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1. Beilage zum Schönburger Tageblatt. Ai- AMMlmig des Aats<r WH-lm-D-nI- mals in Herlin. Berlin, 22. März. Heute früh '/-9 Uhr begab sich das Kaiserpaar im offenen zweispännigen Wagen zum Mauso leum nach Charlottenburg. Der lange Weg bis zum Char lottenburger Schlosse war in ein« Via triumpbalis umge wandelt worden. Gewaltige Mastbäume, vergoldete Obelis ken und Laubengänge waren errichtet, von denen Fahnen lustig flatterten. In der Schloßstraße war eine Germania- Gruppe ausgestellt und am Wilhelmsplatze war ein provi sorisches Kaiser Wilhelm-Denkmal geschaffen. Die Krieger vereine, die Innungen und die Zöglinge der Schulen von Charlottenburg, desgleichen die gesammte Studentenschaft der technischen Hochschule bildeten Spalier. Stürmische Hurrah- ruf» begrüßten das Kaiserpaar beim Passiren der Charlotten burger Feststraße. Im Mausoleum verweilten die hohen Besucher etwa zehn Minuten; der von ihnen gewidmete kost bare Kranz war bereits vorher am Sarkophage Kaiser Wil helms I. niedergelegt worden. Gegen '/»IO Uhr traf das Kaiserpaar wieder im Berliner Schlosse ein. Um 9 Uhr begann Unter den Linden die Aufstellung der zur Denkmalsenthüllung befohlenen Mannschaften der hiesigen und auswärtigen Garnisonen. Um 10'/- Uhr verließ der Kaiser, begleitet von einer glänzenden Suite, das Schloß, und zwar zu Pferde, und begab sich zur Truppenbesichtigung zum Brandenburger Thor. Die Mannschaften präsentirten unter den Klängen des Präsentirmarsches. Hierauf ritt der Kaiser vor das Palais Kaiser Wilhelms I., begab sich in dasselbe und ertheilte persönlich den Befehl zum Heraustragen sämmt- licher Fahnen und Standarten. Währenddem sich Vorstehen des Unter den Linden, die vom Publikum vollständig geräumt waren, sodaß nur zahlreiche Personen an den Fenstern der Häuser der betreffenden Straße dem militärischen Schauspiele beiwohnen konnten, abspielte, hatten die zur Enthüllungsfeier geladenen und befohlenen Personen auf dem Denkmalsplatze ihre Plätze eingenommen. Nachdem dies geschehen, bot sich dem Auge ein farbenglühendes Bild, hervorgsrufen durch die mannigfaltigsten Uniformen und durch die Hellen Toiletten der Damen. Auch das Wetter hatte sich aufgeklärt, hier und da brach aus dem grauen Gewölk sogar die Sonne hervor und beleuchtete die glänzende Festversammlung. Die mili tärischen Abgesandten der fremden Staaten, die russischen Offiziere mit ihren Fellmützen trugen zur Buntheit des Bildes nicht unwesentlich bei. Die Schüler auS den höheren Schulanstalten nahmen mit ihren Fahnen auf den Tribünen links vom Denkmal Aufstellung, desgleichen die Schüler der Lichterfelder Kadettenanstalt. Die Geistlichkeit postirte sich vor dem Denkmal, darunter befanden sich u. A. General superintendent Faber, Hofprediger Rogge, Bischof Aßmann und Propst Jahnel. Das Staatsministerium, die Präsidenten, Feuilleton. Künstler und Verbrecher. Roman auS der Gegenwart von Theodor Hermann L ange. (Fortsetzung.) So waren wieder «in paar Wochen ins Land gegan gen. Frau Brown drängte zur Rückreise nach New-Jork, denn ihr Aufenthalt in Kairo war jetzt eigentlich zweck los. Auch James Brown bat seine Frau und Tochter, ihn nicht mehr allzulange allein zu lassen. Nur Katy wollte nicht von Kairo fort. Täglich wartete sie auf irgend ein Lebenszeichen de- Geliebten. Wenn sie abends sich niederlegte, betete sie inbrünstig, e« möchte am andern Tage ein Bries von Vietor eintreffen. Aber jeder neue Morgen brachte ihr nur eine neue Enttäuschung. Lucy schickte sich zuerst zur Rückreise nach den Ver einigten Staaten an. Zwei amerikanische Schriftstelle, rinnen, ein paar älter«, energische Damen, die längere Zeit Studienhalber in Südostafrika geweilt hatten, traten über Kairo, wo sie mehrere Tage sich aufhielten, die Heimreise an. Mit diesen sollte Lucy über Alexandrien, Genua und Hamburg wieder nach New-Jork fahren. Entfernte Verwandte Lucys, dir in Boston wohnten, hatten sie aufgefordert, nach dem Tode des Vater- nun ihren ständigen Wohnsitz in jener amerikanischen „Musen stadt" zu nehmen. Sie reiste daher mit den beiden Amerikanerinnen von Kairo ab. Frau Brown und Katy sowie Charles begleiteten Lucy auf den Bahnhof. Der Abschied LucyS von Charles war ein kurzer, aber be deutungsvoller. Al» Charles Lucy zum Abschied in der Bahnhofshalle einen prächtigen Blumenstrauß überreichte, flüsterte er ihr zu: „Reisen Sie glücklich und vergessen Emen nicht ganz, d«r stet« Ihrer gedenkrn wird." Verwirrt blickte Lucy zu Charles auf. In ihren Augen malte sich grenzenloses Erstaunen. Wa» war das nun wieder. Wollte der junge Mann einen Scherz mit ,hr treiben oder wa« sollte sie sonst von diesem Abschied denken § Vicepräsidenten des Reichstages und des preußischen Land tages, der Polizeipräsident von Windheim, der Oberbürger meister Zelle, der Stadtverordnetenvorsteher vr. Langerhans und die Rektoren der hiesigen Hochschule hatten sich rechts und links neben dem Kaiserzelt aufgestellt. Alle officiell zur Enthüllung des Nationaldsnkmals geladenen Persönlichkeiten waren vom Kaiser mit der Erinnerungsmedaille an den heutigen Tag dekorirt worden. Kaum hatte Alles seine Plätze eingenommen, als brausende Hochrufe das Herannahen des Kaisers, der an der Spitze der Fahnencompagnie ritt, verkündeten. Ein unendliches Brausen durchzitterte die Luft. Auf dem Denkmalsplatze schwenkte der Kaiser ab und machte dicht vor dem Kaiserzelte Halt. Dasselbe war unterdessen von den Fürstlichkeiten be treten worden. Die Kaiserin, nach allen Seiten freundlich grüßend, trug ein violettes Kostüm, die Kaiserin Friedrich war in Schwarz erschienen. Der Prinzregent Luitpold von Bayern, der König von Sachsen, der König von Württem berg, der Großherzog von Baden, der fünfte Sohn deS Kaiserpaares, die Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses hatten unter dem Prunkzelt Platz genommen. Der Kronprinz und Prinz Eitel Fritz waren bei der Leibcompag nie des 1. Garderegiments z. F. eingetreten und nahmen mit derselben rechts vom Denkmal Stellung. Besonderes Aufsehen machte die Matrosendivision. Nun nahm der Kaiser das Wort zum Commando. Weithin ertönte seine Stimme. Die Tambours lockten zum Gebet. Alles entblößte die Häupter. Ein Bläsercorps spielte den Choral: „Lobe den Herrn!" Nun trat Generalsuperintendent Faber hervor; er sprach das Gebet, das einen tief ergreifen den Eindruck machte. Nach Schluß des Gebetes commandirte der Kaiser, der die Uniform des Garde du Corps und das Band des Hohenzollernschen Hausordens trug: „Alle Mann!", worauf die am Denkmal postirten Matrosen in größter Schnelligkeit die das Denkmal umgebende Leinewandhülle niederzogen. Kaum war die Hülle gefallen, als ein unbeschreiblicher Jubel erschallte. Die Truppen riefen Hurrah, Trommel wirbel ertönte, die Musikchöre spielten „Heil dir im Sieger kranz". Die Glocken der gesammlen Stadt läuteten und die im Lustgarten aufgestellten Kanonen gaben 101 Salutschüsse ab. Es war ein imposanter unbeschreiblicher Moment, der Jedem, der demselben beigewohnt, unvergeßlich bleiben wird. Laute Ruse der Bewunderung wurden laut, als sich das Denkmal Kaiser Wilhelms I. der Festversammlung in seiner ganzen Schönheit präsentirte. Nachdem der Kaiser sich mit den Truppen wieder nach der Straße Unter den Linden zurück begeben, traten die Kaiserin, die Kaiserin Friedrich, Prinz Oskar, der Prinzregent Luitpold von Bayern, der König von Sachsen, der König von Württemberg und alle anderen deutschen Bundesfürsten vor Als Charle- Lucy's Erstaunen bemerkte, sagte er zu sich selber: „Katy hat recht. Lucy liebt mich nicht." Lucy« Benehmen gab ihm einen Stich durchs Herz. Er eilte schnell zu den beiden amerikanischen Schrift stellerinnen, die mit Frau und Fräulein Brown sich unter hielten, und nahm von ihnen Abschied. Fünf Minuten später fuhr der Eilzug au» dem Bahnhof hinaus und in der Richtung nach Alexandrien. Frau Brown hatte die Abschied-scene zwischen Lucy und Charle« gar nicht beobachtet. Di« Unterhaltung mit den beiden Amerikanerinnen hatte Frau Brown so gefesselt, daß sie darüber ihre Umgebung auf kurze Zeit vollständig au» den Augen verlor. Als dir Mutter mit ihren beiden Kindern zum Hotel zurückfuhr, gewahrte sie, daß Katy noch leidender als sonst aussah. „In vierzehn Tagen reisen wir auch, mein Kind. Charles wird uns bis nach Alexandrien und an den Dampfer bringen und dann nach Kairo zurückkchren. So Gott will, sind wir in vier bi» fünf Wochen wieder in New-Jork beim Papa." Katy antwortete zunächst Nicht». Sie drückte ihrer Mutter nur stumm die Hand. „Ich bin damit zufrieden, Mama, mir ist jetzt Alles einerlei." Al» dir Mutter mit den Kindern wieder im Hotel angclangt war, fanden sie eine Reihe Briefe und Post karten vor, aber noch immer kein Lebenszeichen von Victor für Katy. Die vierzehn Tage, die man noch in Kairo verweilen wollt«, vergingen. Indessen wurde die Ab reise wieder um mehrer« Tage hinausgeschobrn. Fill more und Fremont hatten nämlich Frau Brown über redet, sich nicht in Alexandrien, sondern in Port Said einzuschiffen, und zwar an Bord eines deutschen Schnell dampfer«, der durch die Straße von Gibraltar und über Lissabon nach Hamburg ging. Die Seefahrt wäre zwar länger, al« die Route über Brindisi und von dort mit der Eisenbahn nach einem transatlantischen Hafen, aber sie fei außerordentlich bequem. Frau Brown brauchte mit Katy bis Hamburg nicht umzusteigen. In Hamburg das Denkmal und legten prachtvolle Kränze an demselben nieder. Allgemeine Aufmerksamkeit erregte der gold«ne Kranz der russischen Deputation. Auf dem Rückwege vom Denkmal zum Kaiserzelt begrüßten alle Fürsten den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe mit Handschlag und unterhielten sich kurze Zeit mit ihm. Da auf einmal ertönten wiederum Commandorufe; der Kaiser nahte wieder mit seinen Truppen, um über dieselben die Parade abzunehmen. Der Kaiser nahm nun vor dem Denkmal Aufstellung, ihm zur Seit, der commandirende General deS Gardecorps, General von Winterfeld. Außer dem Kronprinz und dem Prinzen Eitel Fritz marschirten diesmal auch deren jüngere Brüder Prinz Adalbert und Prinz Friedrich August in der Front mit. Beide mußten lang ausschreiten, um mit den Garden gleichen Schritt zu halten. Nach Schluß der Parade marschirten die Truppen in ihre Kasernements zurück, die Festversammlung löste sich auf. Waren auch die Feststraße und der Festplatz für da? große Publikum abgesperrt, so waren doch die umliegenden Häuser und deren Dächer mit zahllosen Menschen besetzt, die beim Abspielen des historischen Moments in unbeschreiblichen Enthusiasmus ausbrachen. Nach der Denkmalsenthüllung verbrachten daS Kaiserpaar und seine königlichen und fürstlichen Gäste einige Stunden in ihren Gemächern im altersgrauen Königsschloß. ES wurden Besuche abgestattet und erwidert, Deputationen em pfangen rc. Bald nach 3 Uhr erschienen dann die Staats- karoffen wieder vor dem Schloß. Die Fürstlichkeiten begaben sich in den glänzenden Galakutschen, deren jede von sechs edlen Pferden gezogen war, hintenauf zwei Kammerlakaien in silberstrotzender Livree, ein Spitzenreiter vorn an, zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnißkirche, woselbst ein auserlesenes Festconcert stattfand. Nach dem Schluß des Concerts ver sammelten sich die Theilnehmer an demselben wieder im König lichen Schloß, woselbst im Weißen Saale und den daran anstoßenden Sälen ein prunkvolles Festmahl stattfand. Mit dem Kaiser und der Kaiserin speisten der Prinzregent von Bayern, die Könige von Sachsen und Württemberg, der Großherzog von Baden und alle übrigen Bundesfürsten, ausländische Fürstlichkeiten und Vertreter fremder Souveräne. Eine glänzende Tafelrunde. Nach dem Range geordnet speisten die übrigen hohen Herrschaften, die Minister, di« Bundesralhsbevollmächtigten, die Gesandten, die Generalität, die Präsidien und zahlreiche Mitglieder des Reichstages und des Landtages in den herrlichen Nebensälen des Schlosses. Da sich das Wetter auch bis in den späten Abend hinein' trocken hielt, so verlief die großartig angelegte Illumination auf das Glänzendste. Es hieße Unmögliches versuchen, wollte man auch nur in aller Kürze die Einzelheiten der märchen haften Pracht schildern, die sich von Millionen und Aber- millionen Kerzen, Glühlampen und allerhand Beleuchtungs- wollte sie dann einen der prachtvollen Dampfer der soge nannten Hamburg-Amcrikalinie zur Ueberfahrt nach New- Jork benutzen. Ein herrlicher Septembertag wölbte sich über der egyptischen Wunderstadt mit ihren zahlreichen Minaret», Kuppeldächern, ihren stolzen Palästen und — elenden Hütten, von denen die letzteren öfters fast unmittelbar neben den stattlichsten Gebäuden sich erhoben. Katy war gerade damit beschäftigt, noch einen Brief an eine Freundin in Amerika zu schreiben. Frau Brown packt« die Koffer, als der Hotelbuchhalter mit einem Briefträger in ihr Zimmer trat. Hier ist soeben für Sic, Frau Brown, ein eingeschriebener Brief eingelaufen, der laut Vermerk nur Ihnen persön lich behändigt werden kann. Nachdem der Hotelbuch- Halter Frau Brown dem Postdiener gegenüber lcgitimirt hatte, nahm diese mit leicht zitterns« Hand den Brief entgegen. Kaum hatten der Buchhalter und der Bote das Zimmer wieder verlassen, so öffnete Frau Brown den Bries. Es war ein Schreiben ihres ManneS. Nach einigen nebensächlichen Mitthcilungen, dir häusliche An gelegenheiten betrafen, blieben die Augen der Leserin auf folgender Stelle haften. DaS AutkunftSbureau in Rom theilt soeben mit, Victor Marlo lebe seit einigen Monaten in Siena, wo er binnen Kurzem eine Italienerin heiraten werde, oder, wenn Du meinen Brief erhältst, vielleicht schon geheiratet hat. Bin fassungslos. Bitte bringe die Nachricht Katy so schonend al» möglich bei." Der Schluß des Briefe» enthielt die besten Wünsch« für das Wohlergehen Frau Browns und ihrer Kinder und die Hoffnung auf ein baldiges gesunde» Wiedersehen. Frau Brown war ganz bestürzt; wenn Katy nur jetzt nicht kommen würde. „Ich muß mich schnell sammeln, ich muß mich fest zeigen," sprach Frau Brown seufzend. Auf einmal vernahm sie Schritte auf dem Corrivor. Schnell verbarg sie den Brief in der Ta'che. (Fortsetzung folgt.)