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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: JnliuS Nrann in Freiberg. 88. Erscheint irden M-Lenrag Nachmitt. b Uhr »ür den andern Tag. Prci« vierteljährlich 3 Mark 2b P>, zMünsnatlich I M. L0 Pi. und e-Mum-rtli» 7S Pi. SS. Jahrgang. Freitag, den 1«. April. Inserate »erdm bi» Borurittag N Uhr ar^enoia» men und beträgt der Prer» für die geipal lene Zeile oder deren Raum lb Pf. 18«6. Die KE des Reichstages. Sowohl im preußischen Herreuhause wie im preußischen Abgeordnetenhause sind in den letzten Tagen ziemlich ab fällige Urthcile über die jetzige Reichstagsmehrheit gefällt worden. Wenn Fürst Bismarck als Mitglied der ersteren Körperschaft den nicht gerade unter glänzenden Bedingungen erfolgten Friedensschluß mit dem Vatikan gewissermaßen als eine Folge der ihm von dem deutschen Reichstage be reiteten Hemmnisse hinstellte, ließ sich der Abg. v. Minnigcrode anläßlich der Besprechung seiner Interpellation im preußi schen Abgeordnetenhaus« sogar zu Drohungen gegen den deutschen Reichstag Hinreißen, gegen welche der freisinnige Abg. Rickert protcsliren zu müssen glaubte. Die Acuhcrung des Abg. v. Minnigerodc, daß eine weitere ablehnende Hal tung des Reichstages die Existenz des letzteren gefährden ckönne, würde keine so ernste Abwehr verdienen, wenn nicht auch aus der von dem Reichskanzler im Herreuhause ge haltenen Rede eine tiefe Erbitterung gegen den Reichstag zu entnehmen gewesen wäre. Fürst Bismarck bekannte frei und offen, an dem Kulturkampf Antheil genommen zu haben, bestritt aber gegen Herrn v. Kleist-Retzow, daß dies für Preußen nachtheilig gewesen sei. Der Reichskanzler sagte dann wörtlich: „Wenn irgend etwas durch den Kultur kampf Schaden gelitten hat, fo ist es das Deutsche Reich und das Ansehen und die Wirkung des Reichstags. Das liegt aber auch nicht wesentlich am Kulturkämpfe, sondern das liegt an den Bundesgenossen, die das Zentrum im Reiche gefunden hat. Die Siege, die das Zentrum glaubt erfochten zu haben, sind mit Siege der Fortschrittspartei. Ohne diesen Bundesgenossen befände sich das Zentrum im Reichstage in derselben Minorität, wie rm preußischen Ab geordnetenhause, ungeachtet der bedenklichen Bundesgenossen, die es außerdem zur Seite hat, in Gestalt der Sozial demokraten, der Elsaß-Lothringer Franzosenfreunde und der Polen. Ungeachtet dieser bedauerlichen Verbindung würde cs ohne die Fortschrittspartei die Majorität nicht haben. Also was uns diese Unbequemlichkeiten rm Reich verursacht, lege ich nicht sowohl dem Zentrum zur Last, als der Fort schrittspartei, soweit sie im Zentrum vertreten und insoweit sie selbständig ist. Die Fortschrittspartei hat die eigen- thümliche Nolle gespielt, daß sie im Anfänge des Kirchen streites denselben mit der größten Sorgfalt geführt hat, und ihn jetzt in jeder Weise verleugnet. Die schärfsten und erbittertsten Reden im kirchlichen Streit sind von Mitgliedern der Fortschrittspartei gehalten worden, und nachdem sie das Feuer recht in Brand gebracht hatten und Staat und Kirche gegen einander verhetzt, gingen sie mit fliegenden Fahnen in das Lager des Zentrums über und beschossen den Staat von da aus. Sie benutzten die Anlehnung, um unter dem Deckmantel der Kirchenpolitik staats- und reichsfeindliche Politik mit zu treiben." Das sind starke und herbe Vorwürfe, die insofern nicht völlig zutrcffen, als die Fortschrittspartei sich schon seit geraumer Zeit von jeder unnöthigcn Verschärfung des Kulturkampfes fcrngehalten und bereits in ihrem Programm von 1878 erklärt hat, sie wünsche individuelle Genosscns- und Glaubensfreiheit, eine Abgrenzung des Rechtsgcbictcs der Kirchen- und ReliaionSgescllschaftcn gegenüber dem Staate durch Staatsgesetz und eine allgemeine Gesetz gebung über Religionsgcseüschaften ohne Bevorzugung oder Zurücksetzung bestimmter Kirchen. Das Zusammenwirken der deutschfreisinnigen Partei mit dem Zentrum mißfiel nicht nur dem Reichskanzler, sondern auch vielen liberalen Männern im ganzen Deutschen Reiche, doch folgte diese Partei dabei nur dem Vorbildc anderer Fraktionen, die ebenfalls aus politisch-taktischen Gründen sich vorher mit dem Zentrum häufig genug in Vereinbarungen eingelassen batten und die neueste Wendung der Kirchenpolitik in Preußen wahrscheinlich benutzen werden, um ähnliche Kom promisse aus'S Ncue anzubahnen. Nach der im preußischen Herreuhause mit 123 gegen 46 Stimmen erfolgten An nahme der Knchennovelle mit den Kopp'schen Amendements kann der Frieden mit dem Vatikan für besiegelt gelten. Deshalb scheint es nur gerecht und eigentlich selbstver ständlich, daß nicht nur allen ehemaligen Kulturkämpfcrn Amnestie gewährt, sondern auch darauf verzichtet werde, aus diesem abgcthanen Streit Kapital gegen die frühere oder jeweilige Haltung cinzelncr Parteien zu schlage». lieber den Fricdcnsschluß selbst herrscht im Allgemeinen große Freude, doch werde» auch jetzt schon Stimmen laut, die den dafür gezahlten Preis zu hoch und die geleistete Bürgschaft für die Friedensdauer unzureichend finden. Die onservative „Schief. Ztg." schreibt: „Aus tiefstem Herzen leglückwünschen wir unseren kaiserlichen Herrn, dem der gnädige Gott es beschicken, sich noch eines ehrenvollen Aus- rages des Kampfes zu freuen, der den inneren Frieden seit den Tagen unserer nationalen Auferstehung so schwer ge trübt hat." Mit unverkennbarem Triumph äußert sich die ultramontane „Germania": „Wir stehen durch die kirchen- wlitische Situation vor dem großen Moment einer Ent- cheidung über die Entwickelung unserer ganzen inneren Zolitik. Jetzt, wo die Wächter von allen Thürmen die Agenden Gefahren für alle Güter der Menschheit künden, t zum dritten Male der große Moment gekommen: durch cn Beginn abschließender und gründlicher Fricdensarbeit Kirche und Staat zu versöhnen, die Herzen zu beruhigen, die Grundlagen zu schaffen für die gemeinsame Arbeit aller wahren Christen zur sittlichen und sozialen Rettung unseres Volkes vor den allenthalben drohenden Gefahren." Weit minder rosig malt aber die „National-Ztg." die Zukunft: „Die Regierung hatte bei ihrer Friedensaktion die besondere Absicht, das Zentrum zu entwurzeln und den Radikalismus zu schwächen. Von Beidem wird das Gegentheil eintreten. Nach einem solchen, vom Papst erhandelten, aber vom Zentrum erkämpften Friedensschluß kann dasselbe nur stärker in der öffentlichen Meinpng der katholischen Bevölkerung werden. An Zielen des fernen Kampfes fehlt es demselben a keineswegs. Abgesehen von den noch zu beseitigenden Trümmern der kirchenpolitischen Gesetze, hat Herr Windt- Horst den Kampf um die Schule längst angekündigt. Den Radikalismus aber schwächt man nicht durch Sarkasmen über die Zusammensetzung des Reichstags, sonder» nur durch eine Regierungspolitik, welche die gemäßigte Partei gewinnt und stärkt. Aus der Kapitulation der Politik der Maigcsetze muß mit Nothwendigkcit die radikale Auffassung des Verhältnisses von Staat und Kirche Nutzen ziehen." Wie sich die inneren politischen Verhältnisse nach dieser Epoche machenden Wendung der preußischen Kirchcnpolitik gestalten werden, läßt sich bei der Entschlossenheit der deutschfreisinnigen Führer und der anspruchsvollen Zähig keit der Leiter der Zentrums-Fraktion sehr schwer vorailS- sehen; jedenfalls ist bei genauerer Prüfung des in der ver flossenen Session von der deutschen Volksvertretung Ge leisteten die Bitterkeit der dem Reichstage gemachten Vor würfe nicht recht erklärlich. Trotz seiner eigenthümlichen Zusammensetzung hat der Reichstag in dem nunmehr be endigten Haupttheile seiner Session manches Gute zu Stande gebracht. Zu den größeren Leistungen zählen die Ver längerung der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes, die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung auf die land- und forstwirthschaftlichcn Arbeiter, der Nord-Ostsee- Kanal, das Militärpensionsgesctz, die Rechtspflege in den deutschen Schutzgebieten; außerdem wurden auch der Etat, verschiedene internationale Verträge und einige kleine Re gierungsvorlagen erledigt. Die Änträge über die Ein führung der Berufung und über Entschädigung unschuldig Verurtheilter wurden vollständig durchberathen, die Anträge über Arbeiterschutz, den Befähigungsnachweis im Gewerbe betrieb und die Bestrafung von Wahlbecinflussungen in langwierigen Kommissionsberathungen erörtert. Von einer Unfruchtbarkeit der Session kann man demnach eigent lich nicht reden und erklären sich die dem Reichstag ge machten Vorwürfe deshalb nur durch die Ablehnung des Branntwein-Monopols und die Annahme der Zuckersteuer- Vorlagc in einer dem Bundesrathe nicht genügenden Fassung. In beiden Sachen ist aber daS letzte Wort noch nicht gesprochen; vielmehr wird der Reichstag in einer Nachsession sehr gern in Bcratliungen über eine neue Zucker- und Branntweinbesteuerung Antreten, um dem Finanz- bcdürfniß des Reiches zu genügen, nachdem die von der öffentlichen Meinung einmal verworfene Monopol-Besteue- rungsform endgiltig beseitigt ist Diese Bereitwilligkeit zu neuen Steuer-Bcrathungen ist dem Reichstag um so höher onzurechnen, als die Mitglieder desselben seit Mitte November v. I. als Volksvertreter angestrengt thätig waren und nun die nicht gerade erfreuliche Aussicht haben, bis über Psmgstcu hinaus in der schon heißen Jahreszeit in Berlin wcilerzutagen. Gerade die Größe der in diesem Jahre an den Reichstag gestellten Ansprüche sollte denselben vor Vorwürfen und Sarkasmen schützen, die in dieser Schärfe unverdient sind und die nur geeignet scheinen, den parlamen tarischen Eifer der deutschen Volksvertreter zu lähmen. Tagesschau. Freiberg, den 15. April. Der deutsche Kaiser empfing gestern Nachmittag 3*/, Uhr den Reichskanzler, der dem Monarchen einen längere» Vortrag erstattete. Unser Kaiser hat dem preußischen Justiz minister Or. Friedberg anläßlich dessen fünfzigjähriger Dienst jubelfeier das Großkreuz des Rothen Adlerordens verliehen. Die Universitäten Tübingen, Berlin und Greifswald über« andten dem Jubilar Ehrendoktordiplome. Die Geburtsstadt seS Ministers, Friedland, ernannte denselben zum Ehrenbürger. — In den höchsten Kreisen der Reichshauptstadt ist eine förm liche Masern-Epidemie ausgebrochen, von der nun leider auch der deutsche Kronprinz in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Das gestern ausgegebene Bulletin lautet: „Sc. Kaiser!, und Königl. Hoheit der Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen ist heute unter leichten Fieber- rscheinungen und mäßigem Katarrh an den Masern erkrankt. )r. Wegner." In dem Befinden der Prinzessinnen Sophie und Margarethe von Preußen schreitet die Besserung in er« reulichster Weise fort. Dagegen hat die Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen in der Nacht zum DienStag in hohem Fieber gelegen, das jedoch gegen Morgen nachließ. Die Tochter )er erbprinzlichen Herrschaften, Prinzessin Feodora, soll gleich« alls an den Masern erkrankt sein. Die Tochter der verwitt- welen Herzogin Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin, die Her zogin Charlotte, ist nach der von Schloß Marly nach Berlin gelangten Mittheilung jetzt von den Masern vollständig wieder hergestellt. Das preußische Herrenhaus genehmigte gestern die Sekundärbahnvorlage und beschäftigte sich heute mit dem Ansiedelungsgesetz und der Vorlage über die Schulversäum nisse. — Bei der gestern im preußischen Abgeord netenhause stattgesundenen Berathung der Nord-Ostsee- Kanal-Vorlage trat Abg. Windthorst für die Bewilligung unter der Bedingung ein, daß auch der Bau sämmtlicher anderer geplanter Kanäle gesichert sei. Das Präsidium möge die an die Kanalkommission zu verweisende Vorlage erst dann zur zweiten Lesung stellen, wenn man wisse, was aus diesen Kanälen werde. Abg. Hansen sprach gegen das Verlangen des Abg. Windthorst und Abg. Seelig erklärte sich NamenS der Freisinnigen für die Vorlage. Der Minister v.Bötticher rechtfertigte den Beitrag Preußens zu dem Nord-Oftsee-Kanal aus der Stellung dieses Staats als Vormacht Deutschlands. Die Ausstreuung, daß die Regierung kein besonderes Interesse sür den Emskanal habe, sei eitel Schwindel; die Nichtaus- sührung des Emskanals würde vielmehr die Regierung als eine Unterlassungssünde betrachten. Bei dem Nordostseekanal handle cs sich darum, ob das Interesse Preußens daran stark genug sei, um den vorgeschlagenen Beitrag zu rechtfertigen. Das Haus möge im Interesse der Wehrkraft und des Handels der Station die Vorlage genehmigen. Die Letztere wurde, nachdem noch die Abgg. v. Baudissin, Natorp und Hänel dafür gesprochen hatten und Abg. Windthorst nochmals für die gleichzeitige Sicherung des Baues eingetreten war, an eine besondere, aus einundzwanzig Mitgliedern ge bildete Kommission verwiesen. — Nach den gestrigen Verab redungen im preußischen Abgeordnetenhause wird die kirchen politische Vortage erst nach den wahrscheinlich heute beginnen den und erst am 4. Mai endigenden Ferien zur Verhandlung kommen. Prinz Wilhelm von Württemberg und seine Ge mahlin hielten am Dienstag unter dem Jubel der Bevölkerung ihren Einzug die prächtig geschmückte Stadt Stuttgart. Auf dem Bahnhofe sind die Neuvermählten von den Mit gliedern des Königlichen Hauses, den Hofchargen, den Staats ministern, den Bürgerkollegien und dem Geistlichen empfangen und begrüßt worden. — Aus München schreibt man der „National-Zeitung": „Nachdem die Versuche, sür die König liche Kabinetskafse ein Anlehen auszunehmen, überall gescheitert sind, ist dieselbe bei dem hiesigen Landgericht von einer Anzahl Bauunternehmer, Lieferanten re. verklagt worden. Für Anfang Mai stehen mehrere Termine an; cs soll sich bei diesen Klagen bis jctzt um ungefähr anderthalb Millionen Mark handeln, doch werden wohl andere Nachfolgen. Was soll nun ge schehen? Die Agnaten haben angeblich in Gemeinschaft mit dem Ministerium nochmals eine Vorstellung an den König gerichtet, welche den Verzicht auf die bisherige Art der Hof haltung und die Uebersicdclung nach München bezweckt. Wie wenig Erfolg man sich von dieser verspricht, g.ht daraus hervor, daß das Gerücht von einer zu erwartenden Abdankung in Umlauf ist. Man spricht auch von einer Regentschaft, sür deren Dauer ein umfassender Systemwechsel ausgeschlossen wäre,