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zipien. Um die grundsätzliche Anerkennung oder Ablehnung der Arbeiterorganisation als gleichberechtigter Faktor bei Ver handlungen über den Arbeitsvertrag handelt eS sich. Und das ist eine Forderung, auf der die Arbeiter hartnäckig zu bestehen gewillt find. Anscheinend angereizt durch die Erfolge der Londoner Transportarbeiter bereitet der „Deutsche Trans- portarbeiterverband" einen Streik im Berliner Verkehrswesen vor. Man rechnet damit, daß ein Straßcnbahnerstreik in Berlin Erfolg baden muß, denn die „Große Berliner Straßen bahn" darf nach dem Kleinbahngesetz den Betrieb als Ab wehr gegen die Ansprüche des Verbandes längere Zeit nicht einstellen, um nicht der Konzession verlustig zu gehen Ein Vorgehen der Arbeiter nach dem Londoner Muster würde allerdings sehr nach Erpressung schmecken. Die schnelle Hilfe, die nach Bayerns Vorgang auch Preußen der durch die heurige Mißernte hart bedrängten Landwirt schaft durch die Herabsetzung der Eisenbahntarise für Futtermittel um die Hälfte des Betrages zuteil werden ließ, ist überall willkommen geheißen worden, von den städtischen Konsumenten nicht minder als von den Landwirten selber. Alle Teile wissen, was auf dem Spiele steht. Wür den die Landwirte gwöügt, infolge des Futtermangels ihre Viehbestände wesentlich einzuschränken, dann würden wir zum Winter eine Fleischteuerung erhalten, wie wir sie noch nicht kennen gelernt haben In Verbindung mit dem hoben Stande aller übrigen Lebensmittelpreise bis auf das Brotgetreide müßte eine Fleischtcuerurg eine ernste Gesährdung der Lebens haltung der breiten minderbemittelten Schichten unseres Volkes zur Folge Haden. Augenblicklich hat die Teuerung wenig stens auf die übrigen ErwerbZgebietc noch keinen nachteiligen Einfluß ausgkübt. Die stark gestiegenen Einnahmen der deutschen Eisenbahnen sowohl im Personen- wie im Gepäck- Verkehr zeigen vielmehr, daß das Geld noch flott rolliert und daß die wirtschaftliche Konjunktur eine günstige ist. Hoffent lich bleiben auch späterhin die sozialen Einwirkungen der LebenSmittelteuerung hinter den gehegten Befürchtungen zurück. Der Abschluß und die Veröffentlichung des deutsch-, russischen Abkommens über Persien gerade im gegen wärtigen Augenblick ist als ein schöner Erfolg der deutschen Diplomatie zu begküßen, durch den der Politik der Iso lierung Deutschlands nachdrücklich das Ende bereitet wird. Nach dem Abkommen verpflichtet sich Deutschland, in dem russischen Interessengebiet in Nordpersien keine Eisenbahnen, Straßen und Telegraphenlinien zu bauen noch politische Kon zessionen zu erwerben, dafür verpflichtet sich Rußland, in be stimmter Zeit eine Anschlußbahn an die mit deutschem Kapital hergestellte Bagdadbahn zu bauen. Das Abkommen geht von dem Grundsatz aus, daß der Handel aller Nationen in Persien gleichberechtigt ist, daß aber Rußland in diesem Lande besondere Interessen besitzt, während Deutschland dort nur HandelSziele verfolgt. Demgemäß verpflichtet sich die deutsche Regierung, im nördlichen Persien weder für sich selbst Eisenbahn-, Telegraphen-, Schiffahrts- oder Wegebau- konzesfionen nachzusuchen oder solche Gesuche deutscher oder fremder Staatsangehörigen zu unterstützen. Die russische Regierung, die eine Konzession für den Bau einer Bahn in Nordpersien zu erlangen beabsichtigt, verpflichtet sich dagegen, die Konzession für den Bau einer Bahn einzuholen, die von Teheran ausgehen und in Khanekin endigen soll, um jenes Eisenbahnnetz an der türkisch-perfischen Grenze an die Linie Sadidje-Khanekin anzuschließen, sobald die Zweigstrecke Konia- Bagdad fertiggestellt ist. Nach Erlangung der Konzession müssen die Bahnarbeiten spätestens in vier Jahren beendigt sein. Bei der endgültigen Linienführung wird Rußland den deutschen Wünschen Rechnung tragen. Auf der Linie Teheran- Bagdad über Khanekin werden beide Regierungen zur För derung des Verkehrs auf Durchgangszölle oder Differenzie rungen verzichten. Baut Rußland die Linie Teheran-Khanekin nicht rechtzeitig, so soll Deutschland das Recht erhallen, die Konzession zum Bau dieser Eisenbahn nachzusuchen, durch welche die persische Hauptstadt mit Bagdad und dadurch geraden Weges mit Europa verbunden wird. Die russische Regierung verpflichtet sich in Würdigung der großen Be deutung der Bagdadbahn für den internationalen Handel zu- ! dem ausdrücklich, den Bau dieser Bahn in keiner Weise zu hemmen oder durch Beteiligung fremden Kapitals zu hindern. An allen Tarif- oder sonstigen Privilegien nahmen beide Vertragschließenden teil. Das Abkommen an sich hat nur wirtschaftliche Bedeutung; sein politischer Wert besteht in dem Umstande, daß es gerade jetzt während der deutsch-französischen Marokkoverhandlungen veröffentlicht wurde, wo es Frankreich und vielleicht in noch höherem Grade England unangenehm sein muß. Es ist auch an das Bismarck-Wort zu erinnern: ! Das Interesse Englands ist eS, daß wir mit Rußland schlecht ^stehen, unser Interesse, daß wir mit ihm so gut stehen, wie es nach der Sachlage möglich ist. ! Marokkanisches liegt heute nur wenig vor, da die Ber liner Marokkoverhandlungen bis auf weiteres ruhen. Die „Nordd. Allg. Ztg." schweigt in ihrer jüngsten sonntäg lichen Wochenschau über Marokko ganz. In Paris machte sich nach der ersten Aufregung über die Stockung wieder eine ruhigere Auffassung bemerkbar. Man glaubt dort, daß die Wiederaufnahme der Unterhandlungen erst im September erfolgen werde. In den Blättern ist auch von einer ganz neuen Grundlage der Verhandlungen die Rede, über die der Botschafter Cambon seiner Regierung Bericht erstattet habe. Die Veröffentlichung des deutsch-russischen Abkommens über Persien hat auf die erhitzten Gemüter wie eine kalte Douchc gewirkt und hätte zweifellos zu unüberlegten Aeußerungen gegen Rußland Veranlassung geboten, wenn der unmittelbar bevorstehende Abschluß des Vertrages nicht vor wenigen Tagen bereits angekündigt worden wäre. Der englischem Botschafter in Paris Berlin hatte eine anderthalbstündige § Unterredung mit dem Minister des Aeußern de Selbes. Die 1 Gerüchte von einem neuen Aufstand marokkanischer Stämme ! gegen den Sultan Mulay Hafid haben keine Bestätigung ge funden. Bei der Fleischteuerung, die uns ohne Zweifel bevorsteht, dürfte wieder mehr die Seefischnahrung als Fleischersatz in Aufnahme kommen. Das Fischfleisch wird noch lange nicht als gesunde und kräftige Fleischnahrung gewürdigt, wenn schon sich in dieser Beziehung manches in letzter Zeit ge- ! bessert hat. Das Fischfleisch populär werden zu lassen, halfen die von vielen Stadtverwaliungen veranstalteten städtischen Fischmärlte mit, die auch wohl wieder im kom- wenden Winter im Aufnahme kommen werden. Vielfach wurden ja auch unentgeltliche Fisch-Kochkurse erteilt. Das gegenwärtig auf der Werft von Friedrichshafen liegende, Anfang September fertiggeftellte neue Zeppclin-Luftschiff ! wird ReichScigentum sein. Das Luftschiff erhält Köln als i Standort, wo die dortige Militärluftschiffhalle bereits für seinen Empfang in Stand gesetzt wird. Wahrscheinlich wird das Luftschiff, das seine Probefahrt nach Baden-Baden zu den dortigen Rennen ausführen wird, noch an den dies jährigen Manövern teilnehmen. Das Fahrzeug ist mit drei ! Motoren ausgerüstet und so gebaut, daß es schwere Lasten ! befördern kann. Oesterreich-Ungar». Die argentinische Fleischeinfuhr darf in Oesterreich nicht stattfinden, da dieses genötigt war, die großen Zuge ständnisse, die Ungarn sür seine Zustimmung zu der Einfuhr forderte, abzulehnen. Der Thronfolger Franz Ferdinand trifft am 6. Sept, als Gast des Kaisers zur Teilnahme an den deutschen Flottenmanövern in Kiel ein. Heattrrrtch. Der Zwischenfall von Aix les Bains, wo von einem Nanzier Schuhwarenfabrikanten unter dem Beifall der Menge eine deutsche Fahne beschimpft wurde, ist von der französi schen Regierung zum Gegenstände einer strafrechtlichen Unter suchung gemacht worden. Das französische Kabinett hat der deutschen Reichsregierung davon auch offiziell Mitteilung ge macht, womit die Angelegenheit für Deutschland endgültig er ledigt ist. Als vor drei Jahren König Eduard von England in Berlin war, wurden dort, wie erinnerlich, von einigen Rowdics englische Fahnen zerrissen. Die Strolche erhielten ihre Strafe und damit war die Angelegenheit auch für Eng land ohne weiteres erledigt. Die diesjährige Flottenschau soll besonders großartig gestaltet werden, um der Welt ein Beispiel der maritimen Macht Frankreichs zu geben. Der Marineminister ordnete an, daß die für den 4. September anberaumte Flottenschau auf der Reede von Desvignettes stattsinden soll, da die Touloner Reede nicht ausreicht. Italic» Streikende Hüttenarbeiter in Piombino bei Pisa griffen den bei den Hochöfen angestellteu deutschen Ingenieur Braß mit Steinen und Knütteln an und verwundeten ihn leicht. Polizisten feuerten zum Schutze deS Angegriffenen Revolver- schüffe ab und verhafteten die Schuldige«. Ämgza«d. Der englische Eiseubahnerstreik wurde beigelegt und in der Nacht zum Sonntag um 11 Uhr 4V Minuten der Betrieb auf allen Linien des Landes wieder aufgenom men. Diese schnelle Beendigung des Eisenbahnerstreiks, der in unserer im Zeichen des Verkehrs stehenden Zeit in kürze ster Frist die ungeheuersten Schädigungen zur Folge hätte haben müssen, ist nicht allein auf das den Eisenbahnern ge machte Zugeständnis zurückzusühren, wonach die Gesellschaften unter Ausschaltung der ihnen vor vier Jahren aufgedrängten VermittelungSausschüffe unmittelbar mit den Gewerkschafts vertretern fortan wieder verhandeln müssen. Auch die Zu sicherung der geforderten 54stündigcn wöchentlichen Arbeits zeit allein hat die günstige Wendung nicht herbeigeführt. Dazu hat vielmehr wesentlich die entschiedene Haltung der Regie rung mit beigetragen, die weitestgehende Schutzmaßnahmen an- gekündigt, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und die Sicherheit des Landes garantiert hatte. Auch die Androhung schwerer Zuchthausstrafen für Sabotageakte hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Nach alledem versteht man eS in Englünd doch besser als in Frankreich die Ordnung auf rechtzuerhalten. Ueber den Umfang des angerichteten Schadens bleiben genauere Mitteilungen noch abzuwarten. Allein in London hatten 13 Bahnhöfe zeitweilig geschloffen werden müssen. In verschiedenen Gegenden waren auch Telegraphen- und Telephondrähte durchschnitten und Signalapparate be schädigt worden, trotzdem die Bahnlinien von Militär gut bewacht worden. In der Stadt Llanelly in Südwales fand ein Straßenkampf zwischen Militär und Streikenden statt, wobei von den letzteren zwei getötet wurden. Nachdem auch der Streik der Londoner Auslader beendigt wurde, darf man Wieder flog ein Schauer durch Frau Rickas Seele, aber äußerlich war sie vollständig beherrscht. „Die Bahn ist frei für Sie, Herr Landrat." ! Er blickte sie Prüfend an. Spielte sie mit ihm? War ! ihr gehaltenes Wesen nur MaSke? Wollte sie ihn täuschen? ! „Hüten Sie sich, schöne Frau," sagte er. „Wäre Modeste Tin eisiger Blick aus Modestes großen Augen ließ ihn nicht so hinreißend schön, bei Gott, ich würde weniger nach verstummen. i sichtig sein und weit weniger Gedud haben, die Sie ins- .Verzeihen Sie, Herr Landrat," sagte sie kühl. „Papa besondere auf eine sehr harte Probe stellen." bedarf meiner Hilfe beim Brauen der Bowle." s In demselben Augenblick trat Modeste wieder zu ihnen, Und ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie den Landrat totenbleich und ein unstetes, flackerndes Licht in den Augen. stehen und schritt hochaufgerichtet von dannen. ! „Was hast Du, Modeste?" fragte Frau Ricka besorgt. Der sah ihr etwas verdutzt nach, dann aber preßten sich „Prinz Achim fährt soeben vor. Papa ist ihm entgegen- die Lippen fest zusammen, und seine grauen Augen blickten gegangen." Sündige Mütter. Roman von Anny Wothe. (Fortsetzung.) seltsam auf. Es war, als tanzten fahle, grüne Lichter darin. „Je später der Abend, um so schöner die Leute," lächelte Wie Modeste dahinschritt! Wie eine Königin der Nacht, der Landrat boshaft. „Kehrt der Prinz oft bei Ihnen so die gekommen ist, ihren Sternenmantel auSzubreiten. lose Gazcgewand im Sezesfionsstyl, nur um den Halsaus schnitt von einer breiten Goldstickerei umgrenzt, mit den langherabfallenden, weiten, offenen Aermcln — eine Lieb, lingstracht von Modeste — ohne jeden Schmuck, gab ihm Zeugnis von einem ganz raffinierten Geschmack. Der Landrat verfolgte sie lange mit den Augen. Dabei drückten seine Mienen einen unbeugsamen Willen und tiefe Gereiztheit auS, die auch in seiner Stimme noch wiederklang, als er jetzt zu Ricka Thorsen, die ihm vom Kreuzgang her entgegenkam, grollend sagte: „Wenn eS nicht zu unklug wäre, Frau Ricka, so müßte ich glauben, Sie hätten Fräulein Modeste instruiert, mir aus dem Wege zu gehen. Ich wiederhole Ihnen noch einmal in aller Güte, Ricka, eS ist nicht nur töricht von Ihnen, sondern einfach gefährlich." „Ich bin ganz machtlos," zuckte Ricka Thorsen gleichmütig die Schultern. „Ich kann doch Modeste nicht zwingen." „DaS verlangt auch Niemand, teuerste Frau," entgegnete er mst leisem Spott, „aber freie Bahn, die müssen Sie mir lassen, oder ich lasse jede Rückficht fallen und bahne mir selbst den Weg zum Ziel." DaS unangemeldet ein?" Die höhnische Bemerkung trieb Frau von Thorsen das Blut in die Wangen, und Modestes Augen wandten sich ganz entgeistert dem Landrat zu. „Prinz Achim ist der Jugendfreund meiner Kinder und ! meines Neffen. Außerdem wissen Sie wohl, daß er mit ! Professor Lüders gemeinsam einige Bände Reisebeschreibungcn i herauigibt, die mein Neffe illustriert," verwies ihn Ricka ernst und stolz. „Der Thorsenhof war dem Prinzen schon alS Knabe eine zweite Heimat, und ich hoffe, daß sie eS ihm bleiben wird." Ricka wandte dem Landrat den Rücken und schritt mit Modeste dem Kreuzgang zu, eS Ufingen überlassend, ihr zu folgen oder nicht. „Verflucht," murmelte er, langsam hinter den Frauen her schreitend, „die Gefahr hier scheint mir doch größer, als ich ahnte. Diese Gletscherjungfrau aber in Liebe erschauern zu lassen, dünkt mich doch eine Aufgabe, die es wohl wert ist, einen doppelt schweren Kampf zu riskieren." Er erreichte den Kreuzgang gerade, als Prinz Achim sich tief über Frau Rickas Hand beugte. „Ich wäre ja gern zum Tee gekommen, meine gnädigste Frau," hörte er den Prinzen mit weicher Stimme sagen, „aber es war unmöglich. Der Gesandte von K. war da. Irgend ein neues Heiratsprojekt, wie ich glaube," lächelte er spöttisch, „und da war es schwer, mich loszureißen. Haben Sie noch eine Tasse Tee, Fräulein Modeste? Ich nehme sie doch am liebsten aus Ihren schönen Händen." Modeste süllte schweigend die Tasse aus der blinkenden Teemaschine. „Zucker, Hoheit?" fragte sie, ohne den Prinzen anzusehen, denn sie fühlte die Augen des Landrats auf sich ruhen. „Wie einst, Modeste," gab der Prinz leise zurück, „wissen Sie es noch?" Sie nahm mit ihren schlanken Fingern behutsam ein Stück Zucker, und ließ es in die gefüllte Tectaffe gleiten. Sie sah dabei nicht auf, erst als sie dem Prinzen die Taffe reichte, und er zögerte, sie ihr abzunehmen, sah sie so ge zwungen in seine Augen. „Ich muß Sie noch heute sprechen, Modeste," raunte ihr der Prinz zu. „Nur darum bin ich gekommen." „Ich Wüßte nicht, was-Hoheit mir zu sagen hätten," gab sie kühl zurück, hastig zur Seite tretend. -Um zehn Uhr an der Ruine," flüsterte er zurück. „Es gilt unser Glück." „Unser Glück," wiederholte sie bitter lächelnd, dem Prinzen die Gebäckschale reichend. „Hoheit sollten daS alte labrige Zeug verschmähen," rief Arne Thorsen, die blumengeschmückte Bowle, deren Behälter in einem kupfernen Kessel an blanken Ketten schwankte, herzu tragend. „Hier dieser Stoff ist besser, herzhaster." Prinz Achim versicherte, das Seinige tun zu wollen, er war aber bei der allgemeinen Unterhaltung zerstreut und teilnahmslos, nur mit Ena und Anne-Liese, die wieder gekommen waren und nun kichernd die Köpfe zusammen steckten, scherzte er. „WaS machen die kleinen Pastoren, Fräulein Anne-Liese?" fragte er. „Ist Ihnen neulich der Tanz gut bekommen? War es hübsch?" (Fortsetzung folgt.)