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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 29.11.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188311299
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18831129
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18831129
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-11
- Tag 1883-11-29
-
Monat
1883-11
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 29.11.1883
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Ebem»1tze» N»ze1ger und Gtadtbote. Rr. 110. Donnerstag, 29 November. Sette 2. des Lrundkredits trete nur ein, wenn wir die Staatsschulden ver mehrten. Seitdem er aber die Ehre habe, Finanzminister zu sein, strebe er, die Staatsschulden zu vermindern, statt zu vermehren. Steige infolge des neuen Gesetzes der Kurs der 3proc. Rente über mäßig hoch, so würde-ganz von allein die Mehrzahl der Kapitalisten die Anlage ihres Geldes in Hypotheken vorziehen — Abg. Opitz bemängelt die Schwerfälligkeit und die Kostspieligkeit des Apparats beim künftigen Staatsschuldbuche, während Abg. Mehnert das selbe auch auf die 4proc. Staatspapiere ausgedehnt wissen will. — Abg. vr. Heine meint, daß das Gesetz zweifellos den Staatskredit erhöhe und daß eS, indem es dem Mobiliarvermögen einen neuen Vortheil zuwende (denn zugleich Sicherheit und Beweglichkeit von Wertpapieren sei ein Vortheil), stärke dieses seine Konkurrenz mit de« Immobiliarvermögen. Doch, das sei die nothwendige Folge der ganzen wirtschaftlichen Entwickelung. Möchte daher die Regierung auch Sorge tragen, in ähnlicher Weise den Hypothckenkredit zu unter stützen und so den neuen Nachtheil, den derselbe erleide, auszugleichen. Nachdem schließlich noch Abg. Kirbach nochmals die Befürch tungen Philipps als übertrieben erklärt und seine Meinung dahin gehend geäußert hat, daß man in Sachsen das Staatsschuldbuch be reits hätte einführen wollen, wo man in Preußen noch nicht daran dachte, nämlich damals, als Sachsen zuerst die 3proc. Rente schuf, daß man es aber unterlassen hätte, um diese neue Einrichtung nicht mit einem zu großen Apparate zu belasten, verweist die Kammer auf den Vorschlag des Sekr. Richter-Tharandt den Gesetzentwurf an die Gesetzgebungsdeputation in Verbindung mit der Finanzdeputation. Die Wahlen der Abgg. Clauß, Hausschild, Heger und Rößner werden als gültig erklärt. Die vierte Deputation der ersten Kammer hat bereits eine Anzahl von Petitionen und Beschwerden geprüft, gelangt aber durchweg zu einim ablehnenden Bescheid. Unter Anderem wird das Gesuch von vr. Schaufuß in Oberblasewitz, eine laufende Unterstützung oder den Ankauf des Museum Ludwig Salvator betreffend, abgelehnt; des gleichen die Petition deS Kaufmann Pyrlaeus in Herrnhut: die Staatsregierung solle im Bundesrathe für Aufhebung des Impfzwanges stimmen und, solange das Jmpfgesetz noch besteht, Jmpfvcrweigerungen »ur einmal und zwar mit der niedrigst zulässigen Strafe ahnden lassen. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser hatte sich auf der jüngst bei Letzlingen abgehaltenen Hofjagd überanstrengt und hütete deshalb am Sonntag auf ärztlichen Rath das Zimmer. Doch nahm der Aaiser auch an diesem Tage einige Vorträge entgegen. Im preußischen Abgeordnetenhause hat am Montag die erste Lesung des Etats ihren Anfang genommen, doch bot die Debatte an diesem Tage keine besonders hervorzuhebenden Momente dar. Dieselbe wurde vom Finanzminister Scholz mit einem längeren Exposä eröffnet, in welchem er die günstige Finanzlage Preußens ziffernmäßig nachwieS und hierbei als einen sprechenden Erfolg für die Wirtschaftspolitik des Fürsten Bismarck die Thatsache anführte, daß Preußen gegenwärtig vom Reiche an Steuern und Zöllen den jährlichen Betrag von 16,5 Mill. Mark bezieht. Bezüglich der wei teren Steuerreformen kündigte der Minister die Absicht der Regierung an, die Einkommensteuerstufen bis zu 1200 Mk. gänzlich zu befreien, »nd diejenigen bis zu 10,OM Mk. zu erleichtern. Von den Rednern der einzelnen Parteien sprach sich der Centrums-Abgeordnete Freiherr v. Schorlemer-Alst ziemlich skeptisch dem Budgetentwurs gegenüber aus, er bedauerte, daß keine höhere Börsenbesteuerung in Aussicht genommen sei und meinte, daß aus der Capitalrentensteuer Wohl nichts werden würde. Namens der Conservativen stimmte der Irhr. v. Minigerode den Ausführungen des Finanzministers unbedingt zu, während von Seiten der Sccessionisten Abg. stuckert die neuen Steuerprojekte der Regierung lebhaft bekämpfte, auch die Eisenbahnpolitik und das WirthschaftSsystem der Regierung kritisirte der secessionistische Redner in sehr abfälliger Weise. Die Debatte wurde am Dienstag fortgesetzt. Die Nihilisten. Historische Novelle nach Jules Lavigne von S. With. (Fortsetzung.) In Beantwortung dieses Punktes war man nicht verlegen. Wußte Stasia nichts von dem Complotte der Nihilisten? Wenigstens konnte nian sie getrost dessen anklagcn, denn da sie die Hauptansührer der Sekte bei sich empfing, war cs schwer z» behaupten, daß sie in völliger Unkenntniß handelte. Stasia war also wenigstens des Nihilismus schuldig und verfiel somit dem Gesetz. Man konnte aber keinen rechtskräftigen Beweis führen. Außerdem sprach die Vergangenheit Stasia's sehr zu ihren Gunsten. Wir müssen noch hinzufügen, daß Stasia unter der Aristokratie eine Ausnahmestellung einnahm und daß eine leichthin vollzogene Verhaftung eine allgemeine Empörung herbeigesührt hätte; denn obschon die öffentliche Mei nung gegen die Gräfin sich kundgab, hätte es nur eines Schattens, eines Nichts bedurft, um einen Umschlag zu ihren Gunsten herbeizuführen. Das Gericht war in großer Verlegenheit. Es bedurfte einer höchsten Entschließung, von dem Kaiser direkt aus gehend; aber eS wurde zu gleicher Zeit vorgeschrieben, daß die größte Scho nung der Gräfin gegenüber beobachtet werde. Der höhere Beamte, welcher ausersehen war, den Befehl der Gräfin zu »otificiren, mußte sich dazu verstehen, sobald wie möglich sich seines schweren Auftrags zu entledigen. Sich dem Palaste Rostow nähernd, fühlte, trotz seiner Ucbung in der artigen Geschäften, der Beamte einige Angst; es handelte sich darum, eine traurige Pflicht zu erfüllen, es aber mit aller Höflichkeit eines gewandten Weltmanns zu thun. Er wurde von Sömöne cingesührt. In der stillen treuen Ergebenheit dieses Leibeigenen lag alles Zartgefühl einer tiefen Freundschaft. Stasia saß mit einer Stickerei beschäftigt an dem Fenster, sie litt unter jener Schwermuth eines frühzeitig getrübten Daseins, welches nichts mehr mit dem Glücke gemein hat. Der Beamte verbeugte sich. Gleich bei den ersten Worten hatte ihn Stasia verstanden. Sie richtete sich empor und die Augen weit geöffnet vor Erstaunen, die Brust beengt, fand sie keine Worte, so hart war der Schlag, der sie traf, so ganz unverdient. „Mein Austrag ist schwer," sagte der Osficier, „ich hatte, um ihn aus führen zu können, mehr Muth nöthig, als ich auf dem Schlachtfeld« bedürfte. Ich habe nur noch bcizufügen, daß es der Wille der Majestäten ist, Sie mit der größten Achtung behandelt zu sehen. Sie werden durchaus nicht als Schuldige betrachtet, abär der Wortlaut des Gesetzes ist streng. Bis aus weiteren Befehl bleiben Sie aus Ehrenwort Gefangene in Ihrem Hause. Sie werden in keiner Weis« sn Ihren Lebensgewohnheiten gestört werden." Die Gräfin dankte dem Ehrenmanne, sein Auftrag lautete zwar sehr hart, aber er entledigte sich desselben auf schonende Weise, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, offen ihre Entrüstung zu zeigen. Nach dem Weggehen des Beamten überkam Stasia die äußerste Muth- lostgkeit, die ConsequenzcN des gewaltsamen TodeS ihres Gatten traten ihr mit einer Klarheit vor die Auge», wie sie solche bis dahin noch nicht erkannt hatte. Uin der Form zu genügen, wurden Wachen an die Eingänge des Pa lastes Rostow gestellt. Das niedere russische Volk ist schweigsam; es nimmt die Handlungen der Regierung mit vollständigem Glcichmuth hin. Es war nicht das Gleiche bei den ander» Elasten der Bevölkerung. Bei den Revolutionären und Nihilisten war die Arrestation Stasia's von schlimmer Vorbedeutung. Die Regierung schien zu einer schrecklichen Züchtigung entschlossen, indem sie Hand anlegt« an die tausendjährige» Pri vilegien des Adels. XXV. Das Verhör. Die Einleitung des Prozesses der Nihilisten hatte von dem Tage an be gonnen, wo Wladimir ermordet worden war, aber in Wirklichkeit »ahm die Sache erst Gestalt an, nachdem der Kaiser befohlen hatte, daß Stasia in Arrest zu erklären sei. In Eisenach hat am Montag der erste allgemeine deutsche Bauerntag stattgefunden, dem 4M Abgeordnete aus den meisten preußischen Provinzen und den norddeutschen Staaten beiwohnten. Den Vorsitz führten Reichstagsabgeordncter Ahlhorn und Bauernguts- bcsitzer Amtmann Brünning. DaS dem Bauerntag vorgelegte Pro gramm und Statut wurden angenommen, worauf unter Hochrufen auf den Kaiser, den Großherzog von Weimar und die übrigen deutschen Fürsten, sowie auf den Reichstag der Schluß der Versammlung erfolgte. In der Stadt Hannover hat am Montag die Neuwahl eines Drittels der Bürgervorsteher stattgefunden, wobei 4 Mttionalliberale und 4 Welfen gewählt wurden, die welfische Partei hat einen Sitz verloren. Oesterreich. Der erbittert geführte Kampf zwischen Deutschen und Czechcn in Böhmen hat innerhalb der deutschliberalen Partei Böhmen? einen eigenthümlichen Gedanken gezeitigt. Es ist nämlich der Vorschlag gemacht worden, Böhmen in administrativer Beziehung vollständig zu trennen und die Verwaltungsbezirke nach den sprachlichen Grenzen abzugrenzen, um hierdurch eine Collision der nationalen Interessen möglichst zu vermeiden. Der Vorschlag ist zwar innerhalb der deutschen Partei selbst auf lebhaften Widerstand gestoßen, da eine Zweitheilmig Böhmens die Deutschen in den überwiegend czechischen Bezirken der Willkür der Czechen noch mehr preisgeben würde, doch ist er auf der in Prag am Sonntag stattgefundenen deutschen Parteikonferenz mit zur Sprache gebracht und begründet worden. Indessen würde auch die Regierung einer administrativen Theilung Böhmens schwerlich zustimmen. Frankreich. Der französisch-chinesische Conflikt treibt immer mehr einer gewaltsamen Lösung entgegen. In einer Privatinstruktion an den Bizekönig von Nanking hat der Kaiser von China befohlen, daß der Kriegszustand mit Frankreich eintreten sollte, falls die Franzosen Bacninh angreifcn würden. Was man in China unter dem „Kriegszustand" versteht, muß abgewartet werden, da die regu lären chinesischen Truppen bei Haidzuong thatsächlich ja mit den Franzosen schon in Kampf gerathen sind. In Frankreich läßt man sich durch die drohende Sprache der chinesischen Regierung nicht im Mindesten verblüffen und soll der Vormarsch gegen Bacninh aus genommen werden, sobald es der Zustand der Wege nur einiger maßen gestattet. — Zwei englische Kriegsschiffe sind von Nangasaki (Japan) nach China abgegangen: ein drittes Schiff hält sich bereit, nach eingegangener Ordre ihnen sofort zu folgen. — Auf Madagas kar drohen neue Zwistigkeiten zwischen Frankreich und England. Ein ranzösisches Kriegsschiff bombardirte die Stadt Vvtiemar an der Nordwestküste von Madagascar ohne vorherige Ankündigung und wurden hierbei u. A. 5 englische Unterthanen getödtet. England. In London hat am Sonntag die Trauerfeier für Sir William Siemens, einen Bruder des bekannten Berliner Elcctro- Technikers, in der Westminster-Abtei stattgcfunden. Die Trauerfeicr Wurde vom Decan von Wcstminster unter Assistenz mehrerer anderer Geistlicher abgehalten. In dem außerordentlich großen Traucrgefolge befanden sich Vertreter aller wissenschaftlichen Gesellschaften Englands und viele Notabilitäten der Wissenschaft. Die Beerdigung fand auf dem Kensal-Green-Kirchhose statt. Italien. Die Häupter der italienischen Parlaments-Oppo- ition, jCairoli, Crispi, Nicotera, Baccarini u. s. w. haben sich am Sonntag mit vielen ihrer Getreuen in Neapel ein Rendez-Vous ge geben. Auf dem hierbei veranstalteten Banket platzte eine wahre Bombe von Reden, sämmtliche Parteiführer hielten lange Reden, in denen das Cabinet Depretis wegen seiner innern Politik und namentlich wegen seines Hinneigens zum Clcricalismus scharf angegriffen wurde. Dagegen äußerten sie sich bezüglich der aus wärtigen talienischen Politik mehr oder weniger zustimmend. Hervorzu heben ist in dieser Beziehung die Rede des ehemaligen Bautenministers Zanardelli, welcher erklärte, ganz Italien wünsche ein intimes Ein vernehmen mit den europäischen Centralmächten. Er halte es für wahrhaft wünschenswerth, daß dieses Einvernehmen als eine Garantie des Friedens angesehen werde. Er begrüße mit Freuden eine Allianz, Welche nicht allein die Gleichheit und Gegenseitigkeit der Vortheile Die Gräfin mußte alle Kränkungen der Verhöre und Verdächtigungen erdulden. In Folge einer speziellen Vollmacht, abweichend von dem ge wöhnlichen Geschäftsgänge, wurde ein Untersuchungsrichter zu ihr beordert und sie war gcnöthigt,, unter den Augen des Gerichtsschreibers Rede zu stehen. Stasia antwortete kurz oder ausweichend. Die Fragen, welche ihr vorgelegt wurden, noch so delikat und taktvoll vorgebracht, berührten nichtsdestoweniger ihre Privatverhältnisse; dies ver letzte und empörte sie. Hierauf fand eine Haussuchung statt. Nicht allein die Gemächer Wladi- mir's wurden durchferscht und durchwühlt, sondern auch die Möbel, in welchen die Gräfin ihre geheimen Papiere und Correspondenzen bewahrte, sie mußte ihre Schubladen den indiskreten, prüfenden Blicken eines Polizei offiziers preisgeben. In dem Augenblicke, als der Untersuchungsrichter mit ziemlich wenigem Erfolge sich zurückziehen wollte, ereignete sich ein Zwischenfall. Aus Stasia's Arbeitstisch lag ein Notizbuch, einem Album ziemlich ähn lich. Der Beamte hatte es an den vorhergehenden Tagen gesehen, cs war ihm ausgefallen und mehrmals war er schon auf dem Pnnk>e gewesen, Ein sicht desselben zu verlangen, aber immer wieder zerstreut oder abgezogen, hatte er seinem Vorhaben keine Folge gegeben. Diesmal brachte der Zufall ihm wieder in's Gedächtniß, was er schon längst beabsichtigt hatte. Durch eine Bewegung Stasia's fiel das Notizbuch plötzlich zur Erde. Der Offizier bückte sich eilfertig, um es aufzuhebcn. „Bemühen Sie sich nicht," war Stasia eben im Begriff zu sagen .... Aber mit Blitzesschnelle hatte der Beamte den Gedanken Stasia's durch schaut ; er errieth, daß etwas Verdächtiges vorlag. Der Erfolg des Prozesses hing möglicher Weise v»n diesem Zufall ab. Der Offizier bat um die Er- laubniß es durchzusehen. Diese Erlaubniß konnte nicht verweigert werden und selbst wenn es geschehen wäre, würde es ihn wenig gekümmert habe». Noch ehe Stasia zugestimmt hatte, las er. Er las, und je länger seine Augen über die Seiten glitten, von Linie zu Linie eilend, je mehr hellte sich seine Physiognomie auf. Es war Stasia's Tagebuch, welches sic ziemlich regelmäßig führte. Sie notirte darin, was sie Gutes und Schlimmes erlebte. Es herrschte keine große Pünktlichkeit in den» Buche, aber Ereignisse des gewöhnlichen Lebens waren Tag für Tag darin eingeschrieben. Die wichtigste» standen neben ganz unbe deutenden und mancher Gedanke war mit flüchtiger Feder oder zitterndem Stift wie einzegraben. Mit einem Blick, fast instinktiv hatte der Beamte die ganze Wichtigkeit seines Fundes erkannt. Er erhob ziemlich verlegen die Augen, mußte sie aber wieder vor dem ruhigen, klaren Blick der Gräfin senken. Seinem Rechte nach hatte er das Notizbuch zu behalten. Alles nöthigtc ihn dazu, seine Pflicht, die ausdrücklichen Befehle der dritten Sektion und auch das Interesse an dem Prozesse. „Gnädige Frau," sagte er. „Sie wollen dieses Buch behalten?" unterbrach ihn Stasia mit schlecht verborgener Verachtung. „Ich bin dazu gcnöthigt." „Das ist eine unwürdige Handlung." „Ich erfülle meinen Auftrag . . . >ch glaube nicht —" „Und wer wird sich denn erlauben, in diesen Blättern zu lesen? Wer wird es wagen?" „Frau Gräfin, denke» Sie nicht zu schlecht von mir. Dieses Buch wird augenblicklich in die Hände meiner Vorgesetzten übergebe» werden. Kein menschliches Wesen außer ihnen wird erfahren, was in diesen Blättern steht." „Sie versichern cs mir?" „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf" Stasia konnte sich eines ziemlich verächtlichen Achselzuckens nicht enthalten. Das Tagebuch Stasia's drückte sich nur in der Weise der Orakel aus; es sagte nicht ja, nicht »nein, es erzählte keine Thalsache klar und bestimmt; aber im Ganzen enthielt es mehr wie eine» Anhalt, ans dem man geschickt und mit Wahrscheinlichkeit Beweise der Schuld eninehmen konnte. In dem Palaste Rostow hatte die Untersuchung einen bedeutende» Schritt vorwärts gethan und dies gerade in einem Moment, wo es am wenigsten zn erwarten stand. Was ging anderwärts vor? Wie stand es auf der Citadelle? stipulire, sondern auch die Bedingungen enthalte, daß die nationale Würde und das öffentliche Recht Italiens dadurch nicht leiden. Man müsse Italien, welches seine Vorträge gewissenhaft achte, mit gleicher Münze zurückzahlen; Italien müßte sogar verlangen, daß man auch seine Jnstitutalion und seine Autonomie achte. Der Redner brachte schließlich einen warmen Toast auf König Humbert aus. Egypten. Die Vernichtung des egyptischen ExpeditionS- Heeres in Sudan ist ein Schlag für die Regierung des Khedive, dessen Folgen sich noch gar nicht übersehen lasten. Vorläufig erscheint Chartum, die Hauptstadt des Senaar und des ganzen Sudan, von den Scharen des Mahdi auf das Ernstlichste bedroht und ein Ver lust Chartums wäre gleichbedeutend mit jenem des Sudans, unter welchem allgemeinen Namen man die Ländermasse zu verstehen hat, welche von den Provinzen Darfor, Cordofan, Chartum und Senaar gebildet wird. Hand in Hand mit der vollständigen Niederlage der Egypter im Sudan gehen die wiederholten Schlappen, welche sie von den aufständischen Beduinen von Suakim erlitten haben und hat sich die «gyptische Regierung genöthigt gesehen, eine starke Expedition zur Bekämpfung der Beduinen auszurüstcn, die unter dem Oberbefehle Baker Pascha's stehen wird. Die Engländer haben infolge der aus dem Sudan eingetroffenen Nachrichten die Räumung Egyptens wieder verschoben, auch sind 3 englische Panzerschiffe von Malta nach Alexandrien beordert worden. Weitere Nachrichten aus Kairo besagen, daß sich die türkischen Offiziere in Egypten weigern nach dem Sudan zu gehen, da ihr Vertrag nur für Egypten laute. Jedenfalls sind die Verlegenheiten der egyptischen Regierung so große, daß sie wohl oder übel an die Hilfe Englands wird appelliren müssen. Nachrichten au» Chemnitz und Umgegend. Chemnitz, 28. November. —xlc. Bei den gestrigen Ergänzungswahlen des Stadt- verord netenkollegiums wurden im Ganzen 3500 Stimmen abgegeben und zwar im ersten Wahlbezirk („Hotel de Saxe") 2084 und im zweiten („Gasthaus Linde") 1416. Wahlberechtigte Bürger giebt es 6571 — im ersten Wahlbezirk 3796 und im zweiten 2775; es wählten somit in diesem Jahre 54,8 Proz. der wahlberechtigten Bürger gegen 54,6 Proz. im vorigen Jahre. Im Vorjahre stimmten von 6401 wahlberechtigten Bürgern 3486, und zwar im ersten Wahl bezirk 2l14, im zweiten 1372. Die öffentliche Auszählung der ab gegebenen Candidatenlisten erfolgt heute im Rathhause von Seiten der Wahldcputation. Da die Auszählung naturgemäß sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, denn auf jedem der 3500 abgegebenen Stimm zettel müssen die 17 Namen der Vorgeschlagcnen gelesen, controlirt und die Namen der Gewählten notirt werden,s da also das Resultat erst nach Fertigstellung unseres Blattes bekannt wird, sogeben wir heute ein Extrablatt heraus und bitten wir unsere Abonnenten, dasselbe zwischen 6 und 7 Uhr in der Expedition des „Chemnitzer Anzeigers" abzuholen. —,1. Die „Allg. Kriegervereinigung" veranstaltet Montag den 3. December Abends 8 Uhr im großen Saale der Linde zur Erinnerung an die Kämpfe vor Paris einen patriotischen Familienabend Die gesamate Geidel'sche Capelle wird unter Leitung ihres Musikdirektors, Herrn Gcidel, konzertiren und werden mit wirkende bewährte Künstler und beliebte Dilettanten durch Vorträge zur Unterhaltung beitragen. Wie früher wird wohl auch diesmal die Betheiligung eine sehr rege sein. —I. Der hiesige Turnverein hält heute Abend um 8 Uhr im großen Saale der Linde eine gesellige Abend Unterhaltung ab. Das Programm ist ein sehr reichhaltiges und verspricht einen amüsanten Abend. — DiedeutscheReichsfechtschule, selbstständiger Verband Chemnitz, hält Dienstag den 4. December in den oberen Sälen der Linde ihren zweiten großen Fechtabend ab. Das Programm wird diesmal wieder sehr reichhaltig sein und verspricht einen recht amüsanten Abend. Zu Anfang waren die Verhaftsbefehle, obschon ganz richtig geplant, doch auf eine zu große Anzahl von Personen ausgedehnt, als daß Alles mit der genauen Pünktlichkeit, Ordnung und Schonung, die in solchen Fällen not wendig, hätte vor sich gehen können. In der Wohnung Parlowna's fand man bei der Haussuchung weiter nichts als ein Exemplar des Rituals, von der Hand Serge's geschrieben. Es bewies in Bezug auf den Prozeß nichts, als daß Parlowna Nihi listin war. Umsonst hatten zu verschiedenen Malen die Untersuchungsrichter versucht, Aufklärungen durch sie zu erhalten. Sie hatte sich sogar geweigert, die Be suche eines Advokaten anzunehmen. „Sic haben Unrecht", sagte der Untersuchungsbeamte zu ihr, „ein Advo kat würde Ihnen gute Rathschläge geben." „Welche, da ich schon im Voraus verurtheilt bin?" „Nicht allein sind Sie noch nicht im Voraus verurtheilt, sondern nach meiner Ansicht werden Sie freigesprochen!" „Freigesprochen, wie so? Von wem?" „Durch die Jury." „Wird man uns eine Jury zugestehen? „Sicherlich. Ihr Prozeß ist ganz politischer Natur " „Nun wohl, dann brauche ich keinen Avvkaten." „Aber wer wird für Sie plaidiren?" „Ich selbst!" „Das wäre eine Unvorsichtigkeit ' „Warum, wenn ich fragen darf?" „Weil Sie heftig, leidenschaftlich sind, sich nicht mäßigen und ganz gewiß Unkluges thun würden " „Das ist meine Sache." „Meine Pflicht ist, Sie darauf aufmerksam zu machen." „Ich danke Ihnen " Mehr war nicht aus ihr hcrauszubringen; nach dieser Richtung machte die Untersuchung keine Fortschritte. „Haben Sie die Gräfin Stasia gekannt?" „Ich war ihre Lehrerin der deutschen Sprache gewesen und wurde ihre Freundin, sie unterstützte mich mit ihrem Gclde und ich sie mit meiner Liebe und meinen Rathschlägen." „Sie sahen sie oft?" „Täglich." „Sie kannten Wladimir genau? „Ganz genau." „Er war Nihilist?" „Was verstehen Sie darunter?" In dieser Weise tauschte Parlowna die Rolle öfter mit ihrem Ankläger, indem sie Fragen stellte und der Beamte, der sie zu verhören hatte, befand sich zuweilen ihrem Schweigen und ihrem Eigensinn gegenüber in großer Verlegenheit. Eines Tages meinte er das Mittel gefunden zu haben, sie in Wider spruch mit sich selbst zu bringen und Geständnisse zu erzwingen, indem er ihr das Ritual Serge's mit den Worten vor die Augen hielt: „Erkennen Sie dieses?" „Gewiß, es ist ein Buch, das Ritual einer Sekte." „Bon der Sekte der Nihilisten . . ." „Welcher nihilistischen Sekte? Was wollen Sie damit sagen? Sie haben dieses Buch bei mir gesunden, das ist wahr. Haben Sie nicht aber auch die Geschichte Rußlands, die Bibel, eine Nachahmung Christi und die Chronik von Nestor gesunden?" „Und Ribowski?" „Nun?" „Sie haben ihn gekannt? Er besuchte Sic?" „War dies ein Verbrechen?" „Kurz, Sie waren mit einer großen Zahl von Sektirern in Verbindung, von Revolutionären. Die meisten von ihnen befinden sich in den Gesängnissen das ist sehr schlimm für Sie." — „Und für Sie auch." schloß Parlowna- Das waren die Resultate der Untersuchung bei Parlowna und bei den» mit ihr verhafteten Serge konnten sie nicht viel ander- sein. (Fortsetzung folgt),
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