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Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Jagdbesuch des Kaisers beim Fürsten zu Fürsten- -erg, der in der Zeit vom 5. bis 10. November geplant war, ist auf Mitte November verschoben worden. Einer Budapester Meldung zufolge wird Kaiser Wilhelm anfangs Januar nach BreSlau reisen und von dort einen Ausflug nach Alt-Schmecks in der hohen Tatra unternehmen, wo er und Prinz Heinrich als Gäste des Erzherzogs Friedrich auf Büffel jagen wollen. Vor zwei Jahren weilte Erzherzog Friedrich in Alt-Schmecks und erlegte dort vier dieser in Europa seltenen Tiere. Herzog Ernst Günther, der Bruder unserer Kaiserin, hat an dem konservativen Parteitag in Breslau teilgenommen und die Rede des Herrn von Heydebrand bis zum Schluß mit angehört. Der Herzog beteiligte sich schlesischen Blätter- meldungrn zufolge auch wiederholt an den stürmischen Bravo rufen, die dem Redner gezollt wurden. Das NamenSfest des Prinzregcnten Luitpold von Bayern am Mittwoch wurde wie alljährlich durch Festgottesdienst in allen Kirchen gefeiert. Der greise Regent wohnte nur mit seiner Tochter, der Prinzessin Therese, einer stillen Messe in der Refidenzkapelle bet. Von den üblichen Gratulations empfängen und der großen Hoftafel wurde mit Rücksicht auf das Schonungsbedürfnis des Regenten abgesehen. Anläßlich seines NamensfesteS hatte der Prinzregent an eine Reihe von Jugendfürsorgevereinen 150,000 Mk. aus der Luitpold- Jubiläumsspende überwiesen. Das Luftschiff Schütte-Lanz unternahm bei herrlichem Herbsiwetter eine Fahrt von Mannheim nach Rheinau. Die anderthalbstündige Fahrt, an der 12 Paffagiere teilnahmen, verlief ohne jede Störung und bewies die Brauchbarkeit des neuen Luftschifftyps. Infolge der zunehmenden Verteuerung aller NahrungS- mittel hat, wie daS „B. T." erfährt, die preußische Eisen- bahnverwaltung beschlossen, sämtlichen unteren Bahnbeamten bis auf weiteres eine tägliche Zulage von zwanzig Pfennig zu gewähren. Die Bahnarbeiter sollen eine vierprozentige Lohnerhöhung erhalten. e Die Submissionszentrale deS HansabundeS wurde am Mittwoch in Berlin unter Beteiligung führender Verbände der Industrie, des Handwerks und des Gewerbes gegründet. Die liberale „KöSliner Zeitung" veröffentlicht das Schreiben eines Kreissekretärs, daS an die konservativen Wähler eines pommerschen Wahlkreises erging. Ls wird darin auf die Höhe der Agitationskosten hingewiesen, zu deren Deckung die erforderlichen Mittel fehlten, und cs wird hervorgehoben, daß der jetzige Wahlkampf viel ernster sei, als derjenige des JahreS 1907 war, und daß dementsprechend auch ein höherer Beitrag deS Adressaten erwartet würde. In dem Schreiben heißt es dem genannten Blatte zufolge noch, daß aus be sonderen Gründen die Gesuche um Beiträge diesmal nicht vom Landrat persönlich, sondern mit dessen Genehmigung von dem Kreissckretär unterzeichnet worden seien. In maßgebenden Berliner Kreisen wird der Plan erwogen, zum Regierungsjubiläum des Kaisers 1913 eine all gemeine große Kunstausstellung zu veranstalten. Es soll dazu ein neues, größeres AuSstellungSgebäude hergestellt werden. Zur Errichtung einer Lutherstiftung im Betrage von einer Million Mark als Jabiläumsgabe zur 400jährigen Jubelfeier der Reformation im Jahre 1917 bereiten evan gelische Männer der Provinz Sachsen als dem Heimatlande der Reformation einen Aufruf an das evangelische Deutsch. land vor. Die Lutherstiftung soll zur Bekämpfung der Schul not der Evangelischen in Oesterreich dienen. Die Unterzeichnung des MarokkovertrageS wird in folge der beiden katholischen Feiertage, sowie der Notwendig keit, «och einige redaktionelle Aenderungen an den Bestim- mungen über die Grcnzregulierung vorzunehmen, erst am morgigen Freitag stattfinden. Auch gegen daS Abkommen über die Minen sollen von Frankreich in zwölfter Stunde noch Schwierigkeiten gemacht werden. Laut Pariser ,Matm" find die in den letzten Tagen zwischen der französischen und deutschen Regierung schwebenden Meinungsverschiedenheiten, die sich auf den Wortlaut deS Textes deS deutsch-französischen Marokkovertrages bezogen, bereits wieder behoben. Die Schwierigkeiten waren bei der Festsetzung der Grenze von Togo, Dahome und dem Norden Kameruns entstanden. Diese Meinungsverschiedenheiten waren aber nicht von so wichtiger Bedeutung, daß sie den glücklichen AuSgang der seit langen Wochen schwebenden Verhandlungen hätten gefährden können. Frankreich und Deu schland find sich jetzt vollkommen einig über die endgültige Abfassung deS ganzen Marokkovertrages. Die Abteilung Stuttgart der deutschen Kolonialgesell schaft nahm eine Resolution an, in der sie ihre Zustimmung zu der vom Präsidium der Gesellschaft gegen die Marokko politik der Regierung gerichteten Kundgebung aussprach. Die 6 anwesenden Offiziere stimmten gegen die Resolution, die als ein Mißtrauensvotum gegen die deutsche Diplomatie auf- gefaßt werden könnte. Unser Pachtgebiet Kiautschou gewinnt an Wert, wenn sich die nachstehende Mitteilung bewahrheitet. Als kürzlich ein chinesischer Bauer am Paischaho an der deutschen Kiautschou- Grenze GraS schnitt, fand er einen Stein, der wie eine grüne Bohne auSsah. Er nahm den Stein mit und zeigte ihn einem Eisenarbeiter, der ihn als Diamant von der Art, wie solche zum Bohren benutzt werden, erkannte. Bei den angestellten eingehenderen Prüfungsvei suchen durch Fachleute ergab sich, daß die Qualität des Steines den in der Gegend von Jtsckoufu gefundenen Diamanten in nichts nachstand. Der gefundene Stein hatte einen Wert von über 150 Mk. und wurde für diesen Preis auch von dem Finder verkauft. »««tret» Die bedenklichen Verhältnisse in der französischen Marine, die in dem Pulver-Skandal und den Disziplinwidrigkeiten der Mannschaften besonders zutage getreten sind, haben den Marineminister Dclcaffß bewogen, für eine Aenderung in der Admiralität zu sorgen. Bestimmte Entscheidungen find jedoch noch nicht gelroffen. Die gegen den Kapitän der durch Explosion zerstörten „Librvß" angestrengte Unter- suchung läßt jetzt schon erkennen, daß sie zu ungunsten des Kapitäns Jauris auslaufcn wird. Was seinerzeit kaum für möglich gehalten wurde, wird jetzt als traurige Wahrheit be stätigt: zur Zeit der furchtbaren Katastrophe war das Linien schiff so gut wie ohne Aussicht. Alle Offiziere bis aus ein paar junge Leutnant» waren, ohne Urlaub zu haben, an Land gegangen. England. Der Kriegsminister Haldane übersandte den Offizieren des Beurlaubtenstandes ein Rundschreiben, in dem er sie Vor Spionagcversuchen im Auslande warnt. Es heißt darin, daß der Mangel an Takt auf feiten englischer beurlaubter und im Aus lande reisender Offiziere, der oft mit Recht den Argwohn und Verdacht auswärtiger Behörden hervorgerufen und den britischen diplomatischen Vertretern viel Scherereien verursacht habe, unliebsam aufgefallen sei; und zwar erwähnt das Zirkular ausdrücklich Deutschland als das am meisten in Betracht kommende Land in dieser Beziehung. Die be kannten Verhaftungen englischer Reserveoffiziere wegen Spio nageverdachts seitens deutscher Behörden find augenscheinlich die Ursache des Erlasses, in dem beurlaubte Offiziere noch ausdrücklich verwarnt werden, in fremden Ländern an Orten, wo dieses zu Mißverständnissen und Verdachtsgründen führen könnte, photographische Aufnahmen zu machen oder Skizzen anzufertigen. Auf Nichtbefolgung dieser Instruktion soll in Zukunft, wie daS Kriegsministerium hcrvorhebt, strenge Strafe stehen. «ft-«. Bei Han kau in China hat es neue und angeblich recht heftige Kämpfe gegeben. 5000 Revolutionäre griffen die kaiserlichen Truppen an und entrissen ihnen die Stadt wiederum. Unter Zurücklassung eines MaximgeschützeS zogen sich die Kaiserlichen in die wiederholt erwähnte Rennbahn zurück Feuer von Wutschang auS trieb die kaiserlichen Kanonenboote auf dem Jangtsekiang in die Flucht. Als die Kaiserlichen in Hankau 3000 Mann Verstärkungen erhalten hatten, eröffneten sie den Kampf aufs neue. Unerschrocken drangen die Revolutionäre gegen die Maximgeschütze vor und erlitten daher zehnmal so große Verluste wie die Kaiserlichen, die jede Deckung geschickt ausnützten. Infolgedessen gewannen die Regierungstruppen im weiteren Verlauf deS Gefechtes die Oberhand und warfen die Revolutionäre aus den von diesen eroberten Stellungen. Die Straßen in den euro päischen Niederlassungen Havkaus find stark verbarrikadiert; es ist dort kein Schaden angerichtet worden, nur vier Euro päer wurden durch abirrende Geschosse verletzt. Die Ver» letzten wurden in das Krankenhaus gebracht und gehen bei guter Pflege ihrer Genesung entgegen. Schwierigkeiten be- reitet in dem abgeschlossenen Europäerviertel die Herbei schaffung von Lebensmitteln. In Peking hält die Aufregung an. 70 französische Soldaten bewachen die Kathedrale der Hauptstadt. Die Kommandanten der Gesandtschastswachen verabredeten gemeinsame Maßnahmen für den Fall de» Ausbruchs von Unruhen. Alle GesandtschaftSgebäude find mit Flüchtlingen auS den Hetzen Mandschufamilien überfüllt; im amerikanischen werden für den kleinen Kaiser Zimmer reserviert. Der Prinzregent Tschun weinte während der Audienz, die er dem neuen Minister des Innern, einem Freunde UuanschikaiS gewährte, bitterlich. Am kommenden Montag find 10 Jahre seit dem Tode des VizekönigS von Pesschili, Lihungtschang, verflossen, der es besser als alle anderen verstand, unter den Langzöpfen Ordnung zu halten. Der Regent nahm die Demission des Kabinetts an und be traute mit dessen Neubildung den bisherigen Vizepräsidenten, der jedoch lediglich als Platzhalter Duanschikais anzusehen ist. Vuanschikai richtete an die Regierung in Peking telegraphisch das Ersuchen, einen interimistischen Premierminister zu er nennen, während er alle Angriffe der Kaiserlichen einstellen lassen und unverzüglich mit dem Rebellengeneral wegen eines endgültigen Friedensschlusses in Unterhandlungen treten werde. Yuanschikai will sich, falls er nicht auf andere Weise Unter handlungen herbeisühren könne, in das Lager der Aufstän dischen nach Wutschang begeben. Amerika. Auch den Amerikanern schafft der schlechte Ausfall der heurigen Ernte unangenehme Situationen. Abgesehen von kleinen, auf dem Gebiet der Selbsthilfe liegenden Maß nahmen, weiß man sich aber, der Teuerung zu begegnen, ebensowenig Rat wie bei uns. Der Trockenheit des SommcrS ist auch im Wunderland aller Möglichkeiten kein Kraut ge wachsen. Eine interessante Bewegung hat aber die ameri- UnterhaKungsteü Unter der Asche. Novelle von Emma HauShofer-Merk. 10) (Fortsetzung.) Erregt, bebend, mit einem Verlangen, sich zu betäuben, das völlige Klarwerden hinauszuschieben, blätterte Adelgunde weiter. Was hatte die Tante von ihrer Verlobung geschrieben, zwei Jahre später? War ihr nicht doch noch die Einsicht gekommen, daß sie Ewald in einem trügerischen Licht ge sehen, daß sie Arnold unrecht getan? Am 2. Februar 1892. »Ich bin ganz elend, ganz lebensmüde. Meine Schwester Rosa war heute hier und erzählte mir freudig und lächelnd, ihre Tochter habe sich mit Arnold Moser verlobt! Meine Ada, mein geliebtes Kind, seine Braut! Warum bin ich denn ein so seelenschwaches, mutloses Ge- schöpf, daS nie zu einem Entschluß kommen kann! Wie oft habe ich mir in diesem Jahre, auf dem Sofa liegend, auSgesonnen, daß ich an Ewald schreiben, ihm sagen müßte, welche schwarze Schatten sie auf seinen Namen wälzen. Aber wenn ich dann das Blatt vor mir liegen habe, dann packt mich eine solche Angst vor den Szenen, den Aufregungen, die entstehen müssen, sobald er eS weiß. — Ich sehe so viel Tragisches, so viel Unruhe voraus, daß ich mit dem Egois mus der Kranken jede Einmischung von mir weise. Ich kann nicht handeln, ich habe nicht die Kraft zu einem energt- schen Eingreifen. — Und so ost wollte ich meine liebe Adel gunde fragen, wie sie über die Dinge denkt, sie warnen! Aber daS böse Wort über Arnold wollte mir nicht über die Lippen. Wenn ich die Anklage aussprechen soll: .Er hat daS Geld genommen! Weil er wußte, daß jedermann Ewald, den durch gebrannten Stiefsohn, für den Schuldigen halten würde," — dann befallen mich doch wieder Zweifel, dann scheint mir alles nur ein böser Traum. Und heute, als Rosa hier war, konnte ich nur schüchtern fragen: »Hat Arnold denn Vermögen gehabt? Wie konnte er sein Geschäft anfangcn?" .Er hat ja eine Erbschaft gemacht von einem alten Onkel. Nicht viel, aber eS war doch ein kleines Kapital zur Ein richtung. Und Adelgunde bekommt auch eine ganz hübsche Mitgift," sagte meine Schwester. »Ich hatte nie etwas von einem Onkel gehört. Aber es wird wohl so sein!" sagte ich bitter. Da meine Schwester mich so erstaunt ansah, schwieg ich wieder. Vielleicht liebt Adelgunde ihn! Vielleicht habe ich mich immer über ihr Herz getäuscht. Wie darf ich dann jetzt, da er ihr Verlobter ist, das Ungeheuerliche andcuten, das ich nicht beweisen kann?" Adelgunde, die mit brennenden Augen gelesen hatte, schleuderte das Buch weit von sich. Nein! sie wollte sich nicht länger martern lassen. Warum hatte die Tante nicht vollständig geschwiegen? — Warum diese Zeilen nicht zer- stört, ehe sie starb? Warum das Ungeheuerliche dennoch schwarz auf weiß hier stehen lassen, daß sie es lesen mußte, jetzt nach Jahren, jetzt, da es zu spät war für jede Wen dung, da ihr Schicksal sich erfüllt hatte! Wieder kniete sie an dem Ofen nieder und stöberte her» um in dem Rückstand, den das Feuer und die Zeit verschont, der zum Verräter werden konnte für das, was so lange un entdeckt geblieben. Mit der Feuerzange, die neben dem Kohlenkasten hing, grub sie in der Asche, die noch auf dem Roste lag. — Ganz hinten, in der grauen Staubschjchte, fand sich rin schmaler, festerer Streifen Papier, der noch nicht angekohlt war. Als sie ihn hervorgezogen, gereinigt hatte, erkannte sie genau, was es war. Mit solchen Streifen waren immer die Hundert Mark Noten, die ihr Vater am Ersten bekam, zusammengchcftet. Man sah auch noch auf dem bläulichen Karton den Stempel der Bank. Daneben stand in Zahlen ,10,000 Mark". Und dieser Streifen lag hier, — in Lem Ofen, — in dem Zimmer, in dem Arnold Moser gewohnt hatte! Das Gehalt, das der junge Angestellte bekam, belief sich im ganzen Jahre nicht auf diese Summe! Und gerade zu jener Zeit war doch das Geld abhanden gekommen! — Ein vollgütiger Beweis war es ja nicht! — Aber der Brief — der zerstörte Brief Ewalds und Tante WilhelminenS finstere Zweifel — Der armen, gequälten Frau war^s mit einem Male, als klänge ihr eine Stimme ins Ohr: .Betrogen! Um dein LebenSglück betrogen!" Von Verzweiflung erfaßt, stürzte sie in das Nebenzimmer, in das Zimmer, in dem der Geliebte ihrer Jugend gewohnt, in dem man den blauen Oktoberhimmel, die buntfarbigen Ranken des wilden Weins hereinleuchten sah, den Garten überblickte in dem Hellen Herbstglanz, wie zur Zeit ihres höchsten, heißesten Liebesjubels. Sie fiel an dem Fenster in die Knie nieder, warf wie eine Rasende die Arme empor und stöhnte mit wildem Schluckzen: „Gebt mir meine Jugend wieder! Diese vierzehn Jahre, löscht sie aus! Ich will sie nicht gelebt haben! Ich will nich! so jämmerlich, so niederträchtig betrogen sein um mein Glück, meinen Glauben, mein ganzer Selbst! Es darf nicht sein, daß ich unlöslich an diesen Mann gebunden bin, —- daß dieser Schurke der Vater meiner Kiuder ist! Lieber den Verstand verlieren, lieber sterben, als diesen Gedanken ertragen!" Sie wußte nicht, wie lange sie so am Fenster gelegen und in den blauen Himmel hinausgestarrt hatte. Als eS zu Mittag läutete, wurde an der Tür gepocht. „Gehen wir jetzt nach HauS, gnädige Frau? ES wird wohl Zeit sein!" Sie erhob sich, — ihre Lippen lallten mechanisch: „Nach Hause!" — Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ein namenloses Entsetzen bemächtigte sich ihrer. „Gehen Sie nur," sagte sie mit abgewendetem Gesicht zn der Putzfrau, die auf der Schwelle stand. »Sagen Sie, ich würde nicht zu Tisch kommen. Ich bleibe hier, ich hätte hier noch weiteres zu ordnen." „Aber soll ich der gnädigen Frau nicht etwas zum Esse» holen?" (Fortsetzung folgt.)