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BergerAt^^ und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur: Iuliu- Braun in Freiberg L, » I Lrschrinr jeden Wochc.-Uax Nachmitt. d Ahr für den !! ,, 88. Jahrgang. Inserate werden bi« «ormittag ri Uhr angenom- a LHFHF» Freitag, den 26. Februar. 1888. Nachbestellungen auf den / Monat März werde« zum Preise von 75 Pf. von allen kaiserl. Postanstalten sowie von den bekannten Aus gabestellen und der unterzeichneten Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Englische Wirren. Während die industrielle Krisis in England fortdauert und die Arbeitslosigkeit fast ohne jede Abhilfe bleibt, hat das neue Kabinet Gladstone den irischen Angelegenheiten eine liebevolle Sorgfalt zugewcndet, welche die Zerfahrenheit unter den englischen Liberalen immer mehr vergrößert. Dem Premierminister Gladstone sind in den letzten Tagen von zahlreichen Mitgliedern der liberalen Partei Briefe zu gegangen, in welchen er unzweideutig verständigt wird, daß er für irgend eine Maßregel, die Irland eine selbständige Regierung geben würde, auf ihren Beistand nicht rechnen dürfe. Jedenfalls ist eS für den greisen leitenden Staats mann Englands ein großes Mißgeschick, daß er sich die Freundschaft der gemäßigt-liberalen Politiker vom Schlage Hartington's und Goschen's verscherzt hat und daß sein ehemaliger kluger Rathgeber, Sir Charles Dille, durch einen ärgerlichen Skandalprozeß zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes unfähig geworden ist. Statt dieser praktischen Männer stehen jetzt Gladstone die Minister Chamberlain und Morley zur Seite, von denen der Erstere Angesichts eines entsetzlichen Nolhstandes bei der alten Prinzipienreiterei verharrt und die darbenden Arbeiter auf eine später viel leicht mögliche Lösung der Bodenfrage vertröstet, der Letztere aber den seit dem Sturze Salisbury's erst recht übermüthig gewordenen Irländern Dinge verspricht, die Gladstone zu erfüllen aussir Stande ist. Nicht nur in der konservativen Presse, sondern auch in einem großen Theile der freisinnigen Presse Englands haben die Aeußerungen, welche der neue Staatssekretär für Irland, John Morley, in der Freitags- Sitzung des Unterhauses gethan hat, einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen, der nachhaltiger wirken wird als der Beifall, mit welchem die Parnelliten dieselben im Augen blick begrüßten. Bei der in jener Sitzung stattgefundenen Erörterung über einen Nachtragskredit für die irische Polizei, der von dem irischen Deputirten Dillon bekämpft wurde, bemerkte dieser Redner, daß er aufrichtig wünsche, jede Schwierigkeit auf dem Pfade des neuen Staatssekretärs für Irland zu beseitigen, da er Grund habe anzunehmen, daß Morley selbst so bald als möglich aus Irland herauszukommen suchen werde. Morley erwiederte daraus, er wolle den Beweg grund nicht zurückweisen, der den Vorredner veranlaßte, ihm seine Sympathie und Unterstützung zuzusagen. Die Frage, wie lange er oder irgend ein anderer englischer Minister Irland regieren solle, nähere sich thatsächlich bereits einer Lösung. Diese aussichtsvolle Erklärung wurde von den Parnelliten mit Jubel begrüßt, wird aber von der englischen Presse höchst ungünstig beurtheilt, weil man sie für eine Aufforderung an alle Iren ansieht, sich mit Parnell zu verständigen. Gleiches Aergerniß erregte eine weitere von Dillon bei der Frage der Exmission der Pächter provozirte Erklärung des neuen Staatssekretärs für Irland, die englische Regierung sei nach seiner Meinung nicht berechtigt, in jedem Falle, wo ein Schatten gesetzlichen Rechtes vorhanden scheine, Militärgewalt anzuwenden, um ihre Dekrete auszusühren. Er halte sich für einen Exekutiv-Minister und werde in jedem einzelnen Falle nach bestem Ermessen handeln. Die Befürchtung liegt nahe, daß nach dieser Aeußerung des Ministers die bereits erhebliche Zahl der Pächter, welche schon seit langer Zeit ihren Grundherrn den Pacht ver weigern, sich künftig noch vermehren wird. Selbst liberale Blätter bestreiten dem radikalen Staatssekretär Mr. Morley das,Recht, nach bestem Ermessen diktatorisch alle Bcsitztitel für ungiltig und alle Grundbesitzer für vogelfrei zu erklären. Die „Times" spricht die Erwartung aus, daß das englische Gesammtministerium sich weigern werde, Gladstone und Morley auf diesem vcrhängnißvollen Pfade weiter zu folgen. In demselben Maße, wie unter den Mitgliedern des Kabincts Gladstone die Zwietracht zunimmt und die Be denken der gemäßigt-liberalen Partei gegen die Zugeständ nisse an Irland wachsen, gewinnt die kaum verdrängte Tory-Partei wieder an Boden. Dem Exminister Lord Randolph Churchill, der jetzt in Belfast verweilt, wird von den an der Union mit England treu festhaltenden Prote stanten Irlands in auffallendster Weise gehuldigt. Derselbe besucht besonders fleißig die Versammlungen der Orangisten, welche in sogenannten Logen ihre Anhänglichkeit an Groß britannien immer neu kräftigen und bethätigen. In einer ihm zu Ehren veranstalteten solchen Versammlung erinnerte Lord Churchill am Montag an den irischen Aufstand im Jahre 1798 und sprach die Erwartung aus, daß die heutigen loyalen Irländer in der Sache der bürgerlichen und religiösen Freiheit nicht hinter ihren Vorfahren zurückstehen würden. Er hoffe zwar, daß der Kampf um Aufrecht erhaltung der gesetzgeberischen Einheit zwischen England und Irland sich innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen be wegen werde, doch müsse man immerhin auf das Schlimmste gefaßt sein. Auch Lord Salisbury zeigt sich überaus ge schäftig, von den Fehlern seines politischen Gegners Vor- thcil zu ziehen, die Gemäßigt-Liberalen zu sich herbeizulocken und das Kabinet zu Erklärungen über die irische Politik zu verleiten, die es bei allen Verfechtern der Staatseinheit unmöglich machen. In der letzten im Carlton-Klub statt gefundenen Parteiversammlung, die von zahlreichen Mit gliedern beider Häuser des Parlaments besucht war, lenkte Salisbury die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die Uneinigkeit im neuen Kabinet, wies auf die Zurückhaltung Lord Hartington's von demselben hin und meinte, daß die Fragen der Unverletzlichkeit der Staatseinheit und der Eigenthumsrechte dem jetzigen Ministerium verhängnißvoll werden müßten. Diese Angelegenheiten würden schließ lich zu einer Umgestaltung der politischen Parteien in England führen, denn Männer wie Lord Harlington und Mr. Goschen würden künftig gemeinsam mit den Konser vativen die von ihnen hochgehaltcnen Einrichtungen ver- theidigen. Salisbury empfahl seinen Freunden im Unter hause bei jeder geeigneten Gelegenheit, Gladstone zu Erklärungen über sein irisches Programm zu veranlassen. Es dürfte jedoch nicht räthlich sein, die Frage durch einen bestimmten Antrag zu erzwingen. Inzwischen ist die Stimmung in der englischen Haupt stadt auch in Folge der fortgesetzten Versammlungen der Arbeitslosen eine sehr erregte. Die Sammlungen zur Linderung der Nothlage der Arbeitslosen haben zwar sehr ansehnliche Beträge ergeben, aber die betreffenden Aus schüsse haben große Mühe, die mildthätigen Gaben in rechter Weise anzubringen. Außer zur Gewährung von direkten Unterstützungen werden die vorhandenen Mittel zu städtischen Verschönerungsarbeiten benutzt, bei welchen zahl reiche brotlose Arbeiter Beschäftigung finden. Der ärgste Grimm der letztem richtet sich neuerdings weniger gegen die Besitzenden als gegen die polnischen, russischen, deutschen und holländischen Arbeiter, welche die Lohnsätze verdorben und den englischen Arbeitern das Brot vor dem Munde weggenommen haben sollen. In Shadwell bei London nahm eine Versammlung von britischen Matrosen und Heizern eine Resolution an, welche Protest erhob gegen die Anstellung von Ausländern zum Nachtheile von britischen Seeleuten, wodurch Hunderte derselben nothleidend auf die Straße geworfen und außer Stande sind, Beschäftigung zu finden. In einzelnen Küstenstädten ist es bereits zwischen beschäftigungslosen englischen Seeleuten und Hafenarbeitern einerseits und zwischen fremden Matrosen andererseits zu heftigen Schlägereien gekommen, welche eine Einmischung der Polizei nöthig machten. Allen diesen Wirren gegen über zeigt sich das jetzige englische Ministerium nicht theilnahmelos, aber unentschlossen und offenbar rathlos. Tagesschau. Freiberg, den 25. Februar. Dem deutschen Reichstage ist der Geschäftsbericht des Reichsversicherungsamtes, sowie der Beschluß des deutschen Bundesrathes über die Ausnahme der Cellulose-Fabriken unter die anzeigepflichtigen Gewerbebetriebe zugegangen. Bei dem ersten Gegenstand der Tagesordnung: Anträge auf Abänderung der Legislaturperiode beantragte gestern Abg. Graf von Ballestrem, den Gegenstand wegen seiner Wichtigkeit mit Rücksicht auf die Leere des Hauses abzusetzen. Abg. von Hclldvrfs sprach gegen, Abg. Bamberger für diesen Antrag. Bei der Abstimmung wurden 74 Stimmen für, 73 gegen den Antrag Ballestrem abgegeben. Das Haus war somit beschlußunfähig. Aus der Tagesordnung der heutigen Reichs tagssitzung steht die Vorlage über die Abänderung des Gerichls- verfassungsgesetzes und die Nord-Ostseckanal-Vorlage. — Im preußischen Abgeordneten Hause fand gestern die Berathung über die Anstellung und die Dienstverhältnisse der Volksschullehrer in den Provinzen Preußen und Posen, sowie im Regierungsbezirke Oppeln statt. Es hatten sich 19 Redner gegen und 14 für die Vorlage angemeldet. Abg. Porsch erklärte, das Zentrum werde grundsätzlich gegen die ganze Vor lage stimmen und wenigstens den Regierungsbezirk Oppel« davon auszunehmen trachten. Abg. von Bitter hielt im Interesse des Deutschthums die Vorlage auch für Oppel« nöthig; dieselbe sei nicht einseitig gegen die Katholiken gerichtet und berühre in Wesst eußen Deutsche und Protestantm geradeso wie die Polen und Katholiken. Das jetzige Vor gehen sei bei den bisherigen, durchaus unzureichenden Unterrichtserfolgen schlechterdings nothwendig, es sei das Recht des Staates, zu verlangen, daß alle Staatsbürger die Sprache beherrschen, welche die Theilnahme a« den öffentlichen Dingen ermöglicht. Abg. Virchow befürchtete infolge der Vorlage Rückschritte auf dem Schulgebiete und be zeichnete nicht den Polonismus, sondern den Panslavismus al- eine drohende Gefahr. Mit der polnischen Agitation hätten die Liberalen niemals sympathisirt; wenn sie sich zuweilen mit den Polen zusammengesunden hätten, so liege das im Gefühle der Menschlichkeit und darin, daß sie beide unterdrückte Parteien seien. Die Berathung des Entwurfs in einer Kommission er scheine durchaus nothwendig. Der Kultusminister v. Goßler führte aus, daß die Regierung dm fortwährenden Angriff« der Polen gegenüber Milde und Rührung nicht walten lassen dürfe und einen festen und klaren Standpunkt einnehmcn müsse. Es liege nur an dem früheren Schwanken, wenn im Schulwesen Fehler gemacht worden seien. Seit der Reorganisation deS Schulwesens 1872/73 wäre Manches zur Stärkung deS Deutschthums geschehen, namentlich habe man dem Lehrermangel abzuhelfen gesucht. Die beste Art der Assimilirung zweier Völker sei die gemeinsame Sprache; aber ein gewiffer Theil der zum Militärdienst wieder einberusenen Ersatzmannschaften habe die deutsche Sprache verlernt, die Zahl derjenigen jungen Leute, welche die Kcnntniß der deutschen Sprache leugneten, sei im Wachsen; es gebe eine dahin gehende besondere Agitation und scheine es daher nothwendig, daß alle Volksschullehrer der deutschen Sprache mächtig seien. Ungeeignete Lehrer müsse man in andere Stellungen überführen, wo sie nützlicher wirken könnten. Die Regierung sei gegenüber der polnischen Agitation, die selbst un moralische Mittel nicht scheue, zu einem solchen Vorgehen be rechtigt. Die Regierung beabsichtige weder den Gemeindm noch den Gutsherren als Schulpatronen Unrecht zu thun, sie wolle auch nicht Rückschritte, sondern Fortschritte. Abg. von Gneist sprach für die Vorlage als im eigensten Interesse der Volksschullehrer und bemerkte, ein gutsherrliches oder privates Schulpatronat sei staatsrechtlich überhaupt nicht vor handen. Abg. Gerlach meinte, die Vorlage werde die Kluft zwischen den Deutschen und Polen erweitern. Abg. Graf Schwerin-Putzar bemerkte, man solle das Recht der Land gemeinden zur Berufung der Lehrer nur da aufrecht erhalten, wo daraus bisher keine Nachtheile entstanden seien. Die Fort setzung der Debatte findet heute statt. — Dem Abgeordnetenhause ist (wie wir bereits gestern unter Depeschen mittheilten), als weiteres Mittel gegen den Polonismus, ein Gesetzentwurf über die Errichtung und Unterhaltung von Fortbildungsschulen in Westpreußen und Posen zugegangen. Darnach sollen dem Handelsminister jährlich 200000 M. für den gedachten Zweck zur Verfügung gestellt und Arbeiter unter 18 Jahren an den Orten, wo Fortbildungsschulen errichtet sind, zum Besuche der selben verpflichtet werden. Den Motiven des Gesetzentwurfs zufolge würden Fortbildungsschulen in den gedachten Provinzen an etwa 115 Orten mit über 2000 Einwohnern und ferner in einer Reihe kleinerer Gemeinden, welche lebhaften Gewerbe betrieb haben, errichtet werden.— Das preußische Herren haus überwies gestern den Gesetzentwurf über die Abänderung der kirchcnpolitischen Gesetze einer Kommission von zwanzig Mitgliedern und nahm den Gesetzentwurf, betreffend die Kirchenverfassung der evangelischen Kirche im Bezirke des Kon sistoriums Kassel, sowie die Vorlage über den Entwurf einer Landgüterordnung für Schleswig-Holstein in der vorgeschlagenen Fassung an. Für das parlamentarische Leben in Oesterreich, das durch die persönliche« Angriffe gegen den Handelsminister Baron von Pino noch schlimmer als vorher verwirrt worden ist, dürfte das Wicderauftauchen des greisen liberalen Führers, I)r. Herbst, ein nicht zu unterschätzender Gewinn sein. Der selbe erschien nach langer Krankheit wieder zum ersten Male im deutsch-österreichischen Klub und antwortete auf die ihm gewordene herzliche Begrüßung, er werde bis zum letzten Athem- zuge an drei Begriffen festhalten: Staatseinheit, Deutschthum und Fortschritt. — Im ungarischen Unterhause beant wortete gestern der Handelsminister eine Interpellation wegen der Landwirthschaftskrise damit, daß der internationale Oeko- nomen-Krongrcß nichts zur Verbesserung vorgeschlagen habe, womit sich die Regierung nicht vorher schon beschäftigt hätte.