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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. 1/» ErscheintWochentag Nachnütt. V,üUHNÜr den HO I > andern Tag. Preis vmreljLbrlich 2 Mrt25Psg., zweimonatlich 1M. 50 Ps. und einmonatlich 75 Pf. « «2. Jahrgang. Dienstag, Se« 38. Mai. Inserate werden dis Vormittag 11 Uhr angenom men und betrügt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum lü Psg. z 188S. Nachbestellungen auf den Monat Juni Werden zum Preise von 75 Psg. von allen kaiser lichen Postanstallen, sowie von de« dekannten Ausgabestellen und der unterzeichneten Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Am Schtnsi der Session. Rach einer am 22. November v. I. begonnenen laugen und mühevollen Session hat der deutsche Reichstag am Freitag den 24. d. M. seine Arbeiten beendet, die er im nächsten Herbst wieder aufnehmen wird. Die frühere Annahme, daß die jetzt .abgeschlossene Session die letzte dieser Legislatur-Periode sein lverde und daß schon im Herbst Neuwahlen stattfinden würden, hat sich als ungegründet erwiesen. ES steht vielmehr jetzt fest, daß der jetzige Reichstag sofort nach Ablauf der Sommerzeit wieder zusammenberufen werden wird, um bis zu dein Er löschen seines Mandats im Februar 1890 zu tagen und einige noch schwebende wichtige gesetzgeberische Angelegenheiten zu er ledigen. Der Rückblick ans das, was in der letzten Session zu Stande gebracht worden ist, kann nur als ein sehr befriedigen der bezeichnet werden. Mit dem Gesetz über die Alters- und In validitäts-Versicherung, welches am letzten Freitag mit 185 gegen 165 Stimmen Annahme fand, hat der Reichstag das «Gebäude der Sozialreform gekrönt. Das mit bedeutender Mühe und ohne jedes Vorbild geschaffene Werk mag in seinen Einzelheiten nicht allen Anforderungen entsprechen; die Groß- .anigkeit des Ganzen, welches dazu bestimmt ist, 11 Millionen Menschen gegen die schlimmsten Folgen der Arbeitsunfähigkeit zu schützen, kann kein unbefangener Beurtheiler in Abrede stellen. Ter Werth der Errungenschaft wird dadurch nicht geringer, daß mau später noch die verbessernde Hand daran legen muß. Die Mehrheit von nur 20 Stimmen, mit der das Gesetz schließlich zur Annahme gelangte, entsprach allerdings nicht den zuletzt gehegten Erwartungen. Von den Nationalliberalen und Kon servativen haben zuletzt doch mehr Mitglieder gegen die Vor lage gestimmt (zusammen etwa 16), als man geglaubt hatte, während vom Zentrum nicht 20, sondern nur 15 oder 16 für das Gesetz stimmten. Die „National-Ztg." macht aber mit Recht darauf aufmerksam, daß in allen Parlamenten schon höchst entscheidungsvolle Beschlüsse mit viel kleineren Majoritäten gefaßt worden sind. Die erste englische Reform-Bill ging mit «einer einzigen Stimme Mehrheit im Unterhanse durch und trotzdem hat sich die ganze seitherige politische Entwickelung Englands auf der Grundlage und in der Richtung dieser Bill 'vollzogen. Wie sehr die Ergebnisse der letzten Session von dem deut schen Reichskanzler gewürdigt werden, beweist ein Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.", in dem es heißt: „Nachdem die Vorlage, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung der Arbeiter die definitive Zustimmung des Hauses gefunden hat, wird auch diese Session zu denjenigen gerechnet werden dürfen, deren 'Ergebnisse ein Erhebliches zum Wohle des Vaterlandes und zur Sicherung, Festigung und Entwickelung unserer Jüstitutionen beigetragen haben. Schon heute darf gesagt werden, daß die aus den Wahlen von 1887 hervorgegangene Mehrheits-Kon stellation im Hause gehalten hat, was man sich von derselben versprechen durfte." Äußer der erwähnten Hauptaufgabe sind al, der verflossenen Session auch noch andere wichtige Aufgaben -gelöst worden, z. B. erledigte der Reichstag die Reform des Genossenschaftsgcsetzcs, den Nachtragsetat mit der Vermehrung der Feldartillerie, die Bewilligung der Mittel für die Verstär kung der Marine und derjenigen znr Bewältigung des Auf standes in Ostafrika u. s. w. Die Revision des Gesetzes über die Genossenschaften verschaffte diesen Vereinigungen die Mög lichkeit einer nützlichen Wirksamkeit auf erweitertem und ge sichertem Boden. Die Vermehrung der Feldartillerie entsprach dün Forderungen der militärischen Autoritäten, welche eine solche Vervollständigung der Wehrkraft Deutschlands als unerläßlich 'bezeichneten. Für die Bewilligung von 2 Millionen Mark für die Wißmannsche Expedition nach Ostafrika stimmten nicht nur Diejenigen, welche als Freunde der Kolonialpolitik das Fest halten der deutschen Ansprüche wünschten, sondern anch zahl reiche Mitglieder des Zentrums, denen es nur um die anch von kirchlicher Seite verlangte Bekämpfung des schmählichen Sklaven handels zu thun war. Nach lebhaften Verhandlungen sind auch die Forderungen für die Verstärkung der Marine nnd für die Neuordnung der obersten Marinebehörden bewilligt worden. Die dabei bewirkte Theilung der Admiralität in ein Reichsamt der Marine und ein Oberkommando wird sich als eine sehr Praktische Einrichtung erweisen. Die letzte Session dieser Legislaturperiode dürfte außer von dem Etat auch von dem Ersatz für das Sozialistengesetz voll ständig in Anspruch genommen werden. Die Regelung dieser Angelegenheit bietet Schwierigkeiten, die nicht zu unterschätzen sind und eS begreiflich machen, daß die Reichsregierung die Lösung dieser Frage lieber dem gegenwärtige» Reichstag an vertraut, als dem erst noch zu wählenden, der doch eine zu un bekannte Größe ist. Tas jetzige Sozialistengesetz bat bekanntlich nur bis zum Herbst 1890 Geltung; die Reichstagsmehrheit widerstrebte bisher einer größeren Verlängerung der Giltig keitsdauer; mit einer kurzen Fristverlängerung war aber den Verbündeten Regierungen nicht gedient. Der deshalb zum Er satz für das Sozialistengesetz dem BnndcSratb vorgelegte Ge setzentwurf zur Abänderung des Straf- nnd Preßgesetzes be gegnete so vielen Zweifeln, daß die Reichsrcgiernng darauf ver zichtet zu haben scheint, dem Reichstage die Neuordnung der Sozialistensrage auf dieser Grundlage vorzuschlagen. Fürst BiSmarck ist wahrscheinlich davon überzeugt, daß die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nur durch eine Verständigung mit allen Ordnnngsparteien zu beseitigen sind und daß insbesondere der Beistand des Zentrums nicht zu entbehren ist. Nicht ohne besondere Absicht bezeichnete er in seiner letzten großen Rede die nationalliberale Fraktion und daS Zentrum als „konserva tive Parteien." DaS „KielerTageblatt" bemerkt zu dieser auf fallenden Aeußerung: „Fürst BiSmarck hat im weiteren Verlaus seiner Rede selbst vollkommen klar gestellt, daß er den Begriff konservativ nicht als Bezeichnung für ein Parteiprogramm, sondern für die Grundtendenz, staatserhaltend zu wirken, ge brauchte. Nnd allerdings glauben wir init dem Fürsten Bis marck, daß die greifbarere Gestalt, welche die von dem Feind im Innern drohende Gefahr anzunehmen beginnt, sowie das Gefülst, daß die Nothwendigkeii ernster wird, uns ans die Stunde, in welcher der Sturm von außen über unser Vater land Hereinbrechen mag, zu rüsten, von nun an zu einem festeren Zusammenschluß aller Parteien, welche von der be zeichneten Tendenz beseelt sind, führen und ihnen den Ent- schluß als Pflicht erscheinen lassen wird, die Aufgaben der Parteiarbeit nnd des Parteikampfes nach einer anderen Skala einzurichten und den geineinsamen Schutz Dessen, tvas ihnen gemeinsam thener ist oder in seiner Erhaltung als Grundlage unserer Staats- und Gesellschaftsordnung von gleichem Werth erscheint, znr Hauptsache zu machen." Tas Zentrum dürfte freilich kaum den von dem Reichskanzler gehegten freundlichen Erwartungen vollständig entsprechen, nachdem es noch am Schlüsse der Session gegen Wunsch und Willen des Fürsten BiSmarck seine Zustimmung zu den Worten des Reichstags- Präsidenten über das deutsch-italienische Bündniß an den Vorbehalt knüpfte, daß davon die Stellung zur römischen Frage nicht berührt werde. Die nächste Reichstags-Session wird in jedem Falle noch weit mehr unter dem Einfluß der Partei-Agitation stehen, da bei den voraussichtlich im Februar 1890 bevorstehenden neuen Reichstagswahlen der Kampf sehr frühzeitig beginnen, ein ungewöhnlich schwerer und die Ent scheidung eine besonders bedeutungsvolle sein wird. Tagesschau. Freiberg, den 27. Mai. Wie erzählt wird, erhielt der Deutsche Kaiser die Nachricht von der im Reichstage erfolgten Annahme des Altersversiche rungsgesetzes in Potsdam in militärischer Umgebung. Der Monarch gab seine Freude über diese Thatsache in der lebhaftesten Weise zu erkennen. Dem Kriegsminister rief der Kaiser laut zu: „ES ist durch!" Dem Staatssekretär von Bötticher steht eine sehr hohe Auszeichnung auS unmittelbarer Initiative des Kaisers bevor, der ihm bereits während des HofkonzertS seine Glückwünsche und seine Anerkennung anläßlich der Annahme des Alters- nnd Jnvaliditäts-Versicherungs-Gesetzes persönlich aussprach. — Der Abordnung schlesischer Bergarbeiter aus dem Beuthener Reviere, welche nach Berlin gekommen war in der Hoffnung, vom Kaiser empfangen zu werden, konnte ihr Wunsch nicht erfüllt werden. Die deshalb angegangenen Minister lehnten die Vermittelung ab mit dem Hinweis daraus, es sei nicht möglich, daß Abordnungen einzelner Gruben empfangen würden. Daraufhin setzten die Bergleute ain Freitag im Sprechzimmer des Reichstages unter Beihilfe der Abgeordneten Letocha und Szmula ihre Beschwerden und Wünsche auf und brachten diese sofort in das Zivilkabinet, damit ihre Eingabe dem Kaiser über mittelt werde. Die Bergleute sind an demselben Abend noch in ihre.Heimath zurückgereist; sie haben aber vorher erklärt, daß sie sofort ihre Arbeiten wieder aufnehmen würden, wenn inan von Seiten der Arbeitgeber sich zu Verhandlungen mit ihnen bereit erklärte. — Auf dem Programm der Charlottenburger Rennbahn stand am Sonnabend das höchstdotirte Hinderniß rennen des Frühjahrs, daS schon an und für sich eine gewaltige Anziehungskraft auf das sportlustige Berlin auszuüben pflegt. Das große Rennen hatte aber diesmal eine wahre Völkerwanderung nach Charlottenburg geführt, da es be ¬ kannt geworden war, daß der Kaiser mit seinem hohen italienischen Gaste dem Rennen beiwohnen wollte. Bereits beim zweiten Rennen trafen mehrere italienische Offiziere ein. Kurz vor 5 Uhr verkündeten stürmische Hochrufe von der Charlottenburger Chaussee her daS Nahen des Kaisers und seines königlichen Gastes. Dieselben wurden von den Herren des Komites empfangen, und nach dem KönigSpavillon geleitet, vor dem der Ehrenpreis, eine berrliche Schüssel, in deren Mitte daS Bild des Kaisers und in deren Rand die Porträts der Ahnen des Hauses Hohenzollern eingelassen sind, aufgestellt war. Der Sieger im Hauptrennen, Herr v. Ravenstein wurde in den Kaiserpavillon befohlen; der König von Italien drückte ihm wärm die Hand, während der Kaiser ihm die Ehren schüssel überreichte. Unter brausenden Hochrufen verließen der Kaiser und der König den Rennplatz. Ein Theil des Gefolges blieb noch zurück und verfolgte mit dem lebhaftesten Interesse die weiteren Konkurrenzen. — Am Sonnabend Abend 9 Uhr fand in Berlin der große Zapfenstreich statt, bei dem zur Ver meidung von Unfällen (wie sie sich früher bei ähnlichen Gelegen heiten ereigneten) daS große Publikum mehr als sonst ausge schlossen war. Tas interessante Schauspiel hatte fast nur ein in unmittelbarer Nähe des Schlosses befindliches militärisches Publikum, bestehend ans den Offizieren der Garnison und ihren Damen, welchen die Rampen vor dein Schlosse eingeräumt waren. Die Aufstellung der Musik- und Tambour-Korps er folgte östlich vom Denkmal Friedrichs des Großen. Begleitet von Fackelträgern, rückten die MnsikkorpS nach dem Lustgarten ab. Hierbei schlugen die Tambours den Parademarsch, gingen in der Höhe der Neuen Wack)c in den Lock über, worauf die Musik in den Dori schen Marsch einsctzle und denselben durchspielte, bis die Tambours die Mitte deS Lustgartens erreichten. Währrndder Dauer des Zapfenstreiches wardaS Berliner Rathhaus mit zahlreichen Lampions geschmückt und strahlte in bengalischer Beleuchtung. Von der beflaggten Plattform des Thurmes ver breiteten Rothfeuer ununterbrochen ihr Licht. Tausende bön Menschen durchzogen in festlicher Stimmung noch zu später Stunde die Straßen Berlins, namentlich in der Gegend des Schlossplatzes und Lustgartens. Ungefähr 200 Mitglieder der national-liberalen, der beiden konservativen und der deutsch reisinnigen Fraktion des deutschen Reichstags, sowie eine An zahl hoher Beamter, Vertreter der Presse rc. hatten sich an dem- elben Abend, im großen Saal des Kaiserhofes in Berlin zu einem Festmahl zu Ehren des italienischen Ministerpräsidenten Crispi vereinigt. Zwischen einer wundervollen Blumendekoration waren die Büsten Kaiser Wilhelms und König Humberts auf- sestellt. In der Mitte der Ehrentafel saß Crispi, rechts von hm Präsident v. Levetzow cmd der k. italienische Generalsek ¬ retär Mayor, links von ihm Herr v. Benda, Oberbürgermeister v. Forckenbeck, Oberbürgermeister Miquel, Professor Gneist, gegenüber Herr v. Helldorf, Herr v. Sybel, Herr Rickert, Herr v. Kardorff und mehrere der italienischen Herren. Bei dem ersten' Gang brachte der Präsident v. Levetzow einen Trinkspruch auf den König Humbert aus, den zweiten brachte v. Benda auf den Minister Crispi. Die Antwort des italienischen Ministerprä sidenten lautete: „Meine Herren! Ich danke Ihnen von Herzen für die Ehrenbezeugungen, die Sie uns erwiesen haben, die aber nicht einzelnen Personen, sondern dem ganzen Vaterlande gelten. Die feierliche Vereinigung des Kaisers von Deutsch land und meines Monarchen, des Königs von Italien, bedeutet die Verknüpfung von Seiten ihrer Völker,und überihre Bedeutung kann kein Zweifel herrschen. Wie die beiden Dynastien, so sind auch die beiden Völker durch Freundschaftsbündnisse an einander gefesselt. Sie sind vereinigt durch mehralspolitischeVereinigungen, durch die Bande einer Herzensfreundschaft. Das ist eine wahre Wahlverwandtschaft, eine Interessengemeinschaft. Die Aehnlich- keit in der geschichtlichen Entwickelung beider Völker kann nicht besser verdeutlicht werden, als durch die beiden Dynastien, denen Beiden das Wort eigen ist: Vorwärts vom Fels zum Meer! Mein ganzes Leben nnd ineine ganze Arbeit galt der Frei heit, dem Traum der Unabhängigkeit und Freundschaft beider Völker, und ich hoffe, daß sich mein Tranm realisiren werde. Meine Feinde haben mich verdächtigt, indem sie sagten, daß ich den Krieg ersehne! Nein, ich bin ein Mann des Friedens^ (Bravo!) Es giebt nothwendige Kriege, heilige Kriege — diese Kriege haben wir Schuller an Schulter durchgefochten (Bravo!), und ihr Ergebniß ist die Einheit deS Vaterlandes. Andere Kriege giebt es, die verbrecherisch sind. Nach meiner Meinung ist die Aufgabe des Staatsmannes, für das Glück und das Wohlergehen des Vaterlandes zu sorgen. Ich trinke auf das Wohl Ihres erhabenen MonarckM, des Kaisers Wilhelm, und auf das deS Reichstages, der Repräsentanz der großen deutschen Nation!" Diese Worte wurden mit brausendem Jubel ausge nommen, der sich wiederholte, nachdem der Oberbürgermeister Ur. Miquel in längerer Rede, das Königreich Italien und das deutsch-italienische Bündniß gepriesen hatte. — Aus Anlaß der Anwesenheit des Königs von Italien in Berlin sind dem dortigen Magistrate Dank-Telegramme zugegangen: von den städtischen Behörden von Turin und Foggia, der Provinzial-