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Kaiser konnte sich wieder in höherem Maaße mit den Regierungsgeschäflen befassen. Der Appetit stellte sich gleichfalls ein, und der Schlaf war ein ruhiger, so daß Se. Majestät am 26. d. gestärkt das Bett verlieb, was man von den vorhergehenden Tagen nicht sagen konnte. Auf Anrathen der Aerzte muß Se. Majestät jedoch noch einige Tage das Zimmer hüten. Der „Reichs-Anzeiger" veröffentlicht einen Erlaß des Reichskanzlers vom 23. November an die Handelskammer zu Gründer,g. Derselbe consta- tirt, daß der Jahresbericht der Handelskammer für 1880 thatsächliche Angaben enthält, welche im Ver gleich zu früheren Jahresberichten die Annahme einer inzwischen eingetretenen günstigeren Gestaltung in den dortigen gewerblichen Verhältnissen rechtfer tigten, so vermehrte sich darnach der Eisenbahn güterverkehr, der Briefverkehr, der Telegrammver kehr, der Bankoerkehr, besserten sich die Lohnverhält nisse und erhöhten sich die Spareinlagen wesentlich. Dem gegenüber müßte es dem Reichskanzler in hohem Grade befremden, daß die Handelskammer in der Einleitung des Jahresberichts von 1880 über die völlige, aussichtslose Geschäftsstockung klage und dafür jeden Beweis schuldig bleibe. Der Erlaß erinnert schließlich daran, daß es die gesetzliche Be stimmung der Handelskammer sei, die Gesammtin- teressen der Handels- und Gewerbetreibenden wahr zunehmen und die Behörden in der Förderung des Han dels und der Gewerbe durch thatsächliche Mittheilungen zu unterstützen. Dieser Bestimmung entspreche die Handelskammer nicht, wenn sie in ihrem Jahresbe richt über die Lage der Industrie und die Wirkungen der Zollreform ein solches Unheil abgebe und Klagen erhebe, welche in den thatsächlichen Anführungen des eigenen Berichts theils keine Unterlage, theils sogar eine direcle Widerlegung finden. Durch ein solches Verfahren schädige die Handelskammer den Credit des Handels und der Industrie des Bezirks. Der Reichskanzler fordert die Handelskammer auf, die ihr durch das Gesetz auferlegte Pflicht der Bericht erstattung und Vertretung der Interessen des Bezirks mit größerer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Die Zahl der beim Reichstag bis jetzt eingegan genen Petitionen beläuft sich auf etwa 70. Unter ihnen befinden sich wiederum viele sogenannte „alte Kunden", Personen, welche regelmäßig in jeder Session mit einem und demselben Gesuch wieder kommen, obgleich sie mit derselben Bitte in den früheren Sessionen bereits ein oder mehrere Male abgewiesen sind. An verschiedenen Einnahmen des Reichs sind für die Zeit von Beginn des Etatjahres bis zum Schluß des Monats October 1881 (verglichen mit der Einnahme in demselben Zeiträume des Vorjah res) vereinnahmt worden: Post- und Telegraphen verwaltung 82,205,873 Mk. (mehr 5,230,132 Mk.), Reichs-Eisenbahnverwaltung 24.762,200 Mk. (mehr 434,047 Mk.) In dem Etat der Marine-Verwaltung pro 1882/83 werden 228 Revolver-Kanonen nebst Munition und Zubehör als neue Anschaffungen in Ansatz ge bracht. Diese Revolver-Kanonen sind dazu bestimmt, den Fahrzeugen der Kriegsmarine die feindlichen Torpedo-Boote fern zu hallen. Es sind erforderlich für 26 Schiffe je 6 Schiffsgeschtttze und ein Boots- geschütz, für 10 Fahrzeuge je fünf, für drei Fahr zeuge je vier, für 15 Panzer-Kanonenboote je zwei und für das Artillerieschiff „Mari" nebst Tender acht Geschütze, im ganzen also 278 Stück. Davon sind 50 Stück schon früher beschafft worden. Für die fehlenden 228 Geschütze sind (einschließlich der Kosten für Einrichtung und Aufstellung) je 10000 Mark erforderlich. Wir erwähnten kürzlich, daß verhältnißmäßig nur wenig Wahlproteste.bisher eingegangen seien. In den letzten Tagen hat sich dies Verhältniß geändert und sind sehr zahlreiche Proteste eingegangen, von denen allervings eine größere Zahl erhebliche Be schwerden gegen die vollzogenen Wahlen vorbringen. Die protestirenden Wähler gehören den beiden Par teien an, und so richten sich die vorliegenden Proteste sowohl gegen conservative als auch gegen liberale Abgeordnete. Auch gegen die Wahlen im ersten, zweiten und sechsten Berliner Wahlkreise (Abgg. Löwe, Virchow und Klotz) sind Proteste Seitens des Conservativen Central-Wahlcomite's erhoben worden. Die Thätigkeit der Wahlprüfungs-Commission, wel cher alle diese Proteste zugewiesen werden, wird in diesem Jahre eine sehr anstrengende sein. Nach der „Elsaß-Lothringischen Ztg." ist auch für Elsaß-Lothringen die Verbreitung der kaiser lichen Botschaft durch öffentlichen Aushang für alle Gemeinden des Landes angeordnet worden. Der Direktion der in Berlin nenbegründeten „deut sches Landesbank" ist von dem Reichskanzler Fürst Bismarck ein Schreiben zugegangen, in wel chem derselbe sein großes Interesse für dies neue Institut und seine ausgesprochenen Ziele ausdrückt und demselben das beste Gedeihen wünscht. Der Reichskanzler wird der Entwickelung de- neuen Un ternehmens mit großer Aufmerksamkeit folgen. Die Anwesenheit des würtembergischen Ministers von Mittnacht in Berlin wird mit der Vorlage über das Tabaksmonopol in Verbindung gebracht. Es gewinnt den Anschein, als wenn jetzt der Ent wurf über das Tabaksmonopol seiner Vollendung entgegengeführt werden sollte. Eine in Berlin stattgefundene Versammlung deutscher Flachsgarnspinner beschloß, beim Bundesrath um Erhöhung der Zölle für Garne rc. zu petiren. Auch eine Anzahl anderer Anträge auf Erhöhung der Zölle auf Halbfabrikate sollen bereits vorliegen. Die Budgetcommission strich beim Etat der Heeres verwaltung von dem für Ergänzung und Abgang von Handelsfeuerwaffen eingestellten Posten von 1,490,600 auf Antrag Maltzahn's 490,600 M. Frankreich. Die„Republique Fran^aise" bringt täglich Reform artikel im Geiste des neuen Unterrichtsministers, Paul Bert. Heule verlangte sie die Gewissens freiheit für die Schüler des mittleren Unterrichts; sie schreibt: „Im Lyceum sind die sämmtlichen alten Verordnungen des katholischen Unterrichts immer noch im Gange. In diesen Anstalten ist der Religionslehrer einer der eingesetzten Lehrer, hat seine Beurtheilung, seine Rolle, seine Rechte, seine bestimmten Stunden. Er kommt in den Lehr saal, setzt sich nieder an den Katheder der Professoren, richtet Fragen an die Zöglinge. Der Familienvater hat keine Wahl in Bezug auf diesen Unterricht. Freilich kann er fordern, daß seine Kinder nicht ausgefragt werden; vielleicht wird man ihm gestatten, daß seine Kinder die Klasse verlassen, während man den Religionsunterricht ertheilt. Das würde aber zu großem Unfug führen. Es giebt ein einfacheres Mittel. Die Trennung kann im Lyceum selbst vorgenommen werden. Man überlasse es dem Caplan, in der Capelle den Kindern, deren Eltern es verlangen, den Religionsunterricht zu ertheilen; man verbiete ihm aber, in den Lehrsaal zu treten und sich aufs Katheder der Professoren zu setzen." Ruhland. In Petersburg erschien am 25. d. Nachmittag während der Sitzung im Departement der Reichs polizei ein junger Mann und wünschte den General Tscherewin zu sprechen. Die Kugel durchlöcherte die Kleider des Generals. Die Verwundung soll unbe deutend sein. Der Thäter ist verhaftet. Tscherewin faßte den Attentäter selbst ab. Letzterer verweigert bis jetzt jede Angabe über seine Person. Tscherewin gehört zu den Vertrauensmännern des Czaren und ist Präsident der Commission behufs Durchsicht der Akten der Verschickten, welche eben tagte. Aus dem Muldenthale. * Waldenburg, 28. November. Am gestrigen Abende gab der hiesige „Gesangverein" unter Leitung der Herren Lehrer Schubert und Cantor Mehr seine jährliche Aufführung zum Besten hiesiger Ortsarmer. Das Programm enthielt gut ausgewählte Solo- und Chorgesänge, von denen wir besonders folgende als sehr wohlgefällig aufge nommene bezeichnen können. „Kriegers Heimaths- gruß" und „das Bild der Rose", vorgetragen von Herrn Franz Friedrich, fanden bei dessen klangvoller, geschmeidiger Stimme den wohlverdienten allseitigen Beifall, besonders das letztere; ebenso bewährte Herr Oskar Schütze in dem „Arioso" aus Paulus wieder seine bekannte, durch eine ausgebildete Baßstimme so sehr unterstützte Vortragsweise. Hübsch wirkte auch das Duett „Musikalische Nutzanwendungen", vorgetragen von den Herren Adolf Zieger und Franz Friedrich. Großen Applaus fand „Abschied von den Alpen" (gemischter Chor) und „Auf der Wacht", ein Quartett, welches sich durch das Baß- Solo aus der Ferne höchst wirkungsvoll gestaltete. Endlich bildete der komiiche Chor „Der Hahnemann" einen hübschen Uebergang zu dem in Aussicht ge stellten Tänzchen. — Der Besuch war ein überaus erfreulicher und gab wiederum Zeugniß von dem Wohlthätigkeitssinn aller Stände unsrer Einwohner schaft. Alle Zuhörer zeigten sich von den vorge führten Gesänge recht befriedigt und nahmen auch großen Antheil an dem folgenden Tanzvergnügen. Erzielt wurden durch Entrees eme nette Summe, von welcher wieder einer größeren Zahl älterer Ortsarmer eine Weihnachtsfreude bereitet wer den kann. — Von einem Bürger Glauchaus sind dem dortigen Verein für freiwillige Armenpflege, gleich wie in früheren Jahren wiederum 2000 Mk. zu Unterstützungen übermittelt worden. Ebenso hat dieser Wohlthäter auch der Krankenkasse des dortigen Deutschen Kriegervereins aus Anlaß des 10jährigen Stiftungsfestes genannten Vereins ein Geschenk von 500 Wk. gemacht. — Wie erst jetzt ermittelt worden, hat bei der am 14. d. M. in Zwickau stattgefundenen Reichs tags-Stichwahl insoforn eine Wahlfälschung stattge sunden, als ein noch gar nicht wahlberechtigter Ar beiter sich bei Abgabe des Stimmzettels für seinen kurz zuvor abgereisten Nebenarbeiter ausgegeben und somit auf dessen Namen gewählt hat. Diese ab sichtliche Täuschung wird dem Betreffenden nun wohl mindestens einige Tage „Kasten" eintragen. — Bei der Stadtverordneren-ErgänzungSwahl in Zwickau haben von 2392 Stimmberechtigten 1184 von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Für die zu wählenden 10 Stadtverordneten waren nicht weniger als 43 Bürger öffentlich in Vorschlag ge bracht worden. Ans dem Tachsenlande. — Einem soeben vom k. Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts veröffentlichten „Bericht über den Stand der dem Ministerium rc. unter stellten Unterrichts- und Erziehungsanstalten im König reich Sachsen, Erhebung vom 1. December 1880", entnehmen wir folgende Nachrichten: Im November vorigen Jahres bestanden in Sachsen 1 Universität mit 3444 Studirenden und 172 Lehrenden (incl. 54 Privatdocenten); 1 Polytechnikum mit 473 Stu- direnden und 52 Lehrenden; 15 Gymnasien mit 4763 Schülern und 340 Lehrern, 12 Realschulen I. Ordnung mit 3183 Schülern und 244 Lehrern, 20 Realschulen II. Ordnung mit 1653 Schülern und 214 Lehrern, 18 Seminare mit 2575 Schü lern und 273 Lehrern. Ferner gab es 2146 öffentliche Volksschulen mit 471,815 Schülern und 1878 Fortbildungsschulen mit 67,776 Schülern, dazu I Schule zu Budenbach mit 84 Schülern; an allen diesen Volks- und Fortbildungsschulen wirken 7404 Lehrende. — Der Gesammtaufwand für die Universität betrug 1,107,396 Mk. (ausschließlich Baukosten in der Höhe von 1,398,828 Mk.), für das Polytechnikum 269,130 Mk., für Gymnasien 1,628,475 Mk., für Realschulen I. Ordn. 772,915 Mk., für Realschulen II. Ordn. 694,756 Mk., für Seminare 1,044,010 Mk., für die Volks- und Fortbil dungsschulen 14,094,129 Mk. Staalszuschuß war da bei gewährt für die Universität 698,101 M., Poly technikum 244,051 M., Gymnasien 444,579 M., Realschulen I. Ordnung 174,109 M., Realschulen II. Ordnung 211,000 M-, Seminare 920,412 M. und Volks- und Fortbildungsschulen 1,899,502 M. Berechnet man aus Grund dieser Zusammenstellun gen den durchschnittlichen Gesammtaufwand und Staatszuschuß für einen einzelnen Studirenden oder Schüler, so ergiebt sich: auf einen Studenten der Universität durchschnittlich kommen: 321 M. Ge sammtaufwand, 203 M. Staatszuschuß; auf einen Polytechniker 569 M., bezw. 516 M.; auf einen Gymnasiasten 342 M., bezw. 93 M.; aus einen Realschüler I. Ordnung 243 M., bezw. 55 M.; auf einen Realschüler II. Ordnung 264 M., bezw. 80 M.; auf einen Seminaristen 405 M., bezw. 357 M.; auf einen Volksschüler 26 M., bezw. 2*/r M. Das Meiste haben also die Polytechniker und die Seminaristen dem Staate zu verdanken. — Gegen die Wahl des Rittergutsbesitzers Reich auf Biehlau haben die in Bautzen unterlegenen Freihändler und Fortschrittler, gegen die Wahl des Fabrikanten Leuschner in Glauchau die in der Minder heit gebliebenen Sociatdemokraten beim Reichstage Protest eingelegt. Gestern, als am 10. Tage nach der Reichstagseröffnunq, lief der Termin für die Einrichtung von Wahlprolesten ab; Wahlproteste, die jetzt noch kommen, bleiben unberücksichtigt. — Ein öffentlicher Lehrer, welcher in wissentlicher Ueberschreitung der bestehenden Landesschulordnung einen Schüler züchtigt und dabei vorsätzlich körperlich mißhandelt, ist nach einem Urtheil des Reichsgerichts, I. Strafsenats, vom 29. September d. I., abge sehen von der ihm treffenden Disciplinarstrafe wegen Körperverletzung im Amte aus H 340 Str.-G.-B. zu bestrafen, auch wenn die dem Schüler zugefügte Mißhandlung keine gesundheitsgefährlichen Folgen gehabt hat. — Die Vergehen gegen die Sittlichkeit nehmen in Sachsen in rapider, schreckenerregender Weise zu. Die Statistik des kgl. sächs. statistischen Bureaus constatirt eine Zunahme dieser Verbrechen um 414 Proc. in den Jahren 1871—78. Seitdem ist es eher noch schlimmer geworden. Und unter den Opfern derjenigen thierisch Vorkommenen, welche Verbrechen begangen, finden sich in 163 von 771 Fällen im Jahre 1878 163 Mädchen unter 14 Jahren! Im Jahre 1871 kamen nur erst 16 Fälle dieser Art zur Abur'.heilung vor sächsischen Ge-