Volltext Seite (XML)
1. Mage Mm Schönburger Tageblatt. - «. Ws «WM,IIMM«1McMIlMMMNIW»IIIMMI!II, I MI MIM—M——M« , , -Wil".«» 178. Sonntag, den 3. August 1902. Danzig Kannte unter dem Sternenbanner Amerikas. Aus dem Tagebuche eines Leichtmatrosen von I- Köster. Nachdruck verboten. XVI. Jokohama und seine Merkwürdigkeiten. — Ein Ausflug nach Japans Haupt- und Residenzstadt Tokio. — Shogunengräber. — Japans fort schrittliche Kultur. Jokohama liegt unter 35» 26" nördlicher Breite und 139» 39' östlicher Länge an einer guten, jetzt durch Wellenbrecher gegen Versandung geschützten Rhede, im Hintergründe von Hügelreihen eingerahmt, und zerfällt in drei verschiedene Stadttheile: im Osten liegen die europäischen Bauten der großen Handlungshäuser, Ver kaufslager und Klubs, die Mitte nehmen Präfektur, Postgebäude, Zollgebäude und andere öffentliche Ge- bäude ein, im Westen dehnt sich die regelmäßige Javaner stadt mit ihren Holzbauten aus. Jokohama hatte da- mals schon 64,000 Einwohner, im Jahre 1895 aber schon mit Kanagawa 190,000. Kanagawa ist etwa 4 Irin von der eigentlichen Stadt Jokohama entfernt und seit 1880 durch eine Eisenbahn mit demselben verbunden. Tie Eisenbahn von Jokohama nach Kanagawa und weiter nach Tokio führt über eine schmale Landzunge, Takasimatsu genannt, welche den See Hiranuma von der eigentlichen Jokohama-Bai trennt. In den letzten fahren ist Kanagawa so ziemlich mit Jokohama verwachsen. Als Handelsplatz nimmt Jokohama noch immer die erste Stelle in ^apan em wenn auch Kobc-Hiogo be- » Anfuhr ^eich hohe Ziffern er- reicht. Sie Ausfuhr Yokohamas betrug im ^abr 1894 153 Millionen Mark, der eine Einfuhr von 108 Mil lionen gegcnäbersteht. Ter Seeverkehr wies im Jahre 1881 1785 ein-und auslaufende Dampfer und 246 Segelschiffe mit zu- sammen 2^ Millionen Tonnen auf. Von diesen Schiffen waren allein 206 deutsche mit 236,000 Tonnen. Sieden Dampferlinien unterhalten einen regelmäßige» Verkehr mit Schanghai, Hongkong, Singapore, Bangkok, Honolulu und San Franzisko. In Jokohama wehen die Flaggen aller Lonsulate, die deutsche Flagge weht außerdem noch auf dem herr lich am Fuße eines hohen Hügels liegenden Marine- lazareths, welches in den letzten Jahren sich eines rege« Zuspruchs erfreute. Sind doch in ihm die schwerver- wundetcn Offiziere und Mannschaften der Lhinaexpedition untcrgebracht und behandelt worden. Läßt man sich bei Tanito-Cashi, einem Arm der rund um Jokohama sich ergießenden Shleets, an Land setzen, dann gelangt man nach einer kurzen Wanderung nach einem herrlichen Park, in dessen Mitte sich in überaus gesunder Lage das deutsche Hospital erhebt. Von den luftigen Veranden genießt man einen herrlichen Fern blick über den von zahlreichen Schiffen belebten Hafen, in dessen nördlichem Hintergründe sich die Thürme und Zinnen der japanischen Hauptstadt Tokio bei klarem Wetter zeigen. Mitten in der Stadt liegt ein großer freier Platz, der von den Europäern als Ericketplatz benutzt wird. Auf dem nordwestlichen Ende der Stadt liegt in der Nähe der Admiral-Werften der Bahnhof Jokohama. Bei einer Wanderung durch die sauberen Straßen der Stadt fallen uns neben den vielen fremden Konsulaten die zahlreichen Banken und Versicherungsgebäude auf. Nachmittags find die Straßen immer stark belebt von Kriegs- und Handelsmatrosen. Oft sieht man unsere Janmaaten in langen Nickschaarkavalkardcn durch die Straßen rennen. Fußwanderungen sind den Matrosen ein Greuel. Wenn er es eben erschwingen kann, miethet er sich einen Rickschaarmann, der ihn für einen billigen Preis (5 Cents pro Stunde) durch die Straßen fährt. Diese japanischen und chinesischen Rickschaars sind leicht, (zweirädrige) Bambusgefährte, welche von einem Kuli gezogen werden. Wenn man diese kleinen, an den mongolischen Typus erinnernden Menschen siiht, sollte man kaum glauben, daß sie eine solche Ausdauer besitzen, wie sie gerade bei den Fahrten des RickschaarS (Nnirikischa ist der eigentliche japanische Name) nothwendig. Langsam fahren kennt der japanische Kuli nicht, immer geht es in gestrecktem Galopp bergauf, bergab; wenn ihm auch die Zunge aus dem Halse hängt, läßt er sich doch nicht von einem anderen Gefährt überholen. Die japanischen Frauen und Mädchen zeichnen sich durch kleine und zarte Gestalten aus; beide Geschlechter zeichnen fich noch mehr durch Kleinheit und schöne Form der Hände und Füß, aus. In geistiger Be- ziehung sind die Japaner den am meisten bevorzugten europäischen Nationen gleich zu stellen. Auffassungs vermögen, Urtheilskraft und Gedächtniß sind bei ihnen in hohem Grade entwickelt. An einem freien Sonntag unternahmen wir mit der Eisenbahn einen Ausflug nach der Hauptstadt Tokio. Von Kanagawa aus ging die Fahrt über Kojasu, Karasaki, Omori nach Shinagawa, einem Vorort Tokios. Während dieser Fahrt durch landwirthschaftliche Gegenden hatte man so recht Gelegenheit, die Fruchtbarkeit deS Landes und den Fleiß seiner Bewohner zu bewundern. Tie Japaner sind trotz ihrer vorgeschrittenen Cultur noch Heiden, wenn wir den in Japan herrschenden Shintoismus oder Ahnenkultus als Religion nach europäischen Begriffen gelten lassen wollen. Daneben haben wir noch den Buddhismus und das dogmatische System des Confuzius. Die Japaner schreiben die Einführung des Ackerbaues der Sonnengöttin Tenshodaigin (Amaterafu) zu, doch ist es unzweifelhaft, daß die chinesische Landwirthschaft der japanischen als Vorbild diente. Das Areal der japanischen Landwirthschaft zerfiel damals hinsichtlich der Bodenbenutzung in 41 Procent Waldungen, 35 Proc. Oedland, dort Hara genannt, 2 Proc. Baugrund und Wege, Q/z Proc. Maulbeer pflanzungen, ^/z Proc. Theegärten, 2 Proc. Obst- und andere Fruchtbäume und 2 Proc. Wasserflächen. Die Eisenbahn führte uns durch künstlich bewässerte Reis felder, abwechselnd mit bebauten Gerste-, Weizen- und Hirjcfeldern. Ueberall konnten wir bei der Boden bearbeitung die Einfachheit der Instrumente bewundern, wie ich sie später nur in China kennen gelernt habe. That- sächlich sind die Methoden und Mittel zur Bearbeitung deS Bodens, insbesondere was Ackergeräthe, Düngung, Bewässerung und Terrassirung betrifft, aus China über nommen. Nicht minder als die Landwirthschaft kann die In dustrie als Tochter der cyinefischen bezeichnet werden. Tie Textilindustrie ist in Japan ebenso Hausindustrie geblieben, wie in China und bringt besonders Seide, Baumwolle, Hanf und Rammie zum Spinnen und Ver weben. Nach einer mehrstündigen Fahrt kamen wir auf dem Shimbashibahnhof im Südende der Stadt an und be gannen von hier aus unsere Befichtigungstour auf Jnirikishaö. Unser Weg führte unS zuerst nach dem Fremdenvicrtel Tsukidfi, wo zahlreiche europäische Häuser, Wirthschaften und Geschäftshäuser stehen, denn nur in die sem nahe am Hafen gelegenen Viertel dürfen die Fremden Eigenthum erwerben. In der Nähe des Europaviertels liegt di» Mündung des Sumidagawa, der Tokio in zwei Hälften, eine kleinere östliche und eine größere westliche theilt. Außerdem wird die etwa 2 Millionen Einwoh ner zählende Stadt noch von einer Anzahl breiter und tiefer, wohl unterhaltener Kanäle durchflossen, welche von vielen meist hölzernen Brücken überbrückt sind. Vom europäischen Viertel fuhren wir zum Ooshiro, dem Kaiserlichen Stadttheil, in dem die Residenz des Kaisers liegt. Vorher besuchten wir die Nacadori, auch Curio-Street genannt, die bedeutendste Straße Tokio's, in welcher die Hauptgeschäfte mit japanischen Curiositäten zu finden sind. Von hier aus fuhren wir di« Nagata-tschu ent- lang und bewunderten die an dieser Straße liegenden Residenzen der meisten europäischen Diplomaten. Bald sahen wir das Ooshiro vor uns liegen, welches mit seinem breiten umgürtenden Graben und seiner hohen und dicken Mauer einer besonderen Stadt gleicht. Ein großer Complex von Wohngebäuden und prachtvollen Gärten bildet die Kaiserliche Residenz, welche gürtel förmig und mit Ringmauern und Gräben versehen von dem Sotoshiro umgeben ist. In dem Sotoshiro be fanden sich früher die Quartiere der Reichsvasallen, der Daimios, und der Hatamato. Jetzt befinden sich hier die modernen Ministergebäude «. s. w. In der Nähe befindet sich der dem Shinto-Kultus ge weihte Sanno-Tempel, osficiell Hie-Tschindsa genannt. Auf einer schönen bewaldeten Anhöhe gelegen bildet der Sanno einen ganzen Häusercomplex, doch ist mit Aus nahme des Haupttempels alles verwüstet. Vom Hie-Dschindsa fuhren wir an dem Gebäude der amerikanischen Gesandtschaft vorbei zum Shibapark. Am Nordeingang dieser herrlichen Parkanlagen liegt der beste Bazar Tikios, der Kwangkoba (d. i. Bazar), auf dem man sonst nirgends zu sehende japanische Kunstgegenstände bewundern und eventuell, wenn man Geld zur Verfügung hat, kaufen kann. In den herrlichen Anlagen des Shiba-Parkes be finden sich sechs Gräber japanischer Shogunen. Tas System der Shogune datirt in Japan aus dem Jahre 1192. In diesem Jahre gelang es dem Daimio Joritomo, die Macht deS zum Kaiser in einem Ver- hältniß von Anhänglichkeit und Dienstpflicht stehenden Daimios zu brechen. Diese Taimio's bildeten in Japan den Feudaladel und waren gewissermaßen selbstständige Fürsten, Vasallen des Kaisers. Sie hatten Truppen zu stellen und den Wachdienst in der Residenz auszuüben. Da eine Zeit lang manche japanische Kaiser in jugend lichem Alter den Thron bestiegen, gelang es den Daimios, die Regierungsgewalt an sich zu reißen, bis im Jahre 1192 Joritomo ihre Macht brach und di« Regierung an sich riß. Er wurde aus diesem Grunde vom Kaiser zum Sei-itai shogun oder kurz Shogun, Kronfeldherrn, ernannt, der von nun an, wie im Llajor äoinuk bei den Franken, die Geschicke des Landes leitete. Diese Doppelherrschaft dauerte mit wenig Unterbrechungen bis zum Jahre 1868. Der Kaiser von Japan galt bis zu dieser Zeit nur als Mikado, daS ist geistliches Oberhaupt des Reiches. Unsichtbar vor dem Volke und außer aller Gemein schaft mit den Rcichsvasallen, den Daimios, die nur durch Vermittelung des Shogun mit ihm Verkehren durften, lebte der Kaiser wie ein Gefangener in seinem weitläufigen Palaste, zu Kioto, dem Tairi oder Kinri, allein umgeben von seinen Frauen, von Priestern und den Beamten seiner Hof- und Haushaltung, die dem aus etwa 150 Familien bestehenden Hochadel entnommen wurden. Um ihn fortwährend zu überwachen, nament lich allen Verkehr zwischen ihm und den DaimioS zu verhüten, war in Kioto ein hoher Beamter deS Shogun angestellt. Tie Gelder für den kostspieligen Haushalt des Kaisers mußte der Shogun dem Kaiser auS den Reichseinkünften gewähren. Einfluß auf die Angelegen heiten deS Reich- hatte der Kaiser also nicht, er konnte höchstens nach Vorschlag des Shogun Titel verleihen und Verträge mit fremden Staaten schließen. Infolgedessen hatten die Shoguns bis Mitte deS 19. Jahrhunderts alle Ansuchen fremder Mächte, mit Japan Handelsbeziehungen anzuknüpfen, mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Dem nordamerikanischen Admiral Perry war eS Vor behalten, die Macht des Shogun zu brechen. Mit acht Kriegsschiffen erschien Perry am 8. Juli 1853 vor Tokio und zwang den damaligen Shogun zur Nach giebigkeit und zum Abschluß von Verträgen. Andere Staaten folgten diesem Beispiele und damit trat Japan aus seiner Abgeschlossenheit hervor. Das seit dem dritten Shogun in Japan bestehende Gesetz, nach wel chem «S den Japanern bei der Todesstrafe des Bauchauf- schlitzenS verboten war, inS Ausland zu gehen, wurde aufgehoben. Japanische Kaufleute und Arbeiter gingen in größerer Anzahl ins Ausland und erlernten abend- ländische Kultur, deren Ergebniß die jetzige Stellung Japans im Concert der seefahrenden Völker bildet. Im Jahre 1860 besuchte eine Gesandtschaft deS Shogun Nordamerika und Europa. Die Folge dieser Veränderung war aber auch der Sturz des Shogunats. Infolge der Gewaltthätigkeiten verschiedener fremdenfeind licher Taimio's kamen verschiedene Conflicte mit europäi schen Mächten vor. Im Jahre 1863 erschien der eng lische Admiral Kuper mit seiner Flotte in Japan, welche sich im folgenden Jahre mit französischen, holländischen und amerikanischen Kriegsschiffen verband und Shimoni- saki eroberte. Der Daimio von Nogato wurde ge zwungen, die Straße von Shimonisaki für alle Zeiten offen zu halten und mehrere Millionen Dollars Kriegs entschädigung zu zahlen. Tann erschien die Flotte vor Tokio und zwang den Shogun zur Nachgiebigkeit. Diese Demonstration bewirkte in Japan einen allge meinen Umschwung der Dinge, den europäischen Ge sandten wurde der Aufenthalt in Tokio erlaubt und der Kaiser zur Anerkennung der vom Shogun geschloffenen Verträge, betreffend Erschließung verschiedener japani scher Häfen, gezwungen. Im Jahre 1866 starb der Shogun und an seine Stelle trat Prinz Hitots-Cahsi, ein fortschrittlicher und für das Ausland schwärmender Mann. Er schloß mit Rußland einen Vertrag wegen der Insel Sachalin und bewog den Kaiser, den Hafen Hiogo und die Stadt Osaka dem europäischen Verkehr frcizugeben. Inzwischen war der alte Mikado gestorben und an seine Stelle dessen 1852 geborener Sohn Mutsuhito getreten. Im folgenden Jahre legte der Shogun seine Regierung in die Hände des Kaisers zurück, weshalb es zu einem heftigen Bürgerkriege kann, bei dessen Ende sich der Kaiser im vollen Besitz seiner Herrschermacht befand. Damit begann für Japan eine durchgreifende und rasch fortschreitende Umgestaltung seiner sämmtlichen StaatS- und Bildungsverhältniffe.