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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 30.04.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188504300
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850430
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850430
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-04
- Tag 1885-04-30
-
Monat
1885-04
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 30.04.1885
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Unterhaltu«gs-«latt zum „Chemnitzer Anzeiger". verneint. Ich möchte sie einmal recht vergnügt in heiterer Gesellschaft sehen, auch Dir, lieber Herbert, wird eine solche Zerstreuung ganz gut thun. Saalfeld'- sind recht lange nicht bei uns gewesen und Karl meldet mir heut«, daß er glücklich mit Helene von der Reise wieder zurück ist. Was meinst Du nun dazu, HerzenSbruder mein?" «Dein Wunsch ist mir Befehl, lieb' Schwesterlein I" entgegnete der Doktor galant. «Wenn Du indessen glaubst, ich vermisse Gesell schaft bei Dir, so irrst Du Dich, ich befinde mich vollständig wohl i« dieser heitern harmonische« Ruhe!" «Nun, da wäre also weiter kein Hinderniß", meinte Frau Philippsen lebhaft, «und wir können uns sofort an die Herstellung der Liste der zu ladenden Gäste machen!" So ward das Fest endgültig beschlossen. Johanna hatte schon durch gelegentliche Tischgespräche erfahren, daß Saalfeld'- sowohl wie Leukart'S früher recht oft bei diesen Philppsen's verkehrt hatten, daß aber seit Reinhard'- Veiheirathung und seinem Bruch mit dem Vater eine kleine Verstimmung zwischen die Familien gekommen war, und da Philippsen'S überhaupt von Z. fortzogen und sich diese Besitzung ankausten, auch zurückgezogener lebten, so war der Verkehr ohnehin sehr erschwert. Johanna wußte auch, daß Helene Saalfeld'S Gatte, Karl Phi'ippsen, ein Stiefsohn ihrer Herrin war. Nun sollte sie in wenig Tagen Diejenigen Wiedersehen, die sie bis in den Staub gedemüthigt! Sie zitterte bei dem Gedanken,. Frau Philippsen, die sie herzlich liebgewonnen und hochschätzte, könnte uun von ihren früheren Beziehungen zu Reinhard Saalfeld etwas erfahren, und verletzt und empört in ihrem Stolze die Gefallene ent lasten I Und was wußte Doktor Walden dann von ihr denken! Johanna blickte angsterfüllt bei diesem Gedanken zum Himmel auf. «O Sott!" flehte sie, «soll ich den bitter« Kelch der Schmach noch einmal leeren? Wird der Fluch jener unseligen Stunde nie von mir weichen? O — soll ich wieder heimathloS weiter wandern müssen, wo ich kaum rin schützender Asyl gesunden?" Johanna wollte fast vergehen vor Angst und Sorge, und doch mußte sie äußerlich rnhig und heiter erscheinen, sollte die plötzliche Veränderung an ihr nicht auffallen. Nur der Gedanke, daß sie dem verklärten Geist der Vaters gelobt, zu sühnen, zu tragen, sich durch- zuringeu, hoben ihren finkenden LebenSmuth und ließ sie in stiller Ergebung der drohenden Gefahr entgegensetzen^ So war der Vorabend deS Geburtstages herangekommen. Der Himmel hatte sich mit blaugrauen Regenwolken verfinstert, klatschend schlugen einzelne große Tropfen schon an die Fenster. Desto ge- müthlicher fand man's am Theetisch, wo das anheimelnde Summen und Surren des Theekessels einen angenehmen Gegensatz zu dem draußen strömenden Regen bildete. Die Familie Philippsen war vollzählig beisammen. Der Haus herr, ein jovialer lebhafter Mann, zwar bedeutend älter als die zarte Gattin, aber von unverwüstlichem Frohsinn, trug eben mit vielem Humor die Tagesneuigkeiten vor und wiederlegte höchst geistreich und witzig die zweifelnden Einwürfe der Damen, welche schon oft Ge legenheit gehabt hatten, die Wahrheit seiner Neuigkeiten mit Recht ein wenig anzuzweifeln. Der Doktor schaute sinnend in die Flammen der Kerzen. Er war heute auffallend still und einsilbig. (Fortsetzung folgt.) Skizzen und CharaktcrkStzse ans der Bühnenwelt. Bon Reinhold Ortmann. (Nachdruck verboten) 1. Im Bureau des Herrn Direktors. Wer in das Allerheiligste des gefürchteten Bühnenleiters ein- dringen will, hat zunächst ein großes, spärlich beleuchtetes Vorgemach zu pasfiren, das von den Angehörigen d-S Theaters abwechselnd als Kanzlei oder als Bibliothek bezeichnet wird. Zwei alte wurmstichige Schreibpulte und einige hohe Regale mit vergilbten Bühnen Manu skripten und ausgeschriebenen Rollen machen die ganze Ausstattung aus. Ein kleines vertrocknetes Männchen mit lederartigem Gesicht und von unbestimmbarem Alter hockt tagaus tagrin in derselben un veränderlichen Stellung auf einem hohen Drehstuhl neben dem Fenster und knurrt jeden Eintretenden mit einer unfreundlichen Frage nach seinem Begehren an. Wehe dem, der es wagen wollte, unangemeldet in das Sanktuarium deS Gewaltigen einzutreten, er dürste sich wahr haftig auf einen nichts weniger als freundlichen Empfang gefaßt machen; denn der Herr Direktor ist ein stark beschäftigter Mann, dem alle unwillkommenen Störungen ein Greuel sind. Wer das erste Examen vor dem kleinen ledernen Männchen in der Kanzlei nicht vollkommen befriedigend zu bestehen vermag, der hat überhaupt keine Aussicht, vor das Angesicht des Herrn Direktors zu gelangen, und auch der Glücklichere, der es bis zu einer wirklichen Anmeldung bringt, muß sich in den allermeisten Fällen die abweisende Erklärung gefallen lasten, daß der Vielumworbene gerade heute zu stark in An spruch genommen sei, um ihn empfangen zu können. Hat sich aber die so ängstlich gehütete Pforte doch einmal vor ihm erschlossen, so wird er sicherlich nicht wenig erstaunt sein, in dem elegant und anheimelnd eingerichteten Gemache durchaus nichts wahrzunehmen, was auf den ungeheuer« Fleiß seines Bewohners hindeuten könnte. Dunkle Vorhänge lasten das Tageslicht nur matt durch die beiden Fenster eindringen. Ein dicker, weicher Teppich dämpft den Schritt des Eintretenden bis zur Unhörbarkeit, und einige mit Seidenplüsch überzogene Causeusen und Sessel laden zu behaglichem Verweilen ein. Ein breiter, schön geschnitzter Diplomatenschreibtisch steht mitten im Zimmer. Er ist mit Büchern, Skripturen und Photographier« bedeckt; aber sie alle liegen dort stets in der nämlichen Ordnung, so daß es nicht den Anschein hat, als habe sich der elegante, dunkelhaarige Herr mit der großen Brillantnadel in der Kravatte, welcher rauchend in dem bequemen Fauteuil vor dem Tische ruht, besonders angelegentlich mit ihnen be schäftigt. Auch der angefangene Brief, welcher heut auf dem grünen Tuche liegt, hat eine bedenkliche Ähnlichkeit mit einem Schriftstück, das sich gestern und Vorgesten an der nämlichen Stelle befand; und ein unerfahrener Besucher möchte nach diesen und nach mancherlei anderen kleinen Anzeichen wohl zu dem Schluffe kommen, daß es mit der starken Beschäftigung deS Herrn Direktors nicht ganz seine Richtigkeit habe. Dieser Schluß aber würde dennoch ein sehr vor eiliger sein, denn der gewaltige Bühnenlenker ist in der That beinahe ununterbrochen in Anspruch genommen, und man braucht ihn nur während eines einzigen Vormittags als unsichtbarer Zuschauer in seinem Bureau Gesellschaft zu leisten, um das innigste Mitleid mit dem vielgeplagten Manne zu empfinden. Es ist zehn Uhr Morgens. Der Herr Direktor hat soeben sein Bureau betreten und die eingelaufcncn Briefe oberflächlich durchge sehen. Neben ihm steht in bescheidener Haltung Herr Doktor Strampfel, der Sekretär und Dramaturg des Theaters. Er ist ge kommen, um seinem hohen Vorgesetzten den gewöhnlichen «Morgen vortrag" zu halten und seine Befehle in Empfang zu nehmen. Doktor Strampfel ist natürlich Schriftsteller, und es gab einmal eine Zeit, in welcher er als Kritiker der vielgelesenen «Abend-Posaune" eine sehr angesehene »nd gefürchtete Persönlichkeit war. Seine rück sichtslosen Rezensionen waren dem Herrn Direktor zuletzt unbequem geworden, und er hatte den gesährlichen Kunstrichter auf sehr einfache Weise dadurch beseitigt, daß er ihn mit einem ganz ansehnlichen Gebalt für sein Institut eugagirte. Seitdem haben sich zwar die künstlerischen Leistungen des Theaters keineswegs verbessert; aber die «Abend Posaune" hat einen viel milderen Ton angestimmt, und der selbe Doltor Strampfel, welcher einst jede Maßnahme des Direktors einer ebenso freimüthigeu als scharfen Kritik unterwarf, ist jetzt auf das Aengstlichste und Demüthigste beflissen, sich die Zufriedenheit seiner gestrengen Chefs zu erhalten. Kein Wunder! Der arme Mann hat ja eine ziemlich starke Familie zu ernähren! Der Direktor reicht ihm einen kleinen Theil der eingelaufenen Briefe mit kurzen Andeutungen, in welcher Weise sie zu beantworten seien. Den Rest läßt er ohne viele Umstände in den Papierkorb wandern, und man wird dieses summarische Verfahren begreiflich finden, wenn man erfährt, daß alle diese Zeitschriften nichts Anderes enthalten, als die dringenden Bitten ungeduldiger Autoren um eine baldige Entscheidung über die von ihnen vor Wochen, Monaten oder Jahren eingereichten Stücke, — die Gesuche angehender dramatischer Künstler um Ausbildung oder Engagement und einige Dutzend An träge auf Gewährung von'Freibillets mit den jüngsten und seltsamsten Motivirungen. Nachdem die Korrespondenzen erledigt sind, erhält Doktor Strampfel das Wort zu seinem Vortrage. Er überreicht seinem Chef mit einer unterthänigen Verbeugung ein ganzes Convolut von Zeitungen, in denen er die beachtenswerthen Stellen mit Roth- stift markirt hat und fügt hinzu, das dies die Rezensionen über das neue Stück seien. Der Gewaltige überfliegt die bezeichnet«» Artikel und sein behagliches Schmunzeln verräth, daß er mit ihrem Inhalt recht zufrieden ist. Nur bei der Lektüre des letzten Blattes, welches ihm Doktor Strampfel zögernd und mit ängstlichem Gesicht übergiebt, zeigt sich eine drohende Wolke auf seiner olympischen Stirn, und er knittert das Papier nervös und ärgerlich zusammen. «Was ist das für eine Unverschämtheit!" stößt er ingrimmig hervor. «Wie kann sich dieser Zeitungsschreiber unterstehen, mir solche Vorschriften machen zu wollen!" Die roth angestricheue und höchst abfällige Rezension in der „Morgen-Zeitung" schließt nämlich mit den Worten: «Wenn der Herr Direktor sein Theater nicht gänzlich versumpfen lasten will, so wird es endlich einmal Zeit, statt der erbärmlichen Handwerkssudeleien der sogenannten renommirten Autoren die urwüchsigen und lebenskräftigen Werke junger dichterischer Talente auf die Bühne zu bringen. Wir wissen sehr wohl, daß ihm solche zur Verfügung stehen, und wir werden gegen ihre gewaltsame Unter drückung energisch protestiren." «Welche Unverschämtheit!" wiederholt der Direktor indem er das Blatt in den Papierkorb schleudert. «Wir werden dem Menschen daS Freibillet entziehen." Doktor Strampfel räuspert sich verlegen. «Vielleicht könnte man eine noch empfindlichere Rache an ihm nehmen," meint er, «die zugleich all seiner Gehässigkeit gegen uns ein Ende machen würde. Seine letzte Andeutung bezieht sich ja unzweifelhaft auf sein eigenes Stück, das er uns vor einigen Wochen eingereicht hat. Wenn wir nun das Ding wirklich zur Aufführung brächten?" „Hm, das ließe sich überlegen! — Aber sie meinten doch neu lich, es sei ein jämmerliches Machwerk." «Freilich, viel ist nicht daran! Den fünften Akt werden wir gänzlich streichen müssen und auch die anveren vier müssen sehr erheblich umgearbeitet werden, wenn es bühnenmöglich werden soll. Aber wir würden ihn mit der Zusage der Aufführung wieder günstig stimmen, und die Sache läßt sich dann ja unter allerlei Vorwänden ganz gut noch um einige Monate hinausschieben. Hoffentlich fällt es dann schließlich durch, und wir sind für die Folge vor seinen Erzeugnissen sicher." Der Herr Direktor nickte zustimmend. «Na ja, machen Sie das meinetwegen so! Aber verschonen Sie mich nur damit, das Ding lesen zu sollen. Wie heißt es denn eigentlich?" „Um die Ehre, Schauspiel in fünf Aufzügen, Herr Direktor!" „Gut! — Schreiben Sie dem Verfasser, ich hätte das Stück angenommen. Giebt's sonst noch etwas?" Ehe noch Doktor Strampfel nach seinem gewöhnlichen Verlegeu- heitsräuspern zu einer Erwiederung gekommen ist, schneidet ihm sein Gebieter durch eine kurz abweisende Handbewegung das Wort ab, und der Sekretär packt hastig seine Briefe und Zeitungen zusammen. Auch er hat das Eintreten der reizenden jungen Dame bemerkt, welche ohne vorherige Anmeldung auf der Schwelle erschienen ist, und er weiß, was die Handbewegung des Herrn Direktors bedeutet. Kaum ist die Thür hinter ihm zugesallen, als die junge Dame aus den Gewaltigen zueilt und ihm beide Hände entgegenstreckt. «Guten Morgen mein liebes Direktorchen! — Was sagen Sie nur zu diesem abscheulichen Rezensenten? Habe ich es wohl verdient, so heruntergerissen zu werden?" Der Theaterlenker bemüht sich, ein ernstes Gesicht zu machen. «Ich kann Dir allerdings nicht verschweigen, mein Kind, daß Dein Spiel Einiges zu wünschen übrig ließ. Du Weißt ja, daß ich Dir sehr wohl gesinnt bin und Dich gern in die Höhe bringen möchte; aber wir haben nicht nur die Kritik, nach der ich den Teufel frage, sondern auch das halbe Publikum gegen uns. Ich werde die Naive in dem nächsten Stück doch wohl der Schmidt geben müssen." Die junge Dame geräth in eine gewaltige Aufregung. Sie wirft sich in reizender Attitüde auf einen der Plüschsessel und drückt das Taschentuch an die Augen, als hätte sie da wirklich die bittersten Thränen zu trocknen. Auch auf den immer freundlicher werdenden Zuspruch des Direktors will sie sich durchaus nicht beruhigen, und plötzlich springt sie mit der kategorischen Erklärung empor: „Eine solche Zurücksetzung kann ich mir nicht gefallen lasten, Herr Direktor, ich bitte um meine Entlastung!" „Aber, Kind, was sind das für Thorheiten? — Du siehst doch, daß die Hälfte des Publikums gegen uns ist." „Nun wohl, so ist die andere Hälfte für uns, — und das ist doch wahrhaftig nicht wenig! — Glaaben Sie denn wirklich, Direktor, daß die Schmidt, dieses häßliche, magere Ding, den Leuten bester gefällt als ich? — Mag ja sein, daß sie eine große Schauspielerin ist, — den Ruhm will ich ihr gerne gönnen; aber sie hat Kalmückeu- augen und eine Figur — puh, wie ein Zaunspfahl." Dabei hat sich die jugendliche Naive wie zu einem heraus fordernden Vergleiche vor den Direktor gestellt, und es ist kein Wunder, daß unter dem Feuer ihrer Augen auch das letzte Restchen von Strenge aus seinen Zügen hinwegschmilzt. „Nun freilich, sie kann sich darin mit Dir nicht messen, mein Schatz! — Aber nach ihrem Kontrakt steht ihr die Rolle eigentlich zu. Sie wird sich beklagen, wenn sie sie nicht bekommt!' Die kleine Naive weiß, daß sie gewonnenes Spiel hat, und sie lacht lustig auf. „Pah, als wenn sich ein Direktor, der so viel Autorität bei seinen Mitgliedern hat, darum zu kümmern brauchte!" — Also ab- gemacht, — nicht wahr ? — Ich bekomme die Rolle, und wenn Sie recht lieb sein wollen, so stellen Sie die Vogelscheuche, die Schmidt, in einer kleinen Parthie daneben. Da werden die Leute nicht lange im Zweifel sein, wer ihnen bester gefällt!" Der Herr Direktor schmunzelt. „Du bist ein Kobold! — Und was bekomme ich, wenn ich Dir wirklich den Gefallen thue?" Die jugendliche Naive wendet sich verschämt ab, ohne sich in dessen sonderlich zu sträuben, als ihr der Bühnenlenker rasch einen Kuß auf die Weiche Wange drückt, während er seine Frage wiederholt. „Was Sie bekommen?" sagte sie endlich schelmisch, „nun, Sie kennen doch die alte Regel: Erst die Waare! — Wenn ich die Rolle habe, dann — dann werde ich mir'« überlegen!" In diesem Augenblick wird schüchtern an die Thür geklopft, und das vertrocknete Männchen aus der Kanzlei spricht diskret durch eine schmale Spalte herein: „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Heir Direktor; aber da ist der Herr Reichert und meint, sein Anliegen vertrüge keinen Aufschub. Soll ich ihn eintreten lasten?" Herr Reichert ist ein Darsteller für kleinere Rollen, ein sehr verwendbares Mitglied, das heule im Trauerspiel, morgen in der Posse und übermorgen im Opernchor mitwirkt, und das nun schon seit fünfzehn Jahren für eine winzige Gage rechtschaffen seine Schuldig keit thut. In der letzten Zeit aber ist Herr Reichert öfter kränklich gewesen, und der Direktor, welcher dergleichen bei seinen Mitgliedern durchaus nicht liebt, ist darum ohne dies nicht gut auf ihn zu sprechen. Sein unzeitiges Erscheinen schlägt dem Faß den Boden aus, und während die kleine reizende Naive die Gelegenheit benutzt, um zu entschlüpfen, empfängt der allgewaltige Bühnenlenker den be scheiden Näherkommenden mit gerunzelter Stirn und mit nichts weniger als ermuthigenden Mienen. «Was wünschen Sie? — Könnten Sie sich mit ihrem Anliegen nicht an den Sekretär wenden?" „Ach nein, Herr Direktor! —Ich komme, Sie um einen kleinen Urlaub zu bitten! Mein Sohn —" „Unmöglich! Ganz unmöglich! — Ich wundere mich über die Kühnheit, mit welcher Sie mir dieses Ansinnen stellen, nachdem ich Ihnen Ihre Gage ohnehin schon ein paar Wochen lang sür's Spazieren gehen bezahlt habe. Dazu kann ich mir keine Schauspieler Hallen!" «Aber Herr Direktor, mein Sohn ist plötzlich schwer erkrankt. Wer weiß, ob ich ihn noch am Leben finde! — Und in einer Viertel stunde geht der Zug." „Und wo ich mit der heutigen Vorstellung bleibe, danach fragt kein Mensch! — Sie müssen fort, und damit, meinen Sie, sei's genug!" .Verehrter Herr Direktor, meine Rolle ist ja so klein —" „Das ist ganz egal! — Wenn ich für die kleine Nolle keinen Darsteller fände, so ist das genau so unangenehm, als wenn's eine große wäre! — Es thut mir leid; aber ich kann Ihnen heute den Urlaub nicht bewilligen. Hätten Sie mir's gestern gesagt, so Wäre es vielleicht gegangen! — Heute aber ist es rein unmöglich!" Der alte Mann ist ganz gebrochen «Das kann Ihr Ernst nicht sein, Herr Direktor! — Ich sollte nicht einmal an das Sterbebett meines Sohnes eilen dürfen?" «Ach, man stirbt nicht so leicht! — Ich bin lange genug Theaterdirektor gewesen, um das zu kennen. Warten Sie nur erst ab, ob die Krankheit nicht vielleicht eine günstige Wendung nimmt! Wenn nicht, so können wir immer noch morgen oder übermorgen weiter über den Urlaub reden!" «Und mit diesem Bescheid wollten Sie wirklich entlasten?" «Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgesprochen! — Ich sagte Ihnen, daß es nicht geht — und nun muß ich bitten, mich nicht weiter zu stören, Sie sehen, ich bin sehr stark in Anspruch ge nommen." Der Schauspieler wendet sich wirklich zum Gehen. Es ist ihm auf dem Gesicht geschrieben, einen wie harten Kampf er mit seinem Pflichtgefühl zu bestehen hat; aber er ist doch am Ende auch nur ein Mensch, und auf der Schwelle bleibt er noch einmal stehen. «Es thut mir sehr leid, Herr Direktor; wenn ich dann also ohne Urlaub reisen muß! Fünfzehn Jahre lang habe ich rechtschaffen meine Schuldigkeit gethan; aber das — das geht über meine Kräfte!" «Thun Sie, was Sie wollen," ruft ihm der Gebieter nach. „Sie werden sich hoffentlich erinnern, daß Sie in diesem Falle sofortige Entlastung unter Abzug einer halben Monatsgage zu er warten haben!" Er lehnt sich in sein Fauteuil zurück und zündet sich eine frische Zigarre an. Aber er ist ein geplagter Mann, dem man keine Mi nute Ruhe läßt. Der arme alte Schauspieler ist noch kaum die Treppe hinuntergeschlichen, als zwei sehr vornehm aussehende Herren in schwarzen Anzügen ihre Karten im Bureau des Direktors abgeben lassen. Es sind Mitglieder des Komitös zur Hilfeleistung für die von einer großen Feuersbrunst heimgesuchten Bewohner einer russischen Ortschaft, die den Direktor um die Veranstaltung einer Vorstellung für ihren wohlthätigen Zweck ersuchen wollen. „Der russische Gesandte hat uns zu verstehen gegeben", fügt der Bittsteller hinzu, „daß es den Herren, welche sich in hervor ragender Weise an dem schönen Werke betheiligen, sicherlich nicht an einer entsprechenden Anerkennung von hoher Stelle fehlen wird." — aber der Direktor macht bei diesen Worten eine abwehrende Be wegung. «Ich bitte, meine Herren, kein Wort weiter! — Es bedarf für mich wahrlich nicht erst der Aussicht auf eine Belohnung, um mich für ein Werk der Barmherzigkeit zu gewinnen. Ich würde in der That ein viel weniger mühevolles und aufreibendes Leben führen, wenn mich nicht mein warmes Gefühl für meine leidenden Mit menschen immer wieder mit sich fort risse! — Verfügen Sie ganz über mein Institut und über meine schwachen Kräfte, und geben Sie, bitte, dem Herrn Gesandten zu verstehen, daß ich dem Komitö wahr scheinlich auch ohne besondere Aufforderung Bcides zur Verfügung gestellt haben würde." Die beiden Herren empfehlen sich mit Versicherungen herzlichsten Dankes, und der eine von ihnen, der Gehcimrath Z., kann nicht umhin, dem Direktor mit einem warmen Händedruck zu erklären, daß man allerdings von vornherein auf seine stadtbekannte Humanität gerechnet habe. Ehe sich der so ungeheuer beschäftigte Herrscher des Musen- tempcls zum zweiten Frühstück in die nahe gelegene Weinstube ver fügen kann, muß er sich noch von dem Rezensenten der «Morgen- Zeitung" aushalten lasten, welcher gekommen ist, um mit zorniger Miene sein Manuskript zurückzufordcrn, und der nicht wenig erstaunt ist, von dem Direktor mit der herzlichen Begrüßung empfangen zu werden: «Ah, mein lüber Doktor I Sie kommen ja wie gerufen! Soeben habe ich Ihr reizendes Schauspiel «Um die Ehre" gelesen, und ich bin glücklich, daß Sie gerade mir die Ehre der ersten Ausführung zugedacht haben! In vier Wochen haben wir die Premiere!" „Und darauf habe ich Jhe Wort, Herr Direktor!" „Gewiß, mein Bester! Mein Ehrcnwort!" Und die nächste Rezension in der «Morgen-Zeitung" schloß mit den Worten: ««Unser Direktor darf in der That mit größerem Recht als irgend ein anderer deutscher Bühnenlenker Anspruch daraus erheben, ein Förderer deutscher Dichtkunst und ein Mäcenas junger Talente genannt zu werden!"" Verantwortlicher Redakteur Franz Götze in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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