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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 09.03.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188403096
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840309
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840309
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-03
- Tag 1884-03-09
-
Monat
1884-03
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 09.03.1884
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Vkilagr M ..Lhrmihrr Anzeiger und KtMbole". Nr. 59. — 4. Jahrgang. Verlags«Expedition: Alexander Wiede, Buchdruckerei, Chemnitz, Theaterstrabe -18 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Casino). Sonntag, 9. Mürz 1884. Lothringens Trennung vom Glfaß. Als vor eingen Wochen Se. Exzellenz der Herr Statthalter von Elsaß-Lothringen in Berlin eingetroffen war und nach einem Sr. Majestät erstatteten Vortrag nach Friedrichsruhe, vermuthlich zu einer Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler reiste, tauchten in der Presse sofort die verschiedensten Nachrichten über die Dinge in Elsaß- Lothringen auf. ES wäre ein AuSnahmefall gewesen, wenn sensations bedürftige Zeitungen sich diese Reise deS höchsten Beamten in den Reichslauden hätten entgehen lasten, um die stets als zugkräftig er- probte Mähr von Meinungsverschiedenheiten auf's Neue vorzutragen. So las man denn auch mehrere Tage hindurch von Konjekturen und Kombinationen aller Art. Inzwischen ist es wieder füll geworden und an die Zeitungsnachricht von „Friktionen" zwischen dem Reichs kanzler und dem Statthalter in den ReichSlandcn glaubt heute Nie mand mehr. Dahingegen kann es als gewiß gelten, daß der Kaiserliche Statt halter wichnge Mittheilungen über die Resultate der von ihm ver- Iretenen kaiserlichen Politik in Elsaß-Lothringen zu erstatten hatte und es unterliegt ferner, nach gewissen Anzeichen zu schließen, kaum noch einem Zweifel, daß ein Theil dieser Mittheilungen sich auf das Ver- hältniß zwischen dem Elsaß und Lothringen bezogen hat. .Die Er fahrungen, welche die deutsche Verwaltung in jenen Landestheile« im Verlauf von vierzehn Jahren gewonnen hat, werden voraussichtlich zu wichtigen Beschlüssen führen, von denen im voraus angenommen wer den darf, daß sie ebensowohl den Interessen der Reichslande diene«, als den Wünschen des deutschen Volkes entsprechen werden. Im An fang konnten die Ziele der deutschen Verwaltung nur in großen Um rissen gezeichnet werden und das oberste Ziel mußte es vor allen Dingen sein, die Bevölkerung der wiedergewonnenen Landestheile mit den Einrichtungen und dem Geiste des Vaterlandes, dem sie so lange entfremdet waren, wieder bekannt zu machen und zu befreunden. Es mußte der Bevölkerung vor allen Dingen der Beweis er bracht werden, daß es keineswegs die deutsche Absicht sei, sie als Be siegte zu behandeln, sondern daß man entschlossen und bestrebt ist, die Landes-Jnteressen mindestens ebenso eifrig zu fördern, als dieses unter französischer Herrschaft der Fall gewesen ist. Es darf angenom men werden, daß dieses Ziel erreicht worden ist. Im Elsaß und auch in Lothringen muß heute jeder aufrichtige Mann gestehen, daß die deutsche Regierung von Anfang an mit peinlichster Sorgfalt da rauf bedacht war, die Interessen des Landes und der Bevölkerung mit aller Kraft zu fördern und Jeder, welcher in der Lage ist, Ver gleiche zu ziehen, wird hinzufügen müssen, daß die deutsche Regierung mehr auf dieses Ziel bedacht war und verhältnißmäßig größere Er folge erreicht hat, als es jemals unter französischer Herrschaft der Fall gewesen ist. Die guten Absichten und die Erfolge der deutschen Megierung bestreiten heute' in Elsaß-Lothringen nur noch jene an Zahl kleinen und an Einfluß abnehmenden Kreise, welche den Wiederanschluß dieser alten deutschen Landestheile mit blindem Haß bekämpfen. Da aber die Majorität der elsässisch-lothringischen Bevölkerung das Streben der deutschen Regierung anerkennt und bereits eine freundlichere Haltung angenommen hat, als man noch vor wenigen Jahren erwarten konnte, so befinden sich die Vertreter der kaiserlichen 'Politik in Elsaß-Lothringen in der Lage, nicht nur mit Befriedigung auf die Resultate der bisherigen Maßregeln zu blicken, sondern auch neue Maßregeln von großer Bedeutung in's Auge zu fassen, dazu bestimmt, die Interessen'sowohl deS Elsaß als Lothringens schneller und besser zu fördern, als es unter den heute bestehenden Verhält nissen möglich ist. Im Kreis der Erörterungen solcher Maßregeln muß das Verhältniß zwischen dem Elsaß und Lothringen eine wichtige Rolle spielen. Die Erfahrungen der deutschen Verwaltung enthalten ein reiches Beweismaterial für die Ansicht, daß die Interessen der Bevölkerung beider Landestheile wesentlich verschiedene sind und daß vor allem der Bolkscharakter in Elsaß und jener in Lothringen eine gemeinsame Verwaltung beider Landestheile keineswegs erheischt; ja, es darf sogar als unbestreitbar hingestellt werden, daß eine Neu-Organisation, welche -Elsaß und Lothringen auf verschiedenen Wegen regieren will, den Interessen beider Landestheile bedeutend zu statten kommen würde. Lothringen ist vorwiegend französisch und katholisch; der Volks- -charakter, sowie die geschichtliche Entwickelung und die Lage des Landes scheinen auf einen Anschluß an die Verwaltung von Trier und der preußischen Mosellandschast hinzuweisen. In dem vorwiegend Ein geheimnißbolles Reiseabenteuer. Bon I. PiorkowSka. (Schluß.) Nachdruck verboten. Als die Direktoren RaikeS so niedergeschmettert, so wild und -Verstört sahen, fingen sie an. ernst mit einander zu flüstern, während -einer von ihnen ruhig aufstand und dem Portier befahl, die Thür zu bewachen. „WaS hat Ihre Anwesenheit in Tevonshire mit der Angelegen heit zu thun?" sagte der Vorsitzende. „Wann waren Sie in Devonshire?" „Herr RaikeS nahm im September Urlaub, ungefähr zu der Leit, als Herr Dwerrihouse verschwand," erwiderte der Sekretär. „Ich habe nichts von seinem Verschwinden gehört, bis ich hierher zurückkam I" „Da« bliebe noch zu beweisen", sagte der Vorsitzende. „Ich werde die Sache sofort der Polizei übergeben. Inzwischen ertheile ich Ihnen den guten Rath, Herr Raikes, keinen Widerstand zu leisten, sondern zu gestehen, so lange Ihnen ein Geständniß noch von Nutzen sein kann. WaS Ihren Mitschulvigen betrifft . . ." Der Schurke sank bestürzt auf die Kniee. „Ich habe keinen Mitschuldigen!" rief er. „Ach, haben Sie nur Erbarmen mit mir . . . schonen Sie nur mein Leben, und ich will Alles gestehen! Ich wollte ihm ja nichts zu Leide thun ... ich wollte ihm ja kein Haar krümmen! Haben Sie nur Erbarmen mit mir!" Da erhob sich der Vorsitzende bleich und aufgeregt von seinem Stuhle. „Gerechter Gott I" rief er. „Welches entsetzliche Geheimniß ist ha verborgen? WaS soll das heißen?" „So sicher als ein Gott im Himmel ist," sagte Jonathan Jelf, 4, heißt Das: daß hier ein Mord vorliegt I" „Nein . . . «ein . . nein!" schrie Raikes noch auf den Knieen. „Nicht Mord! Ich glaubte, ich hätte ihn nur betäubt . . . ich wollte nichts Andere-, als ihn nur betäuben! Todlschlag . . . -Todtschlag . . . nicht Mord!" Bei dieser unerwarteten Erklärung von Schrecken und Entsetzen überwältigt, bedeckte der Vorsitzende sein Gesicht mit den Händen «nd schwieg mehrere Minuten lang. - „Elender,^sprach er endlich, „Ihr habt Euch selbst verratheul" protestantischen Elsaß mit seiner entwickelten Industrie würde man kaum unzufrieden sein, wenn ein Anschluß Lothringen- an den preußischen Besitz am Rhein und Mosel, als im allseitigen Interesse liegend, vereinbart werden würde. Die Angelegenheit ist jedenfalls in Anregung gebracht worden und soweit es auf die heute dafür gellend gemachten Gesichtspunkte ankommt, verdient sie auch nicht, ohne Weiteres von der Hand gewiesen zu werden. Spaniens innere Politik. Die neuesten Nachrichten aus Spanien besagen, daß die Auf lösung der Kortes in der nächsten Zeit, spätestens im April, stattfinden wird, und daß die Neuwahlen im Mai — spätestens — stattfinden sollen. Wie die Verhältnisse auf der Halbinsel augenblicklich liegen, so hat das konservative Regiment, wie es von dem umsichtigen und energischen Minister Präsidenten Canovas del Eastillo gehandhabt wird, die denkbar beste Aussicht, durch das Resultat der Wahlen eine Stärk ung der eigenen Stellung zu empfangen. Abgesehen von den Mitteln, welche das in Spanien jeweilig am Ruder befindliche Regiment jeder zeit zur Bestimmung der Wahlen angewandt hat (keine Partei kann auf diesem Gebiet der anderen etwas vorwerfen, was sie nicht selbst gethan hat), so ist eS auch gewiß, daß die letzten Jahre das Ver trauen in die monarchische Ordnung in vielen Kreisen der Bevölkerung vermehrt und in anderen eine zunehmende Abneigung gegen die po litischen Wühlereien und Veränderungen hervorgerufen haben. Die selben haben den Handel und die in der Entwickelung begriffene In dustrie des Landes viel und oft geschädigt, — so daß man sicher sein kann, daß die besitzenden Klaffen, soweit das politische Geschick Spa niens von ihnen abhängt, mit allen Kräften auf den ruhigen Fort bestand der Monarchie Alfons XII. hinarbeiten. Leider giebt es jedoch auf dem von Revolution und Mißtrauen unterwühlten Boden Spaniens zahlreiche Schichten, welche stets die Feinde der bestehenden Ordnung bilden. Die politischen Abenteurer, die „Staatsmänner ohne Amt", find auf der Halbinsel so zahlreich, daß nicht Stellen genug geschaffen werden können, um dieselben unterzubringen und dadurch für das jeweilige Regiment zu gewinnen. So verhält es sich mit den Parlamentariern, den Strebern aller Art, so mit den Beamten und, was das Bedenklichste ist, — so verhält es sich mit den Offizieren des Heeres. Die Bürgerkriege und die auf einander folgenden Re gierungen haben soviel Stellenjäger auf allen Gebieten geschaffen, daß es absolut unmöglich ist, allen eine Stelle oder ein Einkommen zu geben und sie auf solche Weise mit der Regierung auszusöhnen. Was die Regierung an Aemtern und Geld gewähren kann, das thut sie, ob gleich ein solches Verfahren die Finanzen des Landes schwer belastet und auch sonst den Gang der Verwaltung und Entwicklung des Heeres nachtheilig beeinflußt, allein Alle zu befriedigen ist rein unmöglich. So groß ist jedoch die Anzahl der Personen, welche mit Ansprüchen an Amt und Einkommen auftreten, daß sie ein bedenkliches Element der Bevölkerung und gefährliche Feinde der bestehenden Ordnung bil den) stet- bereit, einem kühneis Parteigänger ihre Unterstützung zu leihen, wenn er ihnen nur verspricht, sie später mit Amt und Ein kommen zu belohnen. Da, wo diese Motive nicht maßgebend find, bewirkt der unge messene Ehrgeiz einflußreicher Parteiführer dasselbe: wenn der König einen Ehrgeizigen nicht fortwährend mit den höchsten Auszeichnungen überhäuft, so ist derselbe stets bereit, Pläne gegen, den König zu schmieden. An der Spitze dieser Streber steht zur Zeit wieder ein mal der Marschall Serrano, Herzog de la Torre, der seine politische Karriere im Grunde der Monarchie verdankt, der aber jederzeit bereit war, dieser Wohlthäterin mit Undank zu lohnen. ES heißt, er geht seit seiner Rückkehr au- Paris, wo ihm Manuel Silvela als Bot schafter gefolgt ist, mit dem Gedanken um, die Monarchie Alfons XII. zu stürzen und sich selbst zum Regenten des Landes ausrufen zu las- sen, noch kühnere Gedanken nicht ausgeschlossen. Ein solcher Plan würde zwar der Kühnheit und dem Ehrgeiz des Herzogs entsprechen, allein eS scheint nicht gewiß, daß die Eingebungen dieser Eigenschaften auch von der Klugheit diese- Mannes gutgeheißen werden Man hätte also nicht ganz unrecht, wenn man die Angabe, der Herzog hege in der That einen solchen Plan, als eine Verleumdung zu irgend welchen Zwecken betrachten wollte. Soviel ist jedoch gewiß, daß nächst dem König der Herzog der wichtigste Mann in Spanien ist und daß er einen großen Einfluß auf den Gang der Dinge auszu- üben im Stande ist: in welcher Richtung er sich auch entschließe« mag. Viele und nicht ohne weitere- abzuweisende Nachrichten schrei ben ihm die Absicht der Gründung einer neuen Partei zu, welche die Karlisteu, Republikaner und einen großen Thell der Dynastisch- Liberalen vereinigen soll. Genaueres über die Ziele dieser Partei weiß man noch nicht; sie können aber unmöglich freundlich für den König sein. Indessen so ist die Meinung beschaffen, welche man von dem Geiste und dem Charakter SerranoS hegt, daß man sogar davon flüstert, der Herzog treibe nur ein Spiel, um die Gegner der Monar chie desto besser bekämpfen zu können, indem er im entscheidenden Augenblicke sich an die Seite des Königs stellen würde. So ist die Haltung des Herzogs de la Torre der dunkle Punkt in der heutigen politischen Situation Spanien». Alle» andere liegt klar zu Tage. Sagasta will sich an die Spitze der Dynastisch- Liberalen stellen, Zorilla lenkt von Genf aus die republikanische» Agitationen und Castellar treibt vorläufig theoretische Politik mit republikanischem Hintergrund. Kann sich also der konservative Führer, CanovaS del Castillo, des Herzog» de la Torre erwehren, so glaubm wir, daß er einige Zeit hindurch in Ruhe regieren kann. Gegenüber all diesen Angelegenheiten der inneren Politik find die Besprechungen der auswärtigen Politik ganz eingeschlummert. Spanien denkt jetzt nur an sich. Die Schtvirrgericht-verhair-lrmg i« öionitz. Am 29. Februar begann vor dem Schwurgerichte in Könitz ein Prozeß, der nachgerade zu einer oniiss oälädrs geworden ist — hie abermalige Verhandlung nämlich in der Angelegenheit deS Nett- stettiner Synagogen-Brandes. Wie vielen Lesern noch be kannt sein dürfte, hatte sich das Kösliner Schwurgericht im Monat Oktober v. I. mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Die Geschworenen verneinten damals die Fragen bezüglich der vorsätzlichen Brand stiftung, dagegen bejahten sie bezüglich der beiden LeSheim die Frage: „dem Thäter zur Begehung des Verbrechen» durch Rath oder That wissentlich Hilfe geleistet zu haben", und betreffs der beiden Heide mann die Frage: „von einem Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung desselben noch möglich war, glaubhafte Kenntniß er lhalten und es unterlassen zu haben, der Behörde davon rechtzeitig Anzeige zu machen." Der Gerichtshof verurtheilte demgemäß Heide mann sen. zu 3 Monaten, Heidemann jun. zu 6 Monaten Gefäng- niß, Lesheim «e». zu 4 Jahren Zuchthaus und 4 Jahren Ehroerlust; betreffs de» Leo LeSheim erkannte der Gerichtshof auf Ueberweisung in eine Besserungsanstalt. Löwenberg, bezüglich dessen die Geschworenen alle Schuldfragen verneint hatten, wurde freigesprochen. Der Bet- theidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt v>. Sello in Berlin, hatte gegen dies Urtheil, und zwar wegen Formfehler», Revision beim Reichs gerechte beantragt und infolge dessen wurde, wie wir früher bereits mitthrilten, der Fall an das weschreuhische Schwurgericht in Könitz zur nochmaligen Verhandlung überwiesen. ES läßt sich denken, daß in das Städtchen Könitz, welches nur etwa» über 8000 Ein wohner zählt, durch diesen Prozeß eine große Erregung gebracht worden ist, weilen daselbst gegenwärtig doch eine Menge Journalisten, eine Anzahl renommirter Rechtsanwälte von auswärts, die Geschworenen, gegen anderthalbhundert Zeugen u. s. w. Ueberdies haben die Kös lin» Erfahrungen die Telegraphenverwaltung veranlaßt, Könitz mit Berlin durch zwei Drähte direkt zu verbinden. Die hauptsächlichsten Punkte des Prozesses dürften hinlänglich noch von der Kösliner Ver handlung her bekannt sein. Es genügt daher, an dies» Stelle das Wichtigste anzuführen, wa» sich während der letzten Tage »geben ha:, und bei dieser Gelegenheit zu konstatiren, daß die ganze Ange legenheit infolge neuer, den früher in Köslin gemachten direkt wider sprechenden, Aussagen eines der Hauptbelastungszeugen Buchholz eine andere, wesentlich verschiedene Wendung nehmen dürfte. Ueberhaupt unterscheidet sich die Könitz» Verhandlung ganz merklich von d» Kös liner und zwar hauptsächlich dadurch, daß die Hauptbelastungszeuge», die sich in Köslin häufig unpassend bis zur Frechheit benahmen, vom Zeugenraum aus mit Zwischenrufen in die Verhandlung ein- griffen, aus Fragen der Vertheidiger denselben einfach mit verächtlicher Geberde den Rücken zudrehten u. s. w. u. s. w., in Könitz ziemlich kleinlaut und bescheiden auftraten. Nur die zuerst Aufgerufenen dachten wohl, das Kösliner Genre weiter kultiviren zu können; aber gleich die ersten Versuche, Reden zu halten, in Sentiments und allgemeinen Be- chuldigungen zu schwelgen oder sich Ungebührlichkeiten herauszunehmen, wurden vom Präsidenten so energisch unterdrückt, daß alsbald eine „Sie hießen mich bekennen! Sie drängten , ich solle mich der Gnade der Versammlung anheimstellen!" „Ihr habt ein Verbrechen bekannt, dessen Euch Niemand ver dächtigt hat," entgcgnete der Vorsitzende, „und das zu bestrafen oder zu vergeben die Versammlung kein Recht hat. Ich kann Euch nur den Rath geben, Euch dem Gesetz zu unterwerfen, Euch schuldig zu bekennen und nichts zu verheimlichen. Wann habt Ihr die That vollbracht?" Der Schuldige stand auf und stützte sich auf den Tisch. Seine Antwort kam widerwillig, wie die Worte eines Träumenden. „Am zweiundzwanzigsten September!" Am zweiundzwanzigsten September! Ich sah Jonathan an, und er mich. Ich fühlte, wie ich, von einem seltsamen Gefühl des Staunen» und der Furcht ergriffen, »blaßte ... und sah, wie auch mein Freund plötzlich erbleichte. „Gerechter Gott!" flüsterte er. „Was war denn Das, was Du im Zuge sahst?" * * * Ja, was war Da», was ich im Zuge sah? Diese Frage bleibt bis auf den heutigen Tag unbeantwortet. Ich habe nie eine Ant wort darauf finden können. Ich weiß nur, daß Das, was ich sah, das lebendige Ebenbild des Ermordeten war, dessen Leichnam seit zehn Wochen in einer öden Kalkgrube auf halbem Wege zwischen Blackwater und Mallingford unter einem Haufen Zweigen und welken Laubes lag. Ich weiß, daß „Es" sich bewegte, sprach und aussah wie jener Mann zu seinen Lebzeiten; daß die Vision, die ich auf dem Perron hatte, zur Entdeckung des Mörder» führte, und daß ich, als passives Werkzeug, durch diese geheimnißvolle Erfahrung dazu bestimmt war, das Verbrechen vor Gericht zu bringen. Die Angelegenheit mit der Zigarrentasche erklärte sich auf unsere Anfrage dadurch, daß der Wagen, in dem ich an jenem Nachmittag nach Clayborough gereist war, mehrere Wochen unbenutzt gestanden hatte, und in der That derselbe war, in welchem der arme John Dwerrihouse seine letzte Reise zurückgelegt. Er hatte die Zigarren lasche jedenfalls im Koupee verloren und dieselbe war unbemerkt da liegen geblieben, bis ich sie fand. Ich gehe hier nicht weiter auf die Einzelheiten de» Morde» ein. Wer Genauere» darüber wissen will, findet ein volle» Geständniß de» AugustuS RaikeS in der „TimeS" vom Jahre 1856. Hier genüge, daß der Untersekretär, der die Pläne betreffs der neuen Bahnlinie kannte und die Angelegeuheit Schritt für Schritt verfolgte, den Beschluß gefaßt hatte, Herrn Dwerrihouse zu überfallen, hn der fünfundsiebenzigtausend Pfund zu berauben, und mit sein» Beute nach Amerika zu entfliehen. Um Da» auszuführen, nahm er einige Tage, bevor da» Geld ausbezahlt werden sollte, Urlaub, sicherte sich auf einem Dampfer, d» am dreiundzwanzigsten abfahren sollte, einen Platz, versah sich mit einem schweren Todtschläg», und begab sich nach Blackwater, um dort die Ankunft seines Opfers abzuwarten. Wie er ihn mit ein» angeblichen Botschaft von der Eisenbahngesellschaft auf dem Penon, traf, wie er sich erbot, ihn auf einem kurzen Feldweg nach Mailing-' ord zu führen, wie er den Armen, als er ihn an einen einsamen' Ort gelockt hatte, mit dem „Todtschläg»" zu Boden schlug und tödtete, und wie er dann den Leichnam an den Rand einer öden Kalkgrube schleppte, in diese hinab warf und unter Zweigen und Dorngestrüpp vergrub, sind Thatsachen, die noch frisch in der Erinne rung Derer leben, die sich für derartige Prozesse interefliren. Seltsamer Weise scheute sich der Mörder, nachdem er sein Werk vollbracht hatte, das Land zu verlassen. Er erklärte, er habe dem Direktor nicht das Leben nehmen, sondern ihn nur betäuben und be rauben wollen, und als er gesehen, daß der Schlag ihn getödtet habe, habe er aus Furcht, der Verdacht werde dadurch aus ihn fallen, nicht gewagt, zu fliehen. Er kehrte nach Ablauf seines Urlaubs in da- Bureau zurück und verschloß seine unrecht erworbenen Tausende bis zu einer passenderen Gelegenheit. Inzwischen sah er zu seiner Be friedigung, daß man allgemein glaubte, Herr Dwerrihouse habe da» Geld unterschlagen. Gleichviel ob AugustuS RaikeS den Mord beabsichtigt hatte oder nicht ... cs ereilte ihn die volle Strafe f r sein Verbrechen: « wurde Mitte Januar 1857 in der Old Bailey gehängt. Wenn d« Leser vielleicht einst nach London kommt, kann er den Mörder Raikes in der Bakerstreet in Madame Tuffaud'S Ausstellung in der Schreckens kammer wunderschön in Wach» nachgebildet sehen. Dort befindet er sich inmitten einer ausgewähltcn Gesellschaft von Damen und Herren von grauenvollem Ruf, bekleidet mit demselben eng anschließenden Tuchrock, den er am Abend des Morde» trug, denselben Todtschläg» in der einen Hand, mit welchem er die That beging.
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