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Md TigedlM.' ' Amtsblatt fiir die Nmglichrn und skidtiicheu Behörden zu Freiberg und Braud. ltKrcwtwartlicher Redattair: Iuliu« Beau» in Freiberg. K/M !! «nlchetmtcdrn Wochentag Rachurtn. s Uhr siir dm Inserate werde» di» Bormtttag 11 Uhr augeaom- jj F FH FH/» .« «v. j xLANESLLLM Dienstag, de« 2«. Januar. -»L ,7 I 1886. / - - " Ruhe und Wohlwollen. Im deutschen Reichstage taucht fortwährend die pein liche Streitfrage zwischen Freihändlern und Schutzzöllnern wieder auf, ob die jetzige Wirtschaftspolitik die Lage der arbeitenden Bevölkerung verschlimmert oder verbessert habe Die Freihändler verweisen dabei auf die allgemeine Wirth- schastliche Kalamität, auf die erschwerte Ausfuhr, den Rück gang der Arbeitslöhne und die Berminderung der Arbeits gelegenheit. Dagegen behauvten die Verfechter des jetzigen Systems, daß ohne den Schutzzoll, welcher der deutschen Industrie wenigstens den inländischen Markt sichert, der Nothstand ein noch weit größerer sein würde. Thatsächlich sind dieselben Uebelstände auch in England vorhanden, wo noch an dem Freihandels-System fcstgchalten wird. Selbst der deutschfreisinnige Abg. vr. Bamberger warnte am Frei tag im deutschen Reichstage davor, die neue Zollpolitik ausschließlich für dey- jetzigen Rückgang der Industrie ver antwortlich zu machen. Die stets erneute Behauptung der Doppelwährungs-Frrunde, daß nur der Verzicht auf die Goldwährung bessere Zeiten bcrbeisühren könne, trifft eben falls auf Widerspruch und wird dabei besonders auf Amerika verwiesen, wo trotz der Doppelwährung die landwirthschaft- lichen Verhältnisse sich immer trauriger gestalien. Weshalb fast überall die Produktion die Konsumtion so unverhölt- nißmäßig übersteigt, ist schwer zu erklären und wie es scheint, treffen die Ursachen, welche man sür den Rückgang der Kaufkraft angiebt, sämmtlich nicht zu. Wenn man die mit den rastlosen Fortschritten der Technik verbundene Massenproduktion dafür verantwortlich macht, vergißt man, daß gleichzeitig eine ganz bedeutende Vermehrung der Wcrthe staltgrjunden hat. Die Uebervölkerung kann eben falls nicht die Schuld tragen, denn der Nothstand ist dort nicht geringer, wo eine massenhafte Auswanderung sogar den Landwirthm die nöthigcn Arbeitskräfte entzog. Am glaubwürdigsten ist es noch, wenn man die unleugbar vor handenen Uebel dem Mangel an Vertrauen zuschreibt, der Unlust der Besitzenden an größeren Unternehmungen und dem Umstand, daß der für tue Industrie unentbehrliche Luxus am wenigsten von Denen getrieben wird, die zu demselben durch einen gesicherten Vermögensstand berechtigt sind, sondem zumeist von Denen, welche nur zeitweise Geld verdienen. Das Suchen der Kapitalisten nach möglichst sicheren Anlagen hatte das bedeutende Herabgehcn des Zinsfußes und eine Preissteigerung von Grund und Boden zur Folgt, welche wiederum die Rente schmälert. Ferner lähmt eS die Industrie, die wesentlich auf den frischen Unternehmungs geist der Besitzenden angewiesen ist, und verringert dadurch die sür alle Unbemittelten so hochwichtige Gelegenheit zur Arbeit. Die politischen Ereignisse haben diese Stimmung unter den Begüterten nicht erzeugt, denn seit fast fünfzehn Jahren erfreut sich Deutschland des ungetrübtesten Frie dens, sowie der allgemeinen Achtung und auch im übrigen Europa ist die Ruhe nur an einzelnen Stellen und nur vorübergehend getrübt worden. Demnach ist das Miß trauen mehr auf die Unsicherheit der wirthschaftlichen Ver hältnisse zurückzuführen, welche allerdings fast jede auf einen längeren Zeitraum berechnete kaufmännische Spekulation er schwert , während sie de» von jeder Schwankung der Preise prosilirenden Bankiers für ihr Börsenspiel die nöthige Ab wechselung schafft. Rekapitulirt man die ganze Zoll-, Steuer-, Finanz- und Währungspolitik des letzten Jahr zehnts, so zeigt sich ein fortwährender Wechsel, ein ent schiedener Mangel an Stabilität, ein unablässiges Experi- mentiren, das sür Handel und Wandel ebenso nachtheilig wirkt, wie das Herumdoktcrn eines erst in die Praxis ein- trctenden jungen Arztes an einem empfindlichen Patienten. In der Zollpolitik ist es nicht das Schutzzoll-System, sondern die fortwährende Umänderung der Tarifsätze, welche Fabrikanten und Kaufleute aus Angst vor Verlusten ver anlaßt, Produktion und Geschäft so sehr als möglich ein zuschränken und von der Hand zum Mund zu arbeiten. Jeder mit der Tabaksbranche 'Vertraute weiß, wie sehr die Furcht vor dem Monopol und die wiederholten Versuche, den Tabak mehr bluten zu lassen, diese ehemals so blühende Industrie schädigte. Das sehr bedenkliche System der Aus fuhr-Prämien hat dagegen die Rübenzucker-Industrie zu einer Ueberproduktion verleitet, deren mißliche Folgen schwer auf die Landwirthschaft zurückgefallen sind, so daß es noch sehr fraglich erscheint, ob der jetzige Zeitpunkt für eine Reform der Zuckersteuer richtig gewählt ist. Neuer dings ist wieder das Branntwein-Monopol aufgetaucht, beunruhigt auf der einen Seite zahlreiche Eiwcrbskreise und erfüllt auf der anderen einzelne Landwirthe mit sangui nischen Hoffnungen. Wie sehr die Wollindustriellen durch den Versuch der pommerschen Gutsbesitzer, ihre Schafzucht durch einen Wollzoll einträglich zu machen, erregt worden sind, steht Allen noch frisch im Gedächtniß. Wie es nicht das System, sondern nur die Unentschieden heit bei der Anwendung der Systeme ist, welche Nachtheilc erzeugt, beweist der Stand der Währungsfroge am deut-i lichsten. Ob es falsch oder richtig war, die Goldwährung einzusühren, ist heute eine völlig müssige Frage; wir haben sie und können sie ohne unabsehbare Verluste nicht ab schaffen, wenn nicht wenigstens England gleichzeitig zur Doppelwährung zurückkehrt und alle die übrigcn euro päischen Staaten, die jetzt erst noch im Begriff stehen, diese Währung einzusühren, auf diese Absicht verzichten. Im andern Falle würden bei dem regen internationalen Gcld- verkehr die deutschen Zwanzigmarkstücke massenhaft in's Ausland gehen, dafür aber die französischen Fünsfranks- Stücke, die bisher immer wieder aus den Taschen der die Goldstücke zurückhaltenden Privatbesitzer in die Keller der Nationalbank von Frankreich zurückströmten, ihren Weg nach den deutschen Münzstätten nehmen. Thatsächlich haben wir in Deutschland gar keine reine Goldwährung, da die Reichsbank, aus Furcht, einige Millionen bei dem Silber verkauf zu verlieren, vor einigen Jahren plötzlich die Silber- Verkäufe sistirle und heute der einer Wiederaufnahme der selben wohl das Dreifache verlieren würde. Entweder mußte man die Goldwährung gar nicht einsühren, oder sie konsequent durchführen. Im letzten, Falle konnte Deutsch land weil ruhiger als jetzt der in der nvrdamerikanischen llnion beantragten Sufpendirung dec Ausprägung der Silberdollars entgegen sehen. D-e heftige Agitation der Bimetallisten, der man ja im Interesse unseres Erzberg baues den besten Erfolg wünschen möchte, trägt bei dem jetzigen Stand der Dinge nichts dazu bei, die Währungs frage zu fördern, die, wie der Finanzminister von Scholz am Freitag im preußischen Abgeordnctenhause auscinander- setze, eine internationale Angelegenheit ist, die den Regie rungen überlassen bleiben muß, welche sich die Hebung der Silberpreise ernstlich angelegen sein lassen wollen. Auf allen Gebieten ist zu viel agitirt und zu viel ver ändert worden. An die Industrie wurden im Interesse der Arbeiter zahlreiche, gewiß nicht unberechtigte Zumuthungcn gestellt, welche aber die Unternehmer erschreckten, weil sie ihre Tragweite nicht übersehen konnten und der Handel nicht im Stande war, sie sür die gebrachten Opfer zu ent schädigen. Dazu war der Handel um so weniger befähigt, als die Schutzzollpolitik ihm den Austausch fremder und einheimischer Produkte wesentlich erschwerte, und das von den Agrariern geschürte Vorurthcil, daß zwischen Produ zenten und Konsumenten der Verkehr ein unmittelbarer fein müsse, den Zwischenhandel erniedrigte und theilweise ver kümmern ließ. Die englischen Fabrikanten, die stets nur sür einen Großhändler arbeiten, nicht reisen zu lassen und nicht zu borgen brauchen, stehen ganz anders da, wie so manche deutsche Fabrikanten, die vor Sorge,, ihre Waaren an den Mann zu bringen und dafür Zahlung zu erlangen, gar nicht an die Vervollkommnung ihrer Erzeugnisse denken können. Soll die deutsche Industrie gedeihen, dann muß auch neben dem Fabrikanten der Kaufmann die geachtete Stellung im Staate einnehmen, die ihm gebührt. Industrie und Handel vereint schaffen Wohlstand und Arbeitsgelegen heit; sie beeinträchtigen die Landwirthschaft in keiner Weise, die man zu ihnen mit Unrecht in einen theilweise recht schroffen Gegensatz gebracht hat. In jetziger Zeit ist es doppelt nöthig, Alles zu fördern, was redlicher kauf männischer Unternehmungsgeist in Deutschland versucht, denn wenn auch wie bei den Silber-Bergwerken der Privat betrieb durch die kapitalarmen Verhältnisse erschwert wird und im Interesse zahlreicher Bergleute dem Staatsbetrieb gern den Platz räumt, kann doch der Staat, ohne sich feinen Hauptaufgaben zu entfremden, nicht überall den Unternehmer machen oder jeden lohnenden Betrieb sür sich in Anspruch nehmen. Handel und Wandel brauchen nur Ruhe, Sicherheit und freundliches Wohlwollen von oben sowie Vertrauen von unten, dann weiden sie sich wieder er holen und unserer braven arbeitenden Bevölkerung das schaffen, was in hinreichendem Maße von dem Staat durch keine Agitation ertrotzt werden kann, was dem Arbeiter aber wichtiger ist als selbst die dankenswerthe Versorgung in Krankheit und Alter, die Gelegenheit zu dauernder und lohnender Arbeit! Tagesschau. Freiberg, den 25. Januar. Der deutsche Reichstag setzte am Sonnabend die zweite Berathung der Zölle und Verbrauchssteuern bei dem Titel 6 der Brausteuer und Uebergangssteuer von Bier fort. Die Abgg. Zeitz und Ulrich beantragten eine Reso- j lution bezüglich Abänderung des Brausteuergesrtzes iu der Richtung, daß bei der Bierbereitung zum Ersatz von Malz andere Stoffe nicht mehr verwendet werden dürfen. Abg. Ulrich verwies dabei aus die Kundgebungen österreichischer Brauer gegen die Verwendung von Surrogaten namentlich der Maltose. Im Jahre 188 l habe das Haus bereits eine Kommission niedergesetzt, die einen vollständigen Gesetzentwurf ausarbeitete, der allen Ansprüchen genügte. Leider habe er erst zu spät nach Durchsicht der Akten diesen Entwurf kennen gelernt, sonst hätte er denselben unverändert als Antrag dem Hause vvrgelegt. Jener Entwurf sei aber niemals zur Be rathung gelangt. Die Bierindustrie habe sich jedoch in den seitdem verflossenen Jahren noch gehoben. Er bitte nun die Regierung, dem Hause eine entsprechende Vorlage zu machen. Abg. Auer begründete darauf seine Resolution, wonach bei der Bierbereitung nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe zu verwenden sein soll. Abg. Greve bestritt, daß die Bier- berrilung eine gesundheitsschädliche fei; dasür sorge schon das Nahrungsmittclgesetz. Wolle man ganz gesundheitliches Bier, so müsse man den Gcrstenzoll abschasfen. Abg. Zeitz betonte, daß die Beseitigung der Surrogate bei der Bierbereitung deu allgemeinen Wünschen entspreche. Abg. Brann meinte, durch die Annahme der Resolutionen werde das schlechte Bier nicht aus der Welt geschafft werden. Die Verwendung gesundheits schädlicher Stoffe märe schon durch das Neichsgesctz verboten. Die meisten Biersälschungen kämen gerade in Baiern vor. Wenn die Antragsteller etwas Wesentliches erreichen wollten, so mußten sie einen Gesetzentwurf einbringen. Er empfehle, die Resolutionen abzulchnen, event. dieselben kommissarisch zu berathen. Abg. Auer erklärte, daß seine Freunde einer Er höhung der Bierstcuer entschieden widerstreben würden. Nach dem noch Abg. Buhl für die Resolution des Abg. Zeitz ein- gelrcten war, wurde der Titel angenommen, ebenso der Nest des Etats der Zölle und Verbrauchssteuern. Es folgte als dann die Berathung des Etats der Reichsstempelabgaben. Die Kommission beantragte, sämmtliche Titel unverändert anzunehmen, und das Haus beschloß demgemäß. Ebenso wurden, dem Kommissions-Antrage entsprechend, mehrere Petitionen als zur Erörterung im Plenum ungeeignet erklärt. — Die B ud ge t kommis s i on des deutschen Reichstages erledigte am Sonnabend den Rest des Marineetats ohne weitere Abstriche, als die durch die vorher schon beschlossene Absetzung von 300 Mann bedingten Verkürzungen. In der achten Kommission des Reichstages, welcher der Lenzmann'sche Antrag wegen Entschädigung unschuldig Verurtheilter zur Vorberathung überwiesen ist, wurde der von dem Abg. Hartmann eingebrachte Gegenentwurs diskutirt, nach welchem nur diejenigen Verurtheilten entschädigungsberechtigt sein sollen, deren Freisprechung im Wiederaufnahmeverfahren auf Grund geführten Unschuldsbeweiscs erfolgt sei. Die Abgg. Munckel und Träger erklärten, daß sie eine hinreichende Konzession gemacht hätten, indem sie die Forderung der Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft außer Verfolgung gelangter oder sre'gtsprochcner Angeklagter aufgegcben. Mit der von dem Abg. Hartmann verlangten Unterscheidung aber werde ein sehr gefährliches Prinzip in das Gesetz gebracht. Man theile auf diese Weise die im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen in zwei Klassen und belaste die nicht Entschädigungsberechtigten mit einem ganz unverdienten und unzuläisigcu Makel; schließlich könnte diese Eintheilung auf alle Freigesprochenen überhaupt ausgedehnt werden. In gleichem Sinne sprach sich Abg. Spahn (Zentrum) aus. Abg. Robbe (Reichspartei) behielt sich die Entscheidung vor. Abg. Hartmann erklärte, daß ohne die Unterscheidung für die Konservativen das Gesetz über haupt nicht annehmbar sei. Denselben Standpunkt nahm als Regierungsverlreter Geh. Rath von Lenthe ein, welcher allerdings nebenher erklärte, nicht in der Lage zu sein, be stimmte Erklärungen Namens der Verbündeten Regierungen abgeben zu können. Bei der Abstimmung siel die Unterscheidung und wurde die Entschädigung aller im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochcncn angenommen. — Ankniipsend an ein Schreiben des Neichstagspräsidenten, welches dem deutschen Bun des- rathe den bekannten am 16. d. M. gefaßten Beschluß über die Ausweisungen mittheilt, gab der Staatssekretär v. Bötticher am Sonnabend im Bundesrathe solgende bündige Erklärung ab: „Die preußische Negierung hält die in der Resolution vom 16. d. Ai. ausgesprochene Ansicht der Reichstagsmajorität sür