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Schönburger TauMaii und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn« und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer brs Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich I Mk. SO Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. 257. Sonntag, den 6. November 1881. "Waldenburg, 5. November 1881. Der Rückgang der Socialdemokratie. Der Ausfall der letzten Reichölagswahlen hat be sonders in unserem Sachsen einen bedeutenden Rückgang der socialdemokratischen Stimmen zu Tage treten lassen. Wenn eine Thatsache dazu angethan ist, den Ersaß des Socialistengesetzes als durch die politische Nothwendigkeit gerechtfertigt vor Augen zu führen, so ist es diese. Sie belegt unbestreitbar, daß nicht allein die freie Ueberzeugung, sondern vielmehr die nachgerade zum Terrorismus über die Arbeiterkreise gewordene socia- listische Agitation die Arbeiter zur Wahlurne trieb und daß schon die Ausrichtung dieser Gesetzesschran- ken, welche die eigene Ueberzeugung unberührt läßt, genügte, um das abzuscheiten, was durch moralische Vergewaltigung errungen worden. Die Folgen haben das Gesetz und in ihm das Vorgehen des Reichskanzlers zahlenmäßig gerechlfertig. Es würde aber ein Fehler sein, dabei stehen zu bleiben und Alles von der weitern Wirksamkeit dieses Gesetzes erwarten zu wollen. Auch die der Socialdemokralie noch zugewandten Arbeiterkreise müssen wiederum mehr und mehr der übrigen Gesellschaft dadurch zurückgewonnen werden, daß man ihnen die Ueberzeugung beibringt, daß nicht blos die berufsmäßigen socialdemokratischen Agitatoren ein Herz für sie und Verständniß für ihre berechtigten Wünsche haben, selbstverständlich mit der Einschränkung, daß diese Kreise nicht Alles und Jedes vom Staate und der Allgemeinheit zu erwarten haben, sondern daß sie auch ihrerseits that- krästig mit Hand anlegen müssen, um ihre Lage in entsprechender Weise zu verbessern. Zu dem Ende wird kein gebildeter Mann, dem feines Volkes Wohlfahrt am Herzen liegt, sich entbrechen können, die vom Reichskanzler in dieser Richtung ergriffene Initiative freudig willkommen zu heißen; er wird demgemäß die von dieser Stelle ausgehenden Vorschläge in wohlwollende Erwägung ziehen und, chne sich dabei des eignen Urtheils und der eigenen Prüfung zu begeben, sich bestreben müssen, das Verständniß für diese Pläne, soweit er sie für gut und nützlich erkannt Hal, in immer weitere Kreise zu tragen. Er wird aber auch noch einen Schritt weiter gehen und daraus bedacht sein müssen, in seinem engeren Wirkungkreise Einrichtungen anzuregen und zu fördern, welche dem großen Ziele dienlich sind. Andererseits ist übrigens nicht anzunehmen, daß alle Diejenigen, welche früher und auch jetzt noch socialdemokratisch gewählt haben, auch wirklich So cialdemokraten sind. Nach der von Bebel im Reichs tage abgegebenen Erklärung bekennt sich die Social demokralie in politischer Beziehung zur Republik, in wirthschastlicher zum Socialismns, in religiöser zum Atheismus. Unter Tausenden von Wählern aber, die socialdcmokralisch gewählt haben, sind sicher kaum hundert, die von Republik, Socialismus und Atheis mus eine Vorstellung haben. Zum großen Theil sind unsere Socialdemokraten harmlose Leute, die nur mit ihrer Lage unzufrieden sind und, ohne viel zu denken, allem anhängen, was sie eine Besserung derselben erhoffen läßt. Wie unklar die Begriffe unter den socialdemokratischen Wählern mitunter sind, erhellt sattsam aus der oft gehörten Redensart: „Der ist für die Großen und der ist für uns." "Waldenburg, 5. November 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Se. Maj. der Kaiser hat am I. d. den Präses der brandenburgischen Provinzialsynode, Landesdi rector von Levtzow, in Audienz empfangen. Der Synodalpräses richtete dabei nachstehende Ansprache an den Kaiser: „Die überall treu sorgende, mit sorgende Vaterhand unseres theuren Kaisers und Königs waltet mit besonderer Liebe über unserer evangelischen Landeskirche, deren erhabener Schirm herr es laut verkündet Hal, daß vor Allem unserem Volke der christliche Glaube erhalten bleiben müsse. Dieser allerhöchsten Willensmeinung ist die Synode freudig dienstbar, wenn sie ihrem vor Gott abge legten Gelöbniß gemäß darnach trachtet, daß die Kirche in allen Stücken wachse an dem, der das Haupt ist, Christus, wenn sie Ew. Maj. landes väterlichem Schutze unsere Kirche ferner befiehlt und wenn sie Gott inbrünstig bittet, daß er in seiner Gnade den geliebten Kaiser und König schütze und erhalte." Der Kaiser dankte der Synode und be merkte, daß er das eben Gehörte überall unterschreibe — natürlich, wie er hinzufügte, „mit Ausnahme dessen, womit freundlicher Weise meiner Person gedacht werde," — daß die Synode in ihrer Thälig- keit sich darnach richten und schließlich in Frieden sich trennen möge. Unter den Tischgästen Bismarcks befindet sich auch ein jüdischer Industrieller. Derselbe brachte dieser Tage die Judenfrage aufs Tapet, wobei sich Fürst Bismarck nach der „Nat.-Ztg." etwa wie folgt über dieselbe äußerte. Ich mißbillige ganz entschieden diesen Kampf gegen die Juden, sei es, daß er auf confessioneller oder gar auf der Grund lage der Abstammung sich bewege. Mit gleichem Rechte könnte man eines Tages über Deutsche von polnischer oder französischer Abstammung herfallen wollen und sagen, es seien keine Deutschen. Daß die Juden sich mit Vorliebe mit Handelsgeschäften befassen, nun das ist Geschmackssache; durch ihre frühere Ausschließung von anderen Berufsarten mag das wohl begründet sein. Aber sicherlich berechtigt es nicht, über ihre größere Wohlhabenheit jene auf reizenden Aeußerungen zu thun, die ich durchaus verwerflich finde, weil sie den Neid und die Miß gunst der Menge erregen. Ich werde niemals da rauf eingehen, daß den Juden die ihnen verfassungs mäßig zustehenden Rechte in irgend einer Weise verkümmert werden. Die geistige Organisation der Juden im Allgemeinen macht sie zur Kritik geneigt und so findet man sie wohl vorzugsweise in'der Opposition, aber ich mache keinen Unterschied, zwi schen christlichen und jüdischen Gegnern meiner Wirtschaftspolitik, die ich nach meiner Ueberzeugung als ersprießlich für das Land verfechte. Wenn ich zustimmende Adressen und Telegramme beant wortet habe, so erfüllte ich damit nur eine Pflicht der Höflichkeit, wie ich dies schon Richter erwiderte; ich würde mit Vergnügen ebenso höfliche Antworten auf Zustimmungsworte der Fortschrittspartei gegeben haben, ich habe nur keine erhalten. Durch die Wahlen hat sich im Großen und Gan zen das Verhältniß der Conservativen zu den Liberalen wenig verändert. Im vorigen Reichs tag befanden sich circa 105 Nationalliberale bei Eröffnung desselben. In Folge der Kämpfe um die Zollreform traten bereits 16 Mitglieder, die Gruppe der Schutzzöllner Schauß-Völk, aus, und in der letzten Session vollzog sich die Secession des linken Flügels mit 22 Mitgliedern, sodaß also die eigentlichen Nationalliberalen mit 67 Milgliedern übrig blieben. Die Fortschrittspartei hatte 28 Mit glieder, dam noch einige wilde Liberale und Volks partei, zusammen betrug der Gesammt-Liberalismus circa 133 Mitglieder. Dagegen standen die Con servativen, bestehend aus 59 Deutschconservativen und 48 Mitgliedern der deutschen Reichspartei mit 107, dazu noch etwa 6 sogenannte wilde Conserva- tive, meistens Minister, zusammen also 113. Dieses Verhältniß wird im Tanzen nicht verändert. Na tionalliberale, Fortschritt, Secessionisten und Demo kraten sind bisher 94 gewählt. Nehmen wir nun etwa die Hälfte der Stichwahlen, welche die einzel nen Fraclionen noch zu bestehen haben, zu einem Gesammtzuwachs von 45 an, so kommt die Zahl von 139 heraus. Die Liberalen dürften also aller Wahrscheinlichkeit nach etwa ein halbes Dutzend Stimmen gewonnen Haven. Die Conservativen haben bisher 70 Mandate durchgebracht, in Stichwahlen sind sie noch 48 mal betyeiligt, sodaß sie wohl die Zahl 100 erreichen können; dazu kommen dann noch einige Wilds, mithin dürften sie immer bis auf circa 106 Stimmen steigen. Der ganze Rückgang wird daher schwerlich mehr als ein halbes Dutzend Stim men betragen. Also in der Parteigruppirung zwischen conservaliv und liberal ist eine wesentliche Verän derung nicht vor sich gegangen. Weder die eine noch die andere Partei Hal die Majorität und kann bei der Abstimmung ihren Willen durchsetzen; sie sind stets auf das Verhalten des Centrums ange wiesen, welches die Entscheidung in seinen Händen hat. Der Reichstag wird nunmehr nach definitiver Festsetzung am 17. d. einberufen. In Elberfeld erhielt bei der am 4. d. staltge- fundenen Stichwahl der Fortschrittler Schmidt 13,121, der Socialvemokral Oppenheimer 12,172 Stimmen. Oesterreich. Das „Armee-Verordnungsblatt" bringt eine Ver ordnung, welche die Bosniaken zur Vertheidigung der Monarchie heranzieht. Damit ist die Annexion indirect ausgesprochen. Nach der „Politik" empfing König Humbert am Tage seiner Abreise von Wien von Kaiser Wilhelm folgende Depesche: „Ich wünsche Ihnen Glück, dem Kaiser und mir." Frankreich. Der neue französisch-italienische Handels vertrag ist am 3. d. Nachmittag unterzeichnet wor den. Die Unterzeichnung der neuen Handelsverträge mit Portugal und Holland steht unmittelbar bevor. Die vorbereitenden Conferenzen über den englisch französischen Handelsvertrag sind am 3. d. beendet worden. Zahlreiche, im Laufe der Verhandlungen angeregte delicate Fragen wurden durch die engli schen und französischen Commifsäre in vollkommen versöhnlichem Geiste geregelt. Andere Punkte, weiche noch nicht erledigt sind, sollen auf diplomatischem Wege geordnet werden. Der freundschaftliche Ver kehr der beiderseitigen Commissäre untereinander berechtigt zu der Hoffnung, daß ein definitives Ein vernehmen in nicht langer Zeit erzielt werden wird. Brisson übernahm am 4. d. den Vorsitz in der Deputirtenkammer und dankte für seine Wahl: er werde bestrebt sein, seinen Vorgängern nachzueifern. Frankreich zeige, daß es das republikanische Regi ment auf Grundlage der Loyalität sichern wolle. Brisson theilte mit, er habe drei Interpellationen über Tunis erhalten. Ferry erklärte, das Cabinel war stets der Ansicht, daß seine Gewalten beendet seien mit der Kammer, aus der es hervorgegangen sei. Der Entschluß zum Rücktritt wurde lediglich aufgeschoben, um auf die Anklagen zu antworten und der Kammer die Verantwortlichkeit eines voll ständig solidarischen Cabinets anzubieten; er werde alle nolhwendigen Erklärungen abgeben; je früher die Debatte stattfinde, desto besser sei es für das Land und die Republik. Die Kammer setzte die Interpellation für den 5. d. fest. England. In Belmullet in Irland haben wiederum Un-