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Uxped. u. Redaktion Dresden-Neustadt kl Meißner Gasse 3. Die Zeitung erscheint Dienstag, Donnerstag und Ponnadend frü^h. UdonnewentS- PretSr viettrljLhrl. M. 1^0. Zu beziehen durch die kaiserlichen Post, «palten und durch unsere Boten. Bei freier Lieferung in- Haus erhebt die Post noch eine Ge bühr von 25 Pfg. älhsische Vocheilung. Inserate »erde» bit Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kosten: die Ispalt. Zeile 1b Ps. Unter Eingesandt: 30 Pf. Inseraten- Lin unterhaltendes Blatt fiir den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmarmschasten Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmanu Müller in Dresden. Anuah«estele«r Die Arnoldtsche Buchhandlung Juvalidendank, Haasenstein L Vogler, Rudolf Moste, G. L Daube L Lo. in Dresden, Leipzig, Hamburg, Berlin, Frankfurt a/M. u. s. w. Wr. 61. Donnerstag, den 26. Mai 1881. 43. Jahrgang. Politische Weltschau. Deutsches Reich. Die parlamentarische Soiree, welche am Montag bei dem Fürsten Bismarck fiatt- fand, gab ein treues Spiegelbild der jetzigen zerfahrenen Partei-Verhältnisse. Das Centrum »rar auch nicht durch ein einzige» Mitglied vertreten, von den National- liberalen waren nur die Abgeordneten Or. Gneist und Laporte, von der liberalen Gruppe die Abgeordneten Schauß und Mosle erschienen. DaS Hauptkontingent der Besucher hatten die Deutschkonservatiren gestellt. Bei der zwanglosen Unterhaltung wurde auch daS Un- fallversicherungSgesetz erörtert, wobei Fürst Bismarck entschieden erklärte, daß das genannte Gesetz unter allrn Umständen, und wenn nicht jetzt, so doch in späterer Zeit zu Stande kommen müsse. Er lege das höchste Gewicht hierauf, ebenso aber auch auf die Bewilligung deS StaatSzuschusseS. Seiner Ansicht nach dürfe, wenn in dieser Saison nichts mit dem Gesetze erreicht werde, der Gegenstand nicht ruhen, vielmehr müsse der Ent wurf immer und immer wieder eingebracht werden. Auch die Hamburger Frage wurde gesprächsweise ge streift; die anwesenden Abgeordneten nahmen bezüglich dieser Angelegenheit den Eindruck mit, daß der Kanzler diese Frage alS abgethan und die Einverleibung Ham burg» in den Zollverband alS selbstverständlich telrachtet. Große Heiterkeit unter den Freiwillig-Gouvernementalen erregte die Aeußerung deS Fürsten B.i»marck, er fühle bei zunehmendem Alter feine Ikräfte täglich abnehmen, zugleich hiermit aber wüchse fein Haß gegen den heutigen Liberalismus. Schließlich kam der Reichskanzler auch auf den spärlichen Besuch der ReichstagSsitzungen zu sprechen und erklärte, er würde vielleicht im nächsten Jahre hierfür dadurch Abhilfe zu schaffen suchen, daß Reichstag und preußisches Abgeordnetenhaus zu gleicher Zeit tagten. Die süddeutschen Mitglieder würden dann einsehen lernen, inwieweit eS vortheilhaft sei, in jedem der beiden Parlamente den Etat jährlich zu berathen. In der MontagSsitzung setzte der deutsche Reichs tag die zweite Berathung der Novelle zum GerichtS- kostengesetz fort. Artikel 3 dieser Vorlage schlägt in 5 Punkten eine Herabminderung der Gebühren der Ge richtsvollzieher vor. Der Abg. v. Cuny und Genossen beantragten dagegen, die Beglaubigung-- und Zwangs- vollstnckungSgebühr in ihrer jetzigen Höhe bestehen zu lassen. Für diesen Antrag sprachen die Abgg. Reichen sperger-Krefeld, Bamberger, von Reden und Windthorst, während die Bundeskommissäre von Lenthe und Kurlbaum die Ablehnung desselben em pfahlen. Abg. Kayser stellte einen besonderen Antrag auf verschiedene Gebührenermäßigungen. Sämmtliche Anträge wurden indessen abgelehnt und die Regierungs ¬ vorlage angenommen. ES folgte nun die Berathung der von dem Ausschuß vorgeschlagrnen Resolution, welche die ReichSregierung ersuchen will, mit der ferneren Revision deS GerichtSkostengesrtzeS auch eine solche der Gebührenordnung für die Recht-anwälte zu verbinden. Abg. Jäger-Reuß hatte hierbei einen Zusatzantrag eingebracht, welcher die speciellen Gesichtspunkte, nach denen die Revision erfolgen soll, aufstellt. Eine Ab stimmung über die Resolution wird erst bei der dritten Lesung erfolgen. Am Montag sprachen sich nur die Abgg. v. Beaulieu-Marconnay, Jäger-Reuß und Schröder-Friedeberg über den Standpunkt au», welchen sie zu der Resolution einnrhmen. Die Zusatzkonvention zum deutsch-chinesischen Handelsvertrag ward nach einer Erläuterung durch den Geh. LegationSratb Kusserow in zweiter Lesung genehmigt. — Am Dienstag beschäftigte sich der deutsche Reichstag abermals mit der chinesisch- deutschen Zusatzkonvention, wobei von verschiedener Seite die in der Denkschrift enthaltene Statistik bemängelt wurde. Geh. LegationSratb v Kusserow widerlegte die Einwände gegen die Denkschrift und behauptete, daß das Gesammtresultat einen Rückgang der chinesisch- deutschen Handelsbeziehungen ergebe. Abg. Moring wieö jedoch auS der Statistik des Hamburger Export- nach, daß ein Rückgang nicht eingetreten sei. Abg. v. Bunsen wünschte in die Verträge mit China in Zukunft auch eine Bestimmung zum Schutze der Juden ausgenommen zu sehen. Die Zusatzkonvention wurde darauf ohne Aenderung definitiv angenommen. ES folgte dieBerathung deS Nachtragsetats, bei der Abss. Sonnemann eS als eine sonderbare Zumuthung an einen diätenlofen Reichs tag bezeichnete, für daS Nebenparlament, den deutschen VoikswirthschafiSrath, 84,(XX) Mark zu Diäten zu be willigen und damit einen Akt der Selbstverstümmelung zu begehen. Staatssekretär v. Bötticher führte aus, daß der VolkSwirthschaftSrath nur eine begutachtende, keine beschließende Körperschaft sei und deshalb Diäten erhalten müsse. Abg. Rentzsch hofft von der neuen Einrichtung gründlichere Vorbereitung der Vorlagen und besonderen Nutzen bei Prüfung von Handelsverträgen. Abg. Löwe- Berlin mißbilligte eine der Willkür der Minister preiS- gegebene Körperschaft, während Abg. Krege von einer solchen Institution die Aufrechterhaltung der Stetigkeit der wirthschaftlichen Gesetzgebung erwartete. Abg. Braun- Glogau fand Enquetkl nach englischem Muster nützlicher alS den auf unsicheren Grundlagen ruhenden Volks wirthschaftSrath. WaS die Männer der Praxis gemacht hätten, zeige der Zolltarif bezüglich der Textilindustrie; was jetzt in Glauchau und Meerane zu Tage trete, sei von den Männern der Wissenschaft vorhergesagt worden. Abg. Windthorst tadelte die Organisation der neuen ReichSbehörde und wollte lieber in jedem Sinzelstaate einen derartigen wirthschaftlichen Beirath eingerichtet sehen. Sämmtliche Titel deS NachtragSetatS wurde« genehmigt bis auf die Position de» Volk-wirthschaft-- rathe», die einem Au-schuffe von 14 Mitgliedern über wiesen wurde. Der Handelsvertrag mit der Schweiz ist am Sonn tag, unter Aufrechterhaltung de» Veredelung-Verkehr» in dem bi-herigen Umfange, verlängert worden. Am Montag wurde der Meistbegünstigungs-Vertrag mit Oesterreich unterzeichnet. Zum Vertrage mit Oesterreich ist zu bemerken, daß man denselben auf 6 Jahre, jedoch mit Kündigungsfristen abschloß. Der Vertrag ent hält weder Tarif-Bestimmungen, noch solche über den «ppreturverkehr und die Kouponfrage; das Zollkartell dagegen ist aufrecht erhalten. Wie sehr übrigens die Regierung es sich angelegen sein läßt, die Stadien bi» zur Vorlegung der Verträge an dm Reichstag zu ver kürzen, geht daraus hervor, daß erst am Sonntag der Kaiser — auf Grund eine- Vorträge- deS Staats sekretärs v. Bötticher — die Genehmigung zu dem Ab schluß ertheilt hat. Demnächst werden nunmehr die Vertrag-Verhandlungen mit Belgien ihren Anfang zu nehmen haben. Der BundeSrath hat in seiner am Montag statt- gefundenen Plenarsitzung dm Antrag der sächsischen Regierung auf Erhöhung deS Zollsätze» auf leichte unbedruckte Luche und Zeugwaaren angenommen. Von konservativer Seite war empfohlen worden, mit Zuhilfenahme von Adendfltzungen das noch zu ab- solvirende Pensum bis Pfingsten zu erledigen. Die meisten Abgeordneten sind jedoch gegen diese Art von Durchpeitschung und wollen lieber nach dem Vorschläge deS Präsidenten v. Goßler, die Sitzungen nach Pfingsten wieder aufnehmen. Wie die „Nordd. Allg. Ztg - mit- theilt, sollen am Montag zwischen der ReichSregierung und dem Präsidium des Reichstages die Vereinbarungen behufs der weiteren Arbeiten des Reichstages getroffen worden fein. Hiernach wird man annehmen können, daß der Reichstag über Pfingsten hinaus seine B« rathungen fortsetzen wird, um nach den Pfingstferien namentlich in die dritte Lesung der bis dahin noch nicht erledigten Vorlagen einzutreten. Die nationalliberale Fraktion ist in ihren Berath- ungen über den Antrag Varnbüler wegen Abänderung deS Unterstützung-wohnsitzgefetzeS einmülhig zu der An sicht gekommen, daß ein Eintreten für diesen Antrag nicht möglich sei. Schon die Unklarheit und Lücken haftigkeit seiner Fassung würde der Annahme im Wege stehen; außerdem aber hielt man die Wiederherstellung deS alten Heimath-recht- mit der in Deutschland ein- geführten Freizügigkeit für nicht vereinbar. Da- „Deutsche MontagS-Blatt- bringt die folgende Feuilleton. Unterm Rothen Kreuze. Original-Novelle von A. D. Nerajtw. (2. Fortsetzung.) Die nächsten Tage vergingen den Bewohnern Peters burgs in ganz verschiedenen Gefühlen: den Russen in schwindelhaften Hoffnungen über dir Leistungsfähigkeit ihrer französischen Freunde, den Deutschen in Hangen mrd Bangen über die noch ungelöste Frage, wie sich die süddeutschen Staaten zu der Sache des Norddeutschen Bundes stellen würden. Der russische Telegraph brachte bereit- ein paar Mal die Nachricht, daß der Krieg er klärt sei, ohne daß sich diese Mitteilung durch die Tele gramme deS Wvlff'schen Telegraphen-Bureau - bestätigt hätte. Endlich langten die Telegramme über den Einzug des König- Wilhelm in Berlin, über die Krieg-er- Närung, über die Einmüthigkeit ganz Deutschland» an. Die Deutschen athmeten auf. Die Russen wurden durch ihre Telegraphen-Agentur belehrt, daß die Ein- müthigkeit der Deutschen eine Lüge sei; Würtemberg und Baiern, erzählte ihr Berichterstatter, wollten zu Frank- reich hatten. Man lachte die Deutschen ob der ihnen zuge- gangenen Telegramme aus und verhöhnte sie. Dann kam die Affaire von Saarbrücken. Die Deutschen wurden bedenklich; denn da» Wolff'sche Telegramm ließ eine Schlappe zwischen den Zeilen lesen und die»- «al war man im deutschen Lager fast geneigt, an eine Schönmalerei deS Wvlff'schen Bureau - zu denken und dem russischen Telegramme, welches von einer großen Schlacht, die die Franzosen gewonnen, fabelte, den Vorzug zu geben. Noch größer war der Jubel der Russen über die angeblichen Siege der Franzosen bei Weißenburg und Wörth. Auch bei Spichern, MarS- la-tour und Gravelotte ließ die verlogene russische Tele- graphen-Agentur die Franzosen im Siege sein. Die Russen verhöhnten in immer höherem Maße die Deutschen und nannten die Telegramme des Wvlff'schen Bureau s gefälscht. Den Deutschen blieb zuletzt nichts andere» übrig, als zu diesem Geschrei zu schweigen. Nur einmal konnte ein in Petersburg domicilirender deutscher Ge werbetreibender, al- man die Deutschen der fortgesetzten Lüge bezichtigte, nicht umhin, den Spöttern eine drastische Lehre zu geben. Es war nach der Schlacht bei Grave- lotte, alS schon die siegreichen deutschen Schaaren Frank reich überschwemmt hatten. Die im „Blauen Esel- anwesenden Russen gossen abermals Hohn und Spott über die ewig unterliegenden Deutschen. Da erhob sich jener Mann und sagte: „Meine Herren, ich sehe ein und gebe Ihnen zu, daß wir Deutschen von den sieg reichen Franzosen überall geschlagen werden. Wir sind aber mit der Art, wie dies geschuht, sehr zufrieden und werde« geduldig unS «eiter schlagen lassen wenn wir nur, wie eS den Anschein hat, damit weiter kommen und schließlich in Pari- einziehen!- Die russischen Lärmer waren betroffen und wurden still. ES mochte ihnen wohl selbst einleuchten, daß eine geschlagene Armee rückwärts und nicht vorwärts geht. > Es waren erhebende und doch auch wieder schwere Tage für die in Petersburg lebenden Deutschen. Die Redaktionen der russischen und der deutschen Presse befanden sich in fieberhafter Lhätigkeit. Die Telegramme kamen bi- tief in die Morgenfrühe hinein und mußten, ost bi- zur Unkenntlichkeit entstellt, übersetzt und ausgegrübelt werden. Der Haß der Russen ergoß sich über Alle-, nicht blo- was Leutsch war, sondern was überhaupt der Wahrheit die Ehre gab und da- „Journal de St. Peter-bourg-, welche- mit ehrlichen Waffen kämpfte und genau dieselben Telegramme brachte, welche in den deutschen Blättern Aufnahme fanden, war die Zielscheibe der schnödesten und gemeinsten Angriffe der russischen Blätter, unter denen sich die „Börsen-Zeitung- durch ihre Bosheit und ihre Verleumdungen besonder» hervorthat. Der erste Redakteur des „Journal de St. PeterSbourg- wurde so verhetzt und gepeinigt, daß jene Lage ihm den Lodeskeim brachten. Er starb bald darauf. DiS in die höchsten Kreise hinauf reichten die Gehässigkeiten. Der Großfürst Thronfolger veranstaltete eines Tage- ein großes Diner, wobei unter der Hand der Befehl ertheilt wurde, daß bei der Lasel und später kein Wort deutsch, sondern nur französisch ge. sprachen werden sollte. Der Kaiser hatte absagen lassen, erfuhr aber in der Folge von der beabsichtigten Demon stration. Kurz vor Beginn de» DinerS traf die Mel dung ein, daß Se Majestät anderen Sinne- geworden sei und an der Tafel theilnehmen wirde. In der That erschien der Kaiser und zwar etwa- spät, so daß er annehmen konnte, alle Gäste bereit- anwesend zu finden. Mit den in deutscher Sprache gesprochenen Worte«: „Ich grüße Sie, meine Herren!- trat er in den Gaal und wandte sich dann sofort an den nächsten General, indem er in deutscher Sprache fortfuhr: „Heute, mein