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38. Jahrgang. L» Erscheint jeden Wochentea Nachmitt. ü llhr für de« 4b. Donnerstag, den 25. Februar. BeWrIl)^ und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd Müschen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg Inserate «erden bis Bormittag 11 Uhr angenom- ü men nnd beträgt der Preis für die gespaltene Zeile ö H I-O V» oder deren Raum 1b Ps. I Nachbeftellunge« auf den Monat März werden zum Preise von 75 Pf. von alle« kaiserl. Postanstalten sowie von den bekannten Aus gabestellen und der unterzeichneten Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Die abermaligen Polen-Debatten. Man erzählt sich, daß der Kronprinz von Oesterreich sich die schwere Erkältung, von welcher er sich erst kürzlich wieder erholte, dadurch zuzog, daß er die letzte Poleurede des Fürsten Bismarck aus einem Ballsaale erhielt und dieselbe, noch erhitzt vom Tanze, sofort in einem kühlen Nebenzimmer tieserregt von Anfang bis zu Ende durchlas. Tier am 12. d. M. im österreichischen Abgeordnetenhause von dem galizischen Deputirten Hausner gegen die preußische Politik gewagte Ausfall zeigte nicht minder, wie die sich im preußischen Landtage zum Schutze des Deutschthums in den östlichen Provinzen vorbereitenden Dinge alle Kreise ausregen, welche Sympathie für die Polen empfinden. Nicht minder sind aber auch alle Deutschen außerhalb Preußens gespannt, ob die von Fürst Bismarck zur Ab wehr des vordringenden Slaventhums nöthig befundenen umfangreichen Maßnahmen die Billigung der preußischen Volksvertretung finden werden. Das dabei berührte natio nale Interesse ist so groß, so allgemein, baß es trotz seiner anscheinend nur einzelstaatlichen Bedeutung das Interesse an dem Branntwein-Monopol und an der Verlängerung des Sozialistengesetzes in den Hintergrund drängt Während von den Gegnern der Vorlage dieselbe als geeignet bezeichnet wird, Deutschland mit Oesterreich und Rußland zu verfeinden, nehmen alle regierungsfreundlichen Kreise an, daß sich der deutsche Reichskanzler sicher vor dem Beginn der Polen-Aktion über die leitenden Grundsätze derselben mit dem Wiener und mit dem St. Petersburger Hofe verständigte. Seit der Theilung Polens haben Ruß land, Oesterreich und Preußen das gleiche Interesse daran, nicht nur die Wiederaufrichtung des Königreichs Polen zu verhindern, sondern auch alle darauf hinzielenden Versuche im Keime zu ersticken. Es steht freilich fest, daß man in den panslavistfschen Kreisen stets den Haß der Polen gegen die Deutschen als ein günstiges Hilfsmittel im Falle eines Kon flikts zwischen Rußland und Deutschland ansah. Ebenso leisten die Polen Oesterreichs der jetzigen Reichstagsmehrheit immer recht nützliche Dienste, wo es gilt, das Wiederemporkommen einer deutschliberalen Strömung einzudämmen. Berechtigte Hoffnungen auf eine thatcnbereite Gunst der russischen und österreichischen Regierungen erwachsen daraus den Polen aber nicht, die in dieser Beziehung durch die von ihnen mit Napoleon 1. und Napoleon lll. gemachten mißlichen Er fahrungen gewitzigt sein sollten. Rußland besonders wird Preußen niemals hindern, seine Ostgrenze durch Zurück- drängung des polnischen Elements und durch Schutzmaß regeln für das protestantische Deutschthum in nationaler Weise zu sichern, nachdem die deutsche Reichsregierung, wenn auch vielleicht mit schwerem Herzen, darauf verzichtete, für diejenigen russischen Staatsangehörigen einzutreten, die für deutsche Sitte, deutsche Sprache und für ihre lutherische Religion in den Ostsceprovinzen hart genug bedrängt werden. Ganz ähnlich unterließ die deutsche Regierung jede Einmischung zu Gunsten der deutschen Bevölkerung Böhmens und hat demnach sicher ein Recht, zu erwarten, daß Ruß land und Oesterreich sich ihrerseits nicht um Das kümmern, was innerhalb der Ostgrenzcn Preußens zum Schutze der deutschen Nationalität geschieht. Das Nedegefecht, das sich über die Polen-Vorlagen am Montag im preußischen Abgeordnetenhause entsponnen hat und wohl noch mehrere Tage fortdauern wird, hat aber nicht nur eine hohe nationale Bedeutung, es vollzieht sich auch wahrscheinlich während dieser erregten Wortkämpfe eine vollständige Auseinandersetzung zwischen dem Theile des Zentrums, der dem Frieden mit Deutschjand die Freund schaft der kleinen polnischen Fraktion opfern möchte, und zwischen denjenigen llltramontanen, die sich mit der neuen Gestaltung des Deutschen Reiches durchaus nicht aussöhnen können. Wie im deutschen Reichstage bei der berühmten Ausweisungsdebatte setzte auch am Montag im preußischen Abgeordnetenhause die Berathung über die Maßnahmen zum Schutze des Deutschthums an der Ostgrenze ziemlich nüchtern ein. Von den beweglichen Klagen des polnischen Abgeordneten von Wierzbinski über den durch die neue Vorlage angekündigten Gewaltakt wurden fast nur die auf reizenden Schlußworte verständlich, in welchen er prophezeite, daß die Polen siegen, die Deutschen aber Unehre und Schande von den geplanten Maßnahmen haben würden. Natürlich wurde diese Aeußerung durch einen Ordnungsruf des Präsidenten geahndet. Als Vertreter des Zentrums sprach sich dann der Abg. V.Huene über die Vorlage mit kühler Ruhe ab sprechend aus. Von nationalliberaler und konservativer Seite wurde durch die Herren v. Benda und v. Holtz der Vorlage Bei fall gezollt und die Berechtigung derselben fast mehr hervorge hoben, durch den Minister Lucius, der sich auf Darlegung der als damit verbundenen sozialen und friedlich nationalen Zwecke beschränkte. Diesen ziemlich ruhigen Auseinandersetzungen folgte eine bedeutende rednerische Leistung des Aba. Ostrowitz, eines der polnischen Fraktion angehörenden Geistlichen, der für die Polen in Posen eine ähnliche Stellung verlangte, wie sie die Polen in Galizien einnehmen. Den Standpunkt der im Großherzogthum Posen ansässigen deutschen Guts besitzer vertrat darauf der Abg. von Treskow mit einer ironischen Schneidigkeit, welche den ultramontanen Abg. von Schorlemer-Alst zu einer heftigen Erwiderung aufreijte. Auf die Behauptung des Vorredners, daß das Zentrum die Polen vertrete, antwortete er scharf, das Zentrum ver trete einfach das Recht. Der westfälische Edelmann, der sich in seiner Rede ausdrücklich rühmte, daß seine Ahnen schon seit mehr als tausend Jahren Deutsche seien, schloß seine Rede mit folgenden Sätzen: „Sie wollen die polnischen Besitzer auskaufen; mit demselben Rechte können Sie auch die Welfen in Hannover oder die sogenannten Römlinge auskaufcn- Immerhin ist's noch besser, als die Vertreibung der Orden, deren Vermögen Sie konfiszirt haben. Wie wollen Sie Sicherheit schaffen, daß diese Vorlage wirkt? Sie müssen den Religionswechsel verhindern, dafür sorgen, daß die Besitzer und Pächter stets regierungsfreundlich sind, daß keine Heirathen mit Polinnen stattftnden rc. Wenn das Gesetz nur zwei Paragraphen hätte, 1) dem Ministerpräsi denten werden 100 Millionen M. zur Germanisirung bewilligt und 2) der Finanzminister hat diese Summe zu beschaffen — dann stände genau dasselbe darin wie jetzt. Wir haben eine Regierung so absolut, wie die Richelieus und Marzarins. Wenn aber Fürst Bismarck's Kopf einmal zu denken auf hört, was soll dann geschehen? Da wir hier ein Gesetz votiren sollen, das erst unsere Nachkommen ausführen können, muß ich mich dagegen erklären im Interesse des Vaterlandes und der Dynastie." Waren während der Rede des Abg. von Treskow eine ganze Reihe von Zentrumsmitgliedern mit Zornesrufen gegen die Rednertribüne losgestürzt, so zeigten die Mitglieder dieser Fraktion bei den angeführten Bemerkungen des Abg. von Schorlemer den lautesten Jubel. Die Debatte schloß am Montag mit der scharfen Erwiderung des Ministers Lucius, welcher unter dem Beifall der konservativen Partei es der Politik des deutschen Reichskanzlers nachrühmte, daß sie es gewesen sei, die Deutschland auf eine ungeahnte Höhe gehoben habe, eine Politik, für die nie genug Dank barkeit' bewiesen werden könne. Bei der gestern fortgesetzten Berathung des Ansiedelungsaefetzes trat Abg. Wehr für die Vorlage ein, die einen Akt der Selbsterhaltung für Preußen bedeute, aber gegen die Aufnahme von Landtags- mitglicdern in die Jmmediatkommission, da dies die Ver antwortung der Krone schmälere. Abg. Kablewski wies darauf hin, daß die Vorlage nur die Landestheile mit pol nischer katholischer Bevölkerung in's Auge fasse, Ostpreußen mit den protestantischen Polen aber verschone. Der kon servative Abgeordnete von Rauchhaupt behauptete, daß die Vorlage politisch und wirthschaftlich wichtig und segensreich für die Nation sein werde. Abg. Windthorst erklärte, die Expropriirung der Polen enthalte einen Verfassungsbruch; der dazu bestimmte Fond werde nichts einbringen. Es handle sich nicht um Kolonisirung, sondern um Protestanti- sirung der fraglichen Landestheile. Der für die Vorlage eintrctende Abg. Klenemann schilderte auf Grund fünfzig jähriger Erfahrungen das allmähliche Schwinden des guten Einvernehmens zwischen den Deutschen und den Polen, die fortschreitende Polvnisirung und den Einfluß der Geistlichkeit. Dieser Redner hielt gerade die Schaffung neuer Domänen für nothwendig, um das Zurückgelaugen des Grundbesitzes in polnische Hände zu verhindern. Abg. Hänel legte dar, weshalb das Zentrum, die Frei sinnigen und die Polen die Vorlage ablehnen müßten. Die Verträge, auf welche die Polen sich beriefen, seien zwar j durch die verfassungsmäßigen Zustände ersetzt, dafür besäßen aber die Polen auch gleiche Rechte, wie andere Staats- fbürger. Der Minister Lucius erwiderte, der Vorredner unterschätze die Bedeutung der polnischen Agitation seit den dreißiger Jahren. Ueber die von ihm vorgeschlagene Vor bereitung der Kolonisation durch die Landgemeindeordnung und die Kreisordnung würden viele Jahre verloren gehen. Die Ankäufe sollten Freihandkäufe sein; es sei nicht beab sichtigt, die Nothlage Einzelner auSzunützen. Die Regie rung habe nicht die Meinung gehabt, daß die Vorlage die Verfassung verletze. Sollte die Kammermehrheit Garantien gegen eine solche Verletzung wünschen, so sei die Regierung bereit, solche zu geben. Der nationalliberale Abg. Hobrecht bemerkte, man könne dem Bestreben der Polen, ein eigenes Reich wieder zu errichten, nicht unthätig zusehen. Die polnische Agitation habe eine solche Feindseligkeit, eine solche Abschließung gegen die Deutschen bewirkt, daß sie den inneren Frieden gefährde. Man müsse deshalb durch Kolonisation und Organisation des Schulwesens auf die Ausbreitung der Kultur und auf die Kenntniß der deutschen Sprache hinwirken. Nachdem Abg. Virchow noch persönlich bemerkt hatte, daß er durch den Schluß der Debatte wieder verhindert worden sei, auf die Ausführungen des Reichs kanzlers in der ersten Polendebatte zu antworten, verwies das Haus die auf die Ansiedelung bezügliche erste Polen vorlage an eine einundzwanziggliedrige Kommission. Die Berathung der übrigen Polenvorlagen findet heute statt. Tagesschau. Freiberg, den 24. Februar. Der deutsche Reichstag, dem gestern die Branntwein- Monopol-Borlage zugegangen ist, setzte die zweite Berathung des Gesetzentwurfes fort, welcher die Entscheidung vereinigter Zivilsenate oder Strafsenate, resp. des Plenums, bei ab weichenden Entscheidungen zweier Zivilsenate oder Strafsenate, resp. Zivilsenate und Strafsenate über eine Rechtsfrage be trifft. Der Antrag des Abg. v. Grävenitz, daß vor der Entscheidung der vereinigten Strafsenate oder derjenigen des Plenums, sowie in Ehe- und Entmündigungssachen der Ober reichsanwalt mit seinen schriftlichen Anträgen zu hören sei, wurde von dem Bundeskommissar v. Schelling befürwortet. Abg. Horwitz schlug dagegen vor, es den Landesgesetzen zu überlassen, sofern es sich um den Inhalt von Gesetzen handelt, auf deren Verletzung die Revision auf Grund der Zivilprozeß ordnung nicht gestützt werden kann, entsprechende Bestimmungen für das Oberlandesgericht zu treffen. Der Bundcskommissar Hagen sprach gegen diesen Antrag, ebenso Abg. Klemm, da für diesen Antrag keine zwingende Nothwendigkeit vorliege. Abg. Reichens perger sprach für den Antrag Grävenitz. Abg. Lipke bemerkte, die jetzige Stellungnahme des Staats sekretärs stehe im Widersprach zu den Motiven des Gesetzes; er bleibe aus dem Boden der Regierungsvorlage und bitte, den Antrag Grävenitz abzulehnen. Hierauf trat der Bundes bevollmächtigte v. Schelling der Annahme des Vorredners, als ob er sich mit den Motiven der Regierungsvorlage in Widerspruch gesetzt habe, entgegen. Abg. Träger sah sich veranlaßt, im Gegensatz zu dem Abg. Lipke die größte Sym pathie für den Antrag Grävenitz auszusprechen. Nachdem der Antrag Horvitz zurückgezogen und die Regierungsvorlage mit dem Antrag Grävenitz angenommen war, vertagte sich das Haus auf Antrag des Abg. Munck e l auf heute Nachmittag 2 Uhr. — Die Reichslagskommission für die Anträge über den Be fähigungsnachweis beendete gestern die erste Berathung der bezüglichen Vorschläge. 8 14 k wurde in folgender Fassung angenommen: „Vorstehende Bestimmungen über den Nachweis der Befähigung gelten auch für die Inhaber von Magazinen zum Detailverkauf von handwerksmäßig hergeftellten Waaren, welche sie selbst anfertigen lassen, oder für die zum Zwecke der Anfertigung solcher Waaren bestellten Vertreter." Nach dem neu angenommenen 8 15 kann künftig die Fortsetzung deS Betriebes polizeilich gehindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn der Befähigungsnachweis erforderlich ist, ohne diesen Nachweis begonnen wird. — Die bairischeKammer hat gestern für die weiteren Ergänzungsbauten und Einrich tungen auf der Bahnlinie Lichtensels - Hochstadt - Stockheim 2 651 300 M. und für Neuanschaffung von Luftdruckbremsen und Bahnwaggons S47 500 Mark bewilligt. Die Kammer lehnte aber den Nördlinger Bahnhofneubau ab und genehmigte alsdann das ganze Gesetz betreffs der Bahnbankredite ein stimmig. Am 23. Februar 1803 geboren, feierte die einzige noch lebende Schwester unseres Kaisers, die Großherzogin Alexandrine vonMecklenburg-Sch Werin, gestern ihren Geburtstag. — Prinz Wilhelm von Preußen kehrte gestern früh aus Rußland nach Berlin zurück. — Am 22. Februar ist in Jänkendorf O.-L. Fürst Heinrich der 74. j. L. Reuß im 88. Lebensjahre verstorben.