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Beilage zu Nr. 175 MNhllM TllgMM M WllldMürM Allltlgtt Dienstag, den 30. Juli 1829 Die Krise in Frankreich. . Vergebliche Bemühungen Briands und Barthons. Wie aus Paris berichtet wird, unternahmen Briand und Barthou am Sonnabendvormittag noch einen letzten Versuch, um Poincarö von seinem Rück- trittsentschluß abzubringen. Kurz vor 10 Uhr fuhren sie vor dem Hause Poincarös vor und schon kurz nach 10 Uhr verließen sie es wieder. Um Auskunft über den Ausfall der Entscheidung gebeten, erklärten sie, daß sie erst den Präsidenten der Republik über ihren Vermittlungsschritt bei Poincarö berichten müß ten. Dann begaben sie sich in das Elyses, wo unter Vorsitz Doumergues der entscheidende Ministerrat be gann. Das Ergebnis war dann der Rücktritt des Gesamtkabinetts. Poincarö, der im nächsten Monat das 60. Lebens fahr vollendet, hat bisher insgesamt fünfmal an der Spitz« des Kabinetts gestanden, allerdings war das fünfte Kabineti VoincarL nur die uninittelbare Fortsetzung des vierter Kabinetts. Nachdem PoincarL mit 34 Jahren zum ersten Mal Minister geworden war, bildete er 1912 sein erste- Kabinett, in dem er das Ministerium des Aeußeren über nahm. Schon im Januar 1913 trat er jedoch zurück, nach, dem er inzwischen zum Präsidenten der französischen Re publik gewählt worden war. Als nach dem Kriege inährend der Konferenz von Cannes im Januar 1922 Briand zum Rücktritt genötigt wurde, übernahm PoincarL wieder di« Bildung des Kabinetts. In zahlreichen Reden unterstrich er seine Politik der Unerbittlichkeit. Im Januar 1923 führte er die Besetzung des Ruhrgeüietes durch. Seine Stellung in Frankreich befestigte sich sogar noch, als er im März 1924 infolge einer Zufallsabstimmung zurücktrat und sofort ein neues Kabinett zu bilden beauftragt wurde. Die Wahlen vom Mai 1924 hatten jedoch seinen Rücktritt im Juni 1924 zur Folge. Sein Nachfolger wurde Herriot. Als im Sommer 1926 mehrere Kabinettsexperimente zur Rettung des Franken mißglückten, bildete er im Juli sein viertes Kabinett. Hatt« Poincars schon 1927 bei den Beratungen der Beamtengehäb ter mit den Radikalen Schwierigkeit» gehabt, so wuchsen diese Schwierigkeiten bei den Haushaltsberatungen des Som mers 1928, bis im November desselben Jahres die Kris« eintrat und Poincarö darauf mit dem Gesamtkabinett zurück- trat. Aber schon drei Tage später wurde er mit der Neu- bildung der Regierung wieder beauftragt, die unter Aus- schaltung aller linksstehenden Elemente dann wieder zu- stand« kam. Ser Senat nimmt das Schvldenabkommen an. Der französische Senat hat am Freitag mit 242 gegen 30 von 272 Stimmen der Ratifizierung des Schuldenabkommens mit den Vereinigten Staaten zu gestimmt. Die Ratifizierung des Schuldenabkommens mit England wurde durch Handaufheben gutgeheißen. In einer Entschließung spricht der Senat die gleichen Vorbehalte zur Ratifizierung aus wie die Kammer, jedoch in sehr viel vorsichtigerer Form. In der Aussprache hatte noch einmal Briand das Wort ergriffen. Er betonte, die bevorstehende Regierungskonserenz werde schwere Aufgaben mit sich bringen. Um diese Aufgaben zu erfüllen, werde die französische Regierung einer einheitlichen Einstellung der französischen Öffentlichkeit bedürfen. Frankreich werde auch nach der Unterzeichnung der Schulden verträge stets Herr seiner Handlungen bleiben. Sturm in der Kammer. Mit einem Mißklang wurde die Tagung der Kammer abgeschlossen. Der Radikalsozialist Malvy, der Vorsitzender der Finanzkommission ist, hatte den An trag gestellt, die Regierung sollte sich am kommenden Freitag zur Frage der Steuerermäßigung äußern. Ob wohl noch eine Reihe von anderen Anfragen für die nächsten Tage in Aussicht genommen waren, u. a. eine sozialistische über eine allgemeine Amnestie, bestieg Justizminlster Barthou die Tribüne und verlas, ohne den Abgeordneten Malvh einer Antwort zu würdi gen, den Erlaß der Negierung, der die Kammer auf Monate in die Ferien schickt. Die Empörung über diesen Gewaltakt der Regierung, die eine anscheinend unangenehme Aussprache vermeiden will, war allge mein. Ordnungsgemäß mußte die Kammer nach zehn Minuten erneut zusammentreten, um das Protokoll der letzten Sitzung zu billigen, bevor sie in die Ferien geht. In dieser Sitzung, die eine knappe Viertelstunde dauerte, gab es einen wahren Sturm. Es hagelte schärfste Angriffe gegen die Regierung. Schließlich wurde Has Protokoll mit 276 gegen 256 Stimmen gbgelehnt. Die Kammer trat dann zu einer neuen Sitzung zusammen, in der der Vorsitzende das Haus beschwor, dem Lande kein Beispiel der Anarchie zu geben und das Protokoll der Schlußsitzung, an dem tatsächlich nichts auszusetzen sei, doch noch anzuneh- Men. Durch Handaufheben wurde das Protokoll schließ- für gut erklärt und die Kammer ging nach diesem lächerlichen Schlußspiel in die Ferien. Vriand nimmt den Auftrag an. Bor dem Ende der Regierungskrise. Herr Domergue hatte angesichts der verworrenen parlamentarischen Situation und mit Rücksicht auf die Außenpolitik kaum eine andere Wahl, als Briand mit der Bildung des Kabinetts zu beauftragen. Briand erklärte, trotz der außerordentlich schwierigen Lago könne er sich diesem Auftrage nicht entziehen. Im Lause des Sonnabend nachmittags hatte der Präsident der Republik, wie üblich, außer dem Senats- Und Kammerpräsidenten die Vorsitzenden der parla mentarischen Kommissionen, Fraktionssührer und an dere führende Politiker bei sich empfangen. Die Mehr heit derselben hat ihm ohne weiteres Briand als den gegebenen Mann bezeichnet. Briand hat am Sonntag mit seinen Besprechen« die zur Kabinettsbildung führen sollen, begonnen, will allem Anschein nach die Mehrzahl seiner bis herigen Kollegen im Kabinett behalten, und nur einige wenige, die seit der Ausschiffung der radikale« Mi nister im November vorigen Jahres als Platzhalter fungieren, wieder voraussichtlich durch Viitgliedcr der radikal-sozialistische» Fraktion ersetzen. Als solche nennt man in erster Linie Herriot und Julien Durand. Bleiben werden wohl auf alle Fälle der Jnnenmini- ster Tardieu, der Kricgsminister PainlcvL, der Han- dolsminister Ehcron, Berthon, Loucheur, Letzgues usw. Briand ist in Frankreich ein sehr populärer Mann. Er ist aber auch ein sehr geschickter Operateur, dem es höchstwahrscheinlich gelingen wird, die kranke Situation innerhalb 48 Stunden in seinem Sinne gesund zu machen. Kammer und Senat können dann am Mitt woch oder Donnerstag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten, um die Regierungserklä rung entgegenzunehmen und dem neuen Ministerium sein Vertrauen auszusprechen. Mrd die Konferenz im Haag verschoben? Der Pariser „Tcmps" äußert sich dahin, daß, wenn auch die Ministerkrise schnell gelöst werden dürfte, so würde es doch mehrerer Tage bedürfen, bis die neue Regierung von dör Kammer ein Vertrauensvotum erhalten könnte, das ihr gestatte, im Namen Frank reichs zu verhandeln. Taher erscheine es sehr schwie rig, daß sich die Regierungskonserenz mit Aussicht auf Erfolg bereits am 6. August versammeln könne. Man werde vielmehr die Mitte des kommenden Monats als geeigneten Eröffnungszeitpunkt in Aussicht nehmen müssen. Englands Vertreter ans der Regiernngskonferenz. Von amtlicher britischer Seite wird bekannt ge geben, daß die britische Vertretung auf der internatio nalen Konferenz im Haag von Außenminister Hen derson und Schatzkanzler Snowden geführt werden wird, die beide von einem großen Stab von Beamten des Foreign Office und des Schatzamtes begleitet sein wer den. Auf englischer Seite ist man daraus vorbereitet, trotz der Verzögerung in den Vorverhandlungen die Arbeiten der Konferenz am 6. August zu beginnen, würde aber einen entsprechenden Pariser Wunsch auf Verschiebung um 10 Tage angesichts der entstandenen Schwierigkeiten zweifellos berücksichtigen. „Graf Zeppelin" auf Probefahrten. Die ersten Flüge seit der Rückkehr ans Frankreich. Tas Luftschiff „Gras Zeppelin" ist am Sonn abend früh 5,40 Uhr mit einer Reihe von Fahrgästen unter dem Kommando von Dr. Eckener zu einer Probe fahrt, der ersten Fahrt seit der Rückkehr des Luft schiffes aus Frankreich, aufgestiegen. Nach dem Ver lassen der Halle ging der Start reibungslos von- statten. Außer der Besatzung befanden sich ungefähr 25 Passagiere an Bord des „Graf Zeppelin". Tie Fahrt erstreckte sich auf das Bodenseegebiet. 8,25 Uhr, nach dreistündiger Probefahrt, ist das Luftschifs gelandet. Am Sonntag 12-Slundenfahtt. Sonntag vormittag um 7,S4 Uhr ist der Luft riese unter Führung Dr. Eckeners zu der beabsichtigten 12-Stundenfahrt ausgestiegen. An Bord befinden sich außer der Besatzung »och 27 Passagiere. Nm 8,59 Nhr erreichte d.is Luftschiff Stuttgart. Rach einiger Schleife» über der Stadt flog es in nordwestlicher Richtung weiter. Arbeit für den Völkerbund. Er muß sich mit dem Urteil gegen Uli- befasse«; Als seiner Zeit die Verhaftung von Ulitz erfolgte, hat der Teulsä>e Volksbund an den Völkerbundsrat ein Protesttelegramm gerichtet. Daraufhin wurde dem Rat vom Berichterstatter für alle Minderheitenfragen ein Entschließ«ngscntwurf vorgelegt, in dem von einer Er klärung der polnischen Regierung Kenntnis genommen wurde, daß Ulitz auf Grund der polnischen Strafgesetz« verhaftet worden sei, und in dem sodann der Wunsch ausgesprochen wurde, der Prozeß möge in einer Weise gesührt werden, daß nicht der Eindruck von lediglich gegen die Minderheiten gerichteten Maßnahmen in der Öffentlichkeit entstehen könnte. In der anschließenden Aussprache gab Dr. Strese mann eine grundsätzlich gehaltene Erklärung ab, in der er mit großem Nachdruck feststellte, daß dec Fall Ulitz durch die Erklärung der polnischen Regierung und den Entschließungsentwurf des Berichterstatters in keiner Weise erledigt sei. Man könne grundsätzlich zu dem Ulitz-Fall erst nach Abschluß des Prozeßver- fahrens Stellung nehmen und erst dann seststellen ob den Wünschen des Berichterstatters Folge gelöste, worden sei. Dr. Stresemann behielt sich sodann auSdrnMch ohne sich dem EntschließunHsentwnrP des Berichter statters anzuschließcn, das formelle Recht vor, nach Abschluß des Prozeßverfahrens vor dem Bölkerbnnds rat ans den Ulitz-Fall znrückznkommen. Diese Lage ist nun gegeben. Der politische Cha rakter der Urteilsfällung im Ulitz-Prozeß verlangt drin gend ein Einschreiten des Völkerbundsrates. Neues Abkommen über Kriegsgefangene. Di« Tagung des Roten Kreuzes in Genf. Die Konferenz des Internationalen Roten Kreu zes in Genf ist am Sonnabend mit der Unterzeich nung der beiden von der Konferenz angenommenen internationalen Abkommen zum Abscheus gelangt. Di- Konferenz hat ein neues Abkommen über die Bchand- lung der Kriegsgefangenen angenommen und ferner die ursprüngliche internationale Note Kreuz-Konven- tion für Kriegsgefangene von 1864 und 1906 mit wesentlichen Verbesserungen und Umgestaltungen in Form einer neuen internationalen Konvention ausge arbeitet. Von '1— auf der Konferenz vertretenen 47 Regierungen haben 32 Regierungen bereits die bei den Konventionen durch ihre bevollmächtigten Abge ordneten unterzeichnet. Die beiden Abkommen treten in Kraft, sobald zwei Regierungen die Ratifizierung vorgenommen haben. Durch die Abkommen ist eiu bedeutungsvoller Fortschritt auf dem Gebiete des internationalen Kriegs- gefangenenrechtes erzielt worden. Das Kriegsgefan- genen-Abkommen enthält zum ersten Male, auf den Erfahrungen des Weltkrieges aufgebaut, außerordent lich bedeutungsvolle Bestimmungen über die rechtliche Stellung und den rechtlichen Schutz der Kriegsgefan genen. Sie englisch-russische Annäherung. Der russische Unterhändler wird in Moskau berichte» Die sowjetrussische Regierung hat von Dowga- lewski ein Telegramm erhalten, in dem er mitteilt, daß er etwa eine Woche in London bleiben werd«. Die Sowjetregierung hat Dowgalewski aufgefordert, sofort nach den Verhandlungen in London nach Mos kau zu kommen, um dort Bericht zu erstatten und an den Besprechungen über die Richtlinien der russischen Politik England gegenüber teilzunehmen. Der norwegisch« Geschäftsträger in Moskau hat der Sowjetregierung mitgeteilt, daß die englische Re gierung bereit sei, dem russischen Flugzeug „Flügel der Sowjets" die Erlaubnis zum Besuch des englischen Aeroklubs in London zu geben. Dieser Flug eines russischen Flugzeuges nach London würde seit zehn Jahren der eLte Besuch fein. Das Flugzeug wird voraussichtlich fünf bis sechs Tage in London bleiben Edler von -er Planitz Im Alter von 65 Fuhren ist Oberstleutnant a. D. Dr. Karl Edler von der Planitz gestorben. Karl Edler von der Planitz wurde am 8. Mai 1864 ßu Gri m m a geboren und hat seine Schulbildung in der Fürstenschule Grimma erhalten. Arn 1. Oktober 1884 trat* er als Avantageur in das Karabinier- Regiment ein. 1899 wurde er als Hauptmann in den Generalstab versetzt. Später führte er eine Eskadron beim Gardereiter-Regiment, bei dem cr 1908 zum Major beim Stabe befördert wurde. Von da trat er nnter dem 22. Dezember 1911 an die Spitze des 8. Hnsarcu-Negiments Nr. 20, zunächst mit der Füh rung des Regiments beauftragt und vom 8. Dezember 1913 als Kommandeur. Am 17. März 1914 wurde er zum Oberstleutnant befördert. Mit seinen Hu saren zog er bei Attsbruch des Weltkrieges ins Feld und nahm ruhmvollen Anteil an den Grenz- und Vormarschschlachten des Sommers und Herbstes 1914 bis er infolge Erkrankung gezwungen war, im No vember 1914 in die Heimat zurückzukehren und unter dem 17. März 1915 seinen Abschied zu nehmen. Die Frage per Saisonarbeiter. Sie sollen in der Arbeitslos«»Versicherung bleiben. Die Sachverständigenkommission zur Begutachtung Von Fragen der Arbeitslosenversicherung, di« Irv Reichsarbeitsministerium seit dem 2. Juli tagt, «k- örterte in ihrem vierten Tagungsabschnitt di« finan ziellen Fragen in ihrer Gesamtheit und beendete nach einer zweiten Lesung ihre Arbeiten am 26. Juli, Eine wesentliche Rolle spielte die Frage der Arbeitslosen unterstützung bei berufsüblicher Arbeitslosigkeit. Die Kommission einigte sich dahin, daß die Sut- sonardeiter auch weiterhin die Versicherung zu be treuen hat. Di« Frag«, ob «in« Sonderregelnng für die Saisonarbeiter eintreten oder eine Gesamtregelnng gefunden werden soll, bei der das Saisonrrsiko en^ sprechend berücksichtigt ist, wurde von der Mehrheit dahin entschieden, daß beiden Gcsichtspnnkten Rechnung getragen werden soll. Die Höhe der Arbeitslosen« Unterstützung soll in Zukunft allgemein z» per Däne« her vorausgegangene» Beschäftigung m Beziehung ge bracht werden. Daneben sollen die Saisonarbeiter nur Vie Unterstützungssätze der Krisenfürsorae erhalten Nnd zioar nach einer Wartezeit von zwei Wochen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden schät- mngsweise jährlich eine Ersparnis von rund 160 Mi!» uonen Mark ergeben. Da diese Ersparnisse nicht für rusreicheud gehalten werden, um Einnahmen und Aus- zabeu miteinander in Einklang zu bringen, schlägt der Ausschuß eine befristete Beitragserhöhung um cinhalb wm Hundert vor. Sa- üaüowiHer Schandurteil. Di« Urteilsbegründung. Mit der Beurteilung des Volksbundvorsitzeudc^ 'Hitz zu fünf Monaten Gefängnis hat die Polnisch- Justiz ihr Opfer gesucht und gefunden. Man hat dem Angeklagten zwar di« Untersuchungshaft augerechnet und Bewährungsfrist zugebilligt, — vielleicht in einem leisen Anflug von Schamgefühl — aber man wollte ihn in jedem Fall durch diese auf einer dreisten Fä»- schung basierte Verurteilung brandmarken. Das Urteil wurde bet der überwiegenden Mehrheit der Zuhörer und insbesondere auch von Ulitz selbst mit sichtlicher Empörung ausgenommen.