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wir hätten ein starte- Volk, aber eine schwache Regierung, erhoben sich sämtliche anwesenden Offiziere, der Oberst de8 Regiments an der Spitze, und verließen demonstrativ den Saal. Zur Durchsicht deS russisch-deutschen Handelsver trages soll im Herbst im Handelsministerium zu Petersburg eine ständige Konferenz aus Vertretern der Ministerien, der Industrie und der Handelsorganisationen gebildet werden. Diese Konferenz soll alle Arbeiten zur Revision der Handels verträge zwischen Rußland und Deutschland vereinheitlichen und die Tätigkeit der lokalen Organisationen leiten, die es übernommen haben, für die Bearbeitung dieser Frage Mate- rial zu sammeln. Die Wahl des neuen Präsidenten Portugals d'Arriaga wird von der „Nordd. Allg. Zig." in ihrer jüngsten Wochen schau nur ganz kurz registriert und weder ein Glückwunsch ausgesprochen noch angedeutet, daß die Anerkennung der Re publik seitens der monarchischen Staaten bevorstehend sei. Die deutsche Heeresverwaltung bringt sowohl der Luftschiffahrt wie dem Flugwesen neuerdings erhöhte Aufmerksamkeit entgegen; die Unterstützungen, die Gelehrten! zu Luftschiffahrls-Experimenten gewährt werden sollen, und die vielfachen Preise, die bei Fliegerkonkurrenzen seitens der, Militärverwaltung gestiftet werden, beweisen es: Unermüdlich ! ist das Offizierfliegerkorps tätig, und was dabei erzielt wird, I zeigt der bei Darmstadt ausgcfühite erste Patrouillen-Flug,! der in einer halben Stunde mehr über die Stellung des Feindes aufklärte als Kavallerie Patrouillen in mehreren Stunden es vermochten. Im selben Maße aber, als die^ Verwendungsmöglichkeiten der Luftschiffe und Flugzeuge ver-! vollkommnet werden, werden auch die Abwehrmittel den Luft- > Waffen gegenüber verbessert. Krupp hat jetzt ein Geschoß! für Steilfeuergeschütze konstruiert, das seine Flugbahn durch einen Rauchstreifen kenntlich macht, so daß sich ein Geschütz, das ein Luftschiff oder einen Aeroplan aufs Korn nimmt, in kürzester Frist eingeschossen hat. Der sozialdemokratische Parteibericht, der bekannt lich ein beispielloses Anschwellen der Sozialdemokratie im letztvergangenen Jahre feststellen kann, zeichnet sich wiederum durch starke Uebertreimngen in der Behandlung der Gegner aus. Die Wahl der Ausdrücke ist kennzeichnend. Hier eine Blütenlese daraus: Es wird von der „Moabiter Schmach" erzählt und den „Protektoren der Fleischnot", von der Ent rechtung des geknebelten Volkes, dem „Raub der Reichen am kargen Lebensunterhalt des Arbeiters", von der „Ge- schästsgenossenschaft der Schnapsblöcklichen Schnapphähne", der Kolonialfexerei und dem „ewig lüsternen Rachen des Marinismus". Dann geht eS wider die „dem Moloch dienende Geldaristokratie" und wider die schwarze Regierungs partei, die mit der Kaltblütigkeit des Scharfrichters die ReichSverficherungsordnung dom Leben zum Tode gebracht habe usw. Wo ist Ingenieur Richter? Auf telegraphische Erkun digung nach Richters Verbleib erhielt die Firma Zeiß in Jena bisher keine Antwort. Die Nachricht, der Entführte befinde sich in Ostrowo in Quarantaine, begegnet bei den Familienangehörigen starken Zweifeln. Sicherheit über daS Schicksal des vielgeprüften Mannes, der doch, wenn er sich in voller Freiheit befände, längst seiner Mutter und seiner Frau eine direkte Nachricht hätte zugehen lassen, besteht im Augenblicke leider noch nicht. Die griechische Regierung be- fürchtet, daß sie zur Zahlung des Lösegeldes angehalten wer den könnte und protestiert entschieden dagegen, daß Richter auf griechischem Boden gefangen gehalten oder freigelaflen worden sei. Eine sonderbare Erscheinung des dürren- Sommers jungtürkische Komitee auf den Sturz des ihm verhaßten Großwefirs Hakki Pascha hin, vermochte ihn allein jedoch nicht aus dem Amte zu entfernen. Der Großwesir scheint das Treibens müde geworden und jetzt freiwillig gegangen zu sein. Maulwürfe kommen aus der „Unterwelt" herauf und lausen auf der Erde herum, als wenn sie von einem Fieber er griffen wären. Viele finden dabei durch Uebersahrenwerden den Tod. Sehr wahrscheinlich treibt der Hunger die Tiere herauf. Infolge der langen Dürre sind die Würmer und Kerbtiere, von denen die schwarzen Gesellen leben, einge- gangen und sie versuchen nun, über der Erde noch etwas zu erhaschen. *— DaS neue Jagdjahr beginnt am 1. September. Wer die Freude des edlen Weidwerks genießen will, hat sich eine Jagdkarte zu besorgen. Wenn alle Welt darüber klagt, daß wir schlimmen Zeiten entgegengehen, dann haben die Jäger Heuer keinen Grund zum Lamentieren, ihre Aussichten sind im Gegenteil in den meisten Gegenden vortrefflich. Die Hasen haben seit dem März den ganzen Sommer hindurch die beste Gelegenheit gehabt, für zahlreiche Nachkommen zu sorgen, und auch die Truten der Hühner hatten nicht unter England. Es spukt in England. Auf der Themse bei London wurde von den englischen Behörden ein geheimnisvolles Schiff angehalten. Es war ein zweimastiger Dampfer ohne Ladung, aber mit einer umfangreichen Ausrüstung für drahtlose Tele graphie an Bord. AIS die Besatzung merkte, daß sie beobachtet wurde, verschwand sie über Nacht, und der Dampfer blieb herrenlos liegen. Einem wilden Gerücht zufolge war das Ziel des Schiffes Marokko, und nach einem andern sollte der Dampfer im Dienst der portugiesischen Royalisten stehen und im Begriff gewesen sein, nach dem Norden von Portugal zu segeln. Bei Barrow-on-Farneß wurde ebenfalls ein in der Türkei darauf hindeuteten, daß das Kabinet nur auf *— Eine sonderbare Erscheinung des dürren- Sommers schwachen Füßen stand. Seit langem schon arbeitete das iH das Sterben der Maulwürfe in dielen Gegenden. Die zweiter Dampfer, der Kriegsmaterial unbekannter Bestimmung an Bord hatte, beschlagnahmt. Der Kapitän des Schiffes verweigert jede Auskunft über seine Auftraggeber. Aus -em Muldentale. ^Waldenburg, 28. August. Der konservative Verein für Waldenburg und Umgegend hielt am vergangenen Sonntag in der Reichskneipe hierselbst seine ordentliche Generalver sammlung ab, in welcher der Vorsitzende Herr Amtsgerichtsrat Or. Laue den Jahresbericht und der Kassierer Herr Kauf mann Opitz den Kassenbericht erstattete. Bei der Neuwahl der Vorstandsmitglieder wurden sämtliche seitherige Mitglieder einstimmig wiedergewählt. Schließlich erfolgte noch eine all gemeine Aussprache über die bevorstehende Reichstagswahl. *— Die hiesige Kirchgemeinde beging gestern Sonntag ihr Erntedankfest. Die Kirche war mit Erntekränzen geschmückt. Die Festpredigt hielt Herr Oberpfarrcr Harleß Der Kirchen chor sang den Chor mit Solo: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" aus dem Oratorium „DieSchöpfung" von Haydn. */— In verschiedenen Blättern wird eindringlich gemahnt, in diesem Jahre den Tag von Sedan besonders würdig zu feiern, damit das Ausland sieht, daß man in Deutschland einig ist, seine nationale Würde zu wahren und eventuell zu verteidigen. Es wird u. a. geschrieben: „Es hat in früheren Jahren nicht an guten Leuten gefehlt, die da meinten, man möchte von einer Feier des Sedantages abschen, damit nicht französische Empfindlichkeiten geweckt würden. Aber selbst die eifrigsten Friedensschwärmer dürften in diesem Jahre ein sehen gelernt haben, daß es gerade im Interesse des Frie dens liegt, wenn man die Franzosen recht eindringlich er innert. Ein nicht geringer Teil der französischen Presse hat in den letzten Wochen gegen Deutschland einen Ton ange« schlagen, der beweist, wie sehr man in Frankreich die Er innerung an Sedan verloren hat. Dieser Ton hätte nicht höhnischer und verächtlicher sein können, wenn wir die Besieg ten von 1870 gewesen wären. Das aber hat man in Frankreich ganz vergessen und so schlägt man wieder genau denselben Ton an, der kurz vor Ausbruch des Krieges 1870 zu hören war, wo die Franzosen sich vermaßen, binnen sechs Wochen als Sieger in Berliu einzuziehen. Nun, damals zogen schon in kürzerer Frist Franzosen in Berlin ein, aller dings als Gefangene, während genau 6 Wochen nach dem Kriegsausbrüche der französische Kaiser seinen Degen über geben mußte und damit das Schicksal deS zweiten Kaiser reiches besiegelte." Oesterreich-Ungar«. Ein Kaiser-Franz-JosepH.Denkmal wurde am Sonn- tag in Karlsbad in Gegenwart des Erzherzogs Friedrich und deS Statthalters Fürsten Thun enthüllt. DaS Denkmal wurde von deutschen Kurgästen des böhmischen Badeorts gestiftet. Die Festrede hielt der deutsche nationalliberale Reichstags abgeordnete Paasche. Frankreich. In der französischen Kammer wird das deutsch-russische Abkommen über Persien zu einer Interpellation her- halten müssen. Dem Minister des Aeußeren wurden bereits die beiden Anfragen angekündigt: Welcher Einfluß bleibt für Frankreich in Persien nach dem deutsch russischen Ab- kommen noch übrig und warum wurde der frühere französische Gesandte in Teheran, der dort eine echt französische Politik vertrat, strafweise zur Disposition gestellt? Die Militärbehörde in Rennes ordnete eine strenge Unter- suchung der Schränke der Soldaten an. Zehn Soldaten wurden im Besitz revolutionärer Schriften gefunden, und wurden ferner überführt, Geldsendungen von dim All gemeinen Arbeiterbunde erhalten zu haben. Es wurde be- schlossen, die Soldaten in andere Garnisonen zu versetzen, namentlich in die von Süd- und Oftfrankrcich. Der englische General French, der die französischen Manöer besuchen wollte, begab sich trotz deren Absage nach Frank reich. Er ging mit vier militärischen Begleitern nach Nord frankreich. Wiederholt hat General French solche Studien reise in Südfrankreich bereits gemacht. Seine diesmalige Anwesenheit hat, wie man mitteill, ganz bestimmte militärische Zwecke, deren Charakter geheim gehalten wird. Das neue französische Flottenprogramm kündigt eine Forderung von 90 Millionen für die Verstärkung der Forts an der Nordseeküste an. 19 Dreadnoughts, 8 Kreuzer und 76 Untersee- und Torpedoboote sollen gebaut werden. Belgien. König Georg von England beschloß, dem Könige Albert von Belgien durch eine besondere Mission unter Führung des Prinzen Connaught den Hosenbandorden überreichen zu lassen. Die Jnsignie^l des Ordens werden dieselben sein, die der verstorbene König Leopold getragen hat. Auch Lord Roberts wird der Mission angehören. Türkei. Die Demission des gesamten türkischen Ministeriums, > die der Großwefir am Sonntag einreichen wollte, hat Ueber- raschung hervorgerufen, obwohl die fortgesetzten Ministcrkrisen Unterhaltungsteil. 42) Ein schwüler Duft die Am Die weißen Lilien im Kloster- Morgen hingen sie müde Kelche betaut von schweren Modeste kam nicht zum Frühstück. Sie ließ sich mit Kopf schmerzen entschuldigen. Es war ihr ganz unmöglich, irgend einem Menschen zu begegnen. Fra« Ricka klopfte verschiedene Male an ModesteS Tür. Sie blieb verschlossen. „Ich bin nur müde, Mama," antwortete sie durch die Sündige Mütter. Roman von Anny Wothe. (Fortsetzung.) war es heimlich und kühl. Frau Ricka war zu Frau Pastor hinübergegangen, ihre innere Unruhe zu beschwichtigen. Die klaren blauen Augen der Pastorenfrau gaben immer eine so angenehme Sicherheit, eine so wahre Erquickung wie ein Trunk aus einem frischen Brunnen. Ena und Anne- Liese hatten im Kreuzgang Kunstgeschichtsstunde bei Professor LüderS. Waldy war in der Stadt und Arne Thorsen auf einem Spazierritt. Modeste zitterte, daß sie zurückkehren könnten, ehe ihre Mission beendet. Sie mußte die Herzogin, wenn sie wirk- lich kam, allein sprechen. Gerade als Modeste die breite dunkle Holzstiege mit dem geschnitzten Geländer Hinabstieg, fuhr die Hofequipage mit der Herzogin an dem Portal deS Thorsenhofes vor. Modeste stand hochaufgerichtet, bleich, aber entschlossen in dem kühlen, holzgetäfelten Wohnzimmer, wo die Linden an die Fenster klopften, und erwartete den fürstlichen Besuch. ES viel ihr gar nicht ein, der Herzogin entgegenzugehen, die augenscheinlich schon etwas verstimmt war, daß niemand Lebensgefährtin zu sein, so gut ich eS vermag." sTür auf Frau Rickas besorgte Frage. „Gönn' mir noch ein Sie reichte ihm lässig die schlanke Hand entgegen, die er klein wenig Ruhe, nachher möchte ich mit Dir sprechen." Frau Ricka schritt seufzend wieder hinab. Ihr Herz war voller Unruhe und Besorgnis. Das seltsame Wesen Mode- Jn dieser Nacht starben garten des Thorsenhofes. und gebrochen am Wege. > Tränen. — Modeste?" „Morgen." „Schlafen Sie wohl, Teuerste," flüsterte er, noch einmal ihre willenlos herabhängende Hand an seine Lippen ziehend „und auf Wiedersehen morgen." Sie neigte stumm daS Haupt, dann glitt sie still im Mondenlicht dahin, dem Kreuzgang zu. „Gewonnen!" jubelte er auf, „Gewonnen!" Dann verschwand er hinter der Mauer, und sein Schritt hallte fest und sicher durch di« Nacht. Modeste lauschte lange dem Klang. ES war ihr, als ob Erdschollen auf einen Sarg fielen. DaS Licht im Eßzimmer war erloschen, daS Gespräch auf der Terrasse war verstummt. Dunkel lag daS HauS. Nur die Dächer flimmerten jetzt im silbernen Licht. „Braut!" murmelte Modeste bitter, und dann lachte sie laut, fast gellend aus. Es klang wie daS Lachen einer Wahn sinnigen. an seine zuckenden Lippen zog. „Modeste, Teuerste!" Wie Jubel brach eS seinem Munde. Sie ließ das dunkle Haupt wie müde auf die Brust sinken, stes flößte ihr Furcht ein. „Bitte, ich kehre allein durch den Garten zurück," wehrte! Und dir Mittagssonne stieg höher. sie ab, alS er sich anschickte an ihrer Seite zu bleiben, „neh- lag über dem Klostergarten. Im Innern des Thorsenhofes men Sie Ihren Weg wie vorhin, ungesehen." ---- -» „Und wann darf ich zu Ihrem Herrn Vater kommen, „Ich nehme Ihren Antrag an, Herr Landrat," sagte sie tonlos, indem sie die Schleppe ihres schwarzen Kleides zu sammenraffte. „Ich liebe Sie nicht, und ich werde Sie wohl, auch nicht lieben lernen. Genügt Ihnen ein Weib, das treu seine Pflichten erfüllt, fo will ich eS versuchen, Ihnen eine Von der Familie sie beim Vorfahren empfing. Gefolgt von der Hofdame Gräfin Bredow und dem Kammerherrn von Stiebnitz, die Röte der Erregung auf den leicht gepuderten Wangen, trat sie ins Zimmer. „Meine liebe Modeste," grüßte die Fürstin das junge Mädchen gütig, das bewegungslos in der Mitte des ZimmerS stand und mit düstern Augen dem hohen Gast entgegensah, während das weiße Wollkleid wie Schwancngefieder an ihrer schlanken Gestalt herniederfloß, wie glücklich bin ich, wenig stens Sie anzutreffen." „Die Eltern find nicht daheim, Hoheit," sagte Modeste, die huldvoll gereichte Hand mit einer tiefen Verbeugung küssend. „Sie werden ungemein bedauern." „Nicht mehr als ich, liebstes Fräulein von Thorsen. Sehen Sie, liebe Bredow," wandte sich die Herzogin, eine stattliche Fünfzigerin mit ehemals blondem, jetzt schon einen grau weißen Schimmer zeigendem Haar, leutselig an die Hofdame. „So geht es mit den Ueberraschungen. „Hätten wir unS angemeldet, so hätten wir jetzt das Vergnügen, die lieben Thorsens alle beieinander zu sehen." Modeste knixte noch einmal, um das bittere Lächeln, daS ihr auf die Lippen trat, zu verbergen. „Lieber Stiebnitz," sagte die Herzogin, „wollen Sie nicht die Liebenswürdigkeit haben und der Gräfin den Garten und die Ruine zeigen? Die gute Bredow kennt die Herrlichkeiten hier noch nicht." Der Kammerherr klappte wie ein Taschenmesser zusammen, und seine Rockschlippen flogen, als er dienstbeflissen der „guten" Bredow die Tür öffnete, um seiner Herrin Gelegen heit zu geben, „allein" zu sein. „Merken Sie was, Gräfin?" fragte er die blaffe Hof dame mit den vielen Sommersprossen im Gesicht, als sie auf den weiten halbdunklen Flur traten. „Ich sage Ihnen, Gräfin, es gehen Dinge vor — Dinge! — Verfluchte Wirt schaft hier," sagte er dann leicht stolpernd, „nicht mal Licht und nirgends ein Dicnstbote zu entdecken, na, im Thorsenhof möchte ich nicht tot sein." (Fortsetzung folgt.)