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rationellen Handelspolitik zurückgekshrt sind, nicht wieder vollständig ausgleichen — wir sind heute in der Lage eines Reconvalescenten, der endlich den Pfuscher von Arzt, der ihn zu Tobte curiren wollte, zur Thür hinausgeworfen hat. Der Gesundungs- proceß muß aber natürlicher Weise um so längere Zeit in Anspruch nehmen, je länger die vorhergehende Mißwirthschaft gedauert hat." Zum Schluffe hatte die „Berliner Zeitung" erklärt: „Die Behörden müßten, anstatt der Auswanderung Hindernisse in den Weg zu legen, den Strom nach einem bestimmten Ziele leiten, wo der Deutsche deutsch bleibt, durch Arbeit samkeit sich ein sorgenfreies Leben erringt und durch Handel im intimsten Verkehr mit dem Mutterlands verbleibt." Darauf entgegnete die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung": „Also wirklich! Die Auswan derung soll nach einer bestimmten Gegend geleitet werden, wo die Auswanderer deutsch und in engem Verkehr mit dem Mutterlands bleiben können? Und Samoa? Wer hat denn den obigen Vorschlag zu verwirklichen gesucht, und wer Hal ihn zu vereiteln verstanden? Die Fortschrittspartei und Herr Bam berger, der seitdem auch äußerlich unter dem Namen „Secessionist" zur Familie Richter übergegangen ist, sind ja gerade die erbittertsten Gegner dieser „Lei tung des Auswanderungsstromes nach einer bestimm ten Gegend" gewesen — aber das hält das Organ des Herrn Richter nicht ab, auch hierüber der Re gierung einen Vorwurf zu machen!" Allgemeine Sensation erregt ein von der „Nordd. Allg. Ztg." an der Spitze des Blattes veröffent lichte, in Hamburg zur Post gegebener und an den Reichskanzler Fürsten Bismarck gerich teter Drohbrief. Die „Nordd. Allg. Ztg." er klärt, daß derartige Drohbriefe dem Reichskanzler in letzter Zeit wiederholt zugegangen sind und stellt dieselben als Früchte der schimpflichen Hetzereien der Fortschrittspreffe gegen den Reichs kanzler hin. Der erwähnte Drohbrief lautet: „Seiner Durchlaucht dem Reichskanzler Fürsten Otto v. Bismarck! O großer eiserner resp. einfäl tiger Reichskanzler, was hört und liest man bloß von Dir. Nichts als Lächerliches. Glaubst Du etwa, daß Du Deiner gefällten Strafe entgehen kannst? Nein! Nein! Was wir Dir einst zuge- schworen wird für Dich sicher in Erfüllung gehen und wenn Du den Polizeiring um das zehnfache vermehrst der Dich etwa schützen soll vor dem Be- strafer Deiner verübten Tyrannei. Wie es bei Dir in Kissingen aussieht wissen wir ganz gut. Trau rig genug daß Du es so weit gebracht hast mit Deiner elenden Tyrannenpolitik, daß Du jetzt nicht einmal Deines Lebens sicher bist. Weisenur immer fleißig Mitmenschen aus Deutschland. Desto eher kannst Du Dich mil dem Todtengräber bekannt machen. So wie damals die Würfeln für uns fielen, so sind sie auch schon für Dich gefallen, d. h. vorläufig die kleinen, bis Dich der große Würfel für immer und ewig trifft. Deinen Sohn Wilhelm mit seinen bisherigen maskirten und lächerlichen Redensarten werden wir auch bald zuichwören wenn er nicht auf hört mit wühlen. Die Bismarcksbrut muß ausge- rotlet werden. O. L. 0." Diesem Briefe, welcher am 25. Juli in Hamburg auf die Post gegeben war, Feuilleton. Das Geheimniß des Nihilisten. Novelle von Andre Kugo. (Fortsetzung.) Die aus dem Wagen gekommene Dame knickte in der Vorhalle zusammen. Beim Verlassen des Wagens hatte sie gefühlt, wie ihr ein feuchtes, wider lich süß riechendes Taschentuch über das Gesicht ge drückt worden war. Sie hatte schreien wollen, aber der Ton war ihr in der Kehle erstickt und die Sinne waren ihr geschwunden. Noch einmal hatte sie sich gewaltsam aufraffen wollen, um sich zu befreien, dann war sie ohne Bewußtsein zusammengesunken. TasbetäubendeChloroform hatteseineWirkung gethan. Auf dem schwellenden Sopha eines Parterre zimmers des großen Gebäudes legten die Träger des Weibes die anscheinend Leblose nieder. Zwei Frauen traten ein. Mit dem weiblichen Geschlecht angeborenen In stinkt wissen dieselben ihrer Ordre gemäß zu suchen und nur wenige Griffe genügen, um das verborgene und von unsichtbaren Augen begehrte Papier der Betäubten zu entnehmen. ' Sie verschwinden im Nebenzimmer. Das sachkundige Ohr eines Photographen würde an dem Geräusch und den Klappen der Kassetten im Nebenzimmer sofort gehört haben, daß es sich um einen photographischen Prozeß hande'e. Aber die Nacht! Wo ist das Sonnenlicht? Ueberflüssige Frage! Ist das Drumom'sche Kalklicht oder das elektrische Licht nicht schon längst der gefährlichste lagen Ausschnitte aus fortschrittlichen Blättern mit einer Carricatur aus der „Hamburger Reform" bei, auf deren Lectüre die Entstehung dieses Drohbriefes also zurückzuführen ist. Die „Nordd. Allg. Ztg." bemerkt, hieran anknüpfend, noch folgendes: Eine socialoemokratische Presse existirt seit drei Jahren nicht mehr; sie kann deshalb für solche Ausbrüche nicht verantwortlich gemacht werden; die Stelle der selben haben aber, was Verleumdungen und Be schimpfungen des Reichskanzlers betrifft, die Organe des Fortschrittes, vor allem in Berlin und Hamburg, vollauf eingenommen und wer nur diese liest, ohne ein eigenes Urtheil zu haben, muß wohl glauben, das wir von einer Gesellschaft von Schuften und Dummköpfen regiert werden! Durch die Zeitungen macht die Nachricht die Runde, daß Herr Dr. Windthorst in Folge einer Aufforderung des Herzogs von Braunschweig in das braunschweigische Staatsministerium eintreten werde. Die „Germania" tritt dieser Nachricht allerdings entgegen, aber in einer Weise, die durchblicken läßt, daß doch etwas Wahres an derselben ist. Die Nachricht, daß Contre-Admiral Mac Lean um seinen Abschied eingekommen sei wegen einer Etikettenfrage, wird jetzt vielfach widersprochen. Nach anderen Mittheilungcn ist die Friction zwischen Admiral Mac Lean und Minister v. Stosch älteren Datums. Das Abschiedsgesuch knüpft also keines wegs an eine außerhalb des Dienstverhältnisses stehende Elikettengeschichte an, was auch begreiflicher und der Würde der Belheiligten entsprechender ist. In Berlin gilt als feststehend, daß Italien, wenn es dis Umstände erheischen sollten, und wenn es gälte, für die Erhaltung des europäischen Friedens einzutreten, sich sofort zum Eingehen eines Bünd nisses mit den beiden mitteleuropäischen Katser- mächten Deutschland und Oesterreich bereit erklären würde. Die Wege sind geebnet und sondirende italienische Eröffnungen sind in Berlin und Wien keineswegs auf einen unfruchtbaren Boden gefallen, oder gar von der Hand gewiesen worden. Italien hat in seiner Haltung der österreich-ungarischen Orient polilik gegenüber die Prüfung zu bestehen und dem Ausfall dieser Prüfung wendet man in Berlin eine ernste Aufmerksamkeit zu. Im Hinblick auf die permanenten Rinderpest ausbrüche in Rußland und Oesterreich-Ungarn ist die Ein- und Durchfuhr von lebendem Rindvieh, Schafen, Ziegen rc., über die schlesische Grenze ver boten worden. Ueber das Wahlprogramm der badischen Nationalliberalen spricht sich die gleichfalls na tionalliberale Kölnische Zeitung sehr anerkennend aus. Es werde schwer werden, „angesichts dieses klaren und unumwundenen Programms die Behaup tung ferner aufrecht zu erhalten, die Nationallibera len strebten nach Parlamentsallmacht und hätten kein Verständniß für die positiven Aufgaben der Gesetzgebung; seien doctrinäre Freihändler und egoi stische Manchestermänner, ohne Verständniß und guten Willen für das, was dem Volke und dem armen Manne noththut. Das Programm der Ba denser hat so durchaus unsern Beifall, daß wir es, etwas knapper und gedrängter gefaßt, als allgemei Concurrent desselben? Ein kaum durch die Zeitan gabe zu markirender Augenblick gehörte dazu, um die auf eine Fläche aufgehefteten Papierstücke durch die Lichtmalerei des photographischen Apparates mit seinen empfindlichen, trockenen Platten copirt zu haben. Lächelnd verbeugte sich der eine der anwesenden Männer vor der Frau, die ihm die Papiere über geben. „Bringen Sie dieselben wieder an ihren Ort." Die Aufgeforderte begab sich mit ihrer Begleiterin sofort zurück nach dem Zimmer und beide hatten die Papiere der Daliegenden wieder in den Busen zurückgeschoben. Ein kleiner, untersetzter Mann mit vollem schwarzen Barte trat ein und beugte sich über die anscheinend Schlafende, in deren Gesichtszügen sich ein Gemisch von Freude und Glückseligkeit abspiegelte, wie diese Erscheinung bei allen Narkotisirten aufzutreten pflegt. „Wie finden Sie Ihre Patientin, Herr Doktor?" fragte die Stimme eines eingelretenen zweiten Herrn. „Normal," entgegnete der Gefragte, indem er die Hand der Daliegenden ergriff und die Pulsschläge mit dem Rücken des Sekundenzeigers an dem gol denen Chronometer verglich. In diesem Augenblicke hoben sich die Augenlider der noch immer Bewußtlosen, die starren Augäpfel erhielten Leben und wandten sich erstaunt bald rechts und links. „Sofort wird das Gehör und dann auch das Gesicht wiederkehren!" sagte der kleine Arzt, dann nes Partei- und Wahlprogramm der Nationaflibera- len angenommen sehen möchten. Die Einmülhigkeit aber, mit welcher es gefaßt wurde und die gute Wirkung, die es allenthalben hsrvorgerufen, mögen von guter Vorbedeutung für den freilich nicht mühe losen bevorstehenden Wahlkampf sein." In Hammerstein, Westpreußen, wohin sich meh rere jüdische Familien aus Neustettin geflüchtet, ist ein Judenkrawall ausgebrochen. Den Juden wurden die Fenster eingeworfen, ja sogar Fenster kreuze zertrümmert. In Oberschlesien verspricht die Ernte eine gesegnete zu werden. Alles steht schön, vorzüglich das, was am nothwendigsten gebraucht wird, Rog gen, Kartoffeln und Kraut. Zu diesem äußerst günstigen Umstande tritt ein anderer von nicht ge ringer Bedeutung hinzu, der, daß die Berg- und Hüttenwerke jetzt und anscheinend auf längere Zeit stark beschäftigt sind. Demgemäß kann der Arbeiter und der Landmann sorgloser in die Zukunft blicken, als vor Jahresfrist. Oesterreich. Der Kaiser von Oesterreich trifft am 4. August vorm. 11'/- Uhr in Gastein ein und reist bereits am 5. August vorm. wieder ab, um einen Ausflug über München und Tegernsee nach Vorarl berg zu unternehmen. Frankreich. Die Deputirtenkammer erledigte am 29. mehrere Vorlagen, dann verlas Gambetta das Decrel über den Sessionsschluß und bankte der Kammer für ihren Eifer. Das Land werde urtheilen über das Werk der Kammer, Jeder werde sich beugen vor diesem Urtheile; erhoffe, die künftige Kammerpolitik werde der Wohlfahrt des Landes gewidmet sein. Das „Journal officiel" veröffentlicht die Aus schreibung der Wahlen auf den 21. August. England. Den „Daily News" zufolge wird auf Cypern eine Petition vorbereitet, worin über die schlechte Verwaltung geklagt und die Einverleibung in Grie chenland oder die Absendung einer Untersuchungs commission gebeten wird. Die eingeleitete Untersuchung betreffs des Ab senders der Höllenmaschinen soll nach New- Aorker Depeschen thatsächlich ergeben haben, daß O'Donovan Rossa, der Fenier, die Verschiffung der Fässer veranlaßt hat. Bisher nahm man an, daß die Drohungen Rossa's nichts weiter zu bedeuten Hütten, man machte sich über seine ungeheuerlichen Phrasen lustig, und in Amerika gefiel man sich darin, die Engländer wegen ihrer Furcht vor Rossa's infernalen Plänen zu verhöhnen. Rossa hat vor wenigen Wochen öffentlich erklärt, daß die Explosion des britischen Kriegsschiffes „Doterel,, in der Ma- gellhanstraße ein Werk seiner Bundesgenossen sei und daß demnächst den anderen Schiffen der eng lischen Flotte ein gleiches Schicksal bevorstehe. Die aufgefnndenen Höllenmaschinen sollten an Bord der Kriegsschiffe geschmuggelt und in dem Kohlenraum versteckt werden, um von dort aus Tod und Ver derben zu verbreiten, auch öffentliche Gebäude wa ren mit dem Untergange bedroht, und daß es sich dabei nicht um bloße Radomontaden handelt, haben trat er zu einer Wafferkaraffe und warf der Dame einige Tropfen kaltes Wasser in das Gesicht. Ein heiseres Lachen und verschiedene unzusam menhängende Rede gingen der gestellten Frage: „Wo bin ich?" voraus. Mit dem Erscheinen des Bewußtseins kehrte auch schnell genug das Erinner ungsvermögen zurück. „O Gott!" rief sie erschrocken nach der Brust fühlend und hier hastig mit den Fingern nach dem verborgenen Papier suchend. „Wo bin ich? Was will man hier von mir? Ich will Aufklärung! Man hat mich überfallen, um mich zu berauben. Ich werde den Schutz Frankreichs anrufen, wenn man eine Frau auf die erbärmlichste Weise mißhandelt." „Sie täuschen sich, Madame, oder reden irre," sagte der kleine Arzt. „Das Haus hier ist ein Privathaus, in das man Sie getragen, als man Sie auf der Straße fand und es ist nicht schön, wenn man den Hausherrn für sein Liebeswerk noch Vorwürfe macht." „Mein Name ist Doctor Berthier, im ganzen Arrondissement bekannt," fuhr derselbe fort. „Man hat mich holen lassen, um einer angeblich Verun glückten beizuspringen. Meine Pflicht habe ich ge- ihan, glaube aber nicht der richtige Zielpunkt zu sein, dem Sie Ihre Grobheiten zuwerfen können. Sie vergessen jedenfalls, daß Sie sich auf dem Boden Frankreichs, befinden und träumen sich in die Steppen der Ukraine zurück, in denen man so wohl mit Leibeigenen, nicht aber mit Gebildeten umspringen kann. Ich habe die Ehre!" (Fonsetzung folgt.)