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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 01.01.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188401014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-01
- Tag 1884-01-01
-
Monat
1884-01
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 01.01.1884
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M, 1 » Nr. 1. — 4. Jahrgang. Humoristisch-satirische Reujahrsplauderei. Das alte Jahr Hai die Thürklinke in der Hand und steht im Begriff, sich in die historische Rumpelkammer zu seinen Vätern zu versammeln, während im Hintergründe schon schelmisch lächelnd sein junger Nachfolger erscheint, um der Menschheit seine Aufwartung zu machen. Es ist dies der geeignetste Moment, um die Thaten und Meinungen deS abtretenden Jahres noch einmal Revue passiren zu lassen und ihm gleichsam eine Generalcensur zu ertheilen, und diese würde für das 1883er Jahr etwa auf „mittelgut" zu lauten haben. Denn wenn man dasselbe auch nicht in die Categorie der „fetten Jahre" einreihen konnte — dieselben machen sich allerdings immer seltener und die Reihe von sieben fetten Jahren ist zur Mythe ge worden — so konnte man das alte Jahr doch auch gerade nicht unter die Zahl der „mageren" rechnen, eS hielt eben zwischen diesen beiden Extremen so ziemlich die Mitte und kann es darum immerhin auf einen anerkennenden Nachruf rechnen. Nun, wir wollen ihm densel ben auch nicht vorenthalten, und so sei ihm hiermit bescheinigt, daß seine Ernte nicht schlecht gewesen und sein Wein ein Halbweg trink barer ist, daß Handel, Industrie und Gewerbe angefangen haben, wieder langsam emporzublühen und daß unter seiner Herrschaft die Steuerschraube ein wenig nachgelassen worden ist, waS sicherlich mit der beste Charakterzug des alten Jahres ist. Was nun die politische Physiognomie desselben anbelangt, so müssen wir ebenfalls anerkennen, daß dieselbe im Großen und Ganzen eine ziemlich friedliche gewesen ist, wenigstens gilt dies für Europa. Ein paar Mal hatte das 1883er Jahr allerdings recht kriegerische Anwandlungen, was man den Chauvinisten an der Seine und an der Newa auf'S Kerbholz zu setzen hat, aber zum Glück für den Bölkerfrieden verliefen diese Auf wallungen wieder, ohne größeren Schaden anzurichten. In Spanien setzte es einige Pronunciamentos, in Serbien sogar eine ganz leidliche Revolution und eine Zeit lang lagen sich auch Magyaren und Croaten ein bischen in den Haaren, sonst aber ist die Ruhe der nun schon etwas alternden Jungfrau Europa nicht wesentlich gestört worden. Dagegen hat das Pharaonenland den Mahdi noch immer auf dem Halse, und im fernen Osten Asiens müssen sich die Herren Rothhosen noch mit Annamiten, Schwarzflaggen und neuerdings auch mit den schlitzäugigen Löhnen des „himmlischen Reiches der Mitte" herum schlagen. Das neue Jahr muß diese zweifelhafte Erbschaft seines Vorgängers mit übernehmen, doch steht vorläufig zu erwarten, daß weder die Vorgänge in Sudan, noch der Tonkinhandel den Apfel der Zwietracht in den Schooß der europäischen Völkersamilie werfen werden. Im Uebrigen aber wollen wir von dem neuen Jahr wün schen, daß es uns eine gesegnete Ernte und einen recht trinkbaren Tropfen Wein, natürlich begnügen wir uns im Nothfalle auch mit gutem Gerstensafte, ein fröhliches Gedeihen in Handel und Wandel bringen, uns dagegen mit ellenlangen Schneiderrechnungen und riesen großen Steuerzetteln verschonen möge, auch hoffen wir, daß es Pest und Cholera uns vom Halse halten werde, daß in ihm Phylloxera und Kartoffelkäfer ihr heimtückisches Treiben einstellen und daß es weder an die Staatssäckel noch an die Geldbeutel der Einzelnen allzu große Ansprüche machen möge. Wir hätten zwar noch manches in petto doch fürchten wir, daß schon dieser Wunschzettel etwas zu lang gerathen ist, und wenn uns das neu« Jahr nur dies erfüllt, so kön nen wir schon von ihm sagen, daß es mit der Menschheit und ihren Wünschen ein Einsehen gehabt hat. Damit Glück auf zum neuen Jahr 1884! Vrilagr zum ..Chemnitzer Anzeiger M VerlagS-Expedition: Alexander Wiede, Buchdruckeret, Chemnitz, Theaterstraße 48 (ehemalige- Bezirksgericht, gegenüber dem Casino). Speisung arme« Binder in größeren Städten. Die Ferienkolonien, die zu Sommerszeiten in größeren Städten ausgerüstet werden, haben sich als vortreffliche Veranstaltungen für die Kinder der ärmeren Klassen erwiesen. Vielleicht aber ist im von kalis lungei minist zu be zwar p der orle> ziehen, in^ lich ihres aufhing. Minderung Verbessern«! sind verschn Schule und und Klughei Cabinet Fe zu geben ver - folg, wird wa und sich außer schadlos halten lange Zeit entb Kin Kind der Armuth. Erzählung von M. Gerbrandt. (L. Calm.) Erstes Capitel. „Ich kann mir nichts Schöneres denken, als reich zu sein!" Diese Worte kamen direct von Herzen; diejenige, welche sie sprach, hatte vielleicht oft Gelegenheit gehabt, diesen Wunsch mit unbefriedigter Sehnsucht zu hegen. So gefällig sich der hübsche Traueranzug um den noch halb kindlichen Körper schlang, so kleidsam der schwarze Florhut das zotte, Weiche Antlitz beschattete — auf Ueberfluß an Glücksgütcrn ließ weder die Toilette, noch das geringe Handgepäck der jungen Re.senden schließen. „Aus welchem Grunde, wenn ich fragen darf?" entgegneten fast gleichzeitig ihre beiden Gefährten, die, jeder in eine Ecke des Coupü's des noch haltenden Eisenbahnzugcs gelehnt, sich bisher noch wenig um sie gekümmert hatten. Der eine war eine hohe kräftige Gestalt, Vielleicht ein naher Dreißiger, mit einem Gesicht, dessen eigenthümlicher Ernst ihn hätte älter erscheinen lassen können, wenn nicht ein gewisses Etwas darin noch die Frische und Blüthe der Jugend gezeigt — er hatte fast ausschließlich die Landschaft betrachtet, die sie durchfahren hatten, und jetzt, da man auf einer Station den Zug gewechselt, schien er gar gesonnen, sich in ein wissenschaftliches Buch zu vertiefen — O, und der Andere! der hatte sich nur damit beschäftigt, die Fransen seiner Reisedecke zu verwirren, oder seine goldene Uhrkette aus einer hohlen Hand in die andere zu werfen, und jetzt erst, als er aufblickte, gewahrte das junge Mädchen, daß er eigentlich sehr schön sei und Augen habe, dunkle, schimmernde, mächtige Augen, die bis aus den Grund ihrer Seele zu dringen schienen. „Aus welchem Grunde, mein Fräulein, wenn ich fragen darf?" hatten Beide gesagt. „O, es ist nur von ungefähr," entgegnet« sie, „ich sah eben eine arme Frau auf dem Bahnhof; ihr Mann ist todt, ihre Kinder sind krank — nun möchte sie mit ihnen in ihre Heimath zurück, und — ihr Gclo hat nur bis hierher gereicht, sie kann nicht weiter . . . ." Thränen stiegen der Erzählerin ins Auge und hemmten den Bericht. Der Herr mit den schönen Augen verließ mit einer Entschuldigung den Wagen. „Ich glaubte, Sie wünschten sich Reichthum, um es den prächtig gelle ideten Damen gleich zu thun, die vorhin an unserm Fenster ' orübergingen," sagte der Andere, der ernste, große. „Würden Sie mich dann n.cht für sehr kindisch und thöricht halten haben?" „Das nicht," entgegnete er freundlich wie zu einem Kinde. „Es ein so begreiflicher Wunsch in dem Alter, wo die Phantasie in der the steht und die sinnliche Natur ihr Recht verlangt. Es liegt ' ein Stück Jdealitätssinn darin, das Verlangen, die Harmonie, e die Armuth stört, wieder herzustellen. Es ist das Streben der l^ität, auch einmal handelnd aufzutreten, des Amboß, einmal l^'er zu sein." — Winter das Bedürsniß einer Fürsorge für dieselben Elemente noch dringender. Wie dabei vorgegangen werden mag, lehrt ein am 20. December gefaßter Beschluß der rühmlichst bekannten Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde in Kiel, eine Summe bis zu 1500 Mark bereitzustellen, um in der Volksküche während der kalten Jahreszeit, etwa 3 Monate hindurch, den hilfsbedürftigen Kindern der Freischulen allmorgentlich vor Beginn der Schule ein warmes Frühstück zu bieten. Diese Gabe, bestehend aus einem Teller in Milch gekochter heißer Grütze und einem Stück Brot, soll zunächst 120 bis 150 Kindern zu Theil werden. Jede Portion wird täglich auf 7 Pfennige berechnet, was Pro Tag eine Aufwendung von 9 bis 10 Mark ergiebt. In der seitens der „Commission für den Betrieb der Volksküche" an die Ge sellschaft gerieten Eingabe heißt es : „Wer sie sehen will, die kleinen Geschöpfe, die am Tage nicht warm werden, weil es ihnen an einem warmen Zimmer und der nöthigen Kleidung fehlt, des Nachts nicht, weil ihr Lager auch den bescheidensten Ansprüchen an ein Bett Hohn spricht und die dann durchfroren und kaum gesättigt (es kommt eben Eins zuni Andern) in die Schule müssen, in de» sie 3 bis 4 Stunden lang, so gut es denn geht, die Ansprüche des Körpers Niederkämpfen müssen, um dort ihre Pflicht zu thun, der muß mit uns darin ein verstanden sein, daß die Gesellschaft mit den erbetenen 1000 Mark mehr Noth — und an den empfindlichsten Stellen — zu lindern und Gutes zu stiften hoffen darf, als mit vielleicht größeren Summen in anderer Verwendung .... Wir beabsichtigen, uns von den Lehrern an den hiesigen Freischulen die bedürftigsten und zugleich würdigsten Kinder auswählen zu lassen, werden darauf halten, daß dieselben sauber und rein bei uns erscheinen und behalten uns vor, andauernd unordentlich antretende Kinder abzuweisen. 1000 Mark waren hier nach, wie man sieht, erbeten; indeß wurde einstimmig die Ermächtigung ertheilt, diese Summe im Bedarfsfälle bis zu 500 Mark überschreiten zu dürfen. Die Einrichtung nimmt mit der Wiedereröffnung der Schulen, nach Beendigung der Weihnacht«- und Neujahrsferien, ihren Anfang, Gewiß kann mit einigem Recht gesagt werden, daß solche Wohlthat unter Umständen einen Vorwand für schlechte Eltem bieten dürfte, sich der Pflichten gegen ihre Kinder zu entziehen. Indeß, wo die wahre freiwillige Armenpflege soweit entwickelt ist wie in der Stadt Kiel, wo vor Allem die Lehrer zur rechten Ausführung des Werkes ihre volle Unterstützung bereitwilligst hergeben, da sind wir in dieser Hinsicht doch durchaus beruhigt. Eine Nachahmung mag sich jedoch auch in anderen Orten dringend empfehlen. Die „Social-Corr." fügt obigem Berichte aus Kiel noch nach stehende Mittheilung aus Breslau bei: „In Breslau wurden zuerst im December 1882 auf Grund eines Aufrufes an sämmtliche Directoren der städtischen Elementarschulen unter ca. 30,0 0 Kindern 580 er mittelt, welche zum Schulunterricht erscheinen, ohne etwas L ärmendes oder überhaupt einen Imbiß genossen zu haben Diese Zahl reducirt sich auf 413, indem Z67 der Eltern von obigen 580 Kindern er klärten, die Wohlthat des Vereins nicht beanspruchen, sondern selbst für ihre Kinder sorgen zu wollen. Die Austheilung des betreffenden Frühstücks von 6—8 Pfennigen an die 413 Kinder währte vom 3. Januar bis 17. März 1883 und kostet dem Verein 2021 M 58 Pf. ohne das für ca. 90 Mark angeschaffte Geschirr (Becher, Teller, Löffel). Als Frühstück wurde Verschiedenes gewährt, theils Kaffee, Milch, Suppe, Thee, Warmbier mit einer Semmel oder einem Stück Brot. Die Beschaffung des Frühstücks ist theils von den Frauen der Schulinspectoren, theils von den Haushältersfrauen, theils von Restaurateuren, die den Schulen nahe wohnen, unter genauer Controle der Schuldirectoren besorgt worden. Obgleich das Frühstück nur im Winter gewährt werden sollte, haben doch 12 der ärmsten Kinder die Wohlthat auch im Sommer genoffen. Die für die Cafse des Bres lauer Vereins gegen Verarmung und Bettelei immerhin nicht unbe trächtlichen Kosten wurden durch eine Vorstellung im Theater unter Mitwirkung des Vereins „Breslauer Presse" niit beschafft. Der Breslauer Verein beabsichtigt eine Wiederholung dies Kinder auch von Januar bis März 1884 und Anfragen an die Schuldirectoren bereit- im Deeemk In Dresden hat der „Verein gegen Armen»- die Speisung armer Kinder ebenfalls in einer Helfer 7. December 1883 zur Sprache gebracht und j von Marken «nd Gaben an die dies beantragende» bereit erklärt. Auch in Köln hat sich eine Anzahl besser situ! boten, armen Kindern «in warmes Frühstück/in ihr abreichen. Eine bezügliche, kürzlich in stellt fest, daß gegen 80 Kinder Morgen- ohne s gekommen waren. e» «äch§fch-A. L — Eine Deutsche meteorologisch« ltz Zweck die Pflege der Meteorologie sowohl als» ihren Beziehungen zum praktischen Leben ist, wurde ber 1883 in Hamburg gegründet. Die MitglkckH. deutschen Staatsangehörigen offen und wird erlangt m, durch zwei Mitglieder der Gesellschaft, sowie darauff, nung durch den Vorstand. Der Jahresbeitrag zur 10 Mark festgesetzt, wofür die Vereinszeitschrift kosten, wird. Zur Vermittelung der Anmeldung erklärt sich H Schreiber, Direktor des königl. meteorologischen Instituts i bereit. — Eine neue Feuerung, die sog. Heiserffche Hah ist seit kurzer Zeit in zwei Gera er Fabriken eingerichte hat sich so gut bewährt, daß sich mehrere andere do veranlaßt sehen, dieselbe ebenfalls einzurichten. Die " gasfeuerung vermeidet die Bildung de- lästigen und schädlichen Rauche» und sogar den Auswurf von Ruß, i welche diese Neuerung für Städte mit soviel Fabrikschlokei» Chemnitz sie aufzuweisen hat, sind sehr wesentliche. Hoff« diese neue Feuerung auch in Chemnitz recht bald Beacht» — Der Ausschuß des Sächsischen Realfch Vereins hat vor Kurzem durch Umlaufschreiben an ^ Realschulcollegien die zehnte Hauptversammlung fürete 5. Juni 1884 nach Dresden ausgeschrieben. Gleichze^ genannte Ausschuß bekannt, daß Vorträge für die Hau,... sowie für die Sectionssttzungen bis zum 1. Februar il werden müssen. — Goldenes Zeitungsjubläum. MitBegim Jahres feiert die „Sächs. Schulzeitung" ihr fünfzigjährig, zum Segen der gesammten Lehrerschaft. Der langjährige derselben ist Herr Schuldirector Lansky in Dresden. — Der Kohlentransport auf den kgl. sächs. ^ bahnen betrug in der Woche vom 16. bis mit 22. Decew, Sächsische Steinkohlen aus dem Zwjckauer Reviere 890k zu je 5000 kg; au» dem Lugau-OelSnitzer 3539 und Dresdner Reviere 1340 Ladungen, zusammen 13787 Schlesische Steinkohlen wurden 415 Ladungen befördert Braunkohlen 8800 und Altenburgische 1358 Ladungen, 5000 kg. Der Kohlentransport betrug überhaupt 24 360 Lad 5000 kg; pro Tag wurden durchschnittlich 3480 Ladung — Aus Klingenthal wird mitgetheilt, daß da„, Geschäft nach Amerika inf»lge der niäeren ame könnte' für Musikinstrumente wieder etwas lebhafter geworv.dcn g einigen Monaten war. Die amerikanischen GroßhänM nächst wieder zum Einkauf eintreffen. .^von — Freiberg. Letzthin wurden von einem Je manne an ein Leipziger Geschäft leere Kisten znrff, ' Der junge Mann trat wieder ein; sie wandte ihm den Blick, der bisher aufmerksam an dem Sprechenden gehangen, zu, und es lag eine schüchterne Frage darin. „Man war mir zuvorgekommen," sagte der Eintretende etwas verstimmt. „Ich konnte der armen Frau nicht sagen, daß ein guter Engel so rührend Fürbitte für sie gethan Sie war bereits von einem Anderen in einen Wagen geschafft und der Zug geht bereits ab." Der Nachbar zur Recht:« hatte wieder sein Buch ausgenommen und zeigte keine weitere Theilnahme für seine Reisegefährten. Auch das! junge Mädchen wurde schweigsam und hing ihren Gedanken nach, nachdem sie dem andern Herrn für seine Bemühung gedankt. So gute Menschen traf sie gleich bei ihrem ersten Ausfluge in die Welt. Und sie war sich eigentlich schon des Schlimmsten von der Menschheit überhaupt gewärtig gewesen. Hatte die verstorbene Mutter, als sie ihre Kräfte hinschwinden fühlte, sie nicht oft gewarnt, sich nicht allzu leicht ihrem kindlichen Vertrauen zu überlaffen? Hatte sie ihr nicht gesagt, sogar die große Freundlichkeit des Herrn Rectors, an dessen Schule sie ein Paar Monate als Hilfslehrerin thätig gewesen, sei keine gute? Hatte sie doch versprechen müssen, ihre Stelle aufzugeben und das Unterkommen anzunehmen, das Ver wandte ihr geboten und zu denen sie eben jetzt reiste. Und dann, als die Mutter krank und kränker geworden, als sie alle entbehrliche Habe hatten verkaufen müssen und nichts mehr da war, um es zur Pflege der Leidenden zu verwenden, w»r hatte sich da wohl hilfsbereit uni sie gekümmert? Wie oft hatte sie sich durch das Menschengewühl aus der Gasse gedrückt, den inbrünstigen Wunsch im Herzen: „O, wenn einer der reichen Leute nur fragte, warum ich so traurig sei, wenn er mitkäme und die Mutter sehe, wenn er sie in ein Bad schickte, und wenn sie dann noch einmal gesund würde!" Wenn, wenn, wenn! — Es hatte sie Niemand gefragt, Niemand ihnen ge holfen, und die Mutter war gestorben, rettungslos, unerbittlich. — O, am schlichten Sarg, den nicht der geringste Prunk geziert, gegen über dem Pfarrer, dem Todtengräber, der Wartefrau, die mitleidlos ihre Gebühren gefordert, da hatte fie's sich mit heißen Thränen ge sagt: „Die Menschen sind hart, theilnahmslos, eigennützig, und die Reichen sind's am meisten." „Station D . . . zwei Minuten Aufenthalt!" Sie fuhr wie erschreckt empor und griff nach ihrem Gepäck. Der junge Mann streckte verbindlich die Hand danach aus, aber schon hatte es der andere gefaßt und begegnete ihm mit zurückweisendem Blick. Sie standen sich einen Moment fast wie Gegner gegenüber, der hohe, kräftige Mann, dem andern, vielleicht eben so alten, aber knabenhaft zarten, schmächtigen. Dann klopfte der Letztere nachlässig den Staub von der schlanken Hand und ließ sich in seinen Sitz zurückfallen, während Jener dem Mädchen aus dem Wagen folgte. Sie nahm ihm die Sachen dankend ab, weil sie gleich weiter müsse, und er verabschiedete sich ohne ein weiteres Wort mit höflichem Gruß. Sie sah ihm fast mit Bedauern nach. Er sah so gut aus und sprach so angenehm. — Kaum begegnet und schon getrennt. I So geht es auf Reise« und oft im Leben. Doch ^ an ihren eigentlichen Bestimmungsort gelangen? < - Sie schritt unschlüssig /ufein'ÄMiche» F- von einem stupid ausseh^svcn Jungen auf -els. Jemanden zu erwarten schien. „Sind Sie vom Gutsbesitzer Hartenberg au fragte sie den Jungen. ! . „Ja. ja," erwiderte dieser und blieb regun^ > klotz fitzen. ? Und nun war es ihr überlassen, hinaufzustei> richten. Ihre Verwandten kamen ihr ja recht zar^. röthete und ein Zug von Entrüstung lagerte sich um^ach Eben hatte sie mühsam ihren Koffer auf dentzei! hastige Schritte nahten und — da war der Fremd wieder und maß sie mit erstauntem Blick. ^ „Wir haben denselben Weg?" fragte er in. habe sich mit dem Kutscher verständigt daß er öll mich freuen, wenn ich Ihnen dienen kann." „Ich habe gewiß falsch verstanden." sagte sie den Jungen an, der in der Absicht, seinerseits zu aH Mütze hin und herrückte. „Nein, nein," sagte'er er, dann, sichtlich erleichtert: „Da kommt der junge Herr.' „Felix," rief der Reisegefährte und.^ging einem rmg«, ährigen jungen Manne entgegen, der m großen Sätzen b, Hofsgebäude hergesprungen kam. Wenn Felix Hartenberg lr gar sprang, so konnte man das als ein ganz unerwartete- E bettachten, denn seine Lieblingsbeschäftigung war sonst, die beqrf Lagen auf den Sophas, Grasplätze« oder Heuschobern feine-'' liehen Gutes zu versuchen. In der That machte ihn die Freud einem sonstigen Wesen untreu und er umarmte und küßte mit i Lebhaftigkeit immer wieder den lang entbehrten großen Bruder, ägte er in einer seltsam launigen Weise: „Na, Erich, freue mich wie ein junger Gott, daß Du « mal wieder da bist. Na, nun komm nur gleich nach Hause, ei Dank, daß ich Euch gleich beide zusammen finde, dachte schor würde lange laufen und suchen müssen." , > „Beide?" fragte Erich. „Na ja, das ist doch wohl die Cousine Adele, die heute ja kommen sollte? Die Tante ist todt und darum — na guten Cousinchen." , Für den älteren Bruder löste sich jetzt das Räthsel, a> agte auch seinerseits zur Aufklärung: „Ich bin während sechs l von zu Hause abwesend gewesen und daher dieser Jrrthum, de — oder darf ich Du sagen? Es ist so Sitte hier zu Lande, willkommen, liebe Cousine, und zugleich Glückauf in der , Heimath." (Fortsetzung folgt.) «s ^e- Von diesem Vertrauen -«'.„.er- tn den erblichen FreiherrnsL HM'
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