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BeMHyeigel und Tageblatt. Amtsblatt für dir königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Iuliu- Braun in Freiberg. SHOti 8 Erscheintjeden Wochentag Rachmitt.'EUHr färben I! I» I Freitag, de« 3. Dezember. Inserate werden bis Vormittag N Ubr angenom- men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile IGHFHUH oder deren Raum 1S Pf. w tvr Heaters 71» 7» 71» 3°, « R. 0,8 » R. riß uns Gatten 1«. »der 886. nlio bnaivä. c. «neu. tchmittag lieb« t unter- schön« sondere rn und Fischer, ter sein gen be« i886. Der Beginn der Etatsdebatte. Bei der Etatsdebatte, welche am Dienstag durch den neuen Staatssekretär des Reichsschatzamtes, vr. Jakobi, ein geleitet wurde, erwies es sich abermals als ein großer Mangel, daß es keinen eigentlichen Reichsfinanzminister aiebt, der für die Finanzoperationen des Reiches die um fassende volle Verantwortung zu übernehmen bevollmächtigt ist. Der Reichskanzler betheiligt sich an derartigen Etats debatten in neuerer Zeit nicht mehr und es steht nun dem Reichstag frei, ob er in dem deutschen Schatzsekretär oder in dem preußischen Finanzminister denjenigen Regierungsvertreter erblicken will, der für das Finanzwesen des Reiches Lob oder Tadel verdient. Der neue Staatssekretär des Reichs schatzamtes, vr. Jakobi, galt stets als ein tüchtiger und gewissenhafter Beamter; nach der am Dienstag gehaltenen Etatsrede zu urtheilen, scheint es ihm aber nicht gegeben, neue finanzpolitische Gesichtspunkte zu entwickeln. Er wieder holte eigentlich nur, was die dem Reichstage gedruckt vor liegende Etatsvorlage enthält und stellte demgemäß die Finanzgebahrung des Reiches als eine recht unerfreuliche dar. Ein Abhilfemittel gegen diese Lage wußte der neue Staatssekretär nicht anzugeben und behalf sich derselbe, in dem er eine schon in der Thronrede enthaltene Aeußerung umschreibend, andeutete, daß dem Volke erst die trübe Fi nanzlage klar werden müsse, wenn man durch Neuwahlen einen fiir die iin Hintergrund stehenden.Finanzprojekte em pfänglichen Reichstag erhalten solle. Er meinte, die Re gierung verlange eine fachliche, von Parteirücksichten unbe einflußte Mitarbeit an der Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts. Eine einzige Stelle der Etatsrede machte einen günstigen Eindruck, nämlich diejenige, welche die Mit- theilung enthielt, daß die Ausprägung egyptischer Münzen in Berlin die egyptische Regierung zu dem angenommenen Antrag veranlaßte, ihr das ganze noch im Besitze des Reiches vorhandene Barrensilber und 1'/^ Millionen Silber- thaler zu verkaufen. Diese Silberthaler wurden einge schmolzen, um den Silberbedarf der egyptischen Münze voll zu befriedigen. Um die Bimetallisten nicht zu ver letzen, fügte der Staatssekretär hinzu, daß dabei wesentlich praktische Rücksichten für die sonst ihre Stellung zur Wäh rungsfrage festhaltcnde Reichsregierung maßgebend gewesen feien. Für den mangelhaften Voranschlag, hinter welchem die wirklichen Einnahmen um so viele Millionen zurückblreben, konnte der Reichstag den erst vor wenigen Wochen er nannten Schatzsekretär unmöglich verantwortlich machen. In seinem Vorgänger, dem ehemaligen Schatzsekretär von Burchard, sah die Reichstagsmehrheit auch niemals den eigentlichen Leiter des Neichsfinanzwesens. Aus diesem Grunde fühlte der preußische Finanzminister von Scholz die Verpflichtung, dem Vorwurf zu begegnen, als ob der Ausfall der Rüvenzuckersteuer, der 1884/85 schon 14^/, Million betrug und 1885/86 sogar auf über 20 Millionen stieg, von der Finanzverwaltung hätte verhindert werden können. Die Thatsache, daß die auf 56 Millionen veran schlagten Getreidezölle nur 31 Millionen cintragen, also 25 Millionen weniger als regierungsseitig angenommen wurde, führte der Minister auf die sonst gewiß nicht zu beklagende bessere Ernte in Deutschland zurück und betonte derselbe sehr lebhaft, daß die Getreidezölle ja gar keine Finanzzölle, sondern Schutzzölle seien und verhüten sollen, daß das deutsche Getreide vom inländischen Markte ver trieben werde. In den landwirthschaftlichen Kreisen Härte man aber in den letzten Monaten vielfach die der Aeuße- rung des Ministers von Scholz entgegengesetzte Meinung, daß die Getreidezölle gar keinen anderen Werth hätten als den, die Einnahmen des Reiches zu vermehren, weil sie zum Schutze des deutschen Getreides noch immer nicht hoch genug bemessen seien. Die Ausfälle in der Börsen steuer (die statt 12 Millionen nur 7'/, Millionen brachte), meinte Herr von Scholz, kämen meistens von Unterschla gungen Her, die verhindert worden wären, wenn der Reichstag die von ihm seiner Zeit vorgeschlagenen Kontrol- vorschriften genehmigt hätte. Diese ministerielle Verdäch tigung ist für die Börsenleute entschieden verletzender als der bekannte Vergleich mit dem „Giftbaum". Ohne Bei bringung eines einzigen Beweises wurde dadurch ein großer Theil der Handelswelt der betrügerischen Benachtheiligung der Neichskasse beschuldigt. Auch Herr von Scholz unter ließ es, Deckungsvorschläge für das Defizit zu machen, das zur größeren Hälfte ans dem Verfall der Rübensteuer herrührt. Er deutete nur flüchtig an, daß sich kaum eine Frau. >ei dem cgsam« Militärbudget. Es scheine, daß die Linke der neuen Militär- Vorlage kein absolutes Nein entgegensetzen und die Wehrkraft nicht schmälern wolle. Es sei sehr gut, wenn daS Ausland wisse, daß der ganze deutsche Reichstag darüber einer Meinung ist. Neue Steuerprojekte wolle er weder einbringen oder em pfehlen. Der klerikale Abg. v>Huene meinte, die Regierung lei nicht berechtigt, nach dem Ergebniß dea vorjährig« Arbeit der Branntweinsteuerkommission jeden Bertuch zu Einnahme erhöhungen zu unterlassen. Wollte die Regierung mit dem Reichstag nur über di« Ausgaben verhandeln, dagegen über die Einnahmen überhaupt nicht mit dem Reichstag in Ver bindung treten, dann wäre eigentlich von vornherein die Aus lösung des Reichstages daS Richtigste gewesen. Die bisherigen Aussührungen vom Ministertisch ließen erkennen, daß rS auf die Erneuerung der Monopolidre abgesehen sei. Die Einfüh rung von Monopolen erachte er und seine Partei für den politischen, wirthschaftlichen und moralisch« Ruin der Nation; seine Partei würde Alle- bewilligen, was nachweislich drin- gmdes Brdürfniß sei, aber keinen Groschen, der nicht zum Wohle der Nation und des Reiches nothwendig sei. Der frei konservative Abgeordnete Graf Behr erkannte an, daß bei der Ausstellung deS Etats nur die erforderlichsten Bedürfnisse be rücksichtigt worden seien und erklärte, er wolle die Steuerpolitik nur da sortgrführt wissen, wo man sie verlosten hab«, nämlich bet der Branntweinsteuer. Der polnische Abg. v. KoscielSki zeigte sich bereit, in eine ernste und genaue Prüfung deS Etats ein- zutretrn, wollte jedoch nur bewilligen, wo» unbedingt noth wendig sei. Er klagte übet die Behandlung der Polen und namentlich darüber, daß der Kriegsminister die polnisch« Sol daten in andere Landestheile sende. Darauf erwiderte der Kriegsminister Bronsart v. Schellendorff, hierin könne schwerlich ein Akt der Grausamkeit gesunden werden, da die polnischen Arbeiter aus eigenem Antriebe in fremde Landes theile gingen. Der elsässische Abg. Grad bezeichnete die Er höhung der Matrikularbeiträge in den Reichslanden als sehr unerwünscht. Wären neue Steuern erforderlich, so sollte man zur Tabaks- oder Branntweinsteuer oder zu beiden zurück greifen. Der deutschfreisinnige Abg. Richter wünschte, der auS der Rede des Abg. v. Maltzahn zu ziehenden Annahme vorzubeugen, daß die deutschfreisinnige Partei der Militärvor lage zustimme. Ueber letztere müsse und werde erst eingehend und gründlich verhandelt werden, nicht beiläufig und obenhin. Der Redner verwahrte sich dagegen, daß seine Partei und der« Presse den politisch« Charakter der Minister angreife; Diese Angriffe gälten lediglich dem Regierungssystem, nicht dem politischen Charakter der Minister. Sehr bellagenswerth sei die Verdächtigung, welche der Fiuanzminister gegen die Kauf mannschaft bezüglich „Defrauden" bei der Börsensteuer ausge sprochen habe. Dankbar sei er dagegen dem Finanzminister für die Erklärung, daß die Branntwein- und Tabaksteuer un entwegt auf dem Programm der Regierung stehe; diese Er klärung sei für die nächsten Wahlen wcrthvoll. Im Ueb- rigen griff der Redner das System der Eisenbahnverwal- tung, die weiteren Ausführungen des Abgn. v. Maltzahn, die Kolonialpolitik, die Steuerpolitik und das Schutzzollsystem an. Sodann bemerkte der Finanzminister v. Scholz, das Vorgehen der Regierung, die Ausgaben sestzusteüen, ohne bestimmte Einnahmen gcgenüberzusteüen, entspreche insofern der Verfassung, als dieselbe einfach bestimme, daß in Erman gelung anderer Deckungen die erforderlichen Mittel durch Matrikularbeiträge zu liefern seien. Die Regierung habe un ermüdlich neue Pläne zur Erschließung vermebrter Einnahmen gebracht; sie seien aber alle abgelehnt worden. Selbstver ständlich werde man später versuchen muffen, den Druck, wel chen die vermehrten Matrikularbeiträge Hervorruf«, auf an deren Wegen zu erleichtern. Den Ausführungen Nnbter's gegenüber verwies der Minister auf einen Artikel des „Reichs blattes", worin nicht die Fähigkeiten der Minister, sondern deren Absichten verdächtigt wurden. Anlangend die Bemerkung über die Verdächtigung des Kaufmannstandes betreffs der Börsensteucr, so habe er damit doch nicht alle Kaufleute an gegriffen; es gebe aber in diesem Stande zweifelhafte Ele mente, wie in jedem andern. Wenn er auf die vexatorische Maßregel der Geschäftsbücher bei der Stempelsteuer hinge wiesen habe, so sei damit noch nicht gesagt, daß diese in der früheren Vorlage enthaltene Einrichtung wieder vorgebracht werden soll. Anlangend die Monopole habe er keineswegs gesagt, daß dieselben (speziell das Tabaksmonopol) auf dem Programm der Regierung ständen. Nun ergriff der Zentrumsführer, Abg. Windthorst, das Wort und sagte, der Herr Minister solle feine Rede der gesammten Negierungspresse empfehlen, welche Parteien und einzelne Personen in unverschämtester Weife angreife. Die i Dank. 86. sene«. Lurrvr ;slisbtvr m Mer t Akte»» . Dez. 71, 73, Art der Branntweinbesteuerung hätte ermitteln lassen, welche der Reichstagsmehrheit gmekm gewesen wäre, sowie daß vielleicht in Zukunft auch wieder der Tabak schärfer herangezogen werd« würde. So schneidig der erste Redner der deutschfreisinnigen Partei, Abg. Rickert, die Finanzgebahrung des Reiches auch kritisirte, konnte er doch tue Thatsache nicht umstoßen, daß das von ihm beklagte Versickern der seit 1879 beschafften groß« Mehreinnahmen deS Reiches durch Ausgaben ver anlaßt wurde, welchen die ReichPagsmehrheit ihre Zu stimmung ertheilte. Diese seit 1884 aus dem Zentrum und den Freisinnigen bestehende Mehrheit wäre wenigstens in letzter Zeit sehr wohl rm Stande gewesen, eine ganze Reche von Ausgaben abzulehnen. Nach der patriotischen Aeuße rung Rickerts, daß die Wehrkraft des Reiches unversehrt bleiben müsse, scheint eS auch nicht, als ob seine Freund« jetzt die Absicht hegten, die neuen großen finanziellen An forderungen zu HeereSzwecken abzulehnen. Seine Behaup tung, daß die Zuckersteuer allein Alles schaffen könne, was der Kriegsminister brauche, erschien sehr gewagt. Wer gerade jetzt von Freiberg über Nossen, Döbeln, Leipzig, Halle und Köthen nach Magdeburg fährt, wird zwar Un mass« von mit Rüb« beladenen Lowries erblicken, aber doch auch bemerken, daß die Rübenkultur im Abnehmen begriff« ist und die Zucker-Jni-ustrirllen sehr saure Gesichter machen. Die Rückwirkung der Zucker-Kalamität auf d'e Landwirthschaft ist eine sehr umfassende und macht eine wesentliche Erhöhung der Zuckersteuer bei den jetzigen Marktverhältnissen zur Unmöglichkeit. Aussichtsvoller wäre das von dem nationalliberalen Abg. von Benda em pfohlene Zurückgreif« auf die in der vorigen Session von den Nationalliberal« angeregte einträglichere Branntwein steuer. Der erste Tag der Etatsdebatte im Reichstage hinterließ im Ganzen den Eindruck, daß die Unvermeidlich keit des Wachsens der Ausgaben deS Reiches allseitig an erkannt wird, daß aber von dem jetzigen Reichstage gar nicht die Mittel zur Deckung derselben erwartet werden. Regierungsseitig scheint man nach Auflösung des Reichs tages von Neuwahlen eine gefügigere NeichStagsmehrheit zu erwarten, die auch gegen etliche Monopole keine un überwindliche Abneigung haben wird. Gerade deshalb aber dürften die Redner der jetzigen Reichstagsmehrheit ihre Etatsreden derart cinrichten, daß sie gleich die Schlagworte für die künftige Wahlagitation im Voraus verbreiten. Die Etatsdebatte bildet gleichsam das Vorspiel, in dem die Leitmotive der sämmtlichen künftigen Wahlreden deutlich zu unterscheiden sind. Tagesschau» Freiberg, dm 2. Dezember. Der deutsche Reichstag fetzte gestern die erste Etatsberathung fort, nachdem der Präsident Mittheilung von einem Schrei ben des Reichskanzlers gemacht, wonach der Staatssekre tär Graf Herbert Bismarck zum Bevollmächtigten zum Bundes- rath und der Direktor im Auswärtigen Amt Reichardt zum Stellvertreter ernannt ist. Der erste Redner war gestern der sozialdemokrat. Abg. Hasenclever. Derselbe erinnerte an den Passus der Thronrede, daß die neue Sozialreform ohne neue Steuern nicht vollzogen werden könne. Neue Steuern verwerfe aber die Sozialistenpartei, solange nicht die Regierung die Verbesserung der Lage der Arbeiter durch Lohnerhöhung« verbürge. Der Redner sprach seine Befriedigung darüber aus daß vermöge der modernen sozialpolitischen Gesetzgebung die soziale Frage überhaupt parlamentsfähig geworden sei. Das herrschende Steuersystem müsse aber eine Aenderung und die Ausgaben müßten eine Bcschrärckung erfahren, namentlich diejenigen fiir die unnöthigen Rüstungen und für die Kolonial bestrebungen. Seine Partei werde für Kulturzwecke Alles be willigen, gegen den Etat im Ganzen aber entschieden Front machen. Der konservative Abg. v. Maltza Hn-Gülz be kämpfte diese Aussührungen sowie die vorgestrigen Ausfüh rungen Nickert's. Mann möge sachlich debattiren und endlich von gegenseitigen Vorwürfen seitens der Parteien absehen. Er bestreite, daß die Finanzlage eine bessere wäre, wenn die Linke die Verwaltung« den Händen hätte. An dcnAusgabcn könne man nichts sparen, denn diese wären beispielsweise für das Herr sehr knapp bemessen. Hätte etwa die Linke andere und bessere Einnahmequellen gewußt? Alles, was die Regierungen vorgeschlagen, sei bisher an dem Widerspruch der Freisinnigen gescheitert. Die Lacke verfahre nur nach Theorien, die Rechte dagegen habe nur die praktische Wirkung der Dinge im Auge. Daß seit 15 Jahren der Frieden erhalten geblieben, danke man zumeist dem Stande unseres Heeres, respektive unserem