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1. Leilage M Zchmbmger Tageblatt. 144. Sonntag, ven 23. Juni 1901. Dm Johannistag. Ter 24. Juni, obwohl in evangelischen Landen meist nicht mehr als eigentlicher kirchlicher Feiertag gehalten, ist doch als Johannistag unserem Volke wohlbekannt, lieb und werth. Seinen Namen trägt er von dem Herold und Vorläufer Christi, Johannes dem Täufer. Nach altkirchlicher Ueberlieferung ist derselbe an diesem Tage, sechs Monate vor Christo, geboren. Freilich, die mancherlei mit der Feier des Johannistags verbundenen eigenartigen Sitten und Gebräuche erinnern nicht an diese seine kirchliche Bedeutung, sondern vielmehr daran, daß wir es hier ursprünglich mit einem heidnischen Naturfest, nämlich mit der Feier der Sommersonnen wende zu thun haben, an deren Stelle die Kirche eben jene christliche Feier setzen wollte. Es ist jetzt die schönste Zeit des Jahres, die Zeit, von welcher der Dichter singt: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud' in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben." In herrlichstem Schmuck prangen Feld, Wald und Flur. Wer freute sich nicht an dem Duft blühender Gärten mit ihrer Rosenpracht, an dem bunten Blumenteppich der Wiesen, den wogenden Aehrenfeldern, dem frischen Waldesgrün mit seinem jubilirenden Vogelgesang und munteren Quellengemurmel? Wie ist alles umher voll Lust und Freud, ja wie macht sie das Herz so weit, so weit, die sonnige, wonnige Sommerzeit! Und dennoch! erweckt nicht diese schönste, freudenvollste und hoffnungsreichste Jahreszeit auch Gedanken der Wehmuth in unsrer Brust? Die Sonne, dieser natür liche Quell alles Lichtes und Lebens für unsere sonst dunkle und tobte Erde, hat ihren höchsten Stand am Himmel erreicht. Wir wissen es: wenn auch allmählich, doch Schritt für Schritt, neigt sich ihre Bahn, die Tage kürzen ab, die Nächte werden länger. Bald, nur zu bald, bleicht und welkt all die Frühlings- und Sommerpracht. Ehe wirs uns versehen, ist der Herbst da, die Natur legt ihren Schmuck wieder ab, ihre Kraft ermattet, ihr Leben er stirbt; müde sinkt das Laub von den Bäumen, klagend streicht der Wind über dürre Stoppeln und Finsterniß und Todesschatten breitet sich wiederum aus über die Winterliche Erde: ein Bild der Hinfälligkeit und Ver gänglichkeit alles Irdischen! So zittert um die Zeit der Sommersonnenwende durch alle Schönheit und Herrlichkeit der in höchster Kraft- und Lebensfülle prangenden Schöpfung leise aber vernehmlich hindurch das bange Seufzen der Creatur, die um der Sünde willen der Eitelkeit und dem Tode unterworfen ist. Wie tröstlich klingt in diesen Wechsel und Wandel der Zeiten, in diese Gebrechlichkeit alles Erdenlcbens und Erdenglückes, aller Erdenlust und Erdenschönheit die Botschaft von der Erlösung und dem Heil in Christo: von einem Lichte, das nicht erbleicht, einer Sonne, die nicht untergeht, von einer Kraft die nicht ermattet, einem Leben, das nicht altert und stirbt, von einer Freude, die nicht verwelkt, einer Herrlichkeit die nicht vergeht! Möchten die Vielen, die in diesen Tagen hinauspilgern auf die Stätten des Todes, die Gräber ihrer Lieben mit Zeichen treuen Gedenkens zu schmücken, diesen Trost im Herzen tragen! Möchten wir Alle, deren Leben stündlich dem Grabe entgegeneilt, in dem, von welchem jener Johannes bis in den Tod getreu Zeugniß ablegt und dem er den Weg bereitet hat, unseres Herzens und Lebens Licht und Sonne finden und durch ihn eingehen zum wahren, ewigen Leben! KWerM kine5 Wm-ImMgen. i. Fahrt bis Colombo. (Schluß.) Nachdruck verboten. Am folgenden Tage gegen Abend sahen wir Egypten und kamen in der Nacht in Port Said an. Kaum hatten wir festgelegt, als auch schon Araber auf Böten herbeieilten, um uns ihre Waaren anzupreisen. Sie hatten gute Waare und für wenig Geld gute Cigaretten. Am folgenden Morgen wurden Kohlen und Proviant eingenommen. In der Zwischenzeit kamen viele Händler an Bord, denen wir aber wenig abkauften, da ihr Aeußeres wenig vertrauenerweckend war. Was die Männer zu wenig auf dem Leibe hatten an Kleidung, die meistens nur aus einem Schurz bestand, haben die Frauen zu viel, sie gehen ganz eingehüllt, haben sogar das ganze Gesicht, mit Ausnahme der Nase und Augen, verschleiert. Port Said selbst ist ganz in maurischem Stil gebaut, Helle Häuser mit großen Bogenfenstern und hohen luftigen Veranden, die rings herum gehen, stehen zu beiden Seiten der breiten geordneten Straßen. Es ist ja auch diese Bauart durch das hier herrschende Klima bedingt; da es sehr heiß ist, können wir schon nachts auf Deck schlafen. Nun fuhren wir in den Suez-Kanal hinein. Wohl Jeder hat sich diesen großartig vorgestellt, es ist aber nur eine schmale Fahrrinne, in der breitere Aus weichstellen angelegt sind. Die Erbauer haben jeden falls mit colossalen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, da auf beiden Seiten nichts als Sandwüste, wodurch der Kanal stetigem Versanden ausgesetzt ist. In größeren Zwischenräumen sind wunderbar schöne Wärterstationen angelegt, freundliche Häuschen, von großen Palm bäumen beschattet; sie liegen hart am Kanal und hier wohnen die Beamten, welche auch die Baggerei und die Arbeiten am Kanal zu beaufsichtigen haben. Am Ufer sahen wir auch einige Weiße zu Rad, ebenso einige Damen mit Gewehren, welche auf die Jagd gingen, sie thaten ganz wie zu Hause. Nur die Briefbeförderung ist anders. Die Briefträger sahen wir hoch zu Kameel reiten. Abends fuhr an uns ein Zug nach Suez vorüber, aus dem uns frühere Mitpassagiere herzlich Lebewohl zuriefen. Am Ufer saßen einige Araber träge im Sand, neben ihnen lagen Gewehre. Auch an einigen Dörfern kamen wir vorüber, wenn man eine Anzahl zusammenstehender niedriger Lehmbuden so nennen darf. Tie Bewohner besahen neugierig unser Schiff. Eine einzige Frau konnte ich von den vielen Menschen zu sehen bekommen, ganz vermummt und verkleidet. Einige Jungen liefen mit und holten Gegen stände (Geld usw.), die von Passagieren ins Wasser ge worfen wurden, bis wir in der Nacht nach Jsmailia und Suez kamen, wo wir einige Stunden vor Anker gingen, da hier Passagiere abstiegen; wir konnten aber wegen der Nacht nicht viel sehen. Am Morgen sahen wir einen neuen Passagier am Bord, und zwar einen Araber (Deckpassagier), er war Mohamedaner. Von Interesse waren seine religiösen Ceremonien, sie begannen mit Sonnenaufgang und fanden zu Mittag und Sonnen untergang statt, er betete in hockender Stellung, be diente sich eines heiligen Tuches usw., berührte sogar mit der Stirn den Boden. Am 19. November waren wir im rothen Meer, links ist Arabien, rechts Nubien, nur kahle Felsen sind zu sehen, auch den Berg Sinai sahen wir von ferne, Hitze war rapid. Im allgemeinen ist das rothe Meer gar nicht sehr breit, denn man sieht zu beiden Seiten Felsen, die Hitze ward immer toller, am preußischen Buß- und Bettag hatten wir 50° O. Gegen Mittag begegneten wir dem Lloyd-Dampfer „Karlsruhe", welcher von Australien nach Deutschland zurückkehrte. Am anderen Tage fuhren wir dann an den 12 Aposteln vorbei, eS sind dies 22 im rothen Meer liegende nackte Felsen, welche die 12 Jünger Jesu bedeuten sollten; der Judas liegt von den anderen mehrere Seemeilen entfernt. Nachts erreichten wir dann am 22. November die englische Stadt Aden, ein befestigtes Felsennest (der Schlüssel zum rothen Meere) genannt. Die Felsen sind mit Geschützen gespickt und mit 2000 Mann englischer Truppen besetzt. (Hier mußten sämmtliche Schiffe vor bei, um nach Transvaal zu gelangen.) Tie Eingeborenen sind Hindus, die Menschen werden hier immer dunkler, sind aber stramm. Kerle im allge meinen ganz sauber. Die Gegend ist aber im allge meinen zum Verhungern geschaffen, denn wachsen sieht man hier überhaupt nichts. Jetzt gehts nach dem arabischen Meer und in der Richtung nach Colombo. Am anderenKTage gegen 11 Uhr vormittags passirten Unterhaltungstheil. Die Manöverstütze. Novelle von Anna Gnevkow. 22) «Fortsetzung.) An dem improvisirten Grabe selbst hielt der Spaß macher der Reservisten eine so ausbündig komische Rede, daß Erna und Linda Thräncn lachten und die große Figur des Barons wie vom Winde bewegt hinüber und herüber schwankte, und als die armen, blechernen Dinger dann zugeschaufelt waren, kehrten die Herrschaften zu dem Lagerfeuer zurück, das von dem Burschen Kurts indessen so angeschürt worden, daß seine Flammen hoch emporzüngelten, und die mächtigen Scheite Holz, die er darin aufgethürmt, prasselten und knatterten. „Wird sich Leutnant meiniges freuen,- sagte er dabei zu einigen anderen Soldaten, die dabei standen, in seinem polnischen Kauderwälsch, „wird sich sein, wie ein großes Freudenfeuer für Leutnant und Braut seiniges, neben der er gesessen." „Braut?" fragte einer der Soldaten eifrig, „welche ist's von den Mädchen? alle sind hübsch, am meisten gefällt mir aber doch" — — „Weiß sich Joseph nicht genau," fiel der Bursche schnell ein, „denkt sich aber, Große, Haare schwarz und mit Händen weiß und klein, wo Leutnant meiniges that immer zuerst Kaffee in Taffe hinein." „Nun, wenn wir eine Braut hier haben, muß das auch gebührend gefeiert werden," sagte der erste Sprecher wieder und er schlich sich davon, um gleich darauf mit zwei kleinen Gegenständen in der wieder zurück an das Lagerfeuer zu treten. Die Frau Baronin trank Kaffee, die ihr heiß und duftend sich sehr behaglich, den» Kurt echnussirt Platz gleich wieder neben Leonore gewählt. Haupt mann Erbach, der heute ein ziemlich schweigsamer Ge sellschafter gewesen, blieb an ihrer Seite, dem jungen Paare gegenüber, und die beiden anderen jungen Mäd chen schwärmten mit ihrem Papa und den jugendlichen Gefährten noch in den Reihen der Soldaten umher, um sich an diesem und jenem zu ergötzen. Es war in diesem Augenblick, als der Soldat von vorher, der die Verlobung Kurt von Waldans zu feiern gedachte, mit dem lauten Rufe: „Ein Hurrah für das Brautpaar!" ein dunkles Etwas in die Flammen hinein schleuderte, sein wohlgemeinter Ruf aber ging unter in einem donnerähnlichen Krachen, einem Sprühen, Zischen und Splittern und einem lauten Schrei von dem kleinen Tische her, an dem das Mädchen saß, dem die Ovation gelten sollte. In unverzeihlichem Leichtsinn waren, gegen ein oft ausgesprochenes Verbot, von den Reservisten Patronen in die Gluthen geworfen worden, ihr Sprengen hatte ein brennendes Holzscheit weitab auf das Gewand Leonorens geschleudert, deren Kleid, trotzdem eS von Tuch war, im nächsten Moment wie ein Feuermeer auflohte. Besinnungslos sank die Baronin zurück, athemlos sprang Kurt Waldau auf, aber ehe er dem Mädchen noch zu Hilfe eilen konnte, war schon Hauptmann Er bach da, drückten schon seine Hände die brennenden Kleider zusammen, bis die Flammen erstickten, und ob ihm diese gleich die Haare, die Brauen, ja das ganze Gesicht versenkten, ob ein weiteres umherfliegendes Holz scheit mit voller Gewalt seinen Kopf traf, hielt er doch nicht inne, ehe nicht der letzte Funken verglimmt. Regungslos, stumm, mit geschloffenen Augen lehnte Lori einen Moment hindurch an dem Pfosten des ZelteS, das hinter ihr stand, als sie dann aber langsam eine schwere, dunkle Gestalt an sich niedersinken fühlte, sprang sie auf, um mit einem wirren, angstvollen Blick auf Kurt zu schauen, der sich zu ihr niedergebeugt. „Was ist's mit ihm, sagen Sie mir, was ist's mit ihm?" schrie sie auf und hob die verschlungenen Hände, als erflehe sie vom Himmel Erbarmen, Erbarmen um der furchtbaren Angst willen, die ihr Herz marterte. „Was ist's mit Ihnen, Fräulein Leonore?" fragte Kurt jedoch und hob das Antlitz Hugo Erbachs, dessen Lider geschlossen und wie es schien, schrecklich verbrannt, über den Augensternen lagen. „Nichts, nichts, ich bin gesund, aber er," jammerte das Mädchen, und in der Besorgniß um den Verwun deten faßte sie Kurt hart an der Schulter: „Schaffen Sie ihn heim, zu uns, schaffen Sie einen Arzt!" Ter Baron war herzugekommen, die Baronin er wacht, Erna und Linda standen verschüchtert, dicht an einander gedrängt, und ringum sah man die Soldaten still und stumm verharren; das Feuer verglühte und sendete seinen züngelnden Flammenschein über die ver störte Gruppe, die vorher so harmonisch in das Ganze hineingepaßt. „Ich fürchte für die Augen," hatte Kurt ganz leise dem Baron zugeraunt, Leonore hatte die letzten, schreck lichen Worte aber doch gehört und entsetzt aufgestöhnt und vergeblich nach Worten gerungen. „Jedenfalls kann der Hauptmann hier nicht bleiben, im Freien nicht die Nacht zubringen," entschied der Baron; „die Leute müssen eine Bahre zur Stelle schaffen und ihn nach Ellerstädt transportiren. Gottlob daß dies nicht weit und daß wir auch unsern alten Chirurg, da die Stadt nur eine halbe Stunde entfernt ist, schnell herbeiholen können, der Mann ist überaus geschickt in der Behandlung von Wunden und hat eine sanfte Hand im Umgang mit Kranken." Kurt hörte die letzten Worte schon nicht mehr, er raunte der geisterhaft bleichen Leonore nur noch zu: „Ich reite nach Ellerstädt heran, um dort ein Zimmer mit allem Nöthigen einrichten zu lasten und dann weiter zum Doktor." (Fortsetzung folgt.)