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»nd Tageblatt Amtsblatt für die lSmglichm und stiidtischm Bkhbrdm zu Freiber- imd Braud. 44. Jahrgang. -,/» x Erscheint jeden Wochentag Nachmittags 6 Uhr für den NO I »H. > andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., * ! zweimonatlich 1 M. 50 Pfg. u. einmonatlich 75 Pfg. I n s e r a t e werden bis Vormittags 1t Uhr »Mittwoch, den 16. September. '!°"2«7^bdks^ 1o"1 vlutzerhald des L!andgerlchtsoezlrrs 15 Pfg. ! Das österreichisch-ungarische Heer, i. Es hieße Vogel-Strauß-Politik treiben, wollte man heute der kriegerischen Stimmung der beiden verbündeten Großmächte jen seits unserer Ost- und Westgrenzen nicht Rechnung tragen. Vor wenig Monaten noch wurde von einem Theil der deutschen Presse jeder Hinweis auf die offenbaren Rüstungen und die Truppenver schiebungen, die Rußland nach der deutschen und namentlich nach der österreichischen Grenze zu vornahm, mit Spott ausgenommen Schwarzseherei und Angstmeierei lauteten die Schlagworte, mit denen jeder besorgte Hinweis auf diese offenkundigen, bedenk lichen Vorgänge sofort abgethan wurde. In den jüngsten Tagen aber ist bei diesen Preßoptimisten eine bemerkenswerthe Wandlung in der Auffassung der politischen Lage vor sich gegangen. Zwar ist die deutsche Presse noch weit von jener pessimistischen Auf fassung der Lage entfernt, nach welcher jeder Tag des Friedens nur als eine neue Galgenfrist bis zur Kriegserklärung anzu- sehen ist, aber man gewöhnt sich allmählich daran, das Kind beim richtigen Namen zu nennen: Man faßt die Mittheilungen über russische Truppenverschiebungen nicht mehr als falsche Alarm- nachrichwn auf, etfunden zurDurchsetzung neuer Militärforderungen, sondern betrachtet diese Vorgänge in den russischen Grenzbezirken als energisch betriebene Kriegsrüstungen — was sie in Wirklich keit auch sind. Erfreulich ist es, daß Rese veränderte Auffassung der Lage die Ruhe in unserem staatliche» und geschäftlichen Leben nicht hat erschüttern können. Es bedarf wohl keines Hin weises erst, daß wir diese ruhige Sicherheit in erster Linie dem Vertrauen verdanken, welches das deutsche Volk im Hinblick aus die gediegene Festigkeit seines eigenen Wehrsystems beseelt. Und das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit und Wehrhaftigkeit unserer Genoffen im Dreibunde kann die Ruhe, mit der wir der Ent wickelung der Dinge entgegensehen, nur erhöhen. Das uneinge schränkte Lob, welches Kaiser Wilhelm als Augenzeuge der jüngsten Manöver der österreichischen Armee dieser zu zollen in der Lage war, hat deshalb in Deutschland nicht minder frohen Wiederhall gesunden als in Oesterreich, wo die anerkennenden Worte des obersten deutschen Kriegsherrn mit Stolz und Genugthuung ver nommen worden sind. Da also in der letzten Zeit die Möglichkeit eines Zusammen stoßes mit dem russischen Kolosse mehrfach ins Auge gefaßt wor den ist, dürste es angezeigt erscheinen, die Wehreinrichtungen Oesterreich Ungarns, als desjenigen Staates, welcher dem An griffe Rußlands in erster Linie ausgesetzt sein würde, näher zu betrachten. Seit dem schweren Jahre 1866 hat der österreichische Kaiscrstaat mit aller Kraft daran gearbeitet, seine Heereseinrich tungen zu vervollkommnen, und ist nunmehr, wenn auch noch manche Wünsche übrig bleiben und noch nicht Alles erreicht ist, was erreicht werden kann und muß, im Besitz einer Kriegsmacht, welche es auch dem russischen Kolosse nicht leicht machen wird, ohne Weiteres die Pferde seiner Reitermassen in der Donau und im Rhein zu tränken, das Ideal der Ruffen heutzutage! Oester reich hat in den letzten zwei Jahren den Schlußstein am Ausbau seiner Wehlverfassung eingrsügt, indem cs am 11. April 1889 sein auf allgemeiner Wehrpflicht gegründetes Wehrgesetz geschaffen hat und im Jahre 1890 die Neubewaffnung seiner gesammten Jnfanterietruppen mit dem vorzüglichen kleinkalibrigen Mannlicher- Gewehr, Modell 1888, sowie die Einheitsbewaffnung seiner fah renden Artillerie durchgeführt hat. Das neue österreichische Wehr gesetz, in vielen Einzelheiten dem deutschen ähnlich, weicht von diesem in der Hauptsache dadurch ab, daß cs eine schon im Frieden bestehende Landwehr hat, welche ihre eigenen Rekruten ausbildet, sich aus sich selbst ergänzt und daher nicht wie die deutsche Land wehr nur aus gedienten Leuten besteht, welche aus dem aktiven Heere und dessen Reserve übertreten. Die Wehrpflicht beginnt, wie die „Köln. Ztg." in einem längeren Artikel darlegt, mit dem 21. Lebensjahr und gliedert sich in die: a. Dienstpflicht im Heere und dessen Reserve mit dreijähriger «stiver Dienstzeit und sieben Jahre Reservezeit; b. Dienstpflicht in der Landwehr mit einer Verpflichtung von zwölf Jahren. Die aus dem Heere nach zehn jähriger Gesammt-Dienstzeit Ausscheidenden treten auf zwei Jahre zur Landwehr über. e. Dienstpflicht in der Ersatz-Reserve des Heeres und der Landwehr mit 12jähriger Dauer, und cl. Dienst pflicht im Landsturm, welcher alle Altersklassen vom 19. bis 42. Lebensjahre umfaßt und in das erste Aufgebot vom 19. bis 37., sowie in das zweite Aufgebot vom 37. bis 42. Lebensjahre zer fällt. Die Präsenzzeit in der Landwehr ist sehr verschieden. Sie beträgt bei der Landwehr der österreichischen Lande für die Jn- struktionsstämme in der Regel ein Jahr, für die Rekruten 2 Monate, während die ungarische Landwehr, die sogenannte Honved, 20'/, Monate im Dienst ist, sich also vom Heere nur wenig unter- scheidet. Die Reserven des Heeres sind zu 3 je wöchentlichen Uebungen verpflichtet, während die Reserve der Landwehr und die Ersatz-Reservisten alle 2 Jahre zu einer Uebung von je 5 Wochen eingezogen werden. Die Zutheilung zum Heere oder zur Landwehr geschieht durch die Ersatzkommissionen nach der Reihen- solge der Loosmänncr oder nach dem Grade der körperlichen Taug lichkeit, so daß in erster Linie alle Ueberzähligen und alle 2 Jahre lang Zurückgestellten der Landwehr überwiesen werden, während zur Ersatz-Reserve die „minder Tauglichen" und die wegen Familienverhältnissen oder Berufs Berücksichtigten — einzige Ernährer von Eltern, Besitzer angeerbter Güter, Lehrer — kommen. Die Ersatz-Reserven haben eine erste Uebung von 8 Wochen bei den Truppen des Heeres oder der Landwehr zu machen und dann alle 2 Jahre eine wöchentliche Uebung, so daß ihre Gesammtübung auf 33 Wochen sich beläuft, gegenüber von 10 Wochen der deutfchen Ersatz-Reserve. Die Bestimmungen über den einjährigfreiwilligen Dienst sind ähnlich wie bei uns, haben aber die Verschärfung, daß diejenigen Freiwilligen, welche am Schluffe der Dienstzeit die Reserveossizier-Prüfuna nicht bestehen, ein zweites Jahr dienen müssen. Das österreichische Wehrgesetz geht nun in der Heranziehung des Volkes zum Wehrdienst noch einen Schritt weiter als das deutsche Gesetz, indem es für alle Diejenigen, welche wegen körperlicher Gebrechen von allem Dienste befreit sind, ein Wehrgeld erhebt, welches für jedes Militärpflicht jahr in der Höhe von 3 bis 100 Gulden erhoben und für Ver sorgung von Wittwen und Waisen, Zulagen an Unteroffiziere u. s. w. verwendet wird. Nach dem Gesetz sollen jährlich zum Heere 103000 Mann ausgchoben werden, zu dessen Ersatz-Reserve 20000, zur Landwehr beider Reichshälften zusammen 24500 Mann, zu deren Ersatz-Reserve 4900 Mann. Diese Zahlen sind aber in den zwei letzten Jahren aus Gründen der Ersparniß für die Rekruten des Heeres nicht erreicht, für die Ersatz-Reserve aber wesentlich überschritten worden; die Zahl der jährlich für tauglich befundenen Mannschaften beträgt etwa 155000 Mann. Auf Grund dieses Wehrgesetzes baut sich nun die Kaiserlich und Königliche Armee auf, welche sich nach der Dislokationsliste vom 1. Mai d. I. in 15 Armeekorps gliedert. Das Armeekorps zählt in der Regel 2 Jnfanterie-Truppendivisionen, eine Reiter brigade und eine Artilleriebrigade, nur das 2 Armeekorps in Wien hat 3 Jnfanterie-Truppendivisionen, da zu demselben noch die 13. ungarische Jnfanterie-Truppendivision zählt; das 15. Armeekorps in Bosnien hat überdies noch zwei wettere Infanterie- brigaden. Vier Armeekorps besitzen selbständige Reiterdivisionen, nämlich das 1. Armeekorps in Krakau eine Division von 4 Regi mentern, das 2. Korps in Wien eine solche von 6 Regimentern, das 10. Korps in Jaroslau und das 11. Korps in Lemberg je 5 Regimenter. Die Reiterdivision in Krakau, Wien und Jaroslau, sowie das 6. Armeekorps in Kaschau haben je eine reitende Ab- theilung mit 2 Batterien. Jedes Armeekorps hat ein Korps- Artillerie-Regiment mit 2 schweren Batteriedivisionen ^Abthei- lungen) zu 3 Batterien und als Divisionsartillerie je 2 Batterie divisionen mit 2 Batterien; ferner die im Kriege zu jedem Armeekorps hinzutretende Landwehrdivision noch eine schwere Batteriedivision mit vermindertem Friedensstande. Weiter sind vorhanden 16 reitende Batterien und 15 Gebirgs batterien, welch letztere dem 15. Armeekorps in Bosnien und dem 6. Armeekorps in Tirol zugehören. An Fußartillerie besitzt Oester reich 18 Bataillone mit je 4 Kompagnien; an besonderen Waffen noch ein Pionier-Regiment zu 5 Bataillonen, ein Eisenbahn- Regiment zu 3 Bataillonen, 2 Gcnie-Regimenter zu je 5 Ba taillonen und 3 Train-Regimenter, welch letziere in 15 Divisionen und 97 Schwadronen eingetheilt sind. Die Hauptwaffe, die Infanterie, ist im Frieden in31Truppen- Divisionen eingetheilt, welche im Kriege auf 36 Divisionen ver mehrt werden. Sie zählt im Ganzen 102 Infanterie-Regimenter mit je 4 Feldbataillonen zu 4 Kompagnien und ein Ersatzbataillon, für welches Stämme in Stärke von 1 Stabsoffizier, 4 Oberoffizieren und 24 Mann vorhanden sind. Hierzu kommen noch die Jägertruppen, und zwar das Tiroler Kaiser.JSger-Negiment mit 12 Feld- und 3 Ersatzbataillonen, die 30 Feld-Jägcr-Bataillone mit je 4 Feld- und 1 Ersatz-Kom pagnie und endlich 8 Bataillone bosnischer Infanterie, welche erst in den letzten Jahren gebildet worden sind. Die gesammte In fanterie des Heeres beträgt daher 458 Feld-, 105 Ersatzbataillone und 38 Ersatzkompagnien. Im Frieden sind die Infanterie- Kompagnien nach den Bestimmungen für 1891 entweder ans dem normalen Friedensstande mit 3 Offizieren, 14 Unteroffizieren, 64 Infanteristen, 2 Spielleuten, 3 Burschen, zusammen 86 Mann oder auf dem erhöhten Friedensstande mit 3 Offizieren, 128 Mann, während die Feld-Kompagnie 4 Offiziere, 232 Mann stark ist. In diesen schwachen Kompagnien liegt nicht nur eine große Gefahr für die Friedens-Ausbildung, sondern auch noch mehr für die Mobilmachung, denn es wird für den Werth der Kriegs-Kompagnie schwer ins Gewicht fallen, wenn die Hälfte und bei der Mehrzahl der Regimenter sogar zwei Drittel der gesammten Mannschaft aus Reservisten bestehen. Eine weitere Erhöhung des Mannschaftsstandes der Kompagnie», für welche es an tauglichen Rekruten nicht fehlt, wird daher dringend gefordert werden müssen, um diesen sicher sehr schwerwiegenden Uebelstand, der ja auch in der französischen Armee zu Tage getreten und dort rechtzeitig erkannt worden ist, zu beseitigen. Politische Umschau Freiberg, den 15. September. Bei der Parade in der Nähe von Gamstadt ritt das deutsche Kaiserpaar mit dem Könige von Sachsen und den anderen Fürst lichkeiten zunächst die Fronten der in drei Treffen ausgestellten Truppen entlang. Hierauf erfolgte der Parademarsch, welcher wegen der überaus großen Hitze nur einmal staltfand. bei der Infanterie in Regimentskolonnen, bei der Kavallerie in Eskadrons- front im Schritt. Der Kaiser führte das Königs-Ulanen-Regiment (1. Hannoversches) Nr. 13 selbst mit gezogenem Säbel vor, während Graf Waldersee zur Seite ritt. Die Fürstlichkeiten, welche Chefs von Regimentern sind, setzten sich bei dem Vorbei marsch derselben an die Spitze derselben, Prinz Georg von Sachsen führte sein Ulanenregiment Hennings von Trcsfenfcld (Altmärkischcs) Nr. 16 vor. Bei der Kritik sprach der Kaiser über die vorzügliche Haltung der Truppen sein vollstes Lob aus. Der König von Sachsen nahm an dem Paradediner nicht Theil, sondern trat nach der Rückkehr von der Parade die Rückreise nach Dresden an. Mit Ausnahme des Herzogs von Koburg und des Fürsten von Reuß, altere Linie, waren bei der Parade sämmtliche thüringische Fürsten anwesend. Bemerkt wurde sehr eine Aeußerung des Kaisers an den Gotha'ischen Staatsrath, worin der Kaise? sein Bedauern darüber aussprach, den Herzog von Koburg nicht an der Spitze seines Regiments sehen zu können. Bei der Parade fiel besonders das gute Aussehen und sie stramme Haltung der Reservetruppen auf. Der deutsche Juristentag in Köln ist am Sonnabend geschloffen worden, nachdem das Plenum sämmtliche Anträge der Abtheilungen gutgeheißen hatte. Bei der Trunksuchtfrage geriethen Freunde und Gegner des gesetzlichen Einschreitens noch einmal hart an einander; von den ersteren wurde gegen rine scherzhafte Auffassung und Behandlung des Gegenstandes lebhaft protestirt und für ihre Anficht das schwere Geschütz der Konkurrenz fähigkeit des deutschen Volkes auf wlrthschaftlichem und geistigem Gebiete ins Feld geführt. Trotzdem unterlagen sie gegen einen Antrag des Rechtsanwalts Beckh-Nürnberg, der kurz erklärt: „Be sondere strafgesetzliche Bestimmungen gegen Trunksucht und Trunkenheit sind nicht geboten". Die klerikale „Kölnische Volkszeitung" kennzeichnet die Politik des päpstlichen Leibblattes, des „Osservatore Romano", welcher in einem Artikel sage, Italien müsse sich wohl oder übel Frankreich als der aufgehenden Sonne zuwenden, als eine abenteuerliche Politik, geeignet, die kirchlichen Interessen, zumal in Deutschlauo, schwer zu schädigen. Die „Volkszeitung" hofft, der Münchener Nuntius werde in Rom auf die Gefahren dieser Preßtreibereien nachdrücklich Hinweisen. In der sozialdemokratischen Versammlung, welche vorgestern in Rixdorf bei Berlin stattfand, wurden die „Genossen" Werner, Mielenz und Unaerink, alle Drei zur Opposition gehörig, als Dc- legirte deS Wahlkreises Teltow-Beeskow-Storkow für den Partei tag in Erfurt gewählt. Abg. Bebel hatte in der Versammlung über den Programmentwurf das einleitende Referat erstattet, daS u. A. ersichtlich den Zweck hatte, die Wahl Werners und Genossen zu verhindern. Es war auch ein Antrag eingebracht worden, nur solche Delegirte zu wählen, welche nicht auf dem Boden veS bekannten Flugblattes stehen. Der Antrag wurde abgelehnt und es erfolgte dann mit großer Mehrheit die Wahl Werner's und seiner politischen Freunde. Als provisorische Tagesordnung für den sozialdemokratischen Parteitag in Erfurt ist festgesetzt: Mittwoch, 14. Oktober, Abends 7 Uhr: Vorversammlung, Konstituirung des Parteitages, Fest setzung der Geschäfts- und der Tagesordnung, Wahl eines Aus schusses für die Prüfung der Vollmachten; 15. Oktober und folgende Tage: 1. Geschäftsbericht des Parieivorstandes; Bericht erstatter I. Auer; 2. Bericht der Kontroleure durch G. Schulz; 3. n. die parlamentarische Thätigkeit der Reichstagsfraktion, Bericht erstatter H. Molkenbuhr; b. die Taktik der Partei, Berichterstatter A. Bebel; 4. Berathung deS Programm-Entwurfs, Berichterstatter, W. Liebknecht; 5. Berathung derjenigen Anträge der Partei genossen, welche bei den voraufgehenden Punkten der Tagesordnung nicht bereits ihre Erledigung gefunden haben; 6. Wahl der Partei leitung und Bestimmung des Ortes, wo sie ihren Sitz zu nehm:» hat. Der Tod Grävy's hat den monarchischen, boulangistischen und intransigenten Zeitungen Frankreichs neuerdings willkommene Gelegenheit geboten, um ihre kleinliche Rachsucht an dem Maune zu üben, welcher der Erfüllung ihrer Wünsche und Hoffnungen durch eine Reihe von Jahren tapfer widerstanden hat. Sie wärmen die Wilson-Affaire von ihrer häßlichsten Seite wieder auf und greifen auf die ganze Laufbahn des Verstorbenen mit Groll und Bitterkeit zurück. Nicht einmal der „Figaro" macht hiervon eine Ausnahme, sein Urtheil ist mehr als unfreundlich gegen den Politiker wie gegen den Privatmann. Das Boulevard blatt wirft dem ehemaligen Staats-Chef Geldgier vor. Er sei mitAiner Rente von 30- oder 40000 Franks zur Macht gelangt und habe sie als mehrfacher Millionär verlassen. DaS fran zösische Volk liebe aber mehr jene Staats-Chefs, welche ausgebeu, als jene, welche Schätze sammeln. Etwas weniger hart urtheileu „Gaulois" und „AutoritL", indem das erstere Blatt dem Ver storbenen nur vorwirst, daß er Männer wie Situationen auSzu- nützen verstand, während die „Autoritä" sagt, Grevy habe durch Zufall einen guten Platz errungen, es aber nicht verstanden, ihn zu behaupten. Der „Soleil" endlich meint, für die Republik sei es ein Glück gewesen, daß sie 1887 zum Ersätze Grävy's einen Mann gefunden hat, der von dem Gefühle seiner Pflicht besser durchdrungen ist, als wie es der Verstorbene war. Der boulan- gistische „Jntransigeant" meint, Grävy sei den Verführungen des Geldes zu leicht zugänglich gewesen, und die revolutionäre „Ba taille" widmet ihm die folgende Grabschrift: „Er beutete die Republik aus, er hätte sie heinahe getödtet." Der „Radikal" wirft Grevy vor, daß er seine Kinder mehr im Auge hatte, als die Re- mblik, daß aber menschliche Fehler oie Erinnerung an die Kämpfe ür die gute Sache von 1830 bis 1880 nicht verwischen können. Ebenso urtheilt die „Justice". In besonders anerkennender Weise sprechen sich die gemäßigten republikanischen Journale über die Verdienste Grävy's aus. „Sein Platz in der Geschichte," schreibt „La Paix", „wird an der Seite jener Staatsmänner sein, welche ihrem Lande und der menschlichen Gesellschaft am nützlichsten waren." Der Platz Grüvy's, ruft der „Siecle", ist an der Seite von Thiers und Dufaure; er gehört zu Jenen, welche der Re publik den Charakter der Dauerhaftigkeit gegeben haben. Der „Rappel" nennt Grevy einen sehr nützlichen Diener der Republik, d. h. Frankreichs, und das „Journal des DöbatS" findet, daß der Verstorbene unter die intelligentesten und nützlichsten der Männer von gutem Willen zählte. — Die feierliche Beisetzung des ehe maligen Präsidenten sand am Piontag in Mont svus Vaudrey alsbald nach dem Eintreffen der Mimfter statt. Der Zug setzte sich unter dem Donner der Kanonen in Bewegung. Als Vertreter des Präsidenten Carnot folgte der Chef des MUitärstaates Divisions-General Brugöre unmittelbar dem von Kränzen dicht-