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l Mittwoch, den 10. Fciruar. Jiyerate «erden bt» Bormittag 11 Uhr augenom- !! men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile s 1 FH FZ UH oder deren Raum t d Pf. A M.W V BerzerMME und Tageblatt. Amtsblatt str die königlichen nnd städrischcn Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwottlichcr Redakteur: Julius Braun iu Freiberg. Die Wiederherstellung Polens. Unter vorstehender Überschrift veröffentlicht das „Deutsche Tgbl." an leitender Stelle nachstehende lhr von geschätzter Hand zugehende Erörterung, die interessant genug ist, um sie auch unseren Lesern mitzutbeilen, ohne uns deshalb mit den Ausführungen des Verfassers überall einverstanden zu erklären. Die Zuschrift lautet: „Der Herr Abgeordnete v. Jazdzewski hat gesagt: Die Theilung Polens sei ein „Verbrechen an der Nation" gewesen, welches wieder gut gemacht werden müsse. Ferner hat der Herr vr. Windthörst die Meinung der polnischen Fraktion dahin zusammengesaßt, daß sie und ihre Freunde nicht nachlassen würden, „auf gesetzlichem Wege" die Wiederherstellung des Königreichs Polen in den Grenzen von 1772 anzustreben. Ob sich hierin eine landesverrätherische Gesinnung kundgiebt oder nicht, wollen wir um deswillen ununtersucht lassen, weil die obigen Worte sehr viel Falsches, aber auch einen Kern Wahrheit enthalten Falsch und schwächlich ist es, gegen das Verdikt der Geschichte anzubellen. Es giebt Leute, die heute noch die Reformation Ketzerei und historisches Unrecht nennen, welche die Wiedergeburt des deutschen Geistes seit Luther bestreiten und die Reichseinheit, die Frucht der Entwickelung von fünf Jahrhunderten, ver kennen. Der Politiker sollte sich doch am ehesten vor That- sachen beugen, besonders aber vor den geschichtlichen. Warum hat die Türkei in zwanzig Jahren eben so viel Provinzen und Städte verloren? Weil sie weder die Kraft gehabt hat, dieselben zu schützen, noch zu regieren. Polen hat binnen tausend Jahren einen größeren Länderbesitz ge habt als die Türkei. Boleslav „der Glorreiche" bezweckte nichts Geringeres, als alle slavischen Stämme, von der Ostsee bis zum Adriatischen Meere und von der Elbe bis zur Wolga und dem Dnjper, zu einem großen, christlich- slavischen Königreiche zu vereinigen. Und er hat seinen Zweck größtentheils erreicht, Polen hat die Lausitz, Böhmen, Schlesien, Mähren, West- und Ostpreußen, die Neumark, Masovien, Kujavien, Galizien, Podolicn, Litthauen, Samo- jitien :c. rc. besessen, aber eine Provinz nach der anderen im Laufe der Jahrhunderte wieder verloren. Ich frage den Herrn von Jazdzewski: Ist das Urtheil der Geschichte von tausend Jahren nichts? Warum ist endlich vor beinahe hundert Jahien der letzte Rest Polens unter die Mächte getheilt worden? Weil es nicht nur als Staat in sich zerfallen und sich selbst zu regieren nicht mehr im Stande war, sondern auch, weil es in schwerer Selbstverschuldung fortwährend den ränkevollen Störenfried seiner Nachbarn spielte. Das sind unerschütterliche histo rische Thatsachen! Man kann dieselben nicht durch sophi stische Redewendungen, durch Hetzartikel, Ungehorsam, Jn- triguc, Verschwörung und Attentate, noch viel weniger durch jenen romantischen Heldenmuth ausräumcn, der im Auslande auf dem Pariser Boulevard in Lackstiefeln herumschlendert, elegische Gesichter schneidet und Trauer kleider anzieht. Wenn der Reichskanzler trotzdem Worte hoher Aner kennung über die Tüchtigkeit und Tapferkeit der polnischen Soldaten und Kavaliere äußerte, so hat das seine tiefe Be gründung. Unter allen Slaven besitzen die Polen die älteste Kultur; die Geschichte ihrer Großthaten in Staat und Kirche reicht hinauf bis in die graue Vorzeit. Das Volk, welches 1410 bei Tannenberg den Deutschen Orden schlug, der damals über Preußen herrschte, mag als Staat auf gehört haben, zu leben, aber als Element der slavischen Zivili sation wird es nimmermehr sterben. Auch andere Völker tragen in sich als Erbschaft der Jahrhunderte eine besondere volksthümliche Kultur, ohne daß sie kraft dieser Ucberlegenheit über ihre Nachbarn darum als Staaten eine große Rolle spielen. Spanien hat den halben Erdkreis in Staat, Kirche, Kunst und Wissenschaft beherrscht. Frankreich ist seit Jahrhunderten der politische und geistige Gebieter in Westeuropa gewesen. Sein Kaiser Napoleon I. konnte Hamburg noch für eine Anschwemmung französischer Flüsse erklären. Und was bedeuten heute diese Länder für die staatliche Führung in Europa? Mögen sie auch politisch an die zweite oder dritte Stelle treten, die lateinische Bildung des Geistes und die Verfeinerung des Geschmacks werden nimmer sterben. Nicht den alten Völkern mit überlebten politischen Zielen, sondern den jugendlichen mit neuen und höheren Idealen gehört die staatliche Zu kunft und Führerschaft in Europa: den Deutschen, Oester reichern, Russen. Es wäre ein politischer Fehler, wrnn wir selbst ein zer schmettertes Frankreich annektiren wollten, weil der Unter grund der allgemeinen Kulturanlagcn in diesem Volke höher ist als in dem unserigen. Auch der polnische Bauer, der nicht lesen nnd schreiben kann, trägt die Erbschaft der Zi vilisation seines Volkes noch im Blute, und deshalb ist Polen mit der Bevölkerung seiner Eroberer (Russen, Preußen, Oesterrcicher) so ungemein schwer zu assimiliren gewesen. Ein Kulturvolk sollte als Kleinstaat so lange fortexistiren, bis das Niveau der Bildung in den Volksmassen seiner siegreichen Nachbarn so hoch entwickelt worden ist, daß sie die andere Kultur verdauen und sich assimiliren können. In diesem Sinne könnte man in Bezug auf die Theilung Polens von einem politischen Mangel sprechen. Gerade deshalb sind aber energische germanisirende Maßregeln in Posen wie im Elsaß völkerpsychologisch um so nolhwendiger. Dieselben sind indessen auch aus einem politischen Grunde für Preußisch- Polen unabweisbar. Die Wiederherstellung Polens als eines Kleinstaates ist keine Unmöglichkeit. Vielleicht wäre statt der Theilung die Schaffung eines kleinen abhängigen Polens besser gewesen. Daran ist heute nur in dem Fall zu denken, wenn die führenden Staaten, besonders Rußland, ihren Grundsätzen untreu oder unter einander uneinig werden. Wenn Rußland den Dreikaiserbund verläßt, wenn es jemals, abenteuerlichen Plänen L la Skobeleff oder Jgna- lieff nachgebend, an Oesterreich den Krieg erklärte, um dessm Politik auf der Balkanhalbinsel zu durchkreuzen, so könnte ein siegreiches Oesterreich — innerhalb des Föderativ staates seines Ostreiches — ein Königreich Polen als Damm gegen Rußlands Ehrgeiz wieder ausrichten. Ja, es müßte dies thun. Ter Kaiser von Oesterreich würde dann König von Pökelt sein. Selbst in diesem Falle könnte natürlich von einer Abtretung des früheren polnischen Gebietes in der preußischen Provinz Posen an das neue Königreich Polcn niemals die Rede sein; aber Jedermann begreift, daß wir dann stets eine insurgirte Provinz haben würden, wenn wir nicht jetzt bei Zeiten rücksichtslos grrmanisirrn. Durch die Bismarck'sche Politik ist Oesterreich aber erst in die gegenwärtige politische Lage gekommen, welche in Zukunft die angedeutete Möglichkeit für Polen denkbar macht. Sollte sie jemals sich verwirklichen und der Träger der heutigen deutschen Politik schon zu den Unsterblichen versammelt sein, so würden nichtsdestoweniger die Enkel derjenigen Polen, die heute den Fürsten Bismarck ihren ärgsten Gegner nennen, die Erfüllung ihrer Wünsche Nie mand Anderem als dem Kanzler des Deutschen Reiches und seiner Politik seit 1866 zu verdanken haben, deren Traditionen für die deutschen Staatsmänner hoffentlich unvergeßlich bleiben werden." Tagesschau. Freiberg, den 9 Februar. Im deutschen Reichstage sand gestern die dritte Be- rathung des Gesetzentwurfs über die Bürgschaft für die cgyptische Anleihe statt, webet der sozialdemokratische Abg. Kayser gegen die Vorlage sprach und meinte, Rothschild und seine Verbündeten mochten die Zinsgarantie selbst tragen; sür das Deutsche Reich koinmen dabei keine Vortheile heraus. Abg. vr. Windt hör st glaubte zwar nicht, daß der Entwurs zur Unterstützung sogenannter internationaler Geldspekulation be stimmt sei, sondern daß hier ein Akt großer Politik vorliege, die den Weltsriedcn im Orient aufrechterhalten soll. Die Frage der solidarischen Uibcrnahme der Zinsgarantie sür 9 Millionen Pfund Sterling erfordere aber sorgfältige kom missarische Prüfung, ohne welche er gegen den Entwurf stimme» müßte. Er beantrage deshalb, die Vorlage der Budget kommission zu überweisen. Abg. 0r. Bamberger glaubte ebenfalls, daß die politische Stellung Deutschlands dieses zur Uebernahme der Zinsgarantie veranlassen müßte, wobei das Risiko nicht sehr groß sei. Die Vorlage ging darauf an die Budgetkommission. Es folgte die dritte Lesung des Etats. In der Generaldebatte nahm das Wort Abg. Liebknecht und bemerkte, er hätte eigentlich das Votum des preußischen Ab geordnetenhauses zur Sprache bringen wollen, sei aber davon abgekommen, weil er das für unter der Würde des Reichs tags halte. Die Polen möchte er aber gern daran erinnern, daß sie jetzt in dem Fürsten Bismarck einen Vorkämpfer ge funden haben, wie sie ihn nicht besser hätten wünschen können. Der Redner ging dann auf die mißlichen finanziellen Ver hältnisse Rußlands ein, das vom Reiche und Preußen trotzdem finanziell unterstützt werde; er wolle daran zeigen, wer in Deutschland wirklich dem Auslande diene. Darauf jührtc Abg. o. Kardorff aus, daß das deutsche Volk mit den vom Reichskanzler gepflegten freundschaftlichen Beziehungen zn Ruß land einverstanden sei. Der Redner mißbilligte das Streben der Linken, die Sparsamkeit allzuweit anszudehnen, namentlich im Marine-Etat müsse er vor Abstrichen warnen. DaS Bac halten des Reichstages zu den Ausweisungen habe eine gan- andere Wirkung hervorgebracht, als beabsichtigt worden sei. Abg. Windt Horst sprach gegen die Kolonialpolitik seine Be denken aus und bemerkte, jeder Versuch, zu sparen, müsse energisch unterstützt werden. Ec empfahl sodann dringend die Beseitigung des Kulturkampfes; bezüglich des Verhaltens deS Reichstages in der Ausweisungssrage meinte er, daß derselbe gerade das Ansehen des Reichstages erhöht habe. Abg. Hänel sprach gegen die Versuche, das preußische Abgeordnetenhaus gegen den deutschen Reichstag auszuspielen und erklärte, jeder Versuch, an der Verfassung zu rütteln, werde von ihm und seinen Freunden zurückgewicsen werden. Die Schmälerung des Ansehens des Reichstages dalire erst seit der neuen Wirth- schastspolitik. Abg Rickert hob hervor, daß seine Partei der jetzigen Marineverwaltung stets Entgegenkommen gezeigt habe. Alle diesbezüglichen Vorwürfe seien ungerechtfertigt, ebenso der Vorwurf der Obstruktionspolitik. Das Vorgehen des Reichstages gegen die Massenausweisungen sei nur Wider stand gegen eine unmenschliche Maßregel. Das Ansehen des Reichstages im Volke beruhe aus seiner srlbstänvigen Meinung und sei die beste Stütze einer kraftvollen Monarchie. Abg. v. Hrlldorsf hob hervor, daß, wenn Deutschland sich aus der jetzigen Höhe erhallen wolle, das Prinzip der Sparsamkeit nicht m jeder Emzciheit streng sestgehaltcn werden könne. Auf manchen Gibielen, so aus dem des Zuckers, erscheine eine Steuerreform erwünscht und müsse man die Opposition gegen derartige Bedürfnisse zurückdrängen. Damit schloß die Debatte. — Da der Antrag der Doppelwährungs-Anhänger im deutschen Reichstage, die Regierung zu Verhandlungen mit den übrigen Mächten wegen Einführung der internationalen Doppelwährung aufzufordern, nicht die erforderliche Unterstützung gefunden hat, regte das Zentrum den Antrag an, die Negierung zu erneuter eingehender Prüfung dec Währungssrage zu veranlassen. Dieser Amrag ist von dem Abg. von Huene (Zentrum), v. Kar- dorsf, Leuschner (freilonservatw) und o. Manteuffel (konservativ) eingebracht und von anderen Mitgliedern dieser Fraktionen unterstützt worden. — In den Ausschüssen des deutschen Bundesrathes fand gestern und heute die zweite Lesung des Branntwein-Monopols statt. Es steht noch nicht fest, ob schriftlicher Bericht seitens der Ausschüsse erstattet wird, doch gilt dies als sehr wahrscheinlich. Es ist aber an- zuneymen, daß, wie der Gang der Ausschußberathungen, auch der eventuell zu erstattende schrytliche Bericht vertraulich be handelt wird. — Das preußische Abgeordnetenhaus bewilligte gestern ohne jede Debatte die für den dritten Senat des Obcrvcrwaltungsgerichtes geforderten Mittel. Auf eine bezügliche Anfrage erklärte der Regierungs - Kommissar von Zastrow, betreffs der Beseitigung der Zigeunerplage seien zur Herbeiführung eines gleichmäßigen Verfahrens unter den deutschen Bundesstaaten Verhandlungen mit deni Reichsamte des Innern im Gange. Der Minister von Puttkamer fügte hinzu, cs handle sich hierbei selbstverständlich um aus ländische Zigeuner, wogegen inländische als preußische Unter- thancn zu behandeln seien. Anlangend die anderweite Ver- theilung der Kosten der örtlichen Polizriverwaltung theilte der Regicrungskommissar mit, die bezüglichen Vorarbeiten seien im Gange, eine Vorlage könne aber in dieser Session nicht er folgen. Die dazu von der Kommission beantragte Resolution wurde angenommen. Eine von dem Abg. Dzemborski angeregte Ausbesserung des Gehalts der Distriltskommissaricn in Posen wurde von dem Minister zugesagt. — Die auf die Provinzen mit polnischer Bevölkerung bezüglichen Vorlagen gehen heute oder morgen dem preußischen Abgeordnctenhause zu. Neben der Ansiedelung kleiner deutscher Landwirthe handelt es sich ferner um die Vermehrung der deutschen Schulen und Lehrerstcllen in jenen Landestheilen und um ewige andere Maßregeln zur Hebung des geistigen Lebens der deutschen Bevölkerung daselbst, durch Förderung wissenschaftlicher und künstlerischer Bestrebungen. Unter Anderem soll eine Sub- ventionirung einer Anzahl deutscher Theater erfolgen. — Die Bürgerschast von Lübeck bewilligte am Montag zur Ver größerung des dortigen Hafens die Summe von 1562000 Mk. Im italienischen Senate interpellirte der Senator Delfico die Regierung über ihre Theilnahmc au der Flotten- demonstralion gegen Griechenland. Darauf antwortete der Minister Gros Robilaut, Italien verfahre dabei übereinstimmend mit anderen Mächten. ;Er könne aber zunächst unmöglich über die besonderen diesbezüglichen Verhandlungen Näheres mittheilen, und bedauere daher, gegenwärtig auf die Inter pellation nicht weiter eingehen zu können. Höchst überraschend wirkte die mit 347 gegen 11K Stimmen erfolgte Ablehnung des Amnestie-Antrages durch die fran zösische Dcputittenkammer. Nur 15 Royalisten und Bona- partisten stimmte» dabe, mit der äußersten Linken, 81 da-