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und TütztdW. Amtsblatt für die königlichen und Wüschen Behörden zn Freiberg nnd Bmnd. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg, ji ,, 3». Jahrgang ii Inivcau »er^cil rt« Bvrmittag lt tlhr augenvm- F 104. j > Freitag, »cn 7. Mai. j «-- iMK Frankreichs Politik. Je näher das hundertjährige Jubiläum der französischen Revolution heranrückt, welches die Franzosen durch eine Pariser Weltausstellung zu verherrlichen gedenken, desto mehr scheint die heutige Republik ihrer verhängnißvollen Neigung folgen zu wollen, immer mehr nach links zu gleiten und sich immer mehr die Sympathien der mitteleuropäischen Staaten zu verscherzen. Die deutsche Politik hatte lange genug den besten Willen gezeigt, mit dem französischen Freistaat in Frieden zu leben und demselben ein fröhliches Wiederauf leben zu gönnen; sie stellte dagegen den monarchischen Parteien in Frankreich, von denen sie eine Fortsetzung der früheren Kämpfe erwartete, ein entschiedenes Mißtrauen entgegen. Neuerdings haben aber die Ereignisse in Frank reich eine solche Wendung genommen, daß Deutschland auch den jetzigen republikanischen französischen Machthabern gegen über die größte Vorsicht walten lassen muß. Die aus wärtige Politik des Konseilpräsidenten Freycinet zeigt das unverkennbare Streben, durch ein Bündniß mit Rußland den mächtigen Einfluß der mitteleuropäischen Staaten zu buchen; die Heeresverwaltung des Kriegsministers Boulanger ist darauf berechnet, Frankreichs Streitkräfte für einen Asntincntalkrieg bereit zu halten und dabei ist die innere Politik der französischen Regierung so schwächlich, daß die gemäßigten Republikaner an vielen Stellen, besonders aber in Paris, den Radikalen und Kommunisten kampflos das Feld überlassen. Die am vergangenen Sonntag in Paris stattgehabte Deputirten-Ersatzwahl hat gezeigt, daß sich in der französischen Hauptstadt eine Mertel-Million Wähler zu radikalen oder sozialistisch-anarchistischen Grundsätzen be kennen, und daß diejenige Partei, welche die Durch führung diefer Grundsätze auf dem kürzesten Wege der Gewalt anstrebt, in stetem Wachsen begriffen ist Man hat in Paris wohl bei der Nichtaufstellung eines gemäßigt - republikanischen oder konservativen Kan didaten den Wahlsieg des radikalen Journalisten Gaulier über den revolutionären Kandidaten Roche voraus- gesehen, aber doch nicht angenommen, daß der letztere es auf 100000 Stimmen bringen werde. Daß ein reines Revolver-, Petroleum- und Dynamit-Programm wie das des Kollegen Rocheforts, Roche, in der Hauptstadt der Zivilisation von mehr als 100000 Wählern gutgeheißen wird, während diese Partei im Oktober vorigen Jahres es nur auf 40 000 Stimmen brachte, ist immerhin eine be denkliche Sache. Der Schützling Clämenceau's, Gaulier, dessen Wahlprogramm übrigens an Radikalismus nichts zu wünschen übrig ließ, wurde nur mit 146012 Stimmen gewählt, während die im Oktober v. I. ernannten Depu- tirten zwischen 250 bis 300OM Stimmen erhielten. Von 570308 eingeschriebenen Wählern haben am Sonntag nur 269688, also weniger als die Hälfte, an der Abstimmung Theil genommen. In den feineren Stadtvierteln war die Betheili gung so gering, daß in einigen Wahllokalen nicht 5 Proz. der eingeschriebenen Wähler erschienen sind. Die französischen Regierungsparteien haben keinen andern Grund, sich der Niederlage des Anarchisten Roche zu freuen, als daß dieser nun seine durch Aufstachelung der Gruben arbeiter in Decazeville verwirkte Gefängnißstrafe absitzen muß. Das von dem siegreichen Gegenkandidaten Gaulier veröffentlichte Programm enthalt Forderungen, deren radi kaler Charakter sich nicht bezweifeln läßt, wenn auch in denselben die Verfassungsrevision anscheinend harmlos neben den Normalarbeitstag, oie Finanzreform neben die Arbeiter gesetzgebung und den obligatorischen Laienunterricht, die Trennung von Staat und Kirche neben die Abkürzung der Militärzcit gestellt ist. Wenn 100000 Wähler in Paris nn solches Programm noch nicht weitgehend genug fanden und sich lieber für einen Mann der That entschieden, so kennzeichnet das die in den französischen Arbeiterkreisen herrschende Stimmung hinreichend. Die letztere giebt sich in dem Blatte „Le Cri du Peuple" in folgenden Wörter kund: „Die Sozialistenpartei, die bisher nur eine Vorhut war, ist heute ein ganzes Heer, bestimmt für die großen Revolutionstage der Zukunft. Die Sozialistenpartei hat am Sonntag dem ganzen Heerbanne der Bourgeoisie di Stirn geboten, sie wird künftig siegreich sein.- Wenn sic einer solchen Partei gegenüber, die offen den Bürgerkrie ankündigt, und den Radikalen gegenüber, die unmöglick Forderungen aufstellen, 200000 jedenfalls gemäßigt gesinn Bürger der Wahl enthalten, so erscheint das fast noch be- vtnllrcher als das Anwachsen der anarchistischen Stimmen und wird dies auch so von dem „TempS" beurtheilt. Dieses ministerielle Organ schreibt: „Die wichtigste Lehre, >ie sich aus diese: Wahl für alle aufrichtigen Freunde der Republik ergiebt, liegt nicht in den von beiden Kandidaten erzielten Stimmen, sondern in der enormen Ziffer der Wahl enthaltungen ... Diese ist für die Republik beunruhigend." Während derart in Frankreich selbst bei dem Kern der Bevölkerung eine tiefe Unlust am politischen Leben zu finden t, thut die französische Diplomatie das Möglichste, um uch die auswärtige Politik gründlich zu verfahren. Frey cinet hat durch sein die griechischen Ansprüche ermuthigen- des gesondertes Vorgehen Griechenland nichts genützt, wohl aber dem Weltfrieden geschadet und Frankreich noch mehr als bisher isvlirt. Aus der offiziellen Meldung ans Athen, vonach nur die „Vertreter der fünf Mächte" gemeinschaftlich über das weitere Vorgehen gegen Griechenland berathen, eht deutlich hervor, daß der französische Gesandte in Athen, Graf de Mouy, nicht mehr bei dem europäischen Konzert mitwirkt. Die Großmächte sollen beschlossen haben, dem griechischen Minister Delyannis mitzutheilen, daß sie sein Versprechen, die Abrüstung in möglichst kurzer Zeit durch zuführen für keine befriedigende Antwort gelten lassen können. Da Frankreich durch seine unberufene Einmifchung das Ultimatum der Mächte durchkreuzte nnd unwirksam machte, sind die letzteren zu einem Ultimatissimum gezwungen worden, welches die von Freycinet ermuthigten Griechen erst recht auf's Aeußerste erbittert. Wenn jetzt auch noch die Pforte der langen Winkelzüge müde würde und ihre Truppen in Thessalien vorrücken ließe, so wäre bei der gegenseitigen verzweifelten Stimmung der Türken und der Griechen Blut vergießen kaum zu vermeiden. Man hat Grund, anzuneh- men, daß die französische Einmischung in Athen unterblieben wäre, wenn Freycinet nicht auf eine Unterstützung Rußlands bei der Begünstigung der griechischen Ansprüche gerechnet hätte. Das unruhige Treiben an dem russischen Hoslager in Livadia mochte wohl auf den Laien den Eindruck machen, als ob Rußland sich wieder anschicken wolle, ein gewichtiges Wort in der orientalischen Frage mitzusprechen. Ein Diplomat aber durfte auf solche bloße Vermuthungen hin sich nicht von der Gemeinschaft der europäischen Staats männer lossagen. Daß sich der Zar jetzt urplötzlich an schickt, Livadia vor der früher angegebenen Zeit zu verlassen und direkt nach Petersburg zurückzukehren, macht ganz den Eindruck, als wolle derselbe öffentlich bekunden, daß seine Anwesenheit an dem Gestade des schwarzen Meeres nichts mit der griechisch-türkischen Differenz zu thun gehabt habe Wenn sich aber auch Frankreichs Buhlen um die Gunst Rußlands fruchtlos erweisen und der Wille der fünf Mächte Griechenland zum Gehorsam zwingen sollte, werden sich die von der französischen Staatskunst gemachten Versuche doch nicht aus dem Gedächtniß der Mächte rasch wieder ver wischen lassen. Mit einer solchen unruhigen inneren und abenteuerlichen äußeren Politik scheint Frankreich sich au einer schiefen Ebene zu befinden und noch vor dem Jubel fest der großen Revolution rasch nach links abwärts zu gleiten. Tagesschttrr. Freiberg, den 6. Mai. Der deutsche Reichskanzler ist von der Zustimmung der großen Mehrheit des preußischen Abgeordneten hauses zu der Kirchengesctz-Novellc so überzeugt, daß er nach seiner am Dienstag gegebenen ausführlichen Darlegung der Sachlage aus eine weitere persönliche Vertheidigung der Vorlage verzichten zu können glaubte. Diese letztere Aufgabe blieb gestern dem preußischen Kultusminister von Goßler über lasten, der sich derselben mit großer Ruhe entledigte. Zu nächst trat gestern im preußischen Abgeordnrtenhause Abg. Rickert den vorausgegangenen Aeußerungen des Fürsten Bismarck über die Abhängigkeit der Freisinnigen vom Zentrum entgegen. Der Redner bekämpfte sodann die Vorlage und be klagte, daß ein definitives Gesetzwerk nicht vorlicge und die Herstellung des Friedens durch die Vorlage nicht gesichert sei. Er verlangte eine bestimmtere Erklärung der Regierung. Abg. Stöcker sprach für die Vorlage, welche weniger als gesetzgeberischer, wie als Staatsakt zur Versöhnung der katho lischen Unterthanen anzusehcn sei. Das Ringen zwischen Staat und Kirche führe nur zur Schädigung des Vaterlandes wenn beide jetzt Frieden machten, könne man das keinen Rüö zug nennen. Zu wünschen sei, daß der evangelischen Kirche ebensogroße Freiheit zugcstanden würde, wie der katholischen. Abg. v. Eynern erklärte sich gegen die Vorlage und be merkte, die Nationalliberalen würden ihrer Haltung treubleiben und nur für diejenigen Artikel der Vorlage stimmen, durch welche die eigentlichen Kampfgesetze beseitigt oder gemildert würden. Der Kulturkampf sei von der Fortschrittspartei be gonnen und fortgeführt worden, bis es zur Wahlverbrüderung nit dem Zentrum gekommen fei, wodurch diese Fraktion ge- tärkt und die Regierung geschwächt worden sei, so daß sie andere Wege einschlagen mußte. Zu der dem Papste ver- irochenen Revision der Maigesetze wollten die National- iberalen nicht Nein sagen; sie müßten aber vorher wissen, woraus dieselbe gehen solle, dazu solle die Kommisfions- ierathung Gelegenheit geben. Der Friede werde auf dem ctzigen Wege nicht erreicht werden und der Kampf bald neu beginnen. Die Stellung der Nationalliberalen zu dem Kanzler bleibe stets unverändert; wenn die Regierung später den Kampf wider Rom wieder aufnehme, werde sie sich freuen, eine Partei für sich zu haben, die sich selber treu geblieben sei. Der Kultusminister v. Goßler legte sodann den historischen Ver lauf der Versuche dar, den Frieden mit der Kurie herbeizu- ühren. Die Regierung habe gesucht, sich mit dem Papste direkt zu verständigen, weil stets die Meinung geäußert worden sei, daß das Zentrum einer positiven Willensäußerung des Papstes keinen Widerspruch entgegensetzen könne. Eine Vorlage zu machen, die das ganze Friedenswerk umfasse, sei nicht möglich gewesen; die gegenwärtige Vorlage biete jeden falls das Wichtigste. Der Minister sagte am Schluffe seiner Rede: „Ich bin nicht in der Lage, Ihnen heute schon zu sagen, wie die der Kurie versprochene weitere Revision sein wird, aber das ist zweifellos, daß nicht ein I-Punkt der Mai gesetze ohne Zustimmung des Landtags geändert werden kann — das ist doch Garantie genug. All' die Eventualitäten fest zustellen, würde eine einem Lehrbuch gleichkommende Gründ lichkeit erfordern. Eine paragraphirte Konvention kann nicht festgestellt werden, aber wir können uns auf das Entgegen kommen der Kurie verlaffen und dies noch mehr, wenn den Zionswächtrrn in der Presse die Posaune auS der Hand genommen werden könnte. Ich halte den Schritt, den wir thun, für durchaus richtig. Das große Ziel, das uns vorschwebt, ist der Friede zwischen beiden Konfessionen, der der einen nützt und der andern nicht schadet. Was dann weiter kommt, darüber brauchen wir uns den Kopf jetzt nicht zu zerbrechen. Die großen Aufgaben, die wir haben, sind so groß, daß wir froh sein können, wenn wir unsere Kräfte nicht mehr für die Erreichung des kirchlichen Friedens einzusetzen brauchen." (Beifall rechts.) Hierauf wandte sich der konservative Abg. Freiherr von Hammerstein gegen die Ausführungen des Abg. von Eynern und bemerkte, die Nationalliberalen wollten staatlicher sein, als die Regierung. Die Kommissionsberathung wurde schließlich gegen die Stimmen der Nationalliberalen und die eines Theiles der Freisinnigen abgclehnt. Die zweite Lesung findet demnach im Plenum statt. Von den Polen Preußens wird der nahe kirchcnpolitische Friedensschluß mit großer Bitterkeit als eine Ausopferung der Polen beurtheilt. In diesem Sinne schreibt der „Dziennik Poznanski": „Wenn Rom nach langem Kampfe heute einen relativen Sieg davonträgt, so sollte doch wahrlich der Mit kämpfer nicht vergessen werden, der am treuesten ausgeharrt hat in schwerem Kampfe. Was geschieht indcß? Der Potentat der Kirche erinnert unS wunderbarer Weise an Napoleon, der nach drei gemeinsamen Feld zügen, dem preußischen, österreichischen und russischen, bereit war, in Dresden im Jahre 1813 die Polen und das Herzog tum Warschau dem mit der Koalition zu schließenden Frieden zu opfern. Es ist eine schlimme und unheilvolle Sache, irgend welche Ausnahmezustände seitens irgend welcher politischen Systeme in Organismen, welche den Anspruch auf den Namen Rechts-, Zivilisations- und Humanitätsstaat erheben, einzu- sühren. Um sq schmerzlicher ist jedoch das Schauspiel, wenn die höchste Vertretung der Kirche mittelbar die Hand zur Ein führung solcher Ausnahmezustände bietet, wenn sie zuläßt, daß die Bekenner der Kirche deshalb, weil sie die größte Treue und Ausdauer bewiesen haben, als Lohn für ihre Verdienste das Verdammungsurtheil erhalten." Die „Nordd. Allg. Ztg." meint, aus diesen Klagen gehe nur hervor, daß die Polen es dem heiligen Vater verübeln, weil er nicht neues Oel in den Kulturkampf gießen will, dessen sie als Deckung bedürfen, um den Kampf gegen das Deutschthum mit Hilfe des Zentrums fortzusühren. „Es zeigt sich," sagt das ministerielle Blatt, „daß die Polen nur als Polen, aber nicht als Katholiken der römischen Kurie treu und ergeben gewesen sind. Die Inter essen der Kirche gelten ihnen nichts, sobald sie letztere nicht zu ihren revolutionären Plänen zu mißbrauchen im Stande find." — Der deutsche „Reichsanzeiger" bringt mehrere Bekannt machungen des preußischen Flnanzministers, durch welche eine große Anzahl der 4prozentigen Prioritäten der verstaatlichten