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Tägliches Unlerhallungsblatl zum Sächsischen Landes-An^eiger. Er. AS. — k. Jahrgang. Verlag--Expedition: Alexander Wiede, Vvchdrnckerei, Lhemuitz, Theaterstraße L Sonntag, 21. Kebrnar 188t. Durch eigrue Schuld. Roman au» der Handel-Welt von Friedrich Friedrich. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Bewußtlos faul Gabriele zurück ans eine« Stuhl. Ihre Wangen ivaren erbleicht, ihre «»gen geschlossen, «nv ihr Herz, welche» soeben noch so aufgeregt, fast kampfhast geschlagen hatte, pocht« jetzt nur «och leis«, uvhSrbar, kau« stark genug, nm de« Lebeu-strom, welcher durch dasselbe hindurchpulste, i« Gange zu erhalten. Al» sie «ach einiger Zeit wieder zu sich kam, war e» ihr, al» ob sie au» einem lange« und schweren Trau« erwacht sei. Sir fuhr «it der Hand über die Stirn, u« di« letzten Schattengeftalte, zu verscheuchen und'die Helle, klare Wirklichkeit zurückzurufe«. Allmälig kehrt« die Erinnerung an da» Borgrsallene in sie zurück, aber ruhiger, weniger ungestüm. Die erste Heftigkeit ihre» Schmerze» hätte sich gebrochen, sie weinte, «ud ThrSueu lindern ja immer den Schwerz. Sie lösen die fast erdrückende und beängstigende Last deffelben. welch« sich auf da» Herz gewälzt bat. Sie vergeistigen und verklären ihn. wie die Sonnenstrahlen da» Wasser in Dunst auflöseu, der dann zum Himmel emporsteigt und, zu Wolken verdichtet, dahin zieht. Mögen dies« Wolken auch oft den heiteren Sonneublick ver- decken, möge« st« al» Regen zur Erde zurückkehren — sie kommen nur tropfenweise. Sie fühlte jetzt, daß sie stark genug sei, Alle» für diese Liebe zu wagen «ud zu ertragen. Sie dachte ruhiger au Letzingen — Niemand konnte sie ja zwingen, ihr Leben an diesen Mann zu binden. Die Hoffnung kehrte in ihr Herz zurück: Hermann kam ja bald, daun mußte ihr Bater ihn kennen lernen, mußte ihn hören, uud alle seine edlen Eigenschaften, welche ihr Herz und ihr« Liebe so schnell gewonnen halten, mußten ihn auch ihm lieb und Werth machen. Da» ist da» große und schöne Bonecht der Jugend, daß ihr Herz noch leicht der Hoffnung zugänglich ist, uud daß sie aus diese Hoffnung baut und vertraut, al» ob sie der festeste Grund wäre, der nie erschüttert werden könnt«. E» hofft auch da» Alter noch, selbst der Grei», dessen Fuß schon über dem Grabe steht, in welche» bald alle E,denhoff»unge« hineingrsenkt werden, aber in jede Hoffnung de» Alter» mischt sich zugleich die bitter« Erfahrung uud der Erinnerung «n so manche Täuschung. Wohl keiner litt unter den Berhältuisien, welche in dem alten Hause Damken vorgegangen waren» schwerer al» der alte Steider. Er kaunte die Kräfte de» Geschäft» zu genau, um nicht zu wissen, welche Anstrengungen e» machen konnte, ohne Befahr zu laufen, unter ihnen zusammenzubrecheo; er wußte, daß der einzig mögliche Weg, «« «» zu retten, der Var» e» streng nach den Prinzipien fortzuführeu, denen r» seine Wohlfahrt, seiue Größe und seinen Ruhm verdankte, «nd die er selbst mit allen Kräften so treu aufrecht erhalten hatte. Uud jetzt mußte er sehen, daß unter Kleuser» und Damken'» Leitung diese» Prinzip al» «ine veraltet« Thorheit bei Seite geworfen wurde; er mußte erleben, daß da» alte Hau», da» wir ei» Denkmal der Borzeit in dir Gegenwart hiueiuragte, jetzt auf der Börse in die Reihe de» Geschäft« Kat. Welche den Handel wie ein Würfelspiel an- sahe«, welche di« Arbeit uud den Fleiß verschmähten, weil sie auf da» Glück ihre Hoffnung gebaut haben, welche oft alle ihre Habe, ihren Credit uud ihre Ehre einem einzigen Wurf auvertrauteu. Tr erstaunt« selbst über die Festigkeit, mit der sich der Credit de» Hauses hielt, er begriff jetzt erst die Zähigkeit seiue» Leben», uud um so schmerzlicher war e» für ihn, daß e» trotzdem seinem Falle näher »äher uud rückt«. Mit ängstlicher Aufmerksamkeit war er allen An strengungen und Bemühungen kleuser'», soweit e» ihm möglich war, gefolgt. Er hatte eine gewisse, ängstliche Hast darin erkannt, und auch die Verluste, welche die Firma in letzter Zeit erlitten hatte, waren ihm znm Theil nicht verborgen geblieben. Gr wußte, auf welch« Weise sie gedeckt waren, di« bedeutende Anzahl der ««laufenden Wechsel verrieth «» ihm. Niemand war «» auf der Börse ausgefallen. Niemand zweifelt« au der Sicherheit de» alte« und großen Hause» — sein Herz allein erbebte, wenn er daran dachte, denn jetzt braucht« nur «in schwerer «ud uuerwartrter Schlag z« kommen, und «S war verlöre«,«»mußte zusawmeustürze», um sich nimmer wiederaufzurichten. Und dennoch hatte der alte Steider nicht all« Hoffnung auf. gegeben, da» Hau» retten zu können. Er fühlte, daß seine Kräfte diesem schwierigen Werk nicht mehr gewachsen sein würden, ihm hatte der Handelsherr ja auch jeden Einfluß abgeschuitten; aber kam nicht bald sein Neffe zurück? Dieser hatte ja noch jugendliche Kräfte, ihm hatte er dieselben Handeligraudsätze eiugeflößt, welche allein er für die richtigen und ehrenwertheu hielt, ihm mußte ja vor Alle« daran gelegen s:in, da» alte Geschäft zu retten, den« sein »ud seiner Gabriele Glück knüpfte fich daran. Diesen Gedanken hing er nach, während er allein in seinem Zimmer saß Der noch vor Kurzem so unermüdlich thätige Mann hatte jetzt kein« ander« Beschäftigung, al» seinen Gedanken nach zuhängen, welche immer wieder auf denselben Gegenstand zurückkehrten. Der Abend dämmerte bereit», al» die Thür fich öffnete und eine verschleierte Dame «intrat. Nicht ohne Verlegenheit erhob er sich und ging der Dam« entgegen. Da schlug sie de« Schleier zurück und «in frendige» Erstaunen ergriff ihn, al» er ihre GefichtSzüg« er> kannte. „Fräulein Damken — Gabriel« I- rief er überrascht uud ergriff mit zitternder Hast die Hand der Eingetretenen, welche er fest in beide Hände schloß. „Ja, ich bin «»,- erwidert« Gabriele mit freundlichem Lächeln. „Bin ich auch nicht da» erste Mal in diesem Zimmer, so ist doch eine lauge Zeit darüber hiugegange«, seitdem ich Sie nicht besucht — ja nicht einmal gesehe« habe,- fügte st« mit traurigem Emst hinzu, da ihr diese Worte die schamlose Härte ihre» Bater» gegen de« Grei» lebhaft in di« Erinnerung zurückriefen. „Und Du hast den alten Steider nicht vergessen?- fragte der Grei», indem die freudige Ueberraschuug seine Wangen röthete. Er machte noch immer voa dem vertraulichen „Du", um welche» ihu Gabriele «inst gebeten hatte, Gebrauch, und ihm, dem alte» und treue« Diener ihre» Bater», der sie al» Kind ans seinen Knieeu ge wiegt und immer unr «in freundliche» und milde» Lächeln für sie gehabt hatte, ihm, dem Onkel und Wohlthätrr ihre» Geliebten, ge bührte auch dieser Borzug mit Recht. Gabriele hatte die Freude de» Alten wohl bemerkt und erwidert« lächelnd: „Als ob ich Sie je vergessen könnte! Von dem, wa» «ein Bater an Ihnen verschuldet hat, dürfen Sie auch nicht den kleinsten Theil auf mich übertragen. Sie wisse» ja, wie nahe Sie mir stehen, wie lieb ich Sie habe: Sie find der Einzige, dem ich offen nud ganz vertrauen kann, seitdem Herma« fort ist- „Jch weiß e», ich weiß e», mein Kind,- rntgeguete der Alt«. „Uud Hermann wird in einigen Monaten zurückkehren, und dann, hoffe ich. wird »och Alle» ein gute» Ende nehmen, er ist tüchtig uud rechtschaffen zugleich. - „Sie wissen e» bereit»?- fragt« Gabriel« überrascht, da sie au» den Worten de» Alten, der nur an die Lage de» Hause» gedacht hatte, entnehmen zu können glaubte, daß er den Borsall zwischen ihrem Vater uud ihr im Sinne Hab«. „WaS soll ich wisse«, mein Kind?- erwiderte der Alte fragend Ihm waren jene Worte ohne seinen Willen entschlüpft, und erzitterte bei dem Gedanke«, daß er Gabriele ein Geheimniß verrathe« haben könnte, welche» er stet» so ängstlich in feiner Brust eiugeschloffen hatte. „Meinem Bater ist meine Lieb« zu Hermann verrathe«,- «nt> Segnet« Gabriele, „er ist dagegen und dringt i« mich, mriu« Hand dem Herrn von Letziugeu zu reichen, der »m mich geworben hat.- „Dem Herrn von Letziugeu?- wiederholte der Alte erst««». „Ihm will Dich Dein Bater opfern? Mit «ine« solchen Manna will er Dich verbinden, de« nicht» heilig ist, al» sei» eigene» Inte resse? We»halb ist er gegen Hermann? Wa» hat «, gegen ihn?" „Er hält e» für meiner unwürdig, daß ich eine« Manu li^d«, der al» Diener in seine« Geschäft gestanden," gab Gabriel« »nr An». Er Hot «eine Liebe verspottet «nd al» ein« Thorheit, , Me, nie will er seine Zustlmnu», U«f-*e ckinderlieder. Bon Elise Polko. Nachdruck verboten. Daß unser deutsche» Volk einen wunderbaren alten und neuen Liederschatz besitzt, weiß die ganze Welt, daß aber in diesem Lieder schätz ein zweiter verborgen ruht, wissen nur die — die deutschen Mütter, und diese noch nicht einmal alle. Der Blumenstrauß unserer alten Volkslieder, in seinem Entstehen, Wachsen und höchsten Er blühen, — aus dem 14—15. und 16. Jahrhundert — duftet so frisch nach Gelbvcigclcin und Rosmarin, Veilchen und Salbey, al» sei er eben erst gepflückt, und die Poeten unserer Tage haben be kanntlich ganze Berge von Blülhcn aller Art aufgethürmt und zu- sammengetragen, ganze Rosengärten erstehen lassen, — auf eine eigenartige Spccie» dürfen wir aber ganz besonders stolz sein, weil sie eben nur auf dem Boden des Familiensinnes und Familienlebens gedeiht und emporsprießt: auf unsere Kinderlieber. Wer von uns Allen könnte die kunstlosen Wiegenlieder der Mutter vergessen, oder den Sang der treuen Wärterin, die gereimten „Ammenmärchen-, denen wir als Kind lauschen dursten, und die so süß und allmählich einschläferten, wie das einförmige Plätschern des Regen», oder das Rauschen der Bäume, oder da» Murmeln des Baches. Jedes Kind, das zum Erdenleben erwacht, wird von ihnen sanft begrüßt, — die Hütte, wie den Palast durchzieht, wie leiser Harfenklang, ein Kinderlieb. Und ihre Melodien bringen diese Lieder gleichsam mit auf die Welt, — wir fragen nicht, wer sie erfand, aber oft ist es, als könne nur eine Mutter solche Laute zu solchen Worten entdeckt haben. — Jenes jetzt so viel, leider nicht immer mit der einfachen Grazie, die cs erfordert, gesungene Wiegen lied von Mozart: „Schlafe mein Prinzchen, es ruhn Schäfchen und Vögelchen nun war in unserer Kinderstube daheim eingebürgert und erklang bei der Wiege aller Geschwister. Erst nach Jahren erfuhr ich, daß unser Wolfgang Amadeu» hie? den Text eine» unbekannten Poeten in Musik gesetzt hatte. Ich erinnere mich so deutlich, daß Beides, Musik und Text vom ersten Tage an in Ohren und Herzen haften blieb — und daß weniger das Versprechen: „Zucker und Spielwerk zu Hauf- alS wie: .Caroffen im Lauf- mich beschäftigten, und jenes geheim nißvolle „Ach!" der schwärmerischen Zofe. Und die sanfte Weise einer längst verklungenen alten Mahnung vergaß ich auch bis heute «och nicht: Schlaf, Kindchen, schlaf — Im Garten stehn zwei Schaf — Ein schwarzes und ein weißes, Und wenn das Kind nicht schlafen will So kommt daS schwarze und beißt cS.- — Die wiegende Melodie beruhigte, im Gegensatz zu den drohenden Dorten, die aufgeregten Empfindungen, und brachte die wohlthuende Ueberzeugung, daß dar „schwarze. Schaf- doch wohl nicht auf der Stelle zubeißen würde. — Ein lieblich schlichtes Volkslied sang uns die Mutter auch sehr »st, — der erste Ber» lautete: wort. jugendlichen Leichtsinn dargestellt. geben." Jhre Thriiue» raunen bei diesen Worte« still über ihre Wangen, aber der alte Steider schien sie nicht zn erblicken. Ihm hallten nur die Worte i« Ohr« wieder: „Er hält ihu für «einer unwürdig, »mckl er al» Diener in seinem Geschäfte gestanden,- «nd diese Wort« triebe» ihm da« Blnt in die Wangen und machten sei« Herz lauter und heftiger schlage». Er war nicht stolz, aber er besaß ein feine» Lhr- gesühl, welche» sich auf da« Bewußtsein feiner strenge« Rechtlichkeit stützte, uud diese» Ehrgfühl ließ er fich nicht nehmen. „Gabriele,- sprach er «it vor Erregung bebender Stimme, „ich habe lange als Diener und unter Deinem Großvater, dem eckt« Haus« Damken, gearbeitet, aber nie habe ich au» seine« Munde ge hört, daß er eine« Diener, und wäre e» der geringste in seine« Ge schäft gewesen, geringschätzt«, sobald dieser mit Treue und Redllöpeit sein« Pflicht erfüllt,. Er achtete selbst de» Ha«»Inecht, nud mehr al» einmal habe ich au» seinem Munde die Worte gehört, dah er jeden treue« Diener hochschätzr, weil er für ihn arbeite. „Da» Han» Damken," sagte er, „ist nicht allein durch seine« Herrn groß uud reich geworden» sondern vorzugsweise durch de« Fleiß «nd die Tüchtigkeit seiner Dieuer. Ja, ohne Herrn könnte e» wohl bestehe«, aber ohne Diener würde «» am ersten Tage zusammeubrrche».- So sprach Dein Großvater, Gabriele, «ud Dein Bat«, wagt «», Hermann al» un würdig zu erkläre«; er wagt «», ihn zu verspott««. Er ist sein Dien« nicht mehr, er hat Deinem Bater nicht» zu danken «ud Niemand kau« in bi« Zukunft schauen, Gabriel«. Niemand weiß «», ob nicht di« Zeit noch kommen kann, wo Dein Bater eine« solchen Diener, wie Hermann gewesen, «it Gold anfwiegrn würde. Ha, laß' Deine» Bater nur verächtlich auf Hermann uud Deine Liebe z« ihm herab blicken — nicht als Diener soll Hermann vor ihu treten, sonder» al» Herr eines eigenen Hause».' Der alt, Steider fuhr erregt fort: „Hermann wird i« Besitz« eine» Geschäfte» sein, da» fich kühn dem alte« Haus« Damken an die Seite zu stellen wagt. Dann soll er vor Deinen Bater hintret« und «m Deine Hand «erben, daun soll er ihm sagen: „Sehen Sie. Herr Damken, die» Alle» haben zwei Diener vollbracht, welche «inst arm «ud mittellos i« Ihr Geschäft «intratt«, uud sie find stolz darauf. Wa» ihnen jetzt gehört, da» haben sie selbst errungen, selbst erarbeitet, sie haben nicht auf den Reichthum nud de» Fleiß ihrer Borfahr«« gebaut >' Und dann, Gabriel«, dann soll Dein Bat« sagen, ob er Herrmanu noch gering schätzt, weil er einst Diener ge wesen, dann mag er seine eigenen Verdienste anfzählen und sie mit denen diese» Diener» wessen, dann mag er sie wägen, «ud di« Zunge dieser Waage wird deutlicher uud gerechter al» ein« Menschenzunge aussprechen, wer von ihnen höher und achtung»wrrther dasteht l- Er hatte diese Worte mit gesteigerter Stimme au»grsproche«, sie Ware« der Ausdruck seiner höchsten Aufregung gewesen — jHt sank er erschöpft und krastlo» aus einen Stuhl zurück. Ties ergriffe« hatte Gabriele ihu augehört. Noch nie hatte sie solche Worte an» seine« Munde vernommen, nie hatte sie ihn in einer solchen Aufregung erblickt. Aber viele» vermochte fie nicht z» begreifen. Sie hatte ja keine Ahnung davon, daß der Boden, auf wüchem ihr Bater staub, unterhöhlt war, daß eine einzig« heftig« Erschütterung Alle» zusammeubrechen «ud ihn selbst vernichten »nd an dm Bettelstab bringen konnte. Eie glaubte, ihr alter, väterlich« Freund bau« allein auf Herrmanu'» edlen Charakter und sein« „Schlaf, Kindchen, schlaf, Der Vater hüt' die Schaf', Die Mutter schüttelt'» Bäumelein, Da fällt herab ein Träumelein, Schlaf, Kindlein, schlaf. Schlaf, Kindchen, schlaf, Am Himmlein ziehn die Schaf, Die Sternlein und die Lämmerlein, Der Mond der ist das Schäferlein, Schlaf, Kindlein, schlaf'." — O, wie wir immer das „Träumlein- sehen wollten, daS da herabfiel, und wie gern wir solch ein „Sternenlamm- gehabt hätten I Die Mütter und die Poeten wissen gar nicht, wie hundert fältig der Samen aufgeht, den sie in die jungen Herzen streuen mit ihren Kinderliedern. — Ein wahrer Juwelenschrein für Mütter und Kinder ist das Arnim-Brentano'sche: „Des Knaben Wunderhorn-, — diese Perlen und Edelsteine gehören in der That zu dem echten „Familienschmuck eines jeden Hauses. — Das Buch, in abgegriffenem, blauem Einband, lag in dem Arbeitskorb unserer Mutter, und eS war ein Fest für mich, wenn ich es einmal in die Hände bekam und darin lesen durste. Welche Wunderwelt erschloß sich da es war in der That ein Zauber korn, da» un» in einen tiefen, grünen Wald lockte, auf verschlungene Pfade — wo man dar Heimgehen vergaß. Ein altes niederrheinisches Wiegenlied findet sich unter der Sammlung von Kretschmer's Volksliedern, dem Johannes Brahms ein reizende» Tonmäntelchen umgehängt hat, — es beginnt: „Die Blümelein, sie schlafen Schon längst im Mondenschein» Sie nicken mit den Köpfchen Auf ihren Stengelein; ES rüttelt sich der Blüthenbaum Er säuselt wie im Traum: Schlafe — schlafe — Schlaf' Du mein Kindelein.- Jch weiß, daß besonders der dritte Bers ein Kind in fast athemlose Spannung zu versetzen vermag: „Sandmännchen kommt geschlichen Und guckt durch'- Fensterlein — Ob irgend noch ein Liebchen Nicht mag im Bette sein. Und wo er nur ein Kindchen fand, Streut er ihm in die Augen Sand: Schlafe — schlafe — Schlaf' Du mein Kindelein. - Und als Abendgebet vor dem Schlafengehen sang die Mutter un» Kindern unzählige Male jenes alte Volkslied, da» wie ein süßer Opfcrduft aus der Kinderseele emporzusteigen scheint in seiner Ein fachheit und Innigkeit. „Bald ist es wieder Nacht, Mein Bettchen ist gemacht? Drein will ich mich legen Wohl mit Gotte» Segen, Weil er die ganze Nacht Gar treulich mich bewacht I Unter diesem Liede legte sich auch da» sterbende Schwesterchen lächelnd in ihr letzte» Bettchen. — DaS find unvergeßliche Kindereindrücke. Segen über die, denen wir fie verdanken. In dem Brahmsschen Kinderliederheft, es ist den Kinder» Schumann» gewidmet, findet sich aber auch ein reizend lustige», und die fröhlichen sind es ja auch, die das Kind braucht und für welche es so dankbar ist. „Sitzt a schön'» Boger'l auf'm Tannebaum, Thut nix als singa und schrei'n, Was mag denn das für a Boger'l sein? DaS muß a Nachtigall sein. No mai Schatz das i» ka Nachtigall, No mai Schatz das kann net sein — Ka Nachtigall singt in a'm Tannebaum: Singt in a Haselnußstaud'n.- Da» ganze Heft ist so recht sichtlich unter dem Eindruck einer beglückten und beglückenden Künstler-Häuslichkeit entstanden, in der Schumann'schen Kinderstube, über deren Eingang das alte „Ehren liedlein- als unsichtbares Motiv stand: „An allem Orte und Ende Soll der gesegnet sein, Den Arbeit seiner Hände Ernähret still und fein. Gott will ihm dazu geben Ein Eh'frau tugendrrich, Die ein'r fruchtbar'» Weinreben Sich soll verhalten gleich. Recht wie junge Oelzweige Wachsen und grünen frisch, So sollen in der Reihe Die Kindlein um den Tisch Gar fein und fröhlich stehen In Zucht und guter Sitt' — Der Vater soll fie sehen Im dritt' und vierten Glied.- — „Ach! der „Vater- durste fie nicht mehr so sehen! — Schumann selber hat in jener Zeit des ersten Baterglück» auch Kinderlieber geschrieben, aber fie stehen ihm nicht recht z« Gesicht, — daS bekannteste ist da» Marienwürmchen. „Marienwürmchen setze dich Auf meine Hand — auf meine Hand Ich thu' dir nichts zu leide — Es soll dir ja kein Leid gescheh'n, Will nur die bunten Flügel sehn, Bunte Flügel meine Freudel- u. s. ». Wie viel gesungen wird da» anmuthsvolle Wiegenlied von Brahm», mit dem altdentschen Text; HZ 1 I