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und Tageblatt. Amtsblatt für die kömglichen und städtischen Behörden zu Freiberg nnd Brand. verarMo sittlicher Redakteur: vrauu tu Freiberg. > > > , ,, Ig ÄagraM» — «,» Erlchemt jeden Wochema« Nachmttt. ü Uhr für d« Juferrttr werden bl« Vormittag II Uhr angen»»- .^S 17. I Freitag, de« 22. Januar. "" Io«6. Der Abrüstungsvorschlag der Mächte Es sind nun vier Monate her, daß die Ostrumelier, ahne sich im Geringsten um den Willen Europas zu kümmern, den türkischen Generalgouverneur verjagten und durch ihren Anschluß an Bulgarien eine der Hauptbestim mungen des Berliner Vertrags über den Haufen warfen. Sie durften das nur deshalb ungestraft wagen, weil sie die Uneinigkeit unter den Großmächten und die stumpfe Gleich giltigkeit der türkischen Machthaber kannten. Eine zweite Verhöhnung Europas war das kriegerische Vorgehen Ser biens gegen Bulgarien, das angeblich die Herstellung des Gleichgewichts auf der Balkanhalbinsel zum Zwecke hatte, im Grunde aber doch nur auf eine Gebictsvergrößerung hinauslief, die mit einer weiteren Zertrümmerung des durch den Berliner Vertrag geschaffenen künstlichen Baues gleich bedeutend war. Während im Dragoman-Passe Ströme von Blut flossen, bemühte man sich vergebens, eine Einigung unter den europäischen Diplomaten herzustellen, durch welche dem Gemetzel ein Ende gemacht werden sollte. Zu letzt entschloß sich Oesterreich, allein und auf eigene Hand den Kämpfern in den Arm zu fallen und nach einer kurzen Anzeige in Berlin und Petersburg wurde Graf Kheven- hüller auf den Kriegsschauplatz gesendet, wo er durch eine entschiedene Drohung wirklich den Siegeslauf des bulgari schen Alexanders hemmte. Erst nachdem dies geschehen war, bemühten sich auch die Vertreter der übrigen Mächte, einen Waffenstillstand zu vermitteln, verfuhren dabei aber so wenig geschickt und thatlrästig, daß jetzt ihr Werk den Balkanvölkern in keiner Weise imponirk. Nicht nur fehlt in dem Aktenstück über den Waffenstillstand zwischen Ser bien'und Bulgarien jede Angabe darüber, ob Serbien über den Frieden mit der Pforte oder direkt mit Bulgarien zu verhandel» habe, jede Bezeichnung einer Kündigungsfrist, jede Bedrohung eines neuen muihwilligen Friedensbruches, jede Vereinbarung über Beginn und Ort der Fricdcns- untcrhandlungen, sondern cs sind auch thatsächlich bereits mehrere Wochen verstrichen, ohne daß die Möchte versucht bälten, diese Lücken auszusüllen nnd auf den Anfang der Unterhandlungen zu dringen. So lange aber der Frieden zwischen Serbien und Bulgarien nicht geschlossen jund die Frage der bulgarisch-ostrumelischen Union nicht endgiltig gelöst ist, müssen selbstverständlich die Balkanvölkcr die Möglichkeit eines Wrederausbruchs der Feindseligkeiten ins Auge fassen. Unter solchen Umständen war das an Griechenland und Serbien gestellte Ansinnen der Mächte, sofort abzurüsten, mindestens verfrüht und nur zu sehr geeignet, die Balkan- staalen zu einer weiteren Kundgebung der Mißachtung der Mächte zu veranlassen Die Kollcltivnotc der sechs Groß mächte, durch welche Serbien, Griechenland und Bulgarien zur Abrüstung ausgefordert wurden, ist denn auch von den beiden erstercnStaatensofortentschieden abgelehnt worden, was die Abrüstung Bulgariens zur Unmöglichkeit machte. Die von dem Minister Garaschanin sehr höflich und gewandt styli- sirtc Ablehnung Serbiens erklärt die Entwaffnung für un möglich, infolge des Mangels aller Garantien für den Frtedcnsschluß und jeder Gewißheit über die künftigen Ver hältnisse auf der Balkanhalbinsel. Der griechische Minister Delyonnis gab zwar keinen offiziellen ablehnenden Bescheid, iheillc aber den Vertretern der Mächte vertraulich mit, daß seine sämmtlichcn Kollegen die Abrüstung sür unmöglich halten und ihre Entlassung fordern wollen, wenn der König von Griechenland sich dem Willen der Mächte fügen würde. Der griechische Monarch könnte aber jetzt kaum ein anderes Kabinet finden, welches den Muth hätte, dem Volke gegen über die Demobilisirung zu verantworten. Jedenfalls ist au der tragikomischen Thalsoche nichts zu ändern, daß die Vertreter der sechs europäischen Großmächte gemeinsam zur Sicherung des Friedens von drei kleinen Staaten die Ab rüstung verlangt und von zwei der letzteren eine abschlägige Antwort erhallen haben, die, wenn sie unbestraft bleibt, einer beschämenden diplomatischen Niederlage gleichkommt. Ans die kriegerischen Petitionen einzelner serbischer Städte, sowie der 1021 Bürger Pirots, die dem König Milan ihr Blut anboten, um bei dem Wiederausbruch des Krieges die frühere Schmach kämpfend abzuwaschen, ist nicht viel zu geben, da man in den meisten Kreisen Serbiens vor neuen Opfern zurückschcut. Die gleichsam als höh nische Antwort auf die Abrüstungsfordcrung erfolgte Ver fügung der serbischen Regierung, welche dos aanze Kontin gent des zweiten Aufgebotes zum 24. d. M. unter die Fahnen ruft, wirkt auf viele Schichten der Bevölkerung Serbiens sehr niedcrdrückend. In Belgrad beklagt man sich bitter über die um die Fortsetzung des Krieges bitten den Monstre-Deputationen, welche fast nur aus Leuten be stehen, die weder selbst militärpflichtig sind, noch Wehr pflichtige in ihrer Familie haben, zum Theil aber auch als Geschäftsleute bei den Heereslieferungen Geld verdienten oder noch zu verdienen hoffen. Ausrichtiger mag die Kriegslust der Griechen sein, welche die enormen Kosten für die bisherigen Rüstungen nicht um sonst aufgewendet haben wollen. Zur Kriegführung ge hören jedoch noch weit mehr Geldmittel; bis jetzt ist aber von der patriotischen Nationalanleihe höchstens ein Viertel gezeichnet und ist für das geplante Kriegsanlehcn von hundert Millionen Drachmen nur ein einziges Angebot einer Finanzgruppe eingegangen, deren Zinsforderuna dem Kabinet Delyanis unerschwinglich erschien. „Es ist un alaublich", wird der Wiener „Neuen Freien Presse" aus Athen geschrieben, „wie bisweilen hier geflunkert wird. So erzählte man hier neulich einem fremden Diplomaten unter Vorweisung eines griechischen Briefes, welchen der Betref fende nicht lesen konnte, von einem steinreichen Patrioten in Janina, der sein ganzes Vermögen, fünf Millionen Drachmen, für Kriegszwecke angeboten habe. Wer Janina kennt, weiß, wie cs dort mit den Millionären bestellt ist. Richtig sind von all den sich widersprechenden Nachrichten, die durch die Luft schwirren, nur zwei - die von dem thessa lischen Nciscprojekte des griechischen Monarchen und von den zweckmäßigen Rüstungen der Marine. König Georgios wird sich am 24 d. M., von General Vasseur, dem Che der französischen Mission, begleitet, zur Truppen-Jnspektion nach Thessalien begeben. Von dort werde er, heißt cs, die Kriegserklärung gegen die Türkei erlassen. Dies scheint jedoch unmöglich, da der König hierzu nicht, wie es die Ver fassung ausdrücklich verlangt, von der Kammer ermächtigt worden ist. Was endlich die Rüstungen zur See anbe- langt, so muß man der Rührigkeit und Umsicht des Mini sters Bubulis alle Anerkennung zollen. Die Marine wird gute Dienste leisten, und wenü's zum Aeußersten kommen sollte, so ist die griechische Ostküstc wörtlich mit Torpedos gespickt." Es srügt sich nun, ob wirklich die europäische Diplomatie an der eignen Kraft verzweifelt, dem Wiedcrausbruche des Krieges zu steuern und die abschlägige Antwort Griechen lands und Serbiens einfach zur Kenntniß nehmen Witt. Daß die Pforte den Mächten eine solche Handlungsweise zutraut, geht deutlich daraus hervor, daß sie die Rüstungen mit verstärkten Kräften wieder oufnehmcn ließ. Die sisiirt gewesenen Truppenvcrschiffungcn aus Kleinasien nach Europa haben wieder begonnen; mehrere Kriegsschiffe mit Truppen von Beirut sind nach Salonichi unterwegs; cs verlautet sogar, daß die Türkei im Begriff steht, 100 Ba taillone RcdifS zu mobilisircn. Bei Krupp in Essen wurden eiligst 500 Feldgeschütze und 14 24-Zentimeterkanonen, letztere zur Ausrüstung der Bertheidigungsstellung Salonichis bestimmt, bestellt. Andererseits bezieht Serbien von Eng- land 18 Bergbatterien und Mitrailleuscn, Griechenland von Fiume 100 Whitehead-Torpedos. In Konstantinopel geht man von der Ansicht auS, daß in demselben Augenblick, wo die Mächte ernstlich darüber verhandeln würden, Zwangs- maßrrgeln wider Serbien oder Griechenland zu ergreifen, die Einigkeit der Mächte sofort in Trümmer ginge. Bis jetzt wird nur von Rußland aus energisch daraus gedrungen, daß die Balkanstaaten durch eine bewaffnete Intervention Europas zu der Abrüstung gezwungen werden, welche die selben obznlchncn wagten. Gerüchtweise verlautet auch, daß England und Oesterreich damit einverstanden seien; cs herrscht aber in beiden Neichen, ebenso wie in der Türkei ein viel zu tiefes Mißtrauen gegen Rußland, als daß man diesem Staal die Möglichkeit gewähren sollte, sein altes Spiel auf der Balkanhalbinsel zu erneuern. Europa wird sich schließlich den Hohn Griechenlands und Serbiens noch eher gefallen lassen, als Rußland mit dem Auftrag zu betrauen, im Orient den Frieden zu schützen. Das Letztere hieße, den Bock zum Gärtner machen. Tagesschau. Freiberg, den 21. Januar. Bei der gestcrn im deutschen Reichstage erfolgten ersten und zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über die Rechts pflege in den deutschen Schutzgebieten leitete der Staatssekretär Lr. von Schelling die Debatte mit der Erklärung ein, dos; die verbündeten Regierungen den Reichs tag an der Regelung dieser Angelegenheit betheiligten, weil sich bei der Ausführung die Mitwirkung heimischer Behörden nöthig mache. Die Einzelaussührung solle jedoch stets em« mit Zustimmung des deutschen BundeSrathS zu erlassenden kaiserlichen Verordnung überlassen bleiben. Bei diesem Vor schläge hätten Zweckmäßigkeitsgründe den Ausschlag gegeben, zumal eS sich hauptsächlich nur um die Justizverwaltung und daS Prozeßrecht handele. Die Zustände in den Schutzgebiet« geben keinen Boden sür die exakte Gesetzgebung und erfordern mehr eine interimistische Regelung durch kaiserliche Verordnung. Abg. Rintelen erklärte sich NamenS des Zentrums gegen die vom vorliegenden Gesetze angestrebte Regelung, daß der Kaiser allein, ohne den Reichstag zu befragen, Verordnung« solle erlassen können. Die rechtlich« Verhältnisse der Kolonie« könnt« nur durch Gesetz geordnet werden. Nicht der Kaiser, sondern das Reich übe dort die Hoheitsrechte auS. Woh« leite denn die Rcichsregierung daS Recht zur Diktatur her? Es handle sich hier um eine staatsrechtliche Frage, während der Kaiser dos Reich nur völkerrechtlich zu vertret« befugt ser Vb beantrage, die Vorlage einer Kommission zu überweisen. Geh. Rath Krauel erläuterte, daß die Regierungen zuerst von der Auffassung ausgegangen sei«, sich so wenig wie möglich in die Verwaltung der Kolonien rinzumischm. Zu den nothwmdig« Bestimmungen gehöre aber die Einführung der Gerichtsbarkeit. Aus die Erweckung des Rechtsgesühls könne man nicht durch Gesetze, sondern nur durch die allmähliche Kulturarbeit von Schule und Kirche einwirken. Nach der ganzen Lage der Sache werde die Einführung der KonsulargerichtSbarkeit ge nügen. Es handle sich also nur um eine Zwcckmäßigkeitsfrage. In der ersten Zeit werde man vielsach expcrimentiren müsse«, ein Grund mehr, der Exekutive einigen Spielraum zu ge währen. Auch Fehler würden wahrscheinlich vielfach gemacht werden, die sich aber leichter verbessern lassen, wenn der von der Regierung vorgeschlagene Weg acceptirt werde. Die Re gierung verlange damit nur das, was der Exekutive in anderen Kolonialstaalen gewährt sei; sie habe nichts zu verberg«, sei vielmehr vollkommen bereit, dem Hause jederzeit Rechenschaft abzulegen. Abg. von Reinbaben pflichtete diesen Dar legungen bei. Abg. Or. Bamberger meinte, die Bedeutung der Frage werde reduzirt durch die Thatfache, daß die Aus dehnung unserer kolonialen Politik sich künftig in engen Grenz« halten werde. Es werde nicht mehr lange dauern, daß die Mehrheit ihm darin zustimmcn werde, daß die Kolonien nichts weiter seien, als ein sehr kostspieliges Spielzeug für unsere nationale Eitelkeit. Dennoch handle es sich im vorliegenden Falle um Grundsätze, die nicht leichtherzig aufgcgcben werd« können. Was er vor Allem fordern müsse, sei, daß der Reichstag gleichberechtigt neben dem Bundesrathe stehe, so daß Maßregeln, die letzterer angeordnel, nicht in Kraft bleiben dürfen, wenn der Reichstag ihnen nicht zustimmt. Ter Vergleich der deutschen Kolonialverwattung mit der eng lischen sei unzutreffend, weil dort sich keine Regierung mit dem Parlament in Widerspruch setzen könne. Abg. Meyer (Jena) meinte aber, in den Schutzgebieten werde Vieles der frei« Exekutive überlassen bleiben müssen und beantragte die Ueber- weisung der Vorlage an eine aus 14 Mitgliedern zusammen gesetzte Kommission. Abg. v. Helldorsf sagte, der Neichs- wg solle dafür dankbar sein, daß etwas zur gesetzlichen Regelung in den Kolonien geschehe. Abg. Windthorst meinte, daß dem Parlament möglichst überall eine bcrathende Stimme cingeräumt werden müsse. Abg. Bamberger trat nochmals sür das Recht des Parlaments gegenüber dem Bundes- rath ein. Abg. v. Helldorff widersprach und bcsürwortete die Annahme der Vorlage. Abg. W i n d th orst äußerte, wenn die Negierung so fortfahre, wie jetzt, werde es bald so komm«, wie in Frankreich. Man befinde sich völlig in der napoleonisch« Aera, auf welche die jetzigen Zustände in Frankreich gefolgt ieien. Er vertrete das monarchische Prinzip, dazu gehört« aber auch noch gewisse andere Elemente, die jetzt leider mit Füßen getreten würden. Abg. v. Helldorff antwortete, die Annäherung an französische Zustände sei nicht die Schuld der Regierung, sondern die des Parlaments. Hiernach wurde die Vorlage an eine Kommission von 14 Mitgliedern verwies« und die Elatsberathung fortgesetzt. Bei Titel 1, Zölle, be antragte die Kommission unveränderte Bewilligung. Abg. Barth wies darauf hin, daß die jetzige Zollpolitik eine be deutende Ueberproduktion im Auslande zur Folge hatte, was auch die preußische Thronrede anerkannt habe. Dies sei eine naturgemäße Folge der Schutzzollpolitik: es sei nothwendig, zu einer gesunden Wirtschaftspolitik überzugehen. Die In dustriellen hätten bereits genug von den Schutzzöllen, durchweiche die Agrarier in ihren Forderungen immer maßloser geworden sei«. Der Wollzoll habe genau so viel oder so wenig Berechtigung, wie alle anderen agrarischen Zölle. Der eingesührte Getreide zoll habe nur dazu gedient, die Landlente mit Illusionen über den Werth des Grund und Bodens zu erfüllen. Nach dem