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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 28.05.1889
- Erscheinungsdatum
- 1889-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-188905283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18890528
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18890528
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Freiberger Anzeiger und Tageblatt
-
Jahr
1889
-
Monat
1889-05
- Tag 1889-05-28
-
Monat
1889-05
-
Jahr
1889
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 28.05.1889
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H- 123. Deputation von Piacenza, dem Verein der Veteranen in Lucca und dem Verein „Humkcn" in Catania. Dem Oberbürgermeister v. Forckenbeck ist ferner au» dem Zivilkabinet Sr. Majestät des Königs von Italien ein Schreiben zugegangen, welches der Stadt Berlin für den glänzenden und herrlichen Empfang dankt. Es heißt in diesem «Schreiben wörtlich: „Se. Majestät der König will, -aß ich Ihnen in seinem Namen sage, daß er von Berlin die angenehmste Erinnerung bewahren wird, indem er Sie ver- sichett, daß sein Freundschaftsgefühl für die Hauptstadt Deutsch lands von Rom und ganz Italien gethcilt wird. Schließlich ersucht Se. Majestät Sie, die hier angeschloffene Summe von 20 000 Frrs. zu einem wohlthütigen Zweck vertheilen zu laffen, Ihnen überlastend, den zu diesem Zweck geeignetsten Weg zu wühlen." — Oberbürgermeister v. Forckenbeck Hal vom König Humbert das Groß - Offizierskreuz -cs St. Moritz- und Lazarus-Ordens mit sdcm Mern, Bürgermeister Duncker das Kommandeur!rcuz desselben Ordens erhalten. — Tie Berliner Strafkammer erkannte in der Anflagesache gegen den Redakteur der .Berliner Volkszeitung", Oldenburg, wegen Majestätsbcleidigung auf Freisprechung. Zweifellos enthalte der Artikel Beleidigungen gegen Kaiser Wilhelm I.; da dieser aber verstorben, könne eine Strafverfolgung nicht eintretcn. Ter Gerichtshof habe nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß der Artikel auf den Kaiser Wilhelm Ü. gemünzt sei, ebenso wenig daß dem Verfasser eine beleidigende Absicht inncwohnte. Wegen Beleidigung des Fürsten Bismarck wurde der Angeklagte zu 150 M. Geldbuße, cvent. 15 Tagen Gefängniß verunheilt und dem Reichskanzler die Publikationsbefugniß im „Reichs- anzcigcr" und der .Volkszeitung" zugesprochen. — Am Sonn abend haben bei Tonmund 70012 Bergleute wieder gearbeitet. Zu den bisher, streikenden Belegschaften sind der „RH.-Westf.Ztg." zufolge noch hinzugclrctcn die Belegschaften der Zechen Christian Levin und Wolfsbank bei Borbcck, Tahlbusch und Zeche Boni- facius bei Gelsenkirchen. Aus Bochum wird demselben Blatte gemeldet, daß der Vorsitzende der letzten TclegiNenvcrsammlung, Bergmann Weber, wegen Majestätsbeleidigung auf Grund des 8 130 des Strafgesetzbuches verhaftet worden sei. — Tie Mit- tHeilung der .Köln. Ztg", daß der Kaiser den König und den Kronprinzen von Folien über Frankfurt nach Straßburg be gleiten werde, cnvics sich als unbegründet. — Ter König von Italien hat Berlin gestern Abend verlasten und ist nach Frank furt a. M. gereist, um dort sein Regiment zu sehen. In den österreichischen Regierungskreisen soll man, nach einer Mitthcilung des Pariser Figaro, den Ausbruch von Un ruhen in Bosnien und der Herzegowina befürchten. Wie man aber von Wien aus versichert, find die Zustände in Bosnien durchaus geordnete und haben dieselben nirgends auch nur die geringste Störung erfahren. — Am Sonnabend Vormittag traf mittelst Sonderzuges aus Prag das 11. Infanterie-Regiment in Kladno ein, wo unter den Arbeitern eine große Aufregung besonders gegen diejenigen Bergleute herrscht, welche sich bis jetzt dem Streike nicht angeschlosten haben. Infolge thätlicher Bedrohung durch Streikende mußten auch die Bergleute des .Amalienschachtes" die Arbeit einstellen. Nach den ausgedehn ten Buschtiehrader Gewerkschaften in Räpitz ist eine Kompagnie Soldaten entsendet worden. Tie vorgestrige Berathung der Bergwerksbesitzer und behördlichen Funktionäre ist resultatlos verlaufen. Die Bergwerksbesitzer beharren auf der von ihnen zugestandenen zehnstündigen Arbeitszeit. Am Sonnabend verlas in der italienischen Tcputittcn- kammcr der Präsident die Amnion des Schweizer Bundcs- rathes aus die Kundgebungen der Rammer anläßlich des Em pfanges des Königs von Italien auf dem Schweizer Gebiet. Der Präsident sprach dem schweizerischen Bundesrath lebhaften Tank aus und gab der Sympathie Italiens für die Schweiz und den Wünschen für das beste Gedeihen derselben Ausdruck. — In dem heute am 27. d. M. im Vatikan stattfindenden Konsistorium wird der Papst zehn ausländische Prälaten, da runter den Bischof von Passau und vier Bischöfe in pai-tibm präkonisiren. Für die belgische Regierung bedeutete der Wahrspruch der Geschworenen in Mons eine schwere "Niederlage. In dem Pro zeß gegen die 22 Sozialisten, welche unter der Anklage eines Komplots gegen die Regierung standen, haben nämlich vorgestern die Geschworenen in Mons ein negatives Verdikt gefällt in Bezug auf die Fragen wegen eines Attentats, eines Komplots, sowie bezüglich der Dynamit-Explosion. Dagegen erkannten die Geschworenen die Angeklagten der Aufreizung schuldig, die jedoch nicht von Erfolg gewesen Ivar. Der Gerichtshof vcr- urtheilte hierauf die als N^enta provoentenrn thätig ge wesenen 3 Angellagten Laloi, Andre und Hublct zu 3 Monat Gefängniß und 26 Franks Geldstrafe und sprach die übrigen Angeklagten frei. Die Angelegenheit wird morgen in der belgischen Kammer zur Sprache gebracht werden. Ter von der französischen Kammer trotz des entschie denen Widerspruchs des Konseilprüsidenten Tirard angenommene Antrag des Monarchisten Teliste, wodurch bestimmt wird, daß die hygienische Untersuchung des in Frankreich eingesührtcn srischen Fleisches nicht wie bisher am Bestimmungsorte, sondern zuerst an der Grenzstation und sodann nochmals am Bestim mungsorte stattfinden soll, bezweckt hauptsächlich, die täglich steigende Einfuhr srischen Fleisches aus Teutschland zu erschweren oder gar ganz unmöglich zu machen. Tie französischen Schutzzöllner und Patrioten sind daher durch die Annahme dieses Antrages lebhaft befriedigt. — Tie französische Tepulirtcnkammer hat vorgestern mit 368 gegen 157 Stimmen den Antrag, betreffs Ucberführung der irdischen Ueberrcstc Carnots, Marceaus, Baudins und Lefevrc-Pontalis in dos Pantheon, angenommen. — Tem Senfationsbedürfniß der Franzosen kommt der Pariser .Figaro" mit einer Berliner Korrespondenz cntgcgegen, in der es heißt: .Es ist gewiß, daß eine Konvention oder mindestens die Präliminarien einer Militär-Konvention zwischen Teutsch land und Italien gestern unterzeichnet wurden. Tie Generale Rolandi und Sivonie, welche nicht zur Suite des Königs ge hören, befinden sich seit dem 10. Mai in Berlin und hatten tägliche Konferenzen mit Mitgliedern des Generalstabes. Es sind dies dieselben Generale, welche im vorigen Jahre mit jenen deutschen Generalen konserirten, die beauftragt waren, sich über die italienische Armee zu unterrichten. Man war in Rom genöthigt, sich zu fügen, und unterfertigte die spezielle Nachtrags-Konvention, welche definitiv den Plan der Mobili- sirung feststellte. Tiese Konvention ist überdies aus die Ent haltung Oesterreich-Ungarns gerichtet. Es scheint sogar, daß dieser Punkt den Abschluß des Uebereinkommens beschleunigte, denn die Haltung eines ThcileS deS italienischen Volkes in der Trentino-Frage macht eine Theilnahme Oesterreichs an einem künftigen Kriege sehr problematisch." Wie es heißt, beabsichtigt die spanische Regierung Anfangs Juni die Kottes zu einer neuen Session einznberufen und wieder holt den Versuch zu machen, die Frage des allgemeinen Stimm rechts und das Budget bcrathen zu laffen. Die Minister stell ten Sagasta ihre Portefeuilles zur Verfügung; derselbe lehnte dieselben jedoch ab und bezeugte den Ministern sein volles Ver trauen. Inzwischen wird ein Ausgleich versucht werden: sollte derselbe nicht erzielt werden, so dürste dennoch die Bildung eines neuen Ministeriums bevorstehen. Als Gast deS russische« Hofes empfing der Schah von Persien am Freitag in Petersburg die Chefs der dortigen Bot schaften und Gesandtschaften und machte dann mit dem Groß fürsten Sergius eines Ausflug nach Peterhof. Am Freitag Abend fand im Theater eine Galavorstellung statt, welcher der Kaiser und die Kaiserin mit den persischen Gästen beiwohnten. Am Sonnabend besichtigte der Schah die Sehenswürdigkeiten Petersburgs. Am Abend fand Theatervorstellung und Souper in der Eremitage des Winterpalais statt. Bon der rumänischen Deputittenkammer wurde vorgestern der Antrag des Ministerpräsidenten Catargiu, am Montag das Ausgabcbudget zu bcrathen, mit 85 gegen 67 Stimmen ange nommen, trotz des leidenschaftlichen Auftretens der Opposition, welche durchaus den Vorrang für die Finanzgcsctze haben wollte. Kolonialpolitischts. Ter .Rcichsanzcigcr" veröffentlicht den Bericht des Reichs- kommipars für Ostafrika, des Hauptmann Wißmann an dm Reichskanzler, dalitt Bagamoyo, 1. Mai 1889, in welchem ein treues Bild der Lage gegeben wird. Wißmann nahm den von Admiral Tcinhart und Bushiri geschloffenen Waffenstillstand an, zunächst bis er schlagfettig war. Bushiri brach denselben bald und sendete Wißmann einen Sakaam mit abgehauenen Händen zu. Tie Bestrafung zweier Leute durch Hängen unter blieb zunächst auf Bitten der englischen Behörde in Zanzibar bis zur erfolgten Auslieferung der in Bushiri's Gewalt befind lichen Missionäre von Mombasa, welche in der Hand Bushiris für Wißmann gerade zu Daumschrauben seien. Er habe den französischen Missionären mitgetheilt, sich in den Schutz der deutschen Befestigung zu begeben oder nach Zanzibar zu gehen, wenn Bushiri sich auch diesen gegenüber feindlich zeigen sollte. Er gab den Beicht, daß die Missionäre die Küste verlaffen und habe den englischen Missionären den Rath cttheilt, den offenen Weg durch das Massai-Land und Witu zu nehmen. Wißmann berichtet weiter über die Unterkunft der Truppen, welche aus 550 Sudanesen, 40 Somalis, 60 AskariS und 100 Somalis von der Emin-Expedition bestehe, die ihm vr. Peters für einen Bionat unterstellte. Sodann folgen eine Beschreibung der Stel lung Bushiri's, ferner die Abmachungen zwischen Wißmann und der Deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft, wonach das Ober kommando über alle militärischen Machtmittel der Station rc., die Leitung der Vertheidigung der Ortschaften rc., die Ober leitung der Zivilverwaltung, ausgenommen die Zollverwaltung, aus Wißmann übergehen und ebenso das Inventar demselben zur Benutzung überlasten wird. — Dr. Peters wird sich dem nächst nach der Telagoa-Bai begeben, wo 400 Eingeborene bereit sein sollen, die Vorräthe und Gepäck der Expedition zu transpottiren. Evas Roman. Bon H. Abt. 3. Fortsetzung. Nachdruck verboten. »Empörend," sagte trocken der Baron. „Was thut sie eigentlich?" „Dumm ist sie!" wimmerte die Gräfin. „Dummheit, hoff nungslose Dummheit ist ihr Laster! Und Langweiligkeit! Dabei die echte Nähmamsellennatur! Nicht die Spur aristokratischer Feinheit oder selbstbewußten Stolzes! Ja, voriges Jahr hat sie die Gemeinheit so weit getrieben, heimlich in der Nacht, während ich arglos schlief, für irgendein Geschäft zu arbeiten, für Geld zu arbeiten, eine Westerholm! Und eines Tages, da kam sie ganz vergnügt zu mir, mit einem — Zwanzigmarkschein, den sie verdient hatte und mir in die knappe Wirthschaflskasie legen wollte. Und wie ich, namenlos empört, den Schein in tausend Stücke zerfetzte, hatte sie noch die Unverschämtheit, zu weinen und den ganzen Tag herumzugehen wie eine beleidigte Unschuld." „Armes Ding," sagte Baron Westerholm wieder. „Tas Mädchen ist ja geradezu rührend!" sprang er nach einer Weile auf, als falle ihm das erst plötzlich ein. „Rührend!" rief die Gräfin Besseritz, fast weinend vor Zorn und Ungeduld. „Ich will nicht gerührt, — amüsirt will ich sein! — Ah — ich sterbe vor Langeweile," ächzte sie, völlig in ihrem Kranken stuhl zusammensinkend, die Augen geschlossen, das gelbe, einge fallene Gesicht eine vollkommene Todtenmaske. Tabei die dicke, schwere, heiße Luft; denn im Kamin brannte ein mächtiges Feuer, der starke Moschusdust, mit dem jedes der vielen Polstcr- möbel völlig imprägnitt schien, und der noch widerlicher und unerträglicher gemacht wurde durch seine Vermischung mit einem scharfen, säuerlichen Medizingeruch. „Der reine Höllendunst," murmelte Baron Westerholm, ein Fenster öffnend und mit tiefem Aufathmen den Kopf hinaus streckend. „Willst Tu mich morden?" schrillte die Stimme der Gräfin. „Schließe sofort das Fenster, Wolf, und zieh' die Gardine zu, fest, ganz dicht, das Licht macht mir Kopfschmerzen." „Aber der Qualm und die Hitze hier sind ja geradezu zum Umkommen," wandte der Neffe ein. „Hitze?!" kreischte die Gräfin Besieritz. „Kalt, entsetzlich kalt ist es hier! Schüre das Feuer, Wolf, lege Holz auf, mehr, immer mehr! Ich friere, friere, die Hände, die Füße, wie ein Eisstrom geht es mir durch den ganzen Körper. Lege noch mehr Feuer auf! Ich will warm werden! Und gieb mir dort noch die Pelzdecke. Ah — die Kälte, die fortwährende Kälte — und die Langeweile! Erzähle Wolf! Viel, sehr viel Amüsantes!" III. Das Lockenköpfchen auf dem schlanken Halse leicht vorgc- beugt, die blauen, großen Augen weit geöffnet, ein süßes, selbst vergessenes Lächeln um die Lippen, so saß Eva da und lauschte athemlos dem, was Vetter Wols erzählte. Und er sah unter den etwas schweren Lidern, die beständig wie ermüdet Alb die Augen deckten, hin nach dem süßen Ktndergesicht, und se mehr dieses im Eiser des Zuhörens, erglüht, mit um so größerer, ihm selbst verwunderlicher Wärme 1 entrollt er die bunten Bilder von dem, was er im märchen haften Süden erschaut. Gräfin Besseritz aber gicbl ihrem Stuhl einen ärgerlichen, ungeduldigen Ruck. „Hör' auf mit Deinen hundertmal gedruckten Reisebcschrei- bungen, wenn Tu nichts Besseres zu sagen weißt. Tu bist lang weilig geworden, Wolf, entsetzlich langweilig. Lies mir vor, Eva!" Tas junge Mädchen wacht aus wie aus einem Traum, und seine Brust hebt unhörbar ein sehnsüchtiger Seufzer. Tann rückt es seinen Stuhl an die grün verschleierte Lampe und beginnt zu lesen. Es ist ein französischer Roman, eines der geistreich frivolen Machwerke, wie sie das Ende des vorigen Jahrhunderts hervorgebracht. Und eine besonders pikante Eigenthümlichkeit der Lektüre des Altüberwundenen scheint es zu sein. Baron Wolf ist kein Cato, und er Hal so viel von weiblicher Leichtfertigkeit gesehen, daß ihm wirkliche, naive Un schuld so ziemlich als leerer Wahn gilt. Aber wie dieses junge Mädchen da mit der süßesten Stimme und dem trefflichsten Accent so völlig gelassen Zweideutigkeiten und cynische "Anspie lungen verliest, die selbst ihm in ihrer Unvcrblümtheit mißbe hagen, das überschreitet so sehr auch seine stärksten Erfahrungen auf weiblichem Gebiet, daß der Baron Eva anstarrt wie eine Abnormität, ein psychisches Kuriosum. Tabei aber überschleichl ihn ein Gefühl des Unbehagens, ein halber Widerwille, etwas wie Zorn gegen die Natur, die solche Anomalien schasst. Es ist das nämliche Empfinden, das ihm kam, da er die siamesischen Zwillinge sah und jüngst vor den Thoren von Tamaskus einen bettelnden Burschen, dessen Körper gleich dem Fell einer Ziege mit dichtem, brauuzoltigem Haar bewachsen war. Und wie Baron Wolf unverwandt auf Evas Kinderge sicht schaut, über dem jetzt sogar ein weiches, schwärmerisches Lächeln liegt, während sie liest, wie Mademoiselle Blanche mit dem Abbe um die Tämmerstuude in der Venusgrotle ihre Buß- und Belübungen hält, da wächst deS BaronS Zorn zu solcher Höhe, daß er austpringt, ein paar Fauteuils undTabou- rets mit heimlichen Fußtritten rcgalirt und dann ruft: „Unerträglich! Wie kannst Tu Tir diese vermoderten Bücher wieder ausgraben, Tante?" „Weil Sie mich amüsiren, mein geliebter Wolf!" kichert die Gräfin. „Meinst Tu vielleicht auch wie der hochwürdige Pastor, in meinem Alter und Zustand sei ein Kapitel aus dem neuen Testament die einzig ersprießliche Lektüre?" „Aber wenn Tu durchaus pikante Lektüren haben mußt, wozu diese verwitterten Verschrobenheiten! Unsere modernen Romanciers schreiben auch nicht alle sür die Kinderstube." Die Gräfin Befferitz lacht schallend auf. „Pardon, mein guter Wolf, daß ich Tein empfindsames, sittliches Gefühl nicht berücksichtigt habe und einen Augenblick vergaß, daß Tu drei Winter in Paris verlebt hast und natürlich nichts als Tugendstudien getrieben hast." „Willst Tu die Liebenswürdigkeit haben und mir ein Glas frisches Wasser geben, Kousine?" jagt Baron Westerholm. Eva nickt ihm mit strahlendem Lächeln zu und eilt hinaus. „Tante," wendet er sich an die Gräfin, „es ist Tir ver- I muthlich noch nie in den Sinn gekommen, daß Eva ein junges Mädchen ist, und für ein solches diese Bücher die denkbar schlech- ! teste Gesellschaft sind?" „Wols, ich glaube, die Orientsonne hat Tein Hirn affizirt," sagt schneidend die Gräfin. „Soll ich mich in meinem freien Belieben vielleicht durch die Erwägung beschränken laffen, ob dadurch das einfältige Geschöpf, das allein von meiner Gnade lebt, in keiner Weise an Leib oder Seele geschädigt werde? Ich glaube, sic versteht nicht einmal, waS sie vorliest. Tumm genug ist sie dazu." Vielleicht versteht sic nicht einmal, was sie liest, — hm, — das war noch eine Möglichkeit, eine ziemlich unwahrscheinliche zwar, aber immerhin — Baron Wolf betrachtete Eva, als diese ihm das gewünschte Wasser brachte, so kritisch genau, als wäre sie ein Objekt sür seine Raritätensammlung. Aber seine Be sichtigung schien nicht das gewünschte Rcjültat zu haben, mit mißvergnügtem Kopfschütteln und Achselzucken beendete er die selbe, dabei innerlich resümirend: durchaus kindliche Züge,. Augen, die pure Unschuld blicken, große, hübsche Augen und durchaus nicht dumm, — also sie verstehr sehr gut, was sie liest,, und das Kindergesicht ist eitel Lüge. Pah — was geht's mich an! Tennoch verliert er Eva, die um die Gräfin, der sic nichts zu Tanke machen kann, bemüht ist, nicht aus den Augen. Natürlich" ist sie doch eine seltsame Studie. Diese weiche Anmulh, .die freundliche Geduld, das Lächeln, das fast besagt, es fei die schwere Pflicht ihr eine Freude, der treuherzige Blick und dabei die Phantasie, genährt von den frivolsten, ungesundesten Romanen. „Außerordentlich!" gähnt Wolf von Westcrholm, nachdem er sich früh auf sein Zimmer zurückgezogen, in sich hinein. „Die riesigste Verstellungskunst, die mir ,e begegnet." Tann stampft er ärgerlich auf. Wie er sich anfänglich von dieser Unschulds- maske hat anführen lassen! Wie raffinitt sie diese erste Be gegnung einzurichten gewußt! Sie hatte wohl vor scintt An kunft längst den wohllöblichcn Plan gefaßt, nach ihren franzö sischen Mustern mit ihm zu kokettircn. Vielleicht lauerte da hinter sogar eine wohlerwogene Spekulation auf seine Hand" und sein Vermögen. Es erfüllt ihn mit Gcnugthuung, daß er beim Gutenachtgruß so geflissentlich ihre ausgestrrckten Finger übersehen und nur sein steifstes, förmlichstes Kompliment vor ihr gemacht. Ta klopft es leise an die Thür. „Herein!" ruft kurz der Baron, wähnend, es sei der alte Jean, der nochmals nachsehen wolle, ob auch nichts zu seiner Bequemlichkeit fehle. Aber durch die nur wenig geöffnete Thür blickt scheu ein rosiges Ge sicht. Wolf springt empor. „Eva, Tu? was fällt Dir ein?" Tas klingt nicht sehr freundlich, und ihre Stimme ist auch verschüchtert und dem Weinen nahe, wie sie leise stammelt: „Ich wollte nur — Vetter Wolf — Herr von Westerholm — Sie sollen nicht denken —" und dann hatte sie doch ganz die Thür geöffnet und stand ihm auf der Schwelle gegenüber, und von ihren Lippen kam es wie ein Sturzbach: „Die Tante hat so sehr gescholten, daß ich zu vertraulich gegen Dich sei, ich hätte gar kein Recht und es wäre ganz un passend, wenn ich Dich „Du" nenne, und Dir mißfiele es auch^ Du sähest es als eine dreiste Aufdringlichkeit an, und da konnte ich nicht zur Ruhe gehen, bevor ich Dich um Verzeihung ge beten." (Fottsetzung folgt.)
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