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.u · " MADE-ZEISS ~Zlkrgdner ykukstrn Zlatyrtktitktr. spie-. 37. Dresden, Sjnntag den Is. September. Die Franks-it des Heimweh-. . - W verboten - su m der Geschichte der Orankheiten lädt die Entwicklung unsrer Kultur oftmals isten-achten Daß das Heimweh eine eigenelkche nnd rechte Krankheit ists die den Medizinern früherer Zeiten häufiä recht schwer zu schaffen machte, wird niemand im Zeitalter des Verkehrs glauben wo en. Heute, wo man in wenigen Stunden weite Strecken zurücklegt, wo man in sechs Tagen das Weltineer von Deutschland nach Amerika durchkreuzt, wo man durch die Sicherheit der modernen postalifchen Ein richtungen stets über den Gesundheitszuftand einer Angehörigen orientiert sein kann« wo Telegraoh und Telephon uns aus weite Strecken mit der Heimat ver binden, da kann jene unbefriedigte Sehnsucht nach der Heimat nicht in so starrem Maße austreten, wie noch vor dreißig und vierzig Jahren oder qar zu einer Zeit, als es « noch-keine Eifenbahnen ab. Heute kann man Sich kaum noch vorstellen, daß man Krankheitssälle feststellte, in denen das Heimweh bei den davon Ergrifsenen eine tiefe Melancholie hervorrief, die zu einer vollkommenen Gemüts- und Geistestrankheit ausartete, ia sogar früh zeitigen Tod herbeiführte. Indessen ist auch heute noch keineswegs die Krankheit völlig aus dem Bereiche der medizinswisfenschaftltchen Betrachtungen geschwunden, und ein zelnes-Fälle von Heimweherkrankungen werden auch noch in unsrer Zeit ofi genu be obachtet. Man hat wissetgchastlich festgestellt, daß die· Disposition zur Heimwehevgrans kung bei dem einzelnen ndividuum, wie bei ganzen Bolksgruooen an eine niedere Stufe der Zioilisation und eine einfache, einförmiifch mit der nächstenuingcbung in der ausschließlichsten Verbindung stehende Lebensweie gebunden zu sein scheint. Es ist - daher der aus dem kleinen Orte ostanitneude Mensch leichter dein Heimweh verfallen ais der Großstådter, die halberwa senen, in der Pubertätsentwicklung begrifieiien Fin dividuen, welche das eiterliche Haus verlassen müssen, verfallen der Krankheit lei ter ais ältere Personen, weibliche, die nicht soviel in den Verkehr mit andern Personen kommen, leichter als Männer. · - - Bei den Schweizern trat und tritt noch das Heimweh in ganz besonders starkem Maße aus; bei ihnen ist das heimische Gefuhl in besonders starker Weise entwickelt. Sind’s die vaterländischen Naturfchdnheiten,»die der« Schweiser in keinem andern Lande wiederfinden oder ziehen die Nationaleigentumlichkeiten die es Volkes den fernen Ein ,geboreneti so mächtig nach der Heimat zuruck? Unter den schweizerischen Soldaten, die en Königen von Frankreich dienten, erwachte das Heimweh am ntnviderstehlichsten, wenn der Kuhreigen erschallte. Scharentveise entslohen die sungeu Schweizer nach ihrer Heimat in der folgenden Nacht, und bis in die·Mitte des 18. Jahrhunderts soll es in Frankreich bei Todesstrafe verboten gewesen sein, die so lebhaste Erinnerung iveckende heimische Musik zu spielen oder zu singen. Aber nicht nur bei den Schweizer Soldaten in Frankreich, auch bei den· Truner andrer Länder machte sich in früheren Jahr zehntendas Heimweh mit seinen verderblichen Folgen ganz besonders starkbemerkbar. Es ist ja erklärlich, daß der Soldat, der nicht nur die Heimat und seine Lieben verläßt, sondern auaz in völlig andre Lebensnerhältnifses tritt, am ehesten das Heimweh spürt· In unsrer . eit. wo der Soldat schließlich in nicht allzu langer Zeit eine Urlaubsreife zu den Seinen antreten dars, ist dem Auftreten der Krankheit in schlimmerem Maße vorgebeugt Aber noch vor etwa fünfzig Fuhren waren die Sterblichkeitsvcrhältnisse unter den Truppen mancher Länder (z. B. rankreich und Ruleandi ganz außerordent lich unqünftig, und diese starke Mortaliiät unter einer bei ihrer Sinshebung vorzugs weise kefund und kräftig befundenen Mannschaft hatte ohne alle Frage ihren Grund tm He mweh;· denn der Soldatenstand iin Frieden an und für sich kann-der Gesund heit nur sutrdglich sein« und das Lebensalter der Soldaten ist das denkbar günstigste. i « Jean Paul nennt das Heimweh «eine vergiftend herumziehende Bleikugel , nnd bleischwer lastetsins der Tat die Qual der Sehnsucht aus dein am Heimweh Erkranknq vereiniat iich in ihm doch alles, was die Brust birgt an oeinlichen und uiederschlaaenden 1908.