigrnprclS: Nanni einer schmalen Corvuszeile >5 Pfg. — Bevorzugte Stelle (Isvaltige P?titzcile) 30 Pfg. — Bei Wiederholung großer Anzeigen Preisermäßigung. — Bei Bestellungen von AnSwärts wolle man den Einrückungsbetrag (in Briefmarken) beifügen >je 8 Silben Corpusschrist bilden ca. 1 Zeile.) — Anzeigen können nur bis Vormittag angenommen werden, da Druck und Verbreitung der großen Auflage längere Zeit erfordern. — Tie Anzeigen finden ohne Prcisausschlag gleichzeitig Verbreitung durch den „Chemnitzer General-Anzeiger" (billigere Sonder-Ausgabe der Hauvtblättcr des „Sächsischen Landes-Anzeigers" ohne dessen tägliche Extra-Beiblätter.) Amtsgerichtliche Bekanntmachmrgctt. In dcm Concursvcrfahren über das Vermögen Carl Angnst Schützpel's, Jni^verS der Firma C. A. Schlippe! in Neukirchen, ist in Folge eines von dein Gcmcinschuldner gemachten Vorschlags zu einem Zwangsvergleiche Ver- glcichstermin auf de» 9. November 1888, Vormittags 10 Uhr vor den. König lichen Amtsgerichte Hierselbst anbcranmt. Chemnitz, den 12. October 1888. Königliches Amtsgericht. Neueste Nachrichten. Paris, 16. October. Im Ministerrath brachte Goblet die Ein wendungen Italiens gegen das Schuldekret in Tunis zur Sprache und erklärte dieselben als die Folgen eines Mißverständnisses, welches dnrch neuerdings dem französischen Residenten ertheilte Instruktionen beseitigt werden würde. Die Kommission für die Versassungsrcvision hielt bereits heule ihre erste Sitzung. Sie beschloß zuerst Floqnet und dann die anderen acht Antragsteller zu hören. Kaiser Wilhelm in Neapel. Von allen Tagen, welche der Kaiser in Rom verlebt, war der Montag der am wenigsten von der Witterung begünstigte. Es regnete fast ununterbrochen, und der hohe Gast mußte sich auf einige kurze Ausfahrten beschränken. Den Abend verbrachten die hohen Herr schaften im Familienkreise. Am Dienstag Morgen erfolgte die Ab reise nach Neapel bei prachtvollem Wetter. Kurz vor 8 Uhr ver kündete eine Artillerie-Salve die Abfahrt des Kaisers, König Humbcrts und sämmtlichcr Prinzen vom Quirinal nach dem Bahnhof. Unter- vcgs wurden die Monarchen mit nicht endenwvllenden Hochrufen be grüßt, während die Musikkorps der Spalier bildenden Truppen die preußische Nationalhymne spielten. Auf dem Bahnhöfe waren die Spitzen der Civil- und Militärbehörden zur Nerabschiedung anwesend. Gegen ^9 Uhr setzte sich der Extrazug, welchem eine halbe Stunde früher der fahrplanmäßige Courierzug vorausgcfahrcn war, in Be wegung. Auf den Stationen, an welchen ein kurzer Aufenthalt ge nommen wurde, wurden die Monarchen mit donnernden Hochrufen begrüßt. Am frühen Nachmittag erfolgte die Ankunft in der wunder baren Vesuvstadt. Straßen und Häuser waren auf das Prächtigste geschmückt, Triumphbogen und Ehrenpforten überspannten die Haupt straßenzüge. Kein Haus war ohne Fahnen, darunter zahlreiche in den deutschen Farben. Fenster und Balkons waren nach südlicher Sitte reich mit Teppichen decorirt, die gesammte Bevölkerung erschien in Festkleidern. Tausende von Landleuten der Umgegend waren iu ihren malerischen Festtrachten hcrbeigeströmt, enorm war der Zudrang ans Sizilien gewesen. Sämmtliche Schiffe im Hafen, vor Allem die des italienischen Paradegeschwaders, trugen vollen Flaggenschinuck. Die glänzendste Ausstattung zeigte die Hauptstraße Neapels, dex Toledo, der in einen Blumenhain mngewaiidelt war. Die Gas- kandalaber waren in Palmengruppen verwandelt, gekrönt von bunt farbigen Glasschalen. Außerordentlich effektvoll war auch die herr liche Ausschmückung des großen Munizipiums-Plntzcs, Blumen waren in überreichlicher Fülle hier verstreut. Und den großartigsten Hinter grund zu dieser Fcstdekoratio» gab der blaue Golf mit den ihn um gebenden Hügeln und dem ragenden Vesuv. Der Bürgermeister der Stadt hatte in einem öffentlichen Anschläge die Neapolitaner zu einem würdigen Empfange des hohen Gastes nusgcfordert. Es hieß in der Proklamation, Neapel habe schon viele fremde Herrscher in seinen Mauern willkommen geheißen, jetzt komme ein erlauchter Nach komme Friedrichs des Großen und Wilhelms I; ein Monarch, dem das italienische Volk aufrichtig zugethan sei. Hiervon möchten Alle Zcugniß oblegen. Auch die Presse brachte die herzlichsten Will- kommcngrnße. Als der Extrazug auf dem festlich geschmückten Bahn hof cinlicf, brachen die Versammelten in ein enthusiastisches Evvioa- Rusen aus, während die ausgestellte Musikkapelle der Ehrenwache die Preußische Volkshymne erklingen ließ. Die Spitze» der Militär- und Civilbchördcn, der Geschwaderkommandant Acten, die Geistlichkeit begrüßten die Monarchen, worauf in dein prächtigen Empfangssaalc eine kurze Vorstellung der Anwesenden erfolgte. Der Kaiser sprach besonders den Vertretern der Stadt seinen wärmsten Dank aus. Unter wahrhaft betäubendem Enthusiasmus erfolgte der Eiuzug iu die Stadt. Militär bildete in der Hauptsache Spalier. Voran fuhren der Kaiser und der König in Galakarosse in großer Uniform, es folgten die Prinzen, das Gefolge und endlich die erschienene» Spitzen der Behörden. Sichtlich befriedigt ließ der Kaiser seine Blicke über die bunte Menge hinweg bis hinaus zum Hafen schweife». Von Demonstrationen, wie sic durch Zettclverthcilen in Rom vorge- kommcn, ist bisher nichts bekannt geworden. Das Einfahren des reich geschmückten Hofzugcs erfolgte unter Kanonendonner »nd de» Jubelrnfen der immensen Menschenmenge. Der Jubel pflanzte sich noch fort, als die Majestäten den Wagen bestiegen hatten. Die Straßen waren auf das Dichteste von der Menschenmenge besetzt. Die Fahrt erfolgte in sehr langsamem Tempo, mau mußte auf die engen Straßen und die kolossale Menschenmenge Rücksicht nehmen. Nach der Ankunft im Palais zeigte» sich die Majestäten wiederholt dem Publikum, das in seinem Evoivarnfen unermüdlich war. Vor dem Diner sollte noch Empfang und Spazierfahrt stattfindcn, Abend- ganz Neapel festlich illuminirt werden. Dem Kaiser sollte dann eine Serenade dargebracht werden. Maren von Westerland. Novelle von Neinhold Ort mann. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Capitän Erichsen mochte auch wohl gelegentlich hier und da ans seine eigene Hand ein wenig Handel getrieben haben in den fernen Gegenden, denn jedes Kind ans Sylt wußte, daß er ein reicher Mann sei, und es war keiner in Keitum, der so schmuckes Vieh und so prächtige Pferde gehalten hätte wie er. Aber so reich er war, so hart war er auch und so unzugänglich für die weichen Re gungen des Mitgefühls und der Thcilnahme für fremdes Leid. Auf seinem breiten, kräftig gebräunten Antlitz mit dem grauen Backenbart und dem nach Seemanns-Weise rasirten Kinn lag fast immer ein freundliches Lächeln; aber Alle, die ihn kannten, wußten, daß dies Lächeln nur selten etwas Gutes weissagte, und je freundlicher cs wurde, desto wehr Ursache hatte man in der Regel, sich vor Capitän Erichsen in Acht zu nehmen. Eine Charaktereigenschaft nur hatte er, welcher Niemand seine Achtung versagte: das war die Zuver lässigkeit und Unverbrüchlichkeit seines Wortes. Was er einmal gesagt hatte, das blieb bestehen, Wie auch iminer alles Andere wechseln und sich verändern mochte. Eher hätte man an einen Einsturz des Himmels geglaubt, als an einen Wortbruch des Capitäns Erichsen, — »nd gerade darum hegte sein eigener Sohn nach dem Verlauf der Unterredung, welche er heute mit dem Vater gehabt, keine Hoffnung mehr auf eine Zustimmung, die etwa dnrch geduldiges Ausharrcn zu erringen gewesen wäre. Und auch auf ihn war ein gut Theil von dcm Starrsinn des alten Capitäns gekommen. Wie er's gesagt hatte, so wollte er'» auch ausführen. Hier ans der Insel freilich gab cs kein Fortkommen für ihn, wenn er, der einzige Sohn des reichen Erichsen, sich plötzlich ganz auf die eigenen Füße stellen wollte. Aber die Welt war ja so weit, und er hatte sich auch schon allerlei Pläne gemacht, von denen der eine oder der andere doch wohl gelingen mochte. Während er sprach und durch den Eifer seiner AuScinandcr- setzmigen nicht nur der Geliebten, sondern auch sich selbst Muth und Hvffmlng cinznflößen suchte, schmiegte Maren ihr blondes Köpfchen an seine Schulter und schaute wie im Traume auf die weite glitzernde Wasserfläche hinaus. „Warum bist Du so still, Maren?" fragte er endlich. „Woran hast Du eben gedacht?" Sie versuchte zu lächeln, aber an ihren Wimpern hingen doch schon wieder zwei schwere Thränc». „Ach, Boy, ich bin gewiß recht thöricht," sagte sie, „aber mir ist so weh und so todcstraurig ums Herz, und es ist, als ob mir Politische Rundschau. Chemnitz, den 17. October. Deutsches Reich. Korvettcn-Kapitän Prinz Heinrich von Preußen ist zum Commandeur der zweiten Abtheilung der ersten Matroscn-Division in Kiel ernannt worden. Es ist das ein Winter- Cvmniando, dem im nächste» Frühjahr die Beförderung zum Capitän zur Sce folgen dürfte. — Die in Darmstadt augenblicklich zum Besuch der großherzog- lichen Familie weilende verwittwete Erbprinzessin Elisabeth von Anhalt erhielt die Nachricht, daß ihr auf einer Reise nach Indien begriffener Bruder, der Landgraf Friedrich Wilhelm von Hessen, auf der Fahrt von Batavia nach Singapore durch einen Sturz über Bvrd den Tod gesunden habe. Der Prinz ist 1854 geboren und war Major bei den Potsdamer Gardehnsarcn. — Ans allen größeren deutschen Städten wird berichtet, daß Mackcnzic's Schrift über Kaiser Friedrichs Krankheit im Laufe des Montags auf Veranlassung des Ersten Staatsanwaltes in Duisburg wegen Majestätsbcleidignug confiszirt ist. Von der Brochüre sind in deutscher Sprache 130,000 Exemplare gedruckt. In Leipzig wurden ällein 40,000 beschlagnahmt. Der Verleger hat sofort die Rekurs- bcschwerde ongemeldet. Nach dcm Gesetz ist die vorläufig vom Gericht bestätigte Beschlagnahme wieder anfzuhebe», wenn nicht binnen zwei Wochen die Strafverfolgung wegen des Vergehens, das durch die Druckschrift verübt worden sein soll, eingelcitet ist. Wie die „Nat.-Ztg." meldet, denkt Professor Bergmann nicht daran, einen Strafcntrag gegen Mackenzie zu stellen. Er erklärt kurz und bündig Mackcnzic's Anschnldigungen wider ihn für Lügen, während der Londoner Arzt Wort für Wort an seinen Ausführungen sesthält. Sich in de» wissenschaftlichen Streit einzumischen ist für den Laien natürlich zwecklos. — Auch Londoner Blätter halten berichtet, unmittelbar nach dem Tode Kaiser Friedrichs seien geheime Akten aus dem Sterbe zimmer entfernt worden. Professor Bardeleben habe diesen Vorgang, hinter einer Gardine verborgen, beobachtet. Der genannte Professor erklärt indessen in Berliner Blättern, an der ganzen Geschichte sei kein Wort wahr. — Der Kampf um die Schule wird der Hanptzankapfel für die kommende Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses werden, wenn auch an Durchdringung der von der Centrnmspartei aufgestellten Forderungen, nach welchen die Kirche die Leiterin der Volksschule werden soll, i» absehbarer Zeit gar nicht zu denken ist. Aber das macht nicht». Herr Windthorst hat ans dem jüngsten Katholikentage in Köln das „Recht der Kirche auf die Schule" mit höchstem Nachdruck in den Vordergrund gestellt, und daß die Centrums partei fest entschlossen ist, den Streit zu führen, beweist schon der Wahlhirtenbries des Erzbischofs von Köln, der zur Wahl von solchen Volksvertretern anfsordct, welche für die Unterstellung der Schule unter die Kirche sind. Der Wahlkampf wird dadurch erheblich ver schärft, und die beiden letzten Wochen vor der Wahl werden an scheinend noch äußerst heftige Auseinandersetzungen sehen. Die Schulaiigelegenheit kann auch im Abgeordnetenhaus selbst neue Parteigruppirnngen Hervorrufen. Die Freundschaft zwischen Deutsch- Konservativen und den Mittelpartcien ist heute schon gering, wie u. A. das Scheitern eines Wahlkartells für Berlin beweist. Nähern sich die Konservativen nun noch, was nicht ausgeschlossen ist, in der Schnlsrage dem Centrum, so ist es mit dem bisherigen Bunde ganz vorbei. Die Hauptsache ist indessen: Wie wird das Wahlresultat sei»? Von der Stärke der einzelnen Parteien hängt ja schließlich doch Alles ab. — Die „Times" meldet ans Zanzibar, das deutsche Kriegsschiff „Möwe" habe ein unter französischer Flagge segelndes Sklavenschiff aufgebracht. Das ist sehr wohl möglich, die Sklavenhändler probiren ihr Geschäft unter allen möglichen Flaggen. — Ans Ostafrika wird bestätigt, daß die deutsche Station Ma- dimola von den aufständischen Arabern angezündet worden und mit allen großen Tabakvorräthen ein Raub der Flammen geworden ist»,. Der Schade ist sehr beträchtlich. Auch die Ermordung von drei Matrosen vom deutschen Kanonenboot „Möwe" durch die Eingeborenen ist richtig. Hier heißt es aber noch, die drei Matrosen seien von ihrem Schiffe desertirt. Sie streiften dann zehn Tage in der Nach barschaft Bagamoyos umher, erschossen viele Eingeborene, wurden aber schließlich von den feindlichen Stämmen getödtet und ihre Leiche» theilweise verzehrt. Der deutsche Generalkonsul und Geschwader- conimandaiit sind ans Zanzibar in Bagamoyo ei'ngetroffcn und unter handeln dort mit den Eingeborenen, »in sie in gütlicher Weise zum Niederlagen der Waffen zu bewegen. Oesterreich-Ungarn. In Wien hat sich der Archivdirector des österreichischen Herrenhauses, Regierungsrath Ritter von Wallner, ans dem Währinger Kirchhof erschossen. Wallner war seit längerer Zeit sehr melancholisch gesinnt. Italien. Der Agentur Stefani zufolge hätte der Papst in der besonderen Audienz, in welcher Graf Bismarck am Sonnabend von ihm empfangen wnrde, ans die gegenwärtige Lage des Heiligen Stuhles in Rom angespielt, worauf Graf Bismarck zu verstehen ge geben hätte, daß Deutschland die römische Frage als geschlossen be trachtete.— Wie aus Wien telegraphirt wird, ist die Nachricht eines italienischen Blattes, daß Cardinalstaatssecrelär Nampolla an die Nuntien ein Rundschreiben erlassen habe, worin die Bedeutung des Kaiscrbesuchcs im Vatikan hervorgehoben und nochmals die unver äußerlichen Rechte des heiligen Stuhles betont würden, irrig. Im Einer zuflüsterte: Wenn er erst einmal fort ist, wirst Du ihn nimmer wieder sehen!" „Das sind dumme Gedanken, Maren! Warum soll ich nicht wicdcrkoinmen? Ich bin jung und gesund, und warum sollte cs denn gerade mir schlimmer ergehen, als all den Anderen, die sich auch erst draußen in der Welt versucht haben, ehe sie sich hier ihr eigenes Häuschen bauen konnten!" „Aber ich bin ein armes Mädchen, das keinen Angehörigen und nicht einmal einen rechten Namen hat. Wie viel bessere und reichere wirst Du draußen finden! Könnte ich mich da beklagen, wenn es Dir eine von ihnen anthäte und wenn Du dann gar kein Verlangen mehr spürtest, hcimzukehrcil nach Sylt?" Mit einem ernsten vorwurfsvollen Blick sah er ihr ins Gesicht. Dann stand er auf und streckte seine rechte Hand zum tiefblauen Himmel empor. „So wahr mir Gott helfe, Maren, — wie es auch kommen mag, ich will Dir treu bleiben bis an meineil Tod!" Warm und einfach, wie sie durch die Stille des Abends klangen, kamen ihm die feierlichen Worte ersichtlich aus der innersten Tiefe des Herzens, und Maren schlang leise weinend ihre Arme um seinen Hals, während sie den so unlöslich geschlossenen Bund mit einem lange» heißen Kusse besiegelten. Dann sprachen sie nicht mehr viel mit einander. Es war, als ob jedes überflüssige Wort die weihe volle Abschiedsstiininung zerstören müsse, welche ihren wchinüthigen Zauber um sie gewoben hatte. „Wann soll cs sein?" fragte Maren leise, und er erwiderte, indem er seine tiefe Bewegung mannhaft niedsrkämpfte: „Lieber morgen, als übermorgen; denn wie ich den Vater kenne, weiß ich, daß ich fortan kein gutes Wort mehr von ihm hören werde. Und es leidet mich auch nicht länger hier! Ist doch jeder Tag, den ich nutzlos auf Sylt verbringe, unserem einstigen Glück gestohlen!" „So soll ich Dich nach diesem Abend nicht mehr Wiedersehen, bevor Du gehst?" „Nein, Maren, es ist besser so! Wir hätten ja doch nur das nämliche Herzeleid zum zweiten Mal. Und weil ich nicht weiß, wann ich wicdcrkomnie, so möchte ich auch nicht, daß die Leute was zu reden hätten, wenn sie uns bei einander sehen." Sie versuchte nicht, ihn anderen Sinnes zu machen, und als am fernen Horizont die roth-goldene Sonncnschcibe gleich einer feurigen Kugel in das glühende Meer getaucht war, da hielten sie sich zum letzten Male nmschlmigen, und bas bange, schmerzliche Scheide- wort, das bitterste von allen, welche die menschliche Sprache kennt — cs wurde gesprochen. „Lebe wohl, Maren — und denke an mich, wie ich allezeit an Dich denken werde." „Gott behüte Dich, Boy — und er bringe Dich so zu mir zurück, wie Du jetzt von mir gehst." Dann drückten sie sich lange stumm die Hände und Jedes be mühte sich, vor dein Andern die Thräncn zu verbergen, die ihm heiß in die Augen steigen wollten. Maren blieb oben auf der Höhe der Düne stehen, unbeweglich wie ein Steinbild, während Boy Erichsen langsam hinabstieg nach der Heide zu. Ans halbem Wege machte er Halt, um nach ihr ziirückzuschcmen, und wie sich die Umrisse ihrer schönen, schlanken Gestalt da so rein und scharf gegen den klaren Abcndhimmel abzeichnetcn, machte er eine ungestüme Bewegung, wie wenn er noch einmal umkchrcn wollte. Aber sie winkte ihm mit der Hand zugleich abwchrend und grüßend, und der junge Mann mußte das stnmme Zeichen verstanden haben, denn er schwenkte nur dreimal seinen Hut und setzte dann mit starken, rüstigen Schritten seinen Weg fort, querüber die rolhglühcnde Heide nach der Richtung hin, in welcher Keitum lag und seines Vaters Haus. Die Schatten des Abends verbargen der Nachschancnden bald seine Gestalt; aber sic verharrte dessenungeachtet noch lange regungs los in ihrer aufrechten Stellung. Endlich wendete sie ihr blasses, schmcrzerfülltcs Antlitz wieder dcm Meere zu. Die Sonne war ver schwunden, und in, Westen hatte sich eine hohe, dunkle Wolkcnbank anfgcthürnit. Aber der untere Theil derselben zeigte einen breiten, blutrothcn Streifen, und ei» Widerschein dieses Streifens leuchtete in zerrissenen, schwankenden Fetzen auch von der ticfgrünen Wasserfläche auf. Die See fing an unruhig zu werde» und überall wurden die weißen Wogenkämme sichtbar, die in einem Augenblick entstehe» und vergehen, um immer neue», hoch aufrauschcndcn und sich brausend übcrschtagenden Wellen Platz zu machen. Maren glitt neben dem tlcinen Erdhügel, aus dem sie vorhin an der Seite des Geliebten gesessen hatte, in die Knice und verbarg das Gesicht in de» Händen. Jetzt erst empfand sie das Gewicht des namenlosen Jammers, welchen dieser Abschied in sich schloß, in seiner ganzen Schwere, und widerstandslos gab sie sich dem ersten großen Schmerz ihres jungen Daseins hin. Aber in all' ihrem bitteren, unsäglichen Herzeleid tönte ihr un aufhörlich mit liebem, vertrautem Klange ei» Wort an das Ohr, da selbst das Rauschen der Wogen zu übcrtäuben schien. Das Wort war ihr wie eine himmlische Musik, so lind, besänftigend und so trost reich, und ohne daß sie selber sich dessen bewußt wurde, sprachen ihre bebenden Lippen leise nach: „So wahr mir Gott helfe, Maren — ich will Dir treu sein bis an meinen Tod!" Fortsetzung folgt.