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I und Tageblatt. Amtsblatt für -it königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg mb Braud. Berautwortlicher Redakteur: Julius Braun iu Freiberg. .« 31. I Sonntag, den 7. Februar, j j 1886. Die Woche. Während der deutsche Reichskanzler bei den Polen- dcbatten im preußischen Abgeordnetenhause dem letzteren seinen häufigen Besuch versprach und die Absicht kundgab, sich bei fernerer Widerwilligkeit des deutschen Reichstages mit den Einzellandtagen zu behelfen, hat in den letzten Tagen der preußische Finanzminister von Scholz die ganz entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen, daß er auf jede Reform der direkten Steuern in Preußen verzichte und Alles von der Reform der indirekten Reichssteurrn ab hängig mache. In gewissen konservativen Kreisen hat man wegen früherer ähnlicher Widersprüche einen ernsteren Gegen satz zwischen dem Reichskanzler und dem Finanzministcr von Scholz angenommen und trotzdem der letztere jede Aenderung der jetzigen Währung bestimmt zurückwies, im Reichstag den Antrag angeregt, den Reichskanzler zu er suchen, mit den betheiligten Mächten in Unterhandlung zu treten, um die Einführung einer internationalen Doppel währung zu ermöglichen. Wahrscheinlich wird man dabei die Erfahrung machen, daß die Meinungsverschiedenheiten der beiden Staatsmänner nur scheinbare sind und daß Beide sowohl in der Währungsfrage wie in der Branntwein- Monopol-Angelegenheit einen ganz bestimmten Plan ver folgen. Fürst Bismarck hat nach dem letzten parlamen tarischen Diner bei dem von ihm stets mit besonderer Vor liebe gepflegten Nachlisch-Gespräch die Unmöglichkeit der Spiritus-Fadrikatsteuer und die Lästigkeit einer Lizenzsteurr jo sehr betont, daß man deutlich herauSfühlte, wie viel ihm an dem Zustandekommen, des Branntwein-Monopols ge legen sei, welches jetzt das Alpha und Omega der ganzen Finanzpolitik zu sein scheint. Unwillkürlich erinnert man jtch dabei an das Wort des Epiklet: man solle ebenso wenig das Herz an eine einzige Hoffnung hängen wie ein Schiff mit einem einzigen Anker festlegen. Mit der Mehr heit des jetzigen Reichstages, den Fürst Bismarck nicht aus- lösrn zu wollen erklärt hat, wird die Reichsregierung keine Seide spinnen. Die Führer der oppositionellen Fraktionen sind viel zu tief verletzt worden und viel zu über zeugt von der Anhänglichkeit ihrer Wähler, als daß sie die Dinge nicht zum Aeußersten treiben und die Nothwendigkert einer Auflösung des Reichstages selbst herbeiführen sollten. Die Gelegenheit dazu liefert ihnen das Branntwein-Monopol und das Sozialistengesetz, dessen Verlängerung auf weitere fünf Jahre von Preußen bean tragt und vom deutschen Bundesrathe genehmigt wurde, aber im Reichstage auf sehr erheblichen Widerstand stoßen wird Das schroffe Auftreten der ultramontanen Oppo sition hat sich seit dem Bekanntwcrden des günstigen Fori- schreitens der Verhandlungen zwischen Berlin und dem Vatikan und der Ankündigung einer neuen preußischen kirchenpolitischcn Vorlage keineswegs verändert Von der letzteren behaupten die Organe des Zentrums, daß sie den Ansprüchen des Papstes nicht genüge; den Verzicht des Kardinals Ledochvwski auf seine frühere Erzdiözese Posen- Gnesen besprachen sic aber in einer Weise, daß der früher jo streitbare Kardinal es für gerathcn hielt, der ultramon tanen Presse seiner Diözese seinem deutschen Nachfolger gegenüber die größte Vorsicht zur Pflicht zu machen. Da der zum Erzbischof ernannte Propst Binder aus Königs berg, der nach Rom gereist ist, um dem Papste für seine Ernennung zu danken, nicht der Mann zu sein scheint, bei dem man sich eine Förderung der polnischen Umtriebe zu versehen haben könnte, obschon er trefflich polnisch spricht, so hatte die klerikale Presse Posens ihm eine kühle und wenig sympathische Ausnahme angekündigt und ihm zu ver stehen gegeben, daß er nur dann die Herzen gewinnen werde, wenn er sich als treuer Anhänger der polnischen Sache bewähre. So lange Polen und Welfen das Zen trum des deutschen Reichstages in der bisherigen Weise beeinflussen, ist an eine Mäßigung der Opposition nicht zu denken. Jedenfalls ist es kern geringes Wagstück, einen Reichstag, in dem diese Elemente die Oberhand haben, auf die doppelte Probe des Branntwein-Monopols und der fünf jährigen Verlängerung des Sozialistengesetzes zu stellen. — In unserem sächsischen Landtage waren es dieSozialdemokraten, welche in letzter Zeit den Debatten einen sehr bewegten Charakter verliehen. Trotz ihrer heftigen Proteste hat aber die sächsische zweite Kammer das in der Thronrede an- gekündiate Gesetz über die Verschärfung des polizeilichen Ausweifungsrechtcs gegenüber bestraften Personen genehmigt. Recht erfreulich erscheint auch die Bewilligung der bean tragten laufenden Unterstützung von 8000 Mk. jährlich für Arbeiterkolonien und 5000 Mk. zur Förderung des Hand- ertigkeitSunterrichts. Wieder hat das österreichische AbgeordneterhauS den polnischen Abgeordneten vr. Smolka zum Präsidenten, den klerikalen Grafen Clam-Martinitz zum ersten unv den gemäßigt liberalen ehemaligen Handelsminister v. Chlumetzkh zum zweiten Vizepräsidenten gewählt und damit daS Stärkeverhältniß und den Grad deS Einflusses der ver schiedenen Parteien scharf gekennzeichnet. Noch sind die Slaven und die Klerikalen in Oesterreich maßgebend, wenn auch das Ministerium Taaffe fest entschlossen scheint, ihnen keine weiteren Konzessionen zu machen. Gerade diese neuer dings deutschfreundlichere Gesinnung in den österreichischen Regierungskreiscn macht eS brklagenswerth, daß der deutsche Klub deS österreichischen Abgeordnetenhauses durch eine anläßlich der Polenreden in» Werk gesetzte Vertrauens- kundgebung für den Fürsten BiSmarck seinen Gegnern eine bequemere Handhabe bot. die deutschliberalen Führer des Mangels an Vaterlandsliebe z« zeichnen. Abermals ist es der italienischen Regierung ge lungen, einen gefährlichen Sturm abzuschlagen, den die von Cairoli und Spav.'nta geführte Opposition sehr geschickt ins Werk gesetzt hatte. Der Abg. Giolitti legte der General- Kommission zur Prüfung de» Staatsbudgets eine Studie vor, durch welche die Deduktionen der letzten Budgetrede MagliaaiS gänzlich widerlegt worden. Darauf fußend griff die Opposition den Finanzminister in heftigster Weise an, konnte es aber doch nicht hindern, daß die Mehrheit der Kammer eine von Minghetti vorgeschlagene Tagesordnung durchbrachte, welche al» emi, glänzende» Vertrauensvotum für das j tzige Kabinct gelter! konnte. Aus Frankr eich meldet man die näheren Bedingungen, unter welchen die Weltausstellung von 1880 auf dem Pariser Marsfeld zu Stande kommen soll. Von den er forderlichen vierzig Millionen soll der Staat zwanzig, die Stadt Paris 8 und die Garautiegescllschaft zwölf Millionen Franks einzahlen. Die Regierung nimmt sich der Sache mit großem Eiser an, da sie mit der Ausstellung außer einem dringend wünschenSwerthen Aufschwung des Ge schäftslebens auch eine Verherrlichung des republikanischen Systems bezweckt. Besonderer Volksthümlichkeit erfreuen sich jetzt der sehr entschieden vorgehende Minister deS Kultus und Unterrichts, Goblet, und der noch radikaler gesinnte Kriegsminisiec General Boulanger. Die Rede, in welcher der erstere im Senate sich für den Laienunterricht in den Elementarschulen aussprach, wird in massenhaften Abzügen in den Departements ver theilt. Auf die Nachricht hin, daß sich unter den meist adligen Offizieren der beiden in Tours garnisonirenden Kavallerie-Regimenter monarchistische Neigungen kundgegeben hätten, verfügte General Boulanger sofort die Verlegung dieser beiden Regimenter nach Nantes und Pontivy und veranlaßte den Präsidenten Grävy, dem bei der Armee sehr beliebten General Schmitz wegen einer mißbilligenden Aeußerung das Kommando des 9. Armeekorps zu entziehen. Ein deshalb von dem Deputirten Gaudin in der Kammer ausgesprochener 'Tadel veranlaßte die Kammermehrheit nur, den Kriegsminister zu ermuthigen, mit der Säuberung der Armee von regierungsfeindlichen Elementen forlzufahren. General Boulanger ordnete darauf sofort auch noch den Garnisonswechsel von zwei anderen Kavallerie-Regimentern an. Im Heere macht dies natürlich böses Blut, aber bei den radikalen Abgeordneten, welche die Kammer durch Be schlüsse wie diejenigen über den Verkauf der Krondiamanten immer weiter nach links drängen, steht Boulanger um so besser angeschrieben. Nach ziemlich langem Zögern ist daS neue englische Ministerium gebildet und non der Königin genehmigt worden, dennoch hat es sich am Donnerstag, wo das Par lament wieder zusammentrat, demselben noch nicht vorge stellt, weshalb sich sowohl das Ober- wie das Unterhaus nochmals vertagten. Von den Ernennungen der neuen Minister erregt diejenige Lord Roseberys zum Minister des Aeußern das größte Interesse. Ursprünglich dachte Glad stone kaum daran, jemand Anderem als seinem alten Freund Lord Granville das Portefeuille desAeußern zu übertragen; standen alle anderen Portefeuilles den Bewerbungen hervor ragender Liberaler offen, so galt dieses als vergeben. An geblich hat die Königin selbst Granville vermocht, auf das Portefeuille des Auswärtigen zu verzichten, weil das In teresse Englands erheischt, daß auch das Ministerium Glad stone auf die Pflege guter Beziehungen zu Deutschland Werth legt und sich in der Behandlung der schwierigen griechischen Frage nicht allzu weit von dem bisherigen Pfade entfernt. Lord Rosebery war in Schottland stet» der Gastfreund Gladstones, was ihn aber nicht hinderte, mit dem Grafen Herbert BiSmarck sehr vertraute Be ziehungen anzuknüpfen, die bekanntlich zu einem Besuche Roseberys beim Reichskanzler selbst führten. Wer sich wie dieser Lord naher Verwandtschaft mit Rothschild und der Freundschaft mit Bismarck un.' Gladstone erfreut, eignet sich gewiß gut zum englischen Minister des Auswärtigen. Kaum hatte die r u s s i s ch e Regierung an den in Polen bereits vor längerer Zeit entdeckten Nihilisten, dem Friedens richter Bardowski und feinen Genossen, ein schreckliches Lxempel statuirt, als die Polizeibehörden Warschaus schon wieder ein neues Nihilistennest aushoben und zahlreiche Ver haftungen vornahmen. In Lublin, wo die Polizeioraane in ein Dominikaner Kloster eindringen wollten, widersetzte sich dem die Menge und kam es zu argen Ruhestörungen, bei welchen dreißig Zivilpersonen schwer verwundet und mehr als hundert Tumultuanten festgenommen wurden. Der überraschend schnelle Abschluß der tür kisch- bulgarischen Verhandlungen erklärt sich durch den Wunsch der Pforte, dadurch eine Grundlage für die in Bukarest er öffneten serbisch-bulgarischen FnedenSunterhandlungen zu gewinnen. Die Großmächte sind aber mit einzelnen Punkten des Arrangements zwischen dem Sultan und dem Fürsten Alexander unzufrieden, daS deshalb noch eine Revision er fahren dürfte. Am Donnerstag trafen die türkischen, bul garischen und serbischen Delegirten für die Friedensver handlungen zu Bukarest in einem Saale des Finanzministeriums zur ersten Sitzung zusammen und wurden NamenS der rumänischen Regierung von Pherekydes begrüßt. Hadschid Pascha und Mijalovich erwiderten mit Dankesworten an die rumänische Regierung. Wie bestimmt verlautet, ist der Delegiere Bulganens mstruirt, eine Kriegsentschädigung seitens Serbiens zu verlangen. Neber die von Griechenland auf die Kollektivnote der Mächte ertheilte Antwort verlautet, daß die griechische Regierung es als überflüssig bezeichnete, ihren Standpunkt, welcher bereits früher den Großmächten zur Kenntniß ge bracht worden war, von Neuem darzulegen. Sie lehnt die Verantwortung für die Folgen eines eventuellen Konflikts ab und weist ferner darauf hin, daß sie jedes Hinderniß, welches der freien Verwendung ihrer Seestreitkräfte in den Weg gelegt werde, als unvereinbar mit der Unabhängigkeit des Staates, den Rechten der Krone und den politischen Interessen des Landes ansehen müsse. Tagesschau. Freiberg, den 6. Februar. Der deutsche Reichstag genehmigte gestern ohne jede Debatte den Gesetzentwurf über die Bürgschaft des Reiches für die Zinsen der egyptischen Staatsanleihe und begann die Berathung des Gesetzentwurfes wegen Abänderung des 8 137 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Verweisung der Verhandlung der Entscheidung vor die vereinigten Senate des Reichsgerichts). Nachdem Abg. Klemm für die Vorlage eingetrelen war, wünschte Abg. vonCuny den Entwurf einer freien Kommission überwiesen, bestehend aus Mitgliedern, welche sich für die Sache interessiren und aus freien Stücken an die Durchberathung gehen. Abg. von Grävenitz hielt die vsrgeschlagene Fassung in mancher Beziehung für verbesserungsbedürftig, namentlich eine größere Berücksichtigung der Staatsanwaltschaften für nothwcndig. Abg. Rintelen sprach für die Ueberweisung an die Justizkommisfion. Dieser Antrag wurde jedoch abge lehnt und damit die erste Berathung beendet. Hierauf folgten Wahlprüsungen. Bei der Wahl Kropatschek's beschloß das Haus die Ergänzung der Beweisaufnahme. Die Wahlen der Abgg. Virchow, Prinz Handjery, Delbrück, Klemm und Fähr mann wurden für gütig erklärt, ebenso die Wahl Noppel's mit einer entsprechenden Resolution. Die Wahl Ebert's wurde durch älteren Beschluß und Mandatsniederlegnng für erledigt erklärt. Bezüglich der Wahl Richter's beantragte die Kommission die Aussetzung des Beschlusses und den Reichskanzler zu er lichen, einen amtlichen Bericht zu veranlassen über die Gründe )er betreffenden Verbote der Wahlversammlungen. Abg. Hasen clever klagte daraus über zahlreiche Verbote sozialdemokratischer Wahlversammlungen, wie sic auch im vorliegenden Falle vor- gckommen seien. Dies müsse zu der Annahme sühren, eS sei überhaupt verboten, einen Sozialdemokraten zu wählen. Abg. von Köller hielt die Aussetzung des Beschlusses der Giltig- eit nicht sür nöthig, da bereits genügsam Erhebungen ange- tellt worden seien. Abg. Hänel meinte aber, der That-