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um die Ausführung seines Spruches nicht kümmern, er hat nur nach seiner Ueberzeugung das Ja oder Nein auszusprechen und das Uebrige dem höchsten militärischen Gerichtshcrrn, dem Kaiser, zu überlassen. Das Blatt nimmt auch als nicht nur wahrscheinlich, sondern als sicher an, daß das Todesurtheil nicht vollstreckt werden wird, so lange der Beweis der vollen Schuld nicht in ausreichenderem Maße erbracht ist, als bisher. Die „Nat.-Ztg." betont, daß die endgültige Verurtheilung auf Grund der bisherigen Feststellungen auf lange Zeit als eine schwere Verletzung des Rechtsbewußtseins nach wirken würde, und daß dringend zu wünschen sei, daß diese auf die eine oder andre Art verhütet werde. Selbst die in militärischen Angelegenheiten streng konservative „Post" ist von dem Urtheil nicht befriedigt, sie schreibt: Die Entscheidung, soweit sie Marten betrifft, hat ein ungeheures Aussehen erregt. So allgemein auch aner kannt wird, daß das Oberkriegsgericht ganz gewiß nach bestem Wissen und Gewissen den Spruch gefällt hat, ebenso sehr wird doch auch betont, daß schlüssige und jeden Zweifel ausschließende Beweise für die Schuld Martens nicht erbracht sind. Das Urtheil hat eine allgemeine Kritik der ganzen Bevölkerung hervorgerufen; diese Thatsache darf gewissenhafter Weise nicht ver schwiegen werden. Die „Deutsche Tagesztg.", gleichfalls conservativ, schließt ihre Betrachtung mit den Worten: Daß der Mord gesühnt werde, ist allgemeiner Wunsch. Daß die Strafe einen Unschuldigen treffen könnte, wird nach dem Urtheil des Oberkriegsgerichts vielfach be fürchtet werden. Möge es dem höchsten Militärgericht gelingen, das Dunkel zu lichten, das nach unsrer Mei nung noch über dem tieftraurigen Falle liegt. Tie liberalen Blätter sagen im Wesentlichen dasselbe. Sie erkennen gleich den konservativen die strenge Objektivität des Präsidenten des Oberkriegsgerichts an, welcher der Vertheidigung vollste Freiheit ließ, und betonen auch den Umstand, daß die Oeffentlichkeit während der Ver handlung des Oberkriegsgerichts, im auffallenden Gegen sätze zu der der ersten Instanz, nicht ein einziges Mal ausgeschlossen wurde. Nachdem es in den letzten Tagen ganz so geschienen hatte, als würde aus dem Zolltarifentwurf im Reichstage überhaupt nichts werden, gewinnt jetzt wieder die Annahme Oberhand, daß von der in Aussicht stehen den Obstruktion der Linken gegen den Regierungs entwurf nichts zu befürchten sei. Es liegt nämlich heute Grund zu der Annahme vor, daß daS Centrum zur Unterdrückung einer obstructionssüchtigen Mehrheit selbst in eine Geschäftsordnungsänderung einwilligen werde. In diesem Sinne schreibt die „Germania": Das Ccntrum ist für eine Aenderung der Geschäftsord nung des Reichstags zu haben, wenn die Opposition dazu übergehen sollte, durch Stellung ungezählter unter Beantragung namentlicher Abstimmungen die Verab schiedung des Zolltarifentwurfs total unmöglich zu machen. Vorbedingung ist, daß der Entwurf auf Grund der Ver handlungen in der Commission eine solche Gestaltung erhält, daß er eine ansehnliche Mehrheit im Reichstage auf sich vereinigt. Im Uebrigen werde das Centrum der Opposition gegen den Zolltarif den weitesten Spiel raum im Reichstage lassen und der eingehendsten Er örterung des Entwurfs sich nicht widersetzen. Werden diese von der „Germania" vorgetragenen Ansichten von der Gesammtheit des Centrums getheilt, dann sind mit einem Schlage die Besorgnisse zerstreut, die sich im Laufe der Woche in bedenklicher Weise auf einander thürmten. Das Centrum würde sich dann aber als die wirkliche Regierungspartei in allen äußeren und inneren Fragen bewiesen haben. Den Ruhm, daß ohne sie nichts geschehen kann, hat die Centrumspartei schon lange an gestrebt; sichert sie das Zustandekommen des Zolltarifs und der Handelsverträge, so kann sie mit Recht Anspruch auf den Dank der Regierung erheben. Der 17. deutsche landwirthschaftliche Genossen schaftstag ist am Mittwoch Vormittag im alten Rath- haussaale in München durch den Verbandsanwalt Ge- heimrath Haas eröffnet worden. Prinz Ludwig von Bayern übernahm auf Einladung den Ehrenvorsitz mit einer längeren Ansprache, in der er betonte, daß neben allen sonstigen nothwendigen Maßnahmen zur Hebung der Landwirthschaft auch der Landwirth sclbstthätig vor wärts streben und sich dabei mit den anderen zusammen schließen müsse, um seine Produkte richtig auf den Markt bringen und zu einem entsprechenden Preise verkaufen zu können. Hierfür seien die Genossenschaften das beste Mittel. Der Prinz verbreitete sich alsdann über die verschiedenen Arten der landwirthschaftlichcn Genossen schaften, die Einkaufs-, Credit- und Verkaufsgenossen schaften und andere, und hob dabei hervor, wer sich einer Genossenschaft anschließe, gebe zwar einen Theil der eigenen Selbständigkeit auf, der Vortheil, der daraus entspringe, komme jedoch nicht nur ihm selbst, sondern auch der Allgemeinheit zu Gute. Amtlich wird in Preußen bekannt gegeben: Nachdem festgestellt ist, daß innerhalb des Bereiches der preu ßischen Staalsbahnverwaltung viele Beamte seit Jahren beträchtliche Geldgeschenke von Frachtinteressenten, ins besondere von industriellen Werken, verbotswidrig an genommen haben, so haben die kgl. Eisenbahndirectionen die Beamten vor solchen Verfehlungen nachdrücklichst zu warnen. Tas Strafgesetzbuch bedroht auch denjenigen Beamten mit empfindlicher Strafe, welcher für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Hanv- lung Geschenke oder andere Vortheile annimmt, fordert oder sich Versprechen läßt. Frankreich. lieber die Ausdehnung des Zarenbesuches in Frank reich gehen die Mittheilungen noch immer auseinander; das kommt daher, daß amtlicherseits mit Rücksicht auf die persönliche Sicherheit des Kaiserpaares die ge troffenen Dispositionen streng geheim gehalten werden. Auf den Boulevards von Paris werden, wie 1896, Zarenlieder feilgeboten und Gelegenheitsartikel verkauft. Neu ist ein Arrangement der russischen und französischen Fahne mit einem Drahtgeflecht, das einem in die Finger sticht, sobald man versucht, es aufzulösen. Tie Mode bazare haben gewaltig zu thun, um die kostbarsten Toiletten für den Paradetag fertig zu stellen. Türkei. Nachdem der Sultan seine Versprechungen betreffs des Quairückkaufs und der Liquidation der strittigen Schuldforderungen zurückgezogen hatte, erklärte der französische Botschafter Constans, daß er alle diplo matischen Beziehungen zur Pforte abbreche und von diesem Schritt seiner Regierung Mittheilung ge macht habe. Abdul Hamid wird sich darüber nicht sonderlich aufregen; es geht in der Türkei ohne so vieles, was man in andern Ländern nicht entbehren kann, daß es auch eine Weile ohne diplomatische Beziehungen zu Frankreich gehen wird. Der Sultan gefällt sich nun einmal in der Rolle des Opponenten. Ergreift Frank reich entschiedenere Maßnahmen, so giebt Abdul Hamid nach; wir glauben sogar, daß das bald geschehen wird. Jedenfalls dürfte die Halsstarrigkeit Abdul Hamids die Freude der Franzosen über den Zarenbesuch nicht mehr trüben. Asten. In einem Blaubuch über die englisch-russischen Verhandlungen bezüglich der chinesischen Nord bahn und der Zwischenfälle in Tientsin stellt es die englische Regierung so dar, als ob das Petersburger Cabinett stets das größte Entgegenkommen und Wohl wollen bewiesen hätte, daß aber mit den russischen Offizieren in China selbst kein Auskommen gewesen wäre. Ta man in London wohl selbst nicht an eine Insubordination der russischen Offiziere und Beamten gegenüber dem Kaiser und der Regierung von Rußland glaubt, so kann der Zweck des Blaubuchs nur die Fest stellung sein, daß zwischen Rußlands Worten und Ruß lands Thaten ein gewaltiger Unterschied bestehe. Ten Wortlaut des Schlußprotocolls, das den chinesischen Bevollmächtigten zur Unterzeichnung zuge- gangcn ist, zu veröffentlichen, sind die Londoner „Times" in der Lage. Artikel 1 betrifft die Sühne für die Er mordung des deutschen Gesandten v. Ketteler, Artikel 2 die Bestrafung derjenigen hohen chinesischen Beamten, welche sich an Leben und Eigenthum der Fremden ver gangen haben. Nach diesem Artikel ist der berüchtigte Prinz Tuan mit Verbannung nach Turkestan und lebens länglichem Gefängniß bestraft worden. Ter Artikel zählt dann diejenigen Beamten auf, die mit dem Tode bestraft oder zum Selbstmord verurtheilt wurden. Artikel 3 betrifft die Sühne für die Ermordung des japanischen Gesandtschaftssekretärs. Artikel 4 bekundet, daß China für die Herstellung von Sühnedenkmälern 15,000 Taels bezahlte. Artikel 5 enthält das Waffeneinfuhrverbot auf zwei Jahre, eventuell auf weitere Perioden von zwei Jahren. Artikel 6 betrifft die Entschädigung; ihm zu folge hat China im Laufe der nächsten 39 Jahre 450 Millionen Taels an die Mächte abzuführen. Die Schuld ist in halbjährigen Raten mit 4°/g zu verzinsen. Als Sicherheit dient der Ueberschuß der Seezölle. Artikel 7 enthält die Bestimmungen über ein vertheidigungs- fähiges Gesandtschaftsviertel in Peking. Die Artikel 8 und 9 beziehen sich auf die Schleifung der Takuforts und die Aufrechterhaltung der Verbindung Pekings mit der See. Artikel 10 betrifft den Anschlag kaiserlicher Edicte, die sich auf die Sicherheit der Fremden beziehen und deren Verletzung die Todesstrafe nach sich zieht. Artikel 11 bekundet die Geneigtheit Chinas für Ab- Unterhaltungstheil. Das Geheimnitz der „Maria". Novelle von Anton v. Perfall. 28) (Fortsetzung). Da trat Fimey vor. „Da ich die Sache einmal an gefangen und auch natürlich die tausend Dollars Prämie bekomme, so will ich Euch gern den Gefallen thun; ich thue nichts halb." Alles betrachtete ihn mit Widerwillen; ja, in diesem Moment stiegen wirklich in manchem Zweifel auf, ob nicht am Ende der Vollzieher der Strafe der Schlimmere sei; aber nun war es einmal so weit, und was liegt am Ende an fünfundzwanzig Peitschenhieben? Bill, durch seine Wunde und die Aufregung ganz stumpfsinnig geworden, ließ sich ruhig an den Baum fesseln und bis zur Hüfte entkleiden. Fimey ging nun an das blutige Werk, für seine niedrige, haßerfüllte Seele war es eine Wollust. Pfeifend fiel Schlag auf Schlag. Bill preßte das fahle, schmerzverzerrte Antlitz gegen den Stamm und schloß die Augen, kein Laut des Schmerzes kam über die bläulichen, bebenden Lippen; die meisten der Zu schauer wandten sich ab von dem häßlichen Schauspiel, sie waren bester als sie selbst vermutheten, und der ganze Abscheu wandte sich jetzt gegen Fimey, der mit höhnischem Lächeln auf sein wehrloses Opfer einhieb. Daß nichts als gemeiner Haß diesen Elenden erfüllte, mußte jetzt jeder einsehen. Bill sank eben unter dem zwanzigsten Hieb zusammen, blutüberströmt, nur die Stricke hielten ihn fest, das Haupt war wie leblos auf die Brust herabgesunken, da sprang Martellos vor und riß dem von einem Schlage seiner Faust zurücktaumelnden Fimey die Peitsche aus der Hand. „Das übrige auf meinen Rücken, wenn Ihr noch nicht genug habt, Bluthunde! Den rührt keiner mehr an, so lange ich lebe!" Dabei warf er seinen Rock ab und riß sich ungestüm das Hemd vom Leibe. „Martellos hat recht! — Es ist genug, bindet ihn los! — Hurra, Martellos!" lärmte jetzt alles durchein ander. Jeder drängte sich förmlich heran, um den ohn mächtigen Bill zu befreien, besten Marter sie eben neu gierig zugesehen. Martellos drängte alle zurück. „Dieses Blut wird Euch noch auf der Seele brennen, Ihr Narren, die Ihr Euch von jedem Lumpen an der Nase herumführen laßt!" rief er. „Macht Platz! Jetzt gehört er mir, der arme Teufel!" Mit diesen Worten hob er mit aller Sorgfalt den mit Wunden bedeckten Bill auf seine Arme und trug ihn wie ein Kind in seine Hütte. Wie gescholtene Hunde, beschämt, mißtrauisch sich gegenseitig anblickend, folgten die übrigen. Sie hatten sich den Ausgang anders vorgcstellt. Fimey war nirgends zu sehen. Wer weiß, wie es ihm sonst ergangen wäre. V. Alice hatte gleich am Morgen nach jener verhängniß vollen Nacht im freudigen Drange ihres Herzens alles dem Vater enthüllt: ihre heiße Liebe zu George Ahl- dorf, ihre glücklichen Aussichten für die Zukunft, ihren beiderseitigen entschlossenen Muth, allen sichtbaren und unsichtbaren Feinden zu trotzen. Orelly, obwohl er das Verhältniß der beiden kannte, erbebte jetzt vor der un abänderlichen Gewißheit, und die widersprechendsten Ge fühle wurden in ihm lebendig. Jetzt, wo in sein dunkle-, aber noch nicht so ganz verdorbenes Herz wieder ver klärend der Strahl der Kindesliebe fiel, jetzt hätte er ja so gern mit dem Gutmachen gerade bei dem Manne begonnen, dem er das ärgste angethan, besten Leben er vergiftet hatte; aber mit einem eisernen Bande hing er ja noch an seinem früheren Leben — an Fimey!" Wie sollte das werden? Wenn Alice einmal des Deutschen Weib, dann mußte sie ja erfahren, wer dieser George Ahldorf, und dieser, wer Orelly war — zwischen Eheleuten giebt es kein Geheimniß. Und welche Wir kung mußte das auf beide ausüben? Würde Bill die Tochter seines Verderbers nicht von sich stoßen und sich an ihm rächen? Wie ein erregtes Meer wälzte sich dieser Gedanke in seiner Brust auf und ab. Alice ließ er nichts merken, er wollte ihr Glück nicht stören, und vielleicht waren seine Befürchtungen doch über trieben! — Er wartete mit Unruhe auf den Abend, da sollte ja George wiederkommen und die gegenseitige Aus einandersetzung stattfinden. Von Norcroß ließ sich heute auffallender Weise nie mand sehen, sonst kamen doch schon nachmittags die Miner herüber, die es mit der Arbeit nicht gar so streng nahmen oder gerade ihre glückliche Woche hatten. Erst gegen Abend, als Alice schon seit einer Stunde im Wäldchen harrte und den Weg nach Norcroß entlang spähte, näherte sich ein Trupp, und als derselbe nicht weit von ihr vorüberzog, glaubte sie den Namen „Ahl dorf" nennen zu hören; dann lag wieder der Weg einsam und verlassen da, noch immer war von George nichts zu sehen. Eine plötzliche Angst befiel sie, es mußte sich etwas ereignet haben — wie konnte er sonst an einem solchen Tag so lange ausbleiben? Sie dachte an Fimey — wenn er ihm etwas zu Leid gethan? In diesen entsetzliche« Gedanken verlor sie sich ganz. Plötzlich löste sich in der Ferne eine männliche Ge stalt aus dem abendlichen Dunkel, das sich jetzt auf die Landschaft herabsenkte. O weh! George war es nicht! Der war viel größer. Der Mann kam immer näher — jetzt erkannte sie ihn — Fimey war's! In ihrem Ungestüm ihr Verhältniß zu dem Manne ganz vergessend, eilte sie aus ihrem Ver steck hervor, ihm entgegen, um etwas über George zu erfahren. (Fortsetzung folgt.)