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MM M Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. 237. Erscheint jedm Wochentag Nachmitt. '^6 Uhr sür den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Psg , zweimonatlich 1 M. 50 Ps. und einmonatlich 7b Pf. 42. Jahrgang. Donnerstag, den 10 Ottoder. Inserate werden bis Bormittag N Uhr angenom- ! men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile H oder deren Raum lb Psg. »WV Der Zaren-Gesuch in Lerlin. »Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt", diese Begrüßung aus Schillers „Wallenstein" wird jetzt auch dem Zaren zu Theil, der nach langem Säumen endlich der Höflichkeitspflicht genügt, dem deutschen Kaiser, dessen erster AuSslug dem russischen Hofe galt, einen Gegenbesuch in der deutschen Reichshauptstadt abzu statten. Kaiser Wilhelm II. hält das Andenken seines unver geßlichen Großvaters, der ihm noch ganz zuletzt die möglichste Schonung des nordischen Nachbars anempfahl, viel zu hoch, um seinen hohen Gast die Unfreundlichkeit der langen Verzögerung seines Besuches entgelten zu lassen. Auch das deutsche Volk, insbesondere die Bevölkerung der von dem Zaren jetzt besuchten deutschen Städte, wird in dem Kaiser Alexander III. den Be herrscher eines Riesenreiches ehren, mit dem Deutschland so gern in Frieden leben möchte, wenn dies ohne Schaden für die deutsche Ehre, ohne empfindliche Nachtheile für die Interessen des deutschen Reiches und seiner treuesten Bundesgenossen irgend möglich ist. Die jubelnde Begeisterung, mit der König Humbert von Italien und Kaiser Franz Joseph von Oesterreich in Berlin empfangen wurde, dürfte sich bei dem Empfange des russischen Kaisers kaum einstellen; das hat der Zar leider durch sein Hinausschieben seines Besuches bei dem ihm so früh und so freundlich entgegengekommenen deutschen Kaiser verscherzt. Immerhin wird man es aber anerkennen, daß Kaiser Alexander III., wenn auch kein Freund des germanischen Ele ments, doch ein Freund des Friedens ist und bisher an der sriedscrtigcn auswärtigen Politik des Ministers von Giers fest- gehalten hat, trotzdem es nicht an Versuchen fehlte, ihn für die panslavisnschen Vergrößerungspläne zu gewinnen, welche zu nächst wohl der Balkanhalbinsel gelten, deren AuSfiihrung Ruß land aber unfehlbar in blutige Konflikte mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn bringen müßte. So weit es galt, Rußland zu Schutz und Trutz wehrhaft zu machen, hat Kaiser Alexander III. Alles gethan, was die panslavistische Kriegspartet am Peters burger Hofe von ihm verlangte; sein bisher dem maßvollen Staatsmann v. Giers geschenktes festes Vertrauen bewies aber die Abneigung vor jedem Abenteuer und die Absicht, bei der „Politik der freien Hand" zu bleiben, die Rußland zwar von dem Dreibund entfernt hält, aber den letzteren keineswegs bedroht. Als vor wenigen Wochen die Absicht des Zarkn in Berlin kund wurde, zur Rückkehr von Kopenhagen nach Petersburg den Landweg zu wählen und dabei dem deutschen Kaiser den längst in Aussicht gestellten Gegenbesuch zu machen, führten zahlreiche preußische Blätter gegen Rußland eine nicht sehr freundliche Sprache. Die Angriffe, welche die „Köln. Ztg." gegen den Chef des russischen Generalstabes, den General Obrutschew, richtete, können allerdings kaum ganz grundlos gewesen sein. In einer Korrespondenz aus Berlin wurde dieser mit einer Französin vermählte russische General als Haupt der panslavistische» Kriegspartei, als eifriger Anhänger eines engen Bündnisses mit Frankreich und als scharfer Gegner des russischen Finanzministers Wischnegradski hingestellt, der eine Friedenspolitik braucht, um die russische Geldwirthschaft wieder in Ordnung zu bringen. Nach den Mitteilungen des Berichterstatters der „Köln. Ztg." hat Obrutschew, als er im verflossenen Sommer den Kricgs- minister Wannowski während dessen langer Abwesenheit in Frankreich vertrat, diese Stellung benutzt, um dein Zaren eine bedeutsame Denkschrift zu überreichen, welche verstärkte Kriegs rüstungen für dringend erforderlich erklärte. Nach einigen ge schichtlichen Rückblicken war in jener Denkschrift gesagt: „Hätte Peter der Große sich gescheut, seine Finanzrechnung mit einem Fehlbeträge zu schließen, so wäre Rußlano voraussichtlich jetzt ein vom Meere getrenntes Großfürstenthum. Hätte Alexander I. sich um seine Finanzbilanz gekümmert, so hätte er, statt den Triumphzug bis Paris zu vollenden, sich vor dem Corsen demüthigen müssen. Kaiser Nikolaus hätte Europa nicht der artig unter dem Gebot seines Wortes gehalten, wenn er sich nach den Vorschriften des Finanzprogramms gerichtet hätte." Zum Schluß forderte General Obrutschew die notwendigen Summen zum Ausbau und der Verstärkung gewifserBahnlinien und zur Vermehrung der Verkehrsmittel, welche alle bis zum künftigen Mai sertiggestellt sein müßten. In einer Gegendenk schrift führte dann der Finänzminister Wischnegradski aus, daß Rußland mehrere Friedensjahre brauche, um seine Geldwirth schaft ordnungsmäßig zu regeln. Man versichert, daß der Zar unter beide sich gänzlich widersprechende Denkschriften eigenhändig gleichlautend vermerkte: „Ich theile vollständig die geäußerten Ansichten. Ausführliche Prüfung derselben ist unbedingt noth wendig." Es entspricht dies vollständig den offenkundigen Ab sichten des Kaisers Alexander III., Rußland für alle Fälle wehrhaft zu machen, aber jeden Friedensbruch zu vermeiden. Das Erstere ist unbedenklich, weil Aehnliches jetzt von jedem Großstaat geschieht; das Letztere ist aber um so dankenswcrther, weil der Zar, trotzdem er als Selbstherrscher eine scheinbar unumschränkte Macht besitzt, mit einer starken deutschfeindlichen Strömung in den einflußreichsten Kreisen Rußlands, bei der orthodoxen Geistlichkeit und dem Hofadel, zu rechnen hat. Die zur Unzeit in die Oeffentlichkcit gebrachte Absicht der Pforte, den Kvburger als gesetzmäßigen Herrscher von Bulgarien und Ostrumelien anzuerkennen, hat die panslqvistischen Kreise in Rußland tief erregt, zumal dieselben annahmen, daß die Pforte hierbei nur einem von Deutschland, Ocstereich-Ungarn und Eng land ausgeübtcn moralischen Druck nachgab. Die Kunde, daß Kaiser Wilhelm von Athen aus einen Abstecher nach Kon stantinopel zu machen beabsichtige, bestärkte jene Kreise in dieser Vermuthung. Es konnte jedenfalls die Lust des Zaren, nach Berlin zu gehen, nicht sehr vermehren, daß die russische Presse ziemlich einmüthig das Zusammentreffen des Zarenbesuches in Berlin, des Besuches Kaiser Wilhelms in Konstantinopel und des die Anerkennung des Koburgers empfehlenden Artikels des ministeriellen Wiener „Fremdenblattes" als sehr bemerkenswerth bezeichnete. Die „Nowoje Wremja" deutete den erwähnten Aus satz dahin, daß dadurch der Zar zu der Ueberzeugung gelangen solle, daß Deutschland bereit sei, Oesterreich-Ungarn in der Frage der Anerkennung des KoburgerS zu unterstützen. Mit der Er reichung dieses Zieles würde aber, nach Ansicht des genannten russischen Blattes, die bevorstehende Kaiser-Begegnung in Berlin den Charakter einer einfachen Formalität, eines Attes der inter nationalen Höflichkeit erhalten, worauf dann Alles wieder seinen alten Gang gehen würde. Selbstverständlich seien Oesterreichs Hoffnungen aber solche, die sich nie ersüüen würden. Nicht minder verstimmend als der Fremdenblatt-Artikel wirkte aber in Rußland auch die Ankündigung des Besuches des deutschen Kaisers bei dem Sultan..Die russische „St. Petersburger Ztg." ineinte, daß die Pforte nach diesem Besuchenden deutschen Rath- schlägen noch mehr Gehör geben Werve und man wisse ja, welchen Rutzen den russischen Interessen Bismarcks Rathschläge eingetragen hätten. Vielleicht würde jetzt auch der alte Plan zur Ausführung kommen, die türkische Streitmacht in ein Armee korps der Friedcnsliga zu verwandeln; auf militärischem Ge biete hätte die letztere in Konstantinopel schon allzuviel gearbeitet» als daß die Begegnung mit dem Sultan nach dieser Seite hin resultatlos verlaufen könnte. „Aus Athen" — heißt es zum Schluß — „wird bereits Vom ungünstigen Eindruck gemeldet, den dort die Nachricht von' der projektirten Byzanz-Fahrt deS Kaisers gemacht habe. Das Kabinet Trikupis befürchtet sogar feindliche Kundgebungen an die Adresse des hohen Gastes Griechenlands. . i . Wir glauben, daß auch in Rußland der projektirte Besuch schwerlich viel Sympathie erregen wird." Die „MoSk. Ztg." hinwiederum kanzelt die deutsche Presse atz welche die Ausstreuungen der österreichischen übernommen habe. Es sei ein wahrer Skandal! „Man sollte doch meinen, daß die Leiterder offiziösen deutschenPresie selbst sich sage» Mitten,wie unpassend gerade der jetzige Moment für die Wiederaufnahme einer Kampagne gegen Rußland sei; Jedermann, der einen Ehren gast erwartet, bemüht sich nicht nur selbst, sich Alles zu ent halten, was den Gast, seine Verwandten, sein Haus verletzen könnte, sondern achtet auch darauf, daß die Lakaien, ihrer Art gemäß, nicht ein Stückchen loslassen, über das der Wirth er- röthen muß." Nach derartigen Auslassungen russischer Blätter muß man es dem Zaren doppelt hoch anrechncn, daß er überhaupt noch nach Berlin geht, wo Auseinandersetzungen über die beiden ihm sicher peinlichen Dinge unvermeidlich sind. Nicht ohne Grund kündigte Fürst Bismarck seine Absicht an, nach Berlin zu kommen und dort während der Anwesenheit des Zaren zn verweilen. Schon einmal ist es ihm gelungen, den Argwohn des Kaisers von Rußland gegen die Orientpolitik Deutschlands zu verscheuchen, hoffentlich wird der deutsche Reichskanzler in den nächsten Tagen abermals Gelegenheit erhalten, über Alles, waS jetzt dem deutschen Reiche in Rußland so sehr verübelt wird, dem Zaren befriedigende Auskunft zu ertheilen. Eine ehrliche und offene mündliche Aussprache dürfte weit leichter als die bestgeschriebene diploma tische Note zu einer Verständigung führen, die im Interesse des Weltfriedens -ringend wünschenswerth ist. Tagesschau. Freiberg, den 9. Oktober. Der von dem deutsche« Kaiser vorgestern dem preußischen Staatsminister a. D- Hobrecht crtheilten Audienz ist man viel fach geneigt eine besondere politische Bedeutung unterzulegen. Andererseits nimmt man jedoch in unterrichteten Kreisen an, daß es sich bei dieser Audienz lediglich um die Ange legenheit der deutsch - ostasrikanischen Gesellschaft handelte. Bekanntlich hat seiner Zeit die Krone, bezw. Kaiser Wilhelm I. eine bedeutende Summe, angeblich eiüe Million, zu dem Unternehmen gezeichnet. Da nun Hobrecht einer der vom Reichskanzler ernannten Kuratoren des Unternehmens ist, so ist man wohl bei der veränderten Sachlage der ostafrikanischen Gesellschaft zu der Annahme berechtigt, daß sich der jetzige Trä ger der Krone, Kaiser Wilhelm II., bei demselben über diese veränderte Sachlage Raths erholte. Die Kaiserin begab sich am Montag Nachmittags 2^/2 Uhr zu Wagen nach dem Plantagen ¬ hause, wo der Kaiser eine Jagd abhielt. Nachdem diese ihr Ende erreicht hatte, kehrte die Kaiserin zu Wagen nach dem Neuen Palais zurück. — Der Kaiser ist gestern früh 8 Uhr mittelst Sonderzuges in Kiel eingetroffen und dort von dem koinmandirenden Admiral, Frhrn. v. d. Goltz, und dem Chef der Marinestation der Ostsee, Knorr, sowie dem Staatssekretär des Reichsmarine-Amts, Kontre-Admiral Heusner empfangen wor den. An den ebenfalls zum Empfange erschienenen Bürger meister von Kiel, Fuß, richtete der Kaiser mehrere auf die Ent wickelung der Stadt bezügliche Fragen, insbesondere über die wachsende Bauthätigkeit in den dem Nordostscekanal zügewandten Stavttheilen,'sowie über den Einfluß, den der Bau des Kanals auf die Erwerbsverhältnisse der Städt ausgeübt habe. Der Monarch schien mit sichtlicher Befriediguugzu hören, daß das Verhalten der zahlreichen Kanalarbeiter zu keinen Klagen Anlaß gebe. Vom Bahnhose aus begab sich der Monarch im offenen Wagen, von der zahlreichen Volksmenge enthusiastisch begrüßt, nach dem Schlosst, wo alsbald die Kaiserstandarte gehißt wurde, worauf die im Hasen liegenden Kriegsschiffe den Kaisersalut abgaben. Se. Majestät nahm gestern Vormittag itt Kiel den Vortrag des Staatssekretärs Heusner entgegen, begab sich Mittags ins Marineoffiziers-Kasino und besichtigte am Nachmittag die Kaiserliche Werft sowie das auf der Germania - Werst erbaute Panzerschiff „Siegfried." Nach mittags 4 Uhr traf das englische Kanalgeschwader vor Kiel ein und machte an den Bojen deS KriegShasens fest. Der Vizeadmiral Knorr, welcher dem Geschwader auf der StationS- Aacht entgegengefahrrn war, begab sich sofort an Bord deS englischen Flaggschiffs „Northumberland" und begrüßte den Admiral Baird. Sodann kamen der englische Konsul Kruse und der Militär - Attachö Domville an Bock». Nach da» Be sichtigung der Wersten umfuhr Se. Majestät der Kaiser die englischen Kriegsschiffe sofort nach deren Eintreffen auf einer Dampfbarkasse ohne Standarte, kährtr um 4*/° Uhr nach de» Schloß zurück uns empfing die englischen Admirale Baird und Tracey. Der Militär-Attachä Domville hatte schon vorher am Frühstück im Marine-Kasino theilgenommen. Zu Ehren der Offiziere deS englischen Kanalgeschwaders, das sich am 15. 0. Ms. nach KarlSkrona begeben wird, sand gestern Nach mittag im Königlichen Schlosse zu Kiel ein Prunkmahl statt. Trotzdem eS heißt, Kaiser Wilhelm sei nur nach Kiel gefahren, um „das englische Kanalgeschwaderzu begrüßen", wird allgemein angenommen^ daß der Kaiser in Kiel bi» zur Ankunft deS Zaren verweile» werde, um zusammen mit seinem Gaste am Donners tag nach Berlin zurückzukehren. Nach einem der „Nat.-Ztg." aus Kiel zugchenden Privat - Telegramm wird der Zar heute Abend dort erwartet. Wie auS Kopenhagen gemeldet wird, ist der russische Generaladjutant von Tscherewin, von Berlin - 'onimend, dort eingetroffen, um den Kaiser Alexander IH. auf einer Reise nach Berlin zu begleiten. Der zweite Sohn des Haren, Großfürst Georg, ivelcher L la suite des Ulanen- RegimentS Kaiser Alexander III. von Rußland twestpreußischeS) Nr. 1 steht, wird seinen Kaiserlichen Vater nach Berlin begleiten, während sich der Großfürst - Thronfolger zusammen mit dem König und der Königin von Dänemark direkt von Kopenhagen nach Athen begiebt. Die Abreise des dänischen Königspaarrs dürfte etwa zwei Tage später von Kopenhagen aus erfolgen, als die Reise des Kaisers von Rußland nach Berlin, Die Kaiserin von Rußland bleibt bis zur Abreise des dänischen Königspaares gleichfalls in FredenSborg und trifft sodann mit ihrem Kaiserlichen Gemahl auf der Rückreise nach St. Peters burg zusammen. DaS Absteigequartier des Zaren wir« nicht das vjeltzach genannte Marmorpalais bei Potsdam, sondern die russische Botschaft in Berlin sÄn, in welcher die Zarenfamili« a auch ihre eiamM Wohnräume besitzt. Dort herrscht nun schon eit mehreren Tagen große Thätigkett. Die sämmtlichen in oer ersten Etage beltzencn SalonS sind zwar stets zur Aufnahme von Mitgliedern des Petersburger Hofes bereit, aber hier uÄ da tritt doch bei dergleichen Anlässen eine kleine Aenderung ein, das eine oder andere Stück wird durch eia neues ergänzt und wohl ein neues Arrangement inarudwo getroffen. Am Freitag soll zu Ehren des Zann im Weißen Saale desKönia- lichen Schlosses und in den anstoßenden Prunkgemächern em Fest und nach demselben eine Festoper stattfinden. Wie eS heißt, wird ein Akt, vermutlich der erste, aus der Oper „Lohengrin" und das Ballet: „Die vier Jahreszeiten" zur Darstellung gelangen. Am Sonnabend dürste Kaiser Alexander einer Einladung des Offizierkorps vom Alexander - Garde- Grenadier - Regiment Nr. 1 zum Gastmahl entsprechen. — Morgen dürste Fürst Bismarck in Berlin eintreffen, wo auch der deutsche Botschafter in Petersburg, General v. Schweinitz, erwartet wich. Ob der russische Minister v. GierS dar Kaiser- Begegnung beiwohnen wird, scheint noch zweifelhaft zu sein. Nach einer Meldung der „Polit. Korresp." kehrte der russische Minister des Auswärtigen erst gestern von seinem Ausflug nach dem Gouvernement Tambow nach Petersburg zurück. —- Der deutsche „Reichsanzeiger" veröffentlicht die Ernennung des bis herigen Direktors des Reichsamts des Jnnerw, Boss«, znm