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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 13.11.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-11-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188311135
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18831113
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18831113
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-11
- Tag 1883-11-13
-
Monat
1883-11
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 13.11.1883
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«b-,nnitz-r Anzeiger und Gtadtbot,. Nr. »7. Dienstag 13 November. Seite 2. gewärtigen haben wird, schon in Hinblick auf die mannichfaltigen Aus zeichnungen, welche König Alfonso während seiner Anwesenheit in Deutschland zu Theil geworden sind. Die Reise des Kronprinzen ist ein neues in die Augen springendes Zeichen für die guten Beziehungen, welche sich zwischen Deutschland und der spanischen Monarchie herauS- gebildet haben und die Umstände, unter denen sie erfolgt, geben ihr «inen bedeutsamen politischen Charakter. Die Lutherfeier ist, soweit un- bekannt, allerorten ohne einen Mißklang verlaufen und an vielen Orten gestaltete sie sich zu einer Wahrhaft imposanten Kundgebung des von Luther geweckten freien deutschen Volksgeistes. Die ganze Lutherbewegung hat ohne Zweifel eine starke Belebung und Kräftigung des protestantischen Bewußtseins in Deutschland mit sich gebracht und steht es zu hoffen, daß diese Bewegung auch ihre Früchte», tragen und namentlich dazu beitragen wird, daß sich die einzelnen Richtungen innerhalb des Protestantismus wieder mehr zusammenfinden. Eigenthümlich berührt es, daß gerade in den Tagen des Lutherfestes ein Zug der römischen Kurie bekannt wird, der zeigt, wie wenig man im Vatican zu Zugeständnissen an Preußen geneigt ist. Herr v. Schlözer, der Vertreter Preußens beim Vatican, hatte Namens seiner Regierung die Resignation der abge setzten Erzbischöfe von Köln und Posen verlangt, vom Cardinals- Collegium ist indessen diese Forderung zurückgewiesen worden und man wird in Berlin über diese schroffe Haltung >des Vatikans schwerlich erbaut sein. Oesterreick-Ungarn. JedeSmal, wenn sich in Wien die gemeinschaftlichen Delegationen versammeln, kommen bei dieser Ge legenheit auch die Angelegenheiten der „Reichslande" Bosnien und Herzegowina zur Sprache. Auch diesmal ist diese» der Fall gewesen und zwar wurden die bosnischen Angelegenheiten in einer der letzten Sitzungen der ungarischen Delegation verhandelt. Der Reichsfinanz minister v. Kallay, welchem die occupirten Provinzen unterstehen, gab über die Lage in Bosnien eine längere Erklärung, welche die dortigen Zustände im Allgemeinen als befriedigende bezeichnet. Die Steuern gehen regelmäßig ein, das Räuberunwesen hat fast ganz aufgehört und die Rekrutirungen gehen regelmäßig vor sich. Trotzdem bedauerte aber Herr v. Kallay, einen materiellen Fortschritt des Reichslandes nicht konsiatiren zu können, woran er die Schuld dem Umstande gab, daß sich die österreichischen Kapitalskräfte von Bosnien fern hielten. Hoffentlich werden die von der Regierung in den occupirten Provinzen geplanten Eisenbahnunternehmungen ihnen auch z» wirthschaftlichem Aufschwung verhelfen. Frankreick. Das Kabinet Ferry hat jetzt einen neuen par lamentarischen Erfolg zu verzeichnen und zwar diesmal auf dem Ge biete der inneren Politik. In ihrer Sitzung vom 8. November be schloß die französische Deputirtenkammer und zwar mit 379 gegen 110 Stimmen, den Antrag des radikalen Abgeordneten Lacroix, be treffend die Herstellung einer autonomen Verwaltung der Stadt Paris, nicht an die Kommission zu verweisen, welcher Beschluß einer Ablehnung gleichkommt; Lacroix zog auch wohlweislich seinen An trag zurück. Ein anderer Pariser radikaler Abgeordneter, Delaforge, verlangte das für die andern Städte geltende Recht auch für Paris, welchen Antrag der Minister des Innern, Waldeck-Rouffeau, energisch bekämpfte; die Debatte hierüber wurde schließlich vertagt. Bei der fortgesetzten Berathung des Munizipalgesetzes wurde schließlich ein Amendement angenommen, welches der Regierungs-Vorlage entspricht. England. Auf dem am Freitag in London stattgefundenen Lordmayors-Banket war auch der Premier Gladstone anwesend. Der selbe hielt eine längere Rede, in welcher er sich über die inneren und auswärtigen Beziehungen Englands und über die allgemeine europäische Lage verbreitete. Gladstone hob namentlich das herzliche Verhältniß zwischen England und Frankreich hervor, deutete dann die bevorstehende Räumung Kairos durch die englischen Truppen an und sagte bezüglich der allgemeinen Lage, daß in diesem Augenblicke alle Großmächte ihren Wunsch auf Aufrechterhaltung des Friedens erklärten. Der Berliner Vertrag bilde einen wichtigen Theil des Staalsrcchts Europas und diesen Vertrag aufrecht zu erhalten, sei das Hauptziel der Bestrebungen Englands. Italien. Aus Italien signalisirt man Veränderungen im Cabinet Depretis. Der Marineminister Acton, welcher sich schon seit längerer Zeit wegen verschiedener Fragen der inneren Politik im Widerspruch mit der Mehrzahl seiner Collegen befindet, beabsichtigt zu demissioniren und versichert man, daß der Minister für Handel und Ackerbau, Berti, sowie der Justizminister Savelli dem Beispiele Acton's folgen würden. Zugleich wird aber betont, daß die theil- Weisen Veränderungen im Cabinet keinen Wechsel im Präsidium und in der Leitung des Finanzministeriums, welche beiden Posten Depretis bekleidet, nach sich ziehen würden. Serbien. Die Erhebung im südlichen Serbien hat mit der Einnahme der Hauptpositionen der Aufständischen bei Oestobrodiza und Kalafa durch die serbischen Truppen der Hauptsache nach ihr Ende erreicht. Nirgends leisteten die Insurgenten einen nennenswerthen Widerstand und wurden sie von den königlichen Truppen ohne großes Blutvergießen mit leichter Mühe umzingelt und auseinander gesprengt. An der Regierung ist es nun, die Urheber der Revolte, welche ja leicht eine größere Ausdehnung gewinnen konnte, zur Rechenschaft zu ziehen und heißt es denn auch, daß der eigentliche Leiter der ganzen Bewegung, der jüngst in Belgrad mit anderen radikalen Gesinnungs genoffen verhaftete Professor Jovanic, in der Nacht vom 7. zum 8. November in der Festung Zadjar erschaffen worden ist. Egypten. In Egypten geht der Aufstand des „falschen Propheten" seinem Ende entgegen. Zwar hat sich die Nachricht, daß er im Kampfe mit den gegen ihn ausgesendeten egyptischen Truppen gefallen sei, noch nicht bestätigt, wohl aber eine andere Nachricht, daß sein Heer eine empfindliche Mederlage erlitten hat, infolge deren sich die aufständischen Negerstämme in der Provinz Cordofan wieder der Botmäßigkeit des Khedive unterworfen haben. Die Lutherfeier i« Chemnitz. / Vorüber sind sie nun, die festlichen Tage, an denen die Wogen / der Begeisterung für den Reformator hoch dahinflutheten. Wie all- Wärts im deutschen Vaterlande und weit über dessen Grenzen hinaus, / so fand die Feier auch in unserm Chemnitz eine sehr würdige Be gehung. Behörden, Corporationen, Schulen, Private — Alles wett eiferte in dem Bestreben, das Möglichst« zu Erhöhung der Feier bei zutragen. Wir können des beschränkten Raumes halber leider nicht auf alle Einzelheiten der Festveranstaltungen eingehen, obwohl viele derselben eine ehrenvolle Erwähnung verdienten, und geben somit nur einen kurzen Ueberblick der officiellen Festacte, denen wir eingehendere Berichte über solche Veranstaltungen anschließen, von denen uns Fest berichte zugingen. Eingeleitet wurden die Festlichkeiten am Freitag Abend durch die erste Aufführung des Oratoriums „Luther in Worms" von Meinardus in der St. Jacobikirche (siehe den Bericht hierüber), sowie durch Fest lichkeiten des Protestantenvereins (das Referat darüber befand sich bereits in voriger Nummer), des Arbeitervereins rc. Am eigentlichen Luthertage, Sonnabend, fanden hauptsächlich Festacte der höheren Schulanstalten und Gottesdienste für die älteren Kinder der Bürger und Bezirksschulen statt. Von 12—1 Uhr Mittags erfolgte Fest geläute von den Thürmen und Nachmittags Festgottesdienste in allen Kirchen. Abends fand in der Jacobikirche die zweite Aufführung -eS Oratoriums „Luther in Worms" bei wiederum gefüllter Kirche statt wobei das herrliche Portal der Kirche bereits in festlicher Be leuchtung strahlte. Weiter wurden an jenem Abend die veranstalteten Familienabende des Kirchenvorstandes St. Petri in „Stadt London", des Gustav-Adolf-Bcreins im „Elysium" und des Vereins Deutschland im „Mosellasaal" abgehalteu. Die Stadt zeigte sich an diesem Festtage reich beflaggt und mit sonstigen Zeichen der Feier geschmückt. Leider wurden dergleichen Bestrebungen durch die Ungunst des Wetters nicht unerheblich beeinträchtigt. Für die hauptsächlichsten Veranstaltungen des öffentlichen Theils war der Sonntag ausersehen. Hierbei kommt zunächst in Betracht. Der Festzug. Derselbe übertraf an Umfang und Betheiligung alle Erwartungen und wollte schier kein Ende nehmen. Vier Musikchöre waren in dem Zuge vertreten und die vielen betheiligten Vereine und Deputationen hiesiger Körperschaften führten 64 Fahnen und ungefähr 40 Standarten mit sich. Von den vielen schönen Fahnen fielen besonders die des Fechtclub „Arminia", des Schülergesangvereins „Concordia", des Gymnasiums und der Gemeinde St. Johannis in die Augen. Einigen betheiligten Innungen und Fabrikdeputationen, und zwar den Schlaffem, Schmieden und Fleischern, gingen in die betreffende Arbeitstracht ge kleidete Theilnehmer voraus. Sehr stark betheiligt war die sächsische Maschinenfabrik, deren lUnterabtheilungen durch Deputationen mit Fahnen, auf denen die Werkzeuge der betreffenden Abtheilungen ab gebildet waren, vertreten waren. Der Zug theilte sich auf dem Markte und die einzelnen Abtheilungcn begaben sich nach den betreffenden Kirchen, in welchen jedoch bei weitem nicht alle Festzugtheilnchmer Platz fanden. Die Illumination. Dieselbe hatte einen wahrhaft überraschenden' Umfang angenom men. Welches Lichtmeer, welcher Glanz, wohin man auch Schritte und Blicke lenken mochte! Nicht nur die Plätze und Straßen der inneren Stadttheile, nein auch die äußersten Vorstädte Prangten in strahlender und flimmernder Beleuchtung. Selbst der Aermste hatte sein Scherflein dazu beigetragen, diesen Theil des Festprogramms zu brillanter Durchführung zu bringen. Und nicht nur Angehörige der Lutherkirche hatten sich hierbei, wie auch bei übriger dekorativer Schmückung der Häuser betheiligt; die Lutherfeier gestaltete sich auch nach dieser Richtung hin zu allgemeiner, nationaler Bedeutung. Leider wirkte aber auch hierbei der Witterungseinfluß einigermaßen störend auf volle Entfaltung des Glanz-Effects, denn der herrschende Luftzug ließ an diesem besonders ausgesetzten Stellen eine allgemeine Er leuchtung der Gebäude nicht aufkommen. Der Markt war durch 17 auf die Gaskandelaber geschraubte Sonnen, Steme und Kreuze, sowie durch die Illumination der Häuser fast taghell erleuchtet und schon lange vor dem Beginn der Musikausfühmng wogte eine un zählbare Menschenmenge auf demselben auf und nieder, die sich während derselben so vermehrte, daß es rein unmöglich war, vor oder rückwärts zu kommen. Unter den Gebäuden, welche sich durch besondere Beleuchtungsarten auszeichneten, sei die Nicolaimühle und das Pöge'sche Haus an der Brückenstraße erwähnt, wo elektrisches Licht zur Anwendung gekommen war. Eine Aufzählung aller übrigen Häuser, welche durch Glanzeffekt sich hervorhoben, ist nicht möglich, es hatte fast Jeder gethan, was in seinen Kräften stand. Auffallend war hierbei nur, daß alle öffentlichen Gebäude in tiefes Dunkel gehüllt blieben bei dieser allgemeinen Feier. Als sehr lobenswerth ist es hervorzuheben, daß das in vielen Tausenden die Straßen durchwogende Publikum auch im größten Gedränge die würdigste Haltung bewahrte. Wir lassen nun weiter die Berichte über Einzelfestvorstellungen folgen, soweit wir selbst hierüber zu referiren in der Lage sind, oder durch freundlichst zugesandte Mittheilungen hierzu in Stand gesetzt wurden. Festfeier des Gustav-Adolfvereins. Dieselbe fand am Sonnabend im Saale des „Elysium" statt. Der Besuch derselben war sehr zahlreich. Die Feierlichkeit begann mit einer Festouverture von Leutner, darauf folgte ein Gesang und nach diesem hielt Herr Schuldirektor Kühnert eine kernige Fest ansprache. Hieran schloß sich das Lied „Ein' feste Burg ist unser Gott", welches von allen Festtheilnehmern gesungen ward. Nachdem diese mächtigen Töne verklungen waren, verbreitete sich Herr Super intendent Prof. Michael in einer wohldurchdachten Rede über „Luther und die Bibel", wobei er besonders hervorhob, welch' großes und bedeutendes Werk die Uebersetzung dieses „Buches der Bücher" in unsere Muttersprache ist, was für Schwierigkeiten der große Re formator bei diesem Werke überwinden mußte und wie er doch, beseelt von der Macht des wahren Glaubens und der Kraft des göttlichen Wortes mit heiligem Eifer das große Werk vollendete Dieser mit vielem und lebhaften Beifall belohnten Rede folgte ein „Nocturno" für Horn von Böhme und dann trug der allgemeine Männergesangverein daS Lied: „Groß sind die Wogen" von Richter in recht ansprechender Weise vor. Nun sprach Herr viae. Ille. Ackermann über Luthers Familienleben in kräftiger, herzlicher und theilweiie mit gcmüthv ollem Humor gewürzter Rede, wofür auch ihm stürmischer Beifall zu Theil wurde. Es folgten dann noch mehrere Gesangs- und Musikstücke, unter denen namentlich eine: „Fantasie für Flöte über ein Chopin'sches Thema" gefiel. Die Stimmung war durchweg eine rein festliche und war somit auch diese Feier des großen Tages vollkommen würdig. Lutherfeier des Vereins „Deutschland". Die vom Verein „Deutschland" am Sonnabend Abend im Mosellasaal veranstaltete öffentliche Lutherfeier war sehr zahlreich besucht und verlief in der gehobensten Fest-Stimmung. Die Festrede des Herrn Archidiakonus von Soden über: „Luther und sein deutsches Volk" zündete durch ihre leicht verständliche, kernige Sprache und wurde von dem Auditorium auf's Beifälligste ausgenommen. Aus dem sehr reichhaltigen Programm heben wir die Dellamationen der Herren De. Ohorn, Josef Feller, Schubert, Lehrer Reußner und Moritz Rost als lobenswerth hervor. Einige Vereinsmitglieder und Gäste hatten den musikalischen Theil des Fest programms übernommen und entledigten sich desselben auf die an- erkennenswertheste Weise. Nach der Festrede sang das versammelte Publikum ein von Herrn Emil Walther verfaßtes Fcstlied und zum Schluß der Feier: Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott". Ganz besonders gefiel ein von einem Gaste mit angenehmster Tcnorstimme vorgetragenes, vom Vcreinsvorsitzenden Herrn 1>r Anton Ohorn gedichtetes Lutherfestlied, welches wir auf vielseitigen Wunsch hier einflechten: Lutherfcstlied: Schalle laut, Du Klang der Glocken Trotz der Gegner Haß und Hohn! Laßt u»S heute festlich feiern Unsers Volles große» Sohn, Der nlit gläubigem Vertrauen Einst in finstre Geistesnacht, Selbst des Papstes Bannstrahl trotzend Reiner Lehre Licht gebracht. Sei gegrüßt, Du starker Streiter, Martin Luther, sei gegrüßt, Der des neuen Glaubensdomes Gründer Du geworden bist! Dieses Festes Jubelfeier Weih' in Deinen Geist uns ein. Daß zu Deinem Ba» wir tragen Für die Enkel Stein »m Stein. Laßt uns treuen Herzens ringen Eng verbrüdert um de» Sieg Und kein böser Zwist entzweie Protestant und Katholik! Was als recht und echt erkannten Alle Guten, walte frei — Alle seien Protestanten Gegen Lug und Heuchelei! Diese allseitig beifällig aufgenommene Festfeier des jungen Ver eins „Deutschland" wird noch lange im Gedächtniß aller Theilnehmer bleiben und ihnen eine angenehme Erinnerung an die 400jährige Geburtstagsfeier Or. Martin Luthers bleiben Der Familienabend der Jacobi-Parochie. Die vom Kirchenvorstand der Jacobi-Parochie am Sonn tag veranstaltete Lutherfeier hatte den großen Lindensaal bis auf den letzten Stehplatz dicht gefüllt; Herr Archidiaconus v. Soden hielt eine der Würde des Tages entsprechende schwungvolle Festrede, ganz außerordentlich wirkten die von Herrn Realschulzeichenlehrer Fischer gestellten lebenden Bilder: „Luther verbrennt die Bann bulle" und „Luther im Familienkreise" zu denen Herr Gewerbschul- lehrer Walther den von ihm gedichteten, begeisternd wirkenden, ver bindenden Text sprach. Vorzügliche Vorträge des Kirchensängerchors und beifälligst ausgenommene Concertnummern des MilitärmusikchorS sowie allgemeine Gesänge erhöhten die festliche Stimmung. Die auf die Bedeutung der Feier bezüglichen längeren Ansprachen der Herren Stadtverordnetenvorsteher Ur. Enzmann, Rechtsanwal, Bauer, und Oberpfarrer I)r. Graue gaben dem Feste den würdigsten Ab schluß; besonders wirkte der letztere Sprecher begeisternd auf die Fest genossen, die er ermahnte, auf das volle Bewußtsein ihres Glaubens stolz zu sein, dabei aber gegen Andersgläubige Duldung zu üben. Von vielen Seiten wird eine Wiederholung der Aufführungen ge wünscht und der Erfüllung dieses Wunsches kann man wohl baldigst entgegen sehen. Oratorium zur Lutherfeier. Wenn uns heute die Aufgabe vorliegt, ein Urtheil über Werth und Auf führung des Oratoriums „Luther in Worms" von Ludwig Meinardus abzu geben, so nehmen wir, wie wir es für unsere Pflicht Hallen, gleich von An fang an zu beinerken, den anderen diesbezüglichen hiesigen Berichterstattungen gegenüber insofern einen Sonderstandpunkt ein, als wir uns aus reinstem Interesse für die hohe Bedeutung des Tages und für das Werk selbst unter den Mitwirkenden selbst befunden haben. Wir wollen und können uns aber eine Besprechung im Hinblick auf den genannte» Umstand nicht versagen, weil durch die nicht in allen Stücken vollkommen gelungene Wiedergabe des Ge- sammtwerks irrthümliche Auffassungen Platz gegriffen haben, welche wir in unserem Charakter als Mitwirkende und somit durch lange, anstrengende, ein gehende Proben in den Werth und die Eigenthümlichkeiten des Werkes und seine Bewältigung Eingeweihte mit dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit uns berufen fühlen dürfen zu zerstreuen, um so niehr, als wir trotz unsrer Zuge hörigkeit zum Kreis der Mitwirkenden möglichste Objektivität unserer Aus sprüche mit gutem Gewissen versichern können- Was zunächst den Werth des Oratoriums selbst anlangt, so ist dasselbe nicht so hoch zu rangire», wie die ersten Meisterwerke der Heroen der Kirchenmusik, eines Sebastian Bach und eines Händel. Aber das Werk hat einen bedeutenden Werth und ist vom nicht voreingenommenen Standpunkte aus auch schon von in der musikalischen Welt recht sehr hoch dastehenden Fach männern in solcher Weise gewürdigt worden Ist die Musik nicht in allen Stücken originell, ab solut eigenstes Geistesprodukt des Componisten, so trägt sie damit ein Haupt merkmal vieler neuerer Tonschöpfungen, die deshalb nicht geringer gestellt werden, wenn aus den, Ausbau der Gedanken und ihrer Berwerthung in jeder Hinsicht Geschick und Geist leuchtet. Beide dieser Faktoren haben aber dem Musikschöpfer des „Luther" unverkennbar beigestandcn. Was ließe sich z. B. gegen die Gewalt und die interessante Stimmführung gleich des 1 Chores Allsprechendes sagen ; wir zweifeln, daß ein wesentlich höherer Grad von Ausdrucks- resp. Wirkungsfähigkeit zu erreichen gewesen wäre; wir erinnern ferner an die scharf ausgeprägte Eigenart der Finale Nr. 10, besonders jener Stelle, wo nach der prächtigen Stimmensteigerung „Gelobet sei Gott" das Pilgerlied durch die kriegerischen Klänge der herannahenden Hutten'schen Reiter schaar durchbrochen wird. Macht das etwa nicht Stimmung und giebt eS nicht Lokalfarbe? Wenn dann die Reißige des Mittelalters ihre markigen Stimmen erheben, so thnn sie dies allerdings in einer künstlerisch vielleicht nicht höchst gewählten Form, aber wir sagen uns doch sofort: das kann eben nur die biedere, kampfeslustige, freiheitsdürstige Neiterschaac Huttens sein, die den gefeierten Reformator in solcher freudigen, kräftigen Weise grüßt. Der Glanz des ReichStagschores, welcher den Kaiser enthusiastisch empfängt, ist so in die Augen springend, daß er keiner Erläuterung bedarf; die fanati sche Wuth der Papisten im vergeblichen Ansturm gegen die Glaubenstreue und Siegesfreudiakeit der Lutheraner gelangt « den Doppelchören zu einem überwältigenden Ausdruck, die Verflechtung der Choräle als III. Chor zwi schen die beiden andern Chöre hinein ist außerordentlich sinnreich und geschickt gemacht. Leider ist der Schlußchor in der Entwicklung nicht so machtvoll und zündend wie manches Andere vorher, er giebt nicht die genügende Schluß- steigerung; das kurz abgerissene, zerstückle der Textbehandlung läßt einen freien, großartig in breiten Wogen ausstrümenden BegeisterungSschluß, der so am Platze gewesen wäre, nicht aufkommen; das letzte „Amen, Amen" ist direkt matt, bricht zu kurz ab. Immerhin kann sich aber auch die Schluß nummer hören lassen. In den Solopartien, welche allerdings mehr als die Chöre de» Typus des Nachempfundenen, Epigonenhaften an sich tragen, giebt es trotzdem vieles Schöne, dramatisch äußerst wirkungsvolle; so ist die Luther partie sehr charaktervoll und ansprechend durchgearbeitet ; das Gebet Nr. 7 weist herrliche Momente auf. von welchen wir nur alle jene Stellen beson ders Hervorhcben, in welchen der Choral „Ein' feste Burg" leitmotivartig. verwendet ist; auch das Andante nach dem Schluffe zu: „Wir aber haben heute einen Baum aepflanzet" verdient als sehr wirkungsvoll genannt zn werden. Dagegen gestehen wir gern zu, daß es Momente in den Solopartien giebt, in welchem theils der Drang zum peniblen Charakterisiren, theils un zulängliche Erfindungskraft den Componisten z» Trockenheiten und Wunderlich keiten führen, die gleichgültig lasse» oder sonderlich berühren. Darunter meinen wir z. B. Theile der Partien des Giapio in seinem Kampfe gegen Luther, der Katharina — „Siehe, welch ein Wunder", der Martha „danket dem Herrn" rc. Als ein Meisterstück von Stimmungsausdruck und Charakter zeichnung betrachten wir die kleine Episode Kurfürst Friedrich des Weisen im Reichstag; die Orchestcrbegleitung zu derselben ist von geradezu magischer Wirkung. Sind wir hiermit zur Verwendung des Orchesters gelangt, so loben wir dieselbe als eine geschickte, stellenweise hochinteressante, an der die Er rungenschaften der Neuzeit nicht umsonst vorübergegangcn sind. Was dem Gcsammtwerk den Stempel aufdrückt, ist eine gesunde, natürliche Volksthüm- lichkeit, die aber deshalb nicht aus dem Rahmen der Würde kirchlicher Musik zu Gunsten größerer Allgemeinverständlichkeit heranstritt. Die unnah bare Hoheit der Bach- und »Händelmusik, die immer nur einem kleinen, ausgewählten Kreis von Sachkennern verständlich und wahrhaft un mittelbar erbauend ist, fehlt bei Meinardus. Dafür ist Meinardus auch weder ein Bach, noch ein Händel und hat eS weder sein sollen noch sein wollen. Aber eben jener volksthümliche Habitus seines „Luther in Worms" machte denselben zur Wiedergabe an dem Luthertage, der eine Bolksfeier des lutherischen Deutschlands ja der ganzen lutherischen Welt sein und werden sollte, so geschickt, daß über vierzig deutsche Städte angczcigt fanden, das Werk zu wählen. Und sollte» sie sämmtlich irre gegangen sei» ? Was nützt wohl an einem solchen Tage der feinste, exclusivste Kunstgeschmack? Wo das Gemüth in seinem Drange nachdem Allerhöchsten so recht von Grund ans vom innigen Dank erfüllt ist, daß er den göttlichen Funken seines Lichtes in einzelnen große» Söhnen des Vaterlandes für das wahre Wohl desselben leuchten läßt: wo in einem Gotteshause neben dem raffinirte» Kunstkenner der schlichte Arbeitsmann in Andacht harrt, daß ihm die ganz mächtige weltumwälzende Bedeutung des GeistcS- hclden Luther in Wort und Ton zu möglichst klarem Berständniß gebracht und er erschüttert werde von der Macht des Gottes, der in seinen Geschöpfen solche Wunder wirkt: ist cs da nicht geeigneter, die Mehrzahl der Andächtigen hört in Wort und Ton seinen Luther, sammt seinen geistesgroßen Freunden und Feinden von damals z» sich, zu ihrem äußern und inneren Ohr reden, durch das Organ einer gefühlswarnien, gemeinverständlichen, dabei durch den Idea list,. . einer hohen Kunst verklärten Tonsprache und sie empfindet sein Leid, seine Begeisterung, sein Kämpfen, sein Siegen mit durch die Phasen der Neformationsentwickelung, als: eine kleine Schaar exclusiv Kunstverständiger hat einen allerdings hochstehenden Kunstgenult für sich allein, während die Mehrzahl die sonnenhalt ferne Größe der Auffassung des Schöpfers solcher Kunsigestaltunge» nur ahnt und im Gemüthc fast unberührt bleibt, weil nicht in seiner Sprache zu ihm gesprochen wird. Wir wollen doch an einem Luther tage nicht in die Kirche gehen, um ei» Kunstwerk nach Werth und Ausführ ung mit kaltem Verstand zu be- resp. verurtheilen, sondern wir wollen im tiefsten Inner» erbaut werde», und da soll ein Hans Sachs, ein Mann aus dem Volke, aber ein troll aller Poesie praktischer Mann und ein begeistert auf Luther hinweisender Prophet, Recht behalten, wenn er vom Volksfeste ineint: „Dem Volk: wollet ihr behagen, nun däcbt ich, läg es nah, ihr ließt es selbst euch sage», ob das ihm zu Lustgeschah.-
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